Atenco-"Rettungseinsatz" von der PFP geplant und von Fox bewilligt

La Jornada vom 21.05.2006
Carlos Fazio
übersetzt von: Dana

 

Radio- und Fernsehkommentatoren, freiwillig oder unbewusst, Teil der psychologischen Kriegsführung für die Rechtfertigung der paramilitärischen Aktion vom 4. Mai.

Am 4. Mai gab die Bundesregierung Befehl zur Durchführung eines psychologischen Einsatzes in der Gemeinde von San Salvador Atenco. Die sogenannte "Operation Rettung" wurde in voraus von anti- subversiven Experten der Präventiven Bundespolizei (PFP), mit Hilfe von Agenten des Zentrums für Ermittlung und Nationale Sicherheit (CISEN) und der Sicherheitsbehörde des Bundesstaates Mexiko (ASE) entworfen und geplant. Der Reichweite des Einsatzes und der politischen Konjunktur des Landes nach zu urteilen - die letzte Phase eines Wahlkampfes, der von "Hasskampagnen" und einem schmutzigen Medienkrieg gekennzeichnet ist - muss die paramilitärische Operation, unter dem Deckmantel der Polizei, nicht nur unter Absprache mit Vicente Fox; Nationalem Sicherheitskabinett erfolgt, sondern auch mit seiner ausdrücklichen Bewilligung unternommen worden sein.

Streng genommen handelte es sich dabei um eine chirurgische Militäroperation, der eine kurze aber effektive Propagandakampagne vorausging. Ihre Hauptziele waren, die Erringung der "Kontrolle" über eine Gemeinde, die sich in den Händen einer Gruppe sozialer und politischen Dissidenten befand, und die Enthauptung der Front der Dörfer für die Verteidigung des Landes (FPDT), deren Mitglieder von den Kommandanten der Militäraktion als "Delinquente", "Subversive" bezeichnet, und mit dem "organisierten Verbrechen" in Zusammenhang gebracht wurden.

Der Einfall in Atenco am 4. Mai, mittels einer schnellen und unverhältnismäßig brutalen Umzingelungsaktion der Sondereinsatzkräfte der PFP, unterstützt von Agenten der staatlichen Polizei, kann am besten als etwas beschrieben werden, das im militärischen Jargon als "Bevölkerungskontrolle" bekannt ist. Diese Art von Einsatz, der auf der "Lacheroy Doktrin" basiert - benannt nach Oberst Charles Lacheroy, der sie in der Schlacht von Algier, nach der französischen Niederlage von Dien Bien Phu einsetzte - ist Bestandteil der psychologischen antisubversiven Kriegsführung, eine Form der irregulären (nicht-konventionellen) Kriegsführung, kombiniert aus dem gezielten Einsatz nachrichtendienstlicher und Öffentlichkeitsarbeit, Propaganda und Massenkontrolle innerhalb eines spezifischen Gebietes.

Den Ereignissen vom 4. Mai ging am Tag zuvor ein blutiges Handgemenge zwischen rebellierende Campesinos und Sicherheitskräfte voraus. An der Oberfläche könnte es so aussehen, als ob sich die gewalttätige Auseinandersetzung aus einem "kleinen" Zwischenfall entwickelt hätte: die Vertreibung von acht Blumenverkäufern von einem Marktplatz im Bezirk Texcoco. Aber unter Betrachtung der Richtlinien eines Handbuches für "Sonder-" (oder "psychologische") Einsätze", das vom Nationalen Verteidigungsministerium (SEDENA) benutzt wird, lassen die Ereignisse der "Schlacht von Atenco" im Rückblick vermuten, dass die Rebellion der Bevölkerung von Atenco "herbeigeführt" gewesen sein könnte.

Eine Grundkomponente der "psychologischen Kriegsführung" ist Propaganda, welches das Ziel verfolgt "die Herzen und Meinungen der Bevölkerung zu gewinnen". Propaganda versucht die "Anfälligkeiten" der Menschen auszubeuten (Furcht, Unsicherheit, Wut, Nostalgie, Sorge) und "die Meinungen, Emotionen, Haltungen und Verhalten freundlicher, feindlicher und neutraler Gruppen zu beeinflussen, um nationale Interessen oder Ziele zu erreichen", so das Handbuch.

