Die vier Offensiven gegen die Zapatistas

Direkte Solidarität Chiapas vom 01.01.2001

 

Im Schatten des Krieges um Kosova begannen Ende Mai 99 vier "neue" Offensiven gegen die zapatistische Bewegung. Ende August sprechen die Fakten eine deutliche Sprache: Diesen Sommer begann der Wahlbetrug 2000. Das mexikanische Regierungskartell versucht mit seinen GegnerInnen aufzuräumen — nicht nur im Dschungel.

"La guerra silenciosa" — der stille Krieg — wie die Zapatistas die gegen sie gerichteten Offensiven bezeichnen, trat just während des Krieges um Kosova in eine neue Phase. Ab dem 25. Mai 99 und den ganzen Monat Juni hindurch drangen die Repressionskräfte (Bundesarmee, Polizei und Paramilitärs) in konzertierten Aktionen in verschiedene Gemeinden der Cañadas ein. In dieser Region der Selva Lacandona ist die Unterstützungsbasis der Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) sehr stark. Nach dem mehrmonatigen Schweigen im Frühling 98, ergriff die EZLN ab dem Sommer letzten Jahres mit der Ausrufung und Durchführung der consulta wieder die politische Initiative. Es kam zu verschiedenen Treffen mit Sektoren der sog. Zivilgesellschaft, die sich gegen die neoliberale Politik der mexikanischen Regierung wehren und sich mit den Anliegen der EZLN solidarisch zeigen. So trafen sich Mitte August 400 Personen im zapatistischen La Realidad beim Treffen "Zur Verteidigung des kulturellen Erbes", an dem auch viele StudentInnen teilnahmen. Darunter VertreterInnen der UNAM (Universidad Autonoma de Mexiko), an der seit bald 4 Monaten gegen die Privatisierung und gegen die Erhöhung der Studiengebühren gestreikt wird. Trotz zunehmender Repression gegen die Streikenden bleibt die Hochschule nach wie vor besetzt und der Unterricht suspendiert. Zedillo hat nun angekündigt, wenn nötig zu anderen legalen Mitteln greifen zu müssen (sprich militärische Räumung) was zu Befürchtungen Anlass gibt, es könnte Tote und Verletzte geben. Noch nicht vergessen ist das Massaker am Platz von Tlatelolco am 2. Oktober 68, wo Hunderte StudentInnen von der Armee erschossen wurden. Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2000 und als Antwort auf den erhöhten politischen Druck durch die zapatistische Bewegung und anderer sozialer Bewegungen intensivieren die Regierungen Mexikos und des Teilstaates Chiapas ihre Aktivitäten, um gegen die EZLN oder andere Widerstandsbewegungen vorzugehen.


Offensive I, die militärische

Die militärische Vorwände dafür finden sich immer; Seien dies nun "Sozialarbeit", "Naturschutz", "Drogenbekämpfung", "Aufforstung", "Entwaffnung bewaffneter Gruppen" oder "gestohlene Kühe", wie in La Trinidad (siehe Kasten) oder ein "gefährdetes Strassenbauunternehmen", wie jüngst in Amador Hernandez. Am 9. August 99 besetzten 500 Soldaten aus der Luft und über Land diesen zapatistischen Weiler, der in der Nähe von La Realidad liegt. Die Regierung will in diesem vorwiegend von Zapatistas bewohnten Gebiet gegen den Widerstand der Bevölkerung eine neue Strasse bauen. Die Regierung behauptet scheinheilig, es handle sich dabei um ein Entwicklungsprojekt. Dem halten die Zapatistas entgegen, die Strasse diene der massiv verstärkten Bundesarmee, sich besser und schneller bewegen zu können und stelle so eine akkute Gefährdung für die EZLN und die zapatistische Unterstützungsbasis dar. Sie, die Zapatistas, hätten nie nach einer neuen Strasse verlangt und wüßten deren Bau zu verhindern!


Offensive II, die ökonomische

Die mexikanische Regierung forciert momentan in den zapatistischen Gebieten ein aggressives "Entwicklungshilfeprogramm". Sie verkündete, dass sie für den "Fortschritt" in den Cañadas 11 Millionen US-Dollar verwenden werde — darunter auch ein Darlehen der Weltbank. Und, so "versprach" der chiapanekische Staatsanwalt Eduardo Montoya Lievano, die Regierung garantiere, dass die Hilfe die Gemeinden erreiche, wenn nötig auch mit Gewalt! Denn die Zapatistas weigern sich, "Hilfe" von einer Regierung anzunehmen, die nicht Wort hält, ihr Land militarisiert und ihre Brüder und Schwestern ermordet...


Offensive III, die legalistische

Im Februar 96 unterzeichneten VertreterInnen der EZLN und der Regierung die Abkommen zu "Indigenen Rechten und Kultur" die sog. "Abkommen von San Andres". Da die Regierung alles unternahm, um diese Abkommen nicht umsetzen zu müssen, zog sich die EZLN aus dem Dialog zurück. Mittlerweilen sind alle Initiativen zur Wiederbelebung des Dialogs gescheitert. Die neutrale Vermittlungsinstanz CONAI unter Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz hat sich aufgelöst und die Schuld am Scheitern des Dialogs vollumfänglich der mexikanischen Regierung gegeben! Eine Strategie der Regierung gegen die Umsetzung der "Abkommen von San Andres" war stets, einen ins Gegenteil umgedrehten Gesetzesentwurf durch den Kongress zu bringen. Die Mehrheit des Parlaments verweigert sich allerdings diