Erklärung des Congreso Nacional Indígena - Indigener Regierungsrat

CNI vom 28.01.2021
übersetzt von: lisa - colectivo malíntzin

 

Verlautbarung und Übereinkunft der fünften Vollversammlung von Congreso Nacional Indígena (CNI) und Indigener Regierungsrat (CIG)

An den Ejército Zapatista de Liberación Nacional — EZLN
An die Pueblos der Welt
An diejenigen, die auf den fünf Kontinenten kämpfen
Geschwister, Compañer@s

Geschwister der Welt, erhaltet den Gruß derjenigen, die wir den Congreso Nacional Indígena bilden. Wir — Frauen, Männer — sind die Pueblos und Comunidades, die Gemeinschaften, die die Erde und Gebiete bereits bewohnten — bevor das, was sich mexikanischer Staat nennt, aufgezwungen wurde. Nicht nur haben wir eigene Sprachen und Kleidung sondern auch eine eigenen Form von Regierung: die Welt zu sehen, zu verstehen und zu leben — unterschiedlich zu der kapitalistischen Welt, die alles als Ware betrachtet. Wir sind Pueblos, die das Land, die Berge, Wasser, Hügel, Vögel und alle Lebewesen, die unsere Madre Tierra, Mutter Erde, bewohnen, lieben. Für uns — Frauen, Männer — ist das Leben heilig, wir verehren es. Die Befehlsgeber, deren Ziel es ist, zu herrschen und auszubeuten, wollten im Verlauf der Zeiten uns ein Ende bereiten, wollten unsere Kultur, unser Gebiet zerstören. Wir bilden eine Geschichte der Beraubung, des Widerstands und der Rebellion. Und heute, nach mehr als fünfhundert Jahren Conquista und Krieg, sind wir in Gefahr, ausgelöscht zu werden — zusammen mit der gesamten Welt.

Zapatistische Geschwister, ältere Geschwister,
Wie immer erzeugen Eure Worte und Initiativen ein Licht der Hoffnung und einen Weg für unsere Pueblos. Die Mega-Projekte, die transnationalen Unternehmen, das organisierte Verbrechen in Koordination mit der Regierung invadieren uns immer mehr, um unser Gebiet, das Leben, auszubeuten und zu zerstören. Die Lügen-Worte von López Obrador und seine so genannte Vierte Transformation (1) beabsichtigen eine Mauer zu schaffen, die den an Heftigkeit zunehmenden Krieg gegen die Pueblos und das Leben der Madre Tierra verdeckt. Sie wollen uns damit isolieren und als Gegner des Fortschritts präsentieren — dessen haben uns bereits andere Regierungen beschuldigt, aber heute bekommt es einen noch zerstörerischen Sinn. Unsere Worte, unsere Realität, der Krieg, den wir leben, erreicht nicht alle Herzen, die es erreichen sollte: Denn wir — Frauen, Männer — verteidigen nicht nur unser Gebiet, unser Land. Mit ihm verteidigen wir auch das Leben der Mutter Erde, der Madre Tierra, und die Zukunft der Menschheit. Die gesamte Kraft von Kapital, von Regierung und organisiertem Verbrechen fällt über unsere Pueblos her; sie spalten uns, berauben uns, bedrohen uns, sperren uns ein, bringen uns um.

Wir — die Frente der Pueblos in Verteidigung von Land und Wasser in Morelos, Puebla, Tlaxcala (FPDTA-MPT) sind Teil des CNI — CIG und leben den gleichen Krieg der Mega-Projekte — wie unsere Geschwister überall in Mexiko. Das Gesamt-Projekt des Todes, genannt Gesamt-Projekt Morelos [Proyecto Integral Morelos — PIM] wird durchgesetzt, um hauptsächlich die Bergbau-Unternehmen zu bereichern. Jenseits von Legalität werden gerichtliche Verfassungsbeschwerden nicht anerkannt und verletzt, wird die Guardia Nacional, die Nationalgarde, damit beauftragt, das Aquädukt zu bauen, werden indigene Befragungen, Versammlungen aufgezwungen, die unsere fundamentalen Rechte verletzen. Weit davon entfernt aufzuklären, machen die Untersuchungen der Ermordung von Samir [Flores Soberanes] jedoch die existierende Verbindung zwischen Staatsanwaltschaft des Bundesstaates [Morelos] und organisiertem Verbrechen offensichtlich.
Zusammengefasst: Wir erleben den gleichen Vernichtungskrieg wie unsere übrigen Compañer@s des CNI und die anderen geschwisterlichen Pueblos, Städte, Sektoren.
Jedoch: Der Angriff von großem Kapital und Regierung, der Mord an unserem Bruder Samir setzen unserem Widerstand kein Ende. Im Gegenteil, wir fahren fort zu kämpfen — mit unseren mächtigsten Waffen: Würde, Widerstand und Rebellion — bis das Leben über den Tod triumphiert.

