Konflikte sind absehbar

Mexikos Ölpalmenplantagen wurden kartiert

ILA vom 09.07.2021
P. Clausing und C. de la Vega-Leinert

 

Hört man das Wort Ölpalmen, kommen zuerst Länder wie Indonesien und Malaysia und gegebenenfalls Kolumbien in den Sinn, wo transnationale Konzerne riesige Plantagen besitzen oder ihre Zulieferer, kleinbäuerliche Produzent*innen, mittels Vertragslandwirtschaft kontrollieren. Dabei begangene Menschenrechtsverletzungen und die verursachte Umweltzerstörung wurden vielfach thematisiert, auch in der ila mit Blick auf Kolumbien (Nr. 304) und Brasilien (Nr. 339). Die Palmölproduktion in Mexiko spielt bisher nur eine vergleichsweise geringe Rolle. Geht es nach dem Willen von Agrarunternehmen und Mexikos Regierung, soll sich das ändern. Eine Studie des Centro de Estudios para el Cambio en el Campo Mexicano (CECCAM) und der Universität Greifswald gibt nun einen guten Überblick über die derzeitigen Anbauflächen in Mexiko und das Konfliktpotential, wenn es zu einer massiven Ausweitung derselben käme.

Gemessen an Kolumbien, global der fünftgrößte Produzent und Nummer eins in Lateinamerika, steht Mexiko noch ziemlich am Anfang. Im Jahr 2018 standen rund 73 000 Hektar produktive Ölpalmenflächen in Mexiko knapp 290 000 Hektar in Kolumbien gegenüber. Insofern bildet ein vor wenigen Wochen veröffentlichter Bericht [1], für den 62 057 Hektar mexikanische Ölpalmenfläche georeferenziert und kartiert wurden, eine solide Grundlage, um die künftige Entwicklung genauer zu verfolgen.

Staatliche und private Akteure vertreten die Ansicht, dass der mexikanische Palmölsektor sich zu einem zentralen wirtschaftlichen Bereich im Land entwickeln könne. Zudem wird von diesen Akteuren hervorgehoben, dass die Produktion von Palmöl unter mexikanischen Verhältnissen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit darstelle. Die für das Land geschätzte Fläche mit produktivem Potenzial für Ölpalmen beläuft sich, abhängig von der Quelle, auf 2,8 bis 8,9 Millionen Hektar. Selbst die untere Grenze dieser Schätzung würde einem Vielfachen der jetzigen Produktionsfläche in Kolumbien entsprechen. Das in der aktuellen Agrarplanung anvisierte Ziel geht über die Deckung des wachsenden Binnenbedarfs an Palmöl hinaus — man will einen international konkurrenzfähigen Sektor aufbauen.

Ein Argument der Ölpalmenbefürworter ist, dass in Mexiko, im Gegensatz zu anderen Ländern, für die Ausweitung der Ölpalmenfläche keine Wälder abgeholzt werden müssten, sondern ungenutztes beziehungsweise minderwertiges Land in produktives, bewaldetes Land umgewandelt werden würde. Die aktuelle Studie zeigt, dass viele der derzeitigen Ölpalmenplantagen auf Weideland errichtet wurden, wo- mit wahrscheinlich ist, dass sie sich in Regionen älterer Abholzungsphasen befinden, also Flächen, die entwaldet wurden, aber für andere Zwecke. Das erinnert an die in anderem Zusammenhang geführte Diskussion zum »nachhaltigen« Sojaanbau. Vor etwa 15 Jahren war das Ansehen der lateinamerikanischen Sojaproduzenten wegen der Zerstörung der Regenwälder auf einem Tiefpunkt. Das Greenwashing des damals gegründeten Round Table on Responsible Soy (RTRS) war die Rettung. Es war die Suggestion einer Wende zum Besseren, die das schlechte Image dieser Branche mit dem Versprechen zu verbessern suchte, dass für RTRS-zertifizierte Soja kein Wald abgeholzt werde. Doch die Waldvernichtung wurde mit der Einführung von RTRS nicht beendet, sondern einfach nur verschoben. Die Rinderzüchter, die keinem Zertifizierungssystem unterliegen, holzten weiterhin den Regenwald ab, während die zertifizierten Sojaproduzenten »minderwertiges Land« übernahmen, die Weideflächen. [2] Ausgehend von oben zitierter Studie ließe sich dokumentieren, ob Mexiko im Rahmen der weiteren Entwicklung der Palmölproduktion einen ähnlichen Weg geht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Studie einen engen Zusammenhang zwischen dem Anbau von gentechnisch veränderter Soja und Ölpalmen erkennt. Schon jetzt werden in einigen Gemeinden diese beiden agrarindustriellen Nutzpflanzen nebeneinander angebaut.

In der Studie wurde nachgewiesen, dass sich 30 101 Hektar in »Regiones Terrestres Prioritarias« (RTP) befinden, die von der mexikanischen Behörde CONABIO als Gebiete ho- her Biodiversität identifiziert wurden. Zudem stand eine Entwaldung von 5400 Hektar, was fünf Prozent der aktuellen Anbaufläche entspricht, in direktem Zusammenhang mit der Ausdehnung der Ölpalme. Doch damit nicht genug, es wurden auch 4022 Hektar Ölpalmen innerhalb von Naturschutzgebieten ermittelt. Außerdem wird in sieben von 78 offiziell als hydrologisch prioritär klassifizierten Regionen Ölpalmenanbau betrieben. Mit anderen Worten, schon jetzt existiert in Mexiko ein Konflikt zwischen Umwelt und Palmölproduktion und seine Eskalation ist absehbar. Im Diskurs um eine Ausweitung des Ölpalmenanbaus stehen die Schaffung einer stabilen Einkommensquelle und mithin die Bekämpfung von Armut im Vordergrund. In einem Ende 2017 veröffentlichten Beitrag des Nachrichtenportals Poonal [3] wird über einen Bauern aus Boca de Chajul im Süden von Chiapas berichtet. Mit seinen 27 Hektar Ölpalmen verdiene er ohne große Anstrengungen 30 000 Pesos im Monat, während er all die Jahre zuvor, als er Bohnen, Mais oder Chile angebaut hat, nur einen Bruchteil dessen mit viel mehr Arbeitsaufwand erwirtschaftete. Diese Darstellung dürfte den Protagonisten der Palmölindustrie gefallen, aber sie impliziert zwei Unbekannte.