Propaganda wird durch die Massenmedien verbreitet, ganz besonders durch Radio und Fernsehen, und die grundsätzlichen "Ziele" dieser psychologischen Kriegsführung sind, die Unterstützung "freundlicher" sozialer Gruppen zu verstärken, "Feinde" zu diskreditieren und zu schwächen, und die Sympathie der "Neutralen" zu gewinnen. In dieser Phase, versucht die Propaganda durch sogenannten Motivationspsychologie, dem Einzelnen drei verschiedene Reaktionen zu entlocken: Aggression, Konformität, und Resignation oder Apathie.

Fue seguido de un desmesurado desplazamiento de la fuerza pública de los tres niveles de gobierno (municipal, estatal y federal) a San Salvador Atenco, para "reabrir"el tránsito en una carretera bloqueada.

Bei sorgfältiger Analyse der einzelnen Schritte der Ereignisse vom 3. Mai, wird ersichtlich, das ein "kleiner" Zwischenfall auf einem Marktplatz von Texcoco, der durch Dialog und Verhandlung hätte geregelt werden müssen, von einer exzessiven Machtentfaltung aller drei Regierungsebenen (munizipal, staatlich und bundesstaatlich) in San Salvador Atenco gefolgt wurde, um eine blockierte Strasse "wiederzueröffnen".

Die Polizeiaktion erweckte die Wut der Atenco-Bewohner, die daraufhin die Polizisten mit Stöcke, Steine, Molotowcocktails und Macheten zurücktrieben. Reporter der wichtigsten Radio- und Fernsehstationen waren bereits dabei über das "Szenario" zu berichten, und die Ereignisse "live" und "direkt" zu übertragen. Zusammen mit dem ungeordneten Rückzug der Präventiven und Staatlichen Polizei, konzentrierten sich die Bilder und Kommentare der Radio- und Fernsehreporter ausschließlich auf das brutale Zusammenschlagen eines wehrlosen Polizisten, der am Boden lag, durch eine kleine Gruppe von Ejidobewohnern.

In den weiteren Stunden, und im Kontext der brutalen paramilitärischen Vergeltung der Gesetzeskräfte (4. Mai), war das Bild des "halbtoten, am Boden ausgestreckten Polizisten, dem brutal in die Eier getreten wird", wie Ciro Gómez Leyva das ausdrückte - ebenfalls von seiner Kollegin Carmen Aristegui hervorgehoben, die es vorzog das Wort "Hoden" zu verwenden - ein Schlüsselelement um die öffentliche Meinung davon zu überzeugen, dass es sich bei den Atenco- Bewohnern um eine "kleine gewalttätige Gruppe" handelte, "Subversive", zusammengestellt aus "Irrationalen", "Barbaren", die der "vollen Gewalt des Gesetzes" ausgesetzt werden sollten.

Handbücher zur Aufstandsbekämpfung weisen an, "Um zu überzeugen, müssen alle psychologischen Maßnahmen auf die kumulative Kraft der Wiederholung aufbauen" (ähnlich wie Werbespots). Und so überzeugte und provozierte die endlose Wiederholung des "halbtoten" Polizisten (ähnlich wie das Bild der Flugzeuge, die am 9/11 in die Twin Towers von New York krachten), die Beeinflussung und/oder zwanghafte Aufhetzung "freundlicher" Sprecher und Herausgeber, die sich entweder bewusst oder unbewusst der Propagandakampagne zur Aufstandsbekämpfung anschlossen, und "spontan" dazu aufriefen, die "harte Hand" des Gesetzes gegen die "Feinde" des Regimes anzuwenden.

"Das Radio," so das Handbuch, "besitzt die bewegende Macht des gesprochenen Wortes. Experten für Radiopropaganda," - hier wird auch auf die "Stimmen von Persönlichkeiten, die bedingungsloses Vertrauen erwecken" angespielt, man denke zum Beispiel an den "Radioreporter" Joaquín López Dóriga - "können nur durch den Ton, die Resonanz, Betonung oder Artikulation ihrer Stimme, einen enormem Einfluss auf die Gefühle ihrer Zuhören ausüben." (Das gleiche gilt natürlich auch für die Nachrichtensprecher im Fernsehen.)