Die Durchsetzung des Tren Maya [Maya-Zug], die in Gang gesetzt wird durch den Bau der 15 [neuen] urbanen Zentren, die Durchsetzung des Inter-Ozeanischen Korridors zwischen den Häfen Salina Cruz und Coatzacoalcos, der 10 große urbane Industriegebiete beinhaltet, die Durchsetzung des Internationalen Flughafens von Mexiko-Stadt im Naturschutzgebiet des Sees von Texcoco — zusammen mit dem Proyecto Integral Morelos — suchen die Neuordnung des Landes, gemäß den wirtschaftlichen Interessen des großen Kapitals. Ebenso schlimm ist das Projekt, drei Thermoelektrische Kraftwerke (von denen eines bereits fertiggestellt wurde), ein Netzwerk von Gaspipelines und eine Mega-Zentrale zum Lagern von Treibstoffen in der Flussniederung des Río Santiago im Süden von Guadalajara (eine der am stärksten kontaminierten Regionen Mexikos) zu bauen — zum Segen verschiedener ausländischer Unternehmen. Dem hinzugefügt werden muss noch das gegenwärtig von der Guardia Nacional ausgeführte Projekt Canal Centenario [Jahrhundert-Kanal], welches die Umleitung der Flüsse San Pedro und Santiago beabsichtigt. Ebenso bedroht der Tageabbau hunderte von Gebieten der indigenen Pueblos. Eingesetzt werden dabei die gleichen Methoden, um unsere Gemeinden zu spalten, zu berauben und zu zerstören.

All diesen Projekten gehen infrastrukturelle Maßnahmen des Straßenbaus und der Entwässerung voraus; unzählige Windkraft- und Fotovoltaik-Anlagen sowie Wasserkraftwerke, Wärmekraftanlagen und Gaspipelines, die illegalerweise in die Gebiete unserer Pueblos eindringen. Viele davon besitzen noch nicht einmal die entsprechende Genehmigung bezüglich der Umwelt-Auswirkungen. Sie bedeuten die Besetzung von abertausenden von Hektaren Land und die Änderung der Bodennutzung von indigenen Gemeindeländereien [Ejidos], Gemeinschaften und Pueblos, ohne die freie Selbstbestimmung der Pueblos über ihr Land in Betracht zu ziehen.

Diese Mega-Projekte und all der Raub und die Ausbeutung sind Ergebnis des extraktivistischen Modells der [jetzigen] Regierung. Sie werden geschützt mittels der Militarisierung des gesamten Landes und der öffentlichen Sicherheit. Die verlogenen Worte López Obradors haben die Militarisierung jetzt weiter vorangetrieben — während bei den vorherigen Regierungen ein Großteil der Gesellschaft noch dagegen opponiert hatte — und ohne dass Vorgeschichte und reale Situation verschwunden wären, in der Armeeangehörige systematisch die Menschenrechte verletzen und mit dem organisierten Verbrechen sehr wahrscheinlich geheime Absprachen treffen. Der Krieg gegen die Pueblos, um die Mega-Projekte durchzusetzen, ist so offensichtlich, dass den Militärs Arbeiten wie der Tren Maya oder der Flughafen von Santa Lucía übergeben werden — Projekte gegen die wir rundherum opponieren.

In diesem ganzen Prozess der Rekolonialisierung unserer Gebiete erfüllt das Nationale Institut der Indigenen Pueblos (INPI) — als eine weitere Bürde der schlechten Regierung der Vierten Transformation — die Aufgaben, die der alte Indigenismus des PRI-Regimes (2) umgesetzt hatte: unsere Pueblos und Gemeinschaften zu mediatisieren, mittelbar zu machen, zu manipulieren, zu fragmentieren und zu spalten. Das Institut dient dabei dem jeweiligen Vorarbeiter, um dessen Mega-Projekte zu bestätigen, gibt sich her für gefälschte und regierungsnahe Zeremonien, die unsere Madre Tierra beleidigen, nimmt Teil an den Aufstandsbekämpfungsstrategien und der so genannten »Konflikt-Erzeugung« (3). Angesichts dessen hat die Comunidad der Otomí, die in Mexiko Stadt lebt, das Institutsgebäude besetzt, um — über das legitime Recht auf Wohnen hinaus — die Respektierung und Anerkennung der Selbstbestimmung der Pueblos über ihre Gebiete zu fordern.

Die Pandemie Covid-19 kam, wie die verlogene Regierung unter López Obrador sagte, »angelegen«, um die Mega-Projekte und die Militarisierung des Landes durchzusetzen. Während der größte Teil der Bevölkerung sich im Stillstand befindet, trägt die Pandemie das ihrige zum Vernichtungskrieg gegen unsere Pueblos bei — wo die Gesundheitsversorgung und die ökonomischen Möglichkeiten sehr spärlich sind, in vielen Fällen gleich null.
Wir sehen, es handelt sich um eine niemals zuvor gesehene, globale und zivilisatorische Krise, die die gesamte Menschheit dazu verpflichtet, dieses gegenwärtige kapitalistische und patriarchale System zu zerstören. Es ist verantwortlich für die Zerstörung der Natur und gründet sich auf der jedes mal mehr wachsenden Ausbeutung und Beraubung von abermillionen Menschenwesen. Ein System, das um Gewinne und Reichtum zu erzeugen, sich auf das organisierte Verbrechen, auf Kriege, Epidemien und Pandemien stützt.