Erstens unterstellt das ein stabiles Preisniveau über längere Zeit. Wie in einer Grafik der Studie dokumentiert ist, fluktuierte der jährliche internationale Durchschnittspreis pro Tonne Palmöl innerhalb der letzten 20 Jahre jedoch um mehr als das Dreifache. Das ist auch deshalb problematisch, weil es drei bis vier Jahre dauert, bis eine Ölpalme nach ihrer Anpflanzung überhaupt etwas trägt, wobei die volle Produktivität erst ab dem sechsten Jahr entfaltet wird. Wenn keine unmittelbare Entwaldung stattfindet, sondern eine Umwidmung zum Beispiel von Weideflächen, sind damit mehrjährige Einkommensausfälle verbunden. Hinzu kommen Ausgaben für den Kauf und die Pflege der Jungpflanzen. Alles in allem ist das ein risikobehaftetes Unterfangen, insbesondere wenn zur Überbrückung dieser Durststrecke Kredite aufgenommen werden. Können die Kredite nicht bedient werden oder fällt die staatliche Förderung weg, ist der wirtschaftliche Ruin nicht selten unvermeidlich. In Kolumbien gibt es dafür entsprechende Beispiele.

Der zweite zu hinterfragende Punkt: Das Einkommen des oben zitierten Bauern basiert auf 27 Hektar Ölpalmen, eine rund viermal so große Fläche wie laut offizieller Statistik ein durchschnittlicher mexikanischer Kleinbauer beziehungsweise eine Kleinbäuerin bewirtschaftet. Die Bewirtschaftung der 27 Hektar kann der Bauer mit Sicherheit nicht allein bewältigen. Die offene Frage ist also, ob die Arbeitsverhältnisse der Plantagenarbeiter*innen in Mexiko besser sind beziehungsweise sein werden als die der Tagelöhner*innen in anderen Teilen der Welt. Aus anderen Ländern wird immer wieder über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Palmölproduktion berichtet. Das betrifft sexuelle Gewalt gegenüber Plantagenarbeiterinnen ebenso wie die Verletzung von Arbeitsrechten und gewaltsame Vertreibungen im Rahmen von Landkonflikten. Schon jetzt finden sich laut den Kartierungsresultaten der neuen Studie Ölpalmen auf dem Territorium von 15 indigenen Gemeinden der Chol- und Tzeltal-Ethnien in Chiapas und der Nahuatl in Veracruz. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die Streckenführung des geplanten und umstrittenen Tren Maya durch einige der wichtigsten Ölpalmenanbaugebiete des Landes führt.

Bisher stand Mexiko nicht wegen Menschenrechtsverletzungen im Palmöl-Kontext im Rampenlicht. Doch regional werden Ölpalmenplantagen inzwischen zunehmend kritisch betrachtet. So beklagen Frauenorganisationen im Norden von Chiapas die gravierenden Auswirkungen des Ölpalmenanbaus auf kleinbäuerliche und indigene Gemeinden. [4]

Insofern ist es kaum vorstellbar, wie die Anbauflächen um ein Zigfaches erweitert werden sollen, ohne dass es dabei zu Landkonflikten und zu einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse kommt. Generell ist die Produktion von Palmöl mit zahlreichen, oftmals schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt verbunden. Dazu gehören der mit den Monokulturen verbundene massive Verlust an Biodiversität, aber auch der Einsatz von zum Teil hochgefährlichen Pestiziden und eine oftmals extreme Belastung der Umwelt durch die bei der Verarbeitung der Früchte entstehenden Abwässer. Nicht zuletzt ist die Ernte der bis zu 25 Kilogramm schweren Fruchtstände nicht selten mit Verletzungen der Erntearbeiter*innen verbunden, zusammen mit mangelhafter Gesundheitsversorgung, wie sie in ländlichen Regionen Mexikos anzutreffen ist, eine gefährliche Kombination.

Der Palmölboom in Mexiko steht noch bevor. Die derzeitige Entwicklung ist so dynamisch, dass eine Übersicht wie die jetzt publizierte nur für kurze Zeit aktuell bleibt. Mit dem Ziel, den weiteren Verlauf genau zu verfolgen, um so mit Sachkenntnis die Einhaltung akzeptabler Mindeststandards im sozialen und Umweltbereich einfordern zu können, be- absichtigen die Autor*innen, ihre Studie zu aktualisieren, zu verfeinern und zu vertiefen, und arbeiten schon jetzt daran. n

1) https://mexicoviaberlin.org/4772-2/
2) Vgl. Clausing, P. (2014): Die grüne Matrix. Unrast-Verlag, Münster.
3) https://www.npla.de/thema/umwelt-wirtschaft/oelpalmen-im-mexikanischen-urwald-auf-dem-vormarsch-teil-2/
4) Video: Encuentro de la palma aceitera: https://www.youtube.com/watch?v=0dN5UiCj5hI

 

Quelle: https://www.ila-web.de/ausgaben/447


 

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