Ein anderer Faktor, der sich auf die Ereignisse verschärfend auswirkte, und der "erfabelten" Version der Realität Beistand leistete, war die Verbreitung von "Gerüchten", ein Grundelement der "schwarzen Propaganda", wie üblich bei verdeckten Operationen angewendet. In einem Handbuch des SEDENA ist zu lesen, "Gerüchte sind Informationen von zweifelhafter Authentizität und undurchsichtiger Herkunft." Weiter heißt es, "Gerüchte rufen im allgemeinen demoralisierende Hysterie und Panik hervor." So half das Gerücht, es hätte in Atenco "ein bis zwei" tote Polizisten gegeben, das als (nicht verifizierte) "Nachricht" am 3. Mai durch die Massenmedien die Runde machte, ein Klima der Hysterie und Panik zu erzeugen, und bereitete durch die Manipulation der Emotionen (das heißt, durch die Ausnutzung von Hass und Furcht), die öffentliche Akzeptanz für die brutale Repression am folgenden Tag vor.

Nach Aussage von Vizeadmiral Wilifrido Robledo, Chef der ASE und einer der Befehlshaber bei der Operation zur Aufstandsbekämpfung, lag eins der Hauptziele darin "die Kontrolle über das Dorf wiederzuerlangen", von dem es hieß, es befände sich in den Händen einer Gruppe von "Entführern" und "Mördern", die mit dem "organisierten Verbrechen" in Verbindung standen. Die Hypothese der "Subversion", die in den nächsten Tagen von den Massenmedien bis an die Grenze des Erträglichen aufgebauscht wurde, hatte das Ziel die Opfer der Repression in das Sichtfeld des Bundesgesetzes gegen das Organisierte Verbrechen zu platzieren, das besagt: "Der Vorwurf des organisierten Verbrechens besteht, wenn drei oder mehrere Personen vereinbaren sich zu organisieren, mit dem Zweck der ständigen oder wiederholten Ausübung von Delikten, wie Terrorismus, Geldfälschen, illegaler Waffenkauf- und Handel, Menschenschmuggel, Organhandel, Überfälle, Entführungen, Kinderhandel und Autodiebstahl".

Aber über den aufrührerischen und manichäischen Gebrauch dieses Gesetzes als neues repressives Staatsinstrument hinaus, um soziale Konflikte durch deren Kriminalisierung zu handhaben, sollte der Atenco Einsatz auch ein Denkzettel sein, um die "Zielbevölkerung" dieser repressiven Regierungsaktion durch Furcht und Terror zu paralysieren. Auf diese Weise sollen die Kämpfe der FPDT und ähnlicher Gruppen im ganzen Land gehemmt oder ausgeredet werden. Dies erklärt auch, weshalb die wehrlosen Opfer der Gewalt mit einer solchen Wut unterdrückt wurden, und weshalb die Sicherheitskräfte Folter und physische und sexuelle Misshandlung gegen Frauen und Männer einsetzten, die bereits als Gefangene hilflos gemacht worden waren.

Andere komplementäre Elemente beinhalteten: den Gebrauch von Kopfhauben während den Verhören, die Folter und Erniedrigung der Gefangenen, den Einsatz von Spionen, Agent Provocateurs und Informanten; gewaltsame Hausdurchsuchungen durch bewaffnete Uniformierte, und die Zerstörung von Häusern, mit Raub von Besitztümer als Kriegsbeute. Hinzu kommt, wie oben dargelegt, die Verwendung der Medien zu Propagandazwecke durch die "Gleichschaltung" der Botschaft, eine Technik, die von Joseph Goebbels in Nazideutschland eingesetzt wurde, um die zwanghafte und einheitliche Linientreue der Bevölkerung zu gewährleisten.

Der Einsatz von Atenco vereinte somit Elemente der französischen Schule, die von Colonel Massu und seine Fallschirmjäger in der Schlacht von Algiers im arabischen Viertel von Casbah eingesetzt wurden, um dann nach Lateinamerika während den "Schmutzigen Kriegen" der 70er Jahre importiert zu werden, die Jahre des Staatsterrorismus und von Operation Condor, wie die repressive und völkermörderische Allianz der Diktaturen damals im Cono Sur damals genannt wurde.

* * *

(übs. von Dana)

Englisch: www.narconews.com/Issue41/article1834.html


 

Quelle: https://www.jornada.com.mx/2006/05/20/020n1pol.php


 

URL der Nachricht:  https://www.chiapas.eu/news.php?id=1440