Darum treffen wir — als Congreso Nacional Indígena (CNI) — Indigener Regierungsrat (CIG) und als Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra y Agua Morelos, Puebla, Tlaxcala (FPDTA-MPT) in dieser FÜNFTEN VOLLVERSAMMLUNG VON CONGRESO NACIONAL INDÍGENA UND INDIGENER REGIERUNGSRAT — die folgenden

VEREINBARUNGEN
EINS.- Wir unterschreiben die Erklärung für das Leben, realisiert von Ejército Zapatista de Liberación Nacional — EZLN, den Pueblos, Organisationen, Kollektiven und Einzelpersonen der Welt. Wir verpflichten uns, unsere Kämpfe in Verteidigung des Lebens in unseren Gebieten zu stärken und Gehör, Organisierung und Worte zu öffnen — für/mit unseren Geschwistern in Mexiko und der Welt, die gegen dieses kapitalistische und patriarchale System mit dem Ziel kämpfen, es zum Verschwinden zu bringen.

ZWEI.- Wir werden — auf direkte Weise und übereinstimmend mit den vereinbarten Kriterien dieser Vollversammlung — mit einer Delegation aus CNI — CIG und FPDTA-MPT und gemeinsam mit dem EZLN an der Rundreise durch Europa in den Monaten Juli bis Oktober 2021 teilnehmen, die von unseren Geschwistern und Compañer@s des EZLN und der Welt vorgeschlagen wurde — und gemäß unseren Möglichkeiten an den späteren Reisen in Asien, Afrika, Ozeanien und Amerika.

DREI.- Wir werden vom 19. bis 21. Februar 2021 Aktionen für das Leben, gegen die Mega-Projekte und im Gedenken an unseren Bruder Samir Flores Soberanes durchführen — zwei Jahre nach seiner feigen Ermordung. Wir rufen unsere Geschwister und Compañer@s in Mexiko und der Welt auf, an diesen Tagen gleichzeitig Aktionen zu machen.

VIER.- Wir fordern die Beendigung der Attacken und Nötigungen gegenüber den zapatistischen Comunidades; die sofortige Freilassung unserer Brüder Fredy García Ramírez, Sprecher der Organisation CODEDI in Oaxaca, und Fidencio Aldama, Mitglied des Tribus Yaqui, sowie die Freilassung unserer Brüder Adrian Gomez Jimenez, German López Montejo und Abraham López Montejo, Mitglieder der Gefangenen-Organisation La Voz Verdadera de Amate [Die wahre Stimme von Amate], Marcelino Ruiz Gomez, Mitglied von Vineketik en Resistencia [(Gefangene) Männer im Widerstand], sowie von Osman Alberto Espinales Rodríguez und Pedro Trinidad Cano Sanchez, welche sich zu unrecht als Gefangene in den Knästen von San Cristóbal de Las Casas und Comitán, Chiapas befinden. Stopp dem Mord an unseren Brüdern des CIPOG-EZ. Wir fordern das lebend Wieder Auftauchen des Bruders Sergio Rivera Hernández, Mitglied der Organisation MAIZ in der Sierra Negra von Puebla, der 43 Studenten von Ayotzinapa und aller der Verschwunden gemachten Männer und Frauen.

HOCHACHTUNGSVOLL.
Januar 2021.
Für die vollständige Rekonstituierung unserer Pueblos.
Niemals mehr ein Mexiko ohne uns.

CONGRESO NACIONAL INDÍGENA — INDIGENER REGIERUNGSRAT.
FRENTE DE PUEBLOS EN DEFENSA DE LA TIERRA Y EL AGUA MORELOS,
PUEBLA, TLAXCALA.


übersetzt von lisa-colectivo malíntzin.

 Anhang  
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Anmerkungen der_die Übersetzer_in:
(1) Gemeint ist der jetzige mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador und seine Vierte Transformation genannte neoliberale Regierungspolitik.
(2) PRI-Regime: Partido Revolucionario Institucional; Partei, die mit kurzen Unterbrechungen über 70 Jahre Mexiko regierte.
(3) Im Original: ingeniería de conflictos: »Mit der Unterstützung von Soziologen und Anthropologen werden Probleme ausgemacht, die in den Pueblos existieren, um sie zu nutzen und eine der Gruppen zu unterstützen, ihr Profit, Arbeitsplätze und Geld versprechend, mit dem Ziel, dass sie zu anderen Gruppen in Konfrontation geht.« Aus dem La Jornada-Artikel: Mineras aplican ingeniería de conflictos para expropiar tierras — Bergbau-Unternehmen wenden Konflikt-Erzeugung an, um Land zu enteignen. https://www.jornada.com.mx/2012/04/20/politica/023n2pol"https://www.jornada.com.mx/2012/04/20/politica/023n2pol

 

Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2021/01/28/pronunciamiento-de-la-quinta-asamblea-entre-el-congreso-nacional-indigena-y-el-concejo-indigena-de-gobierno/


 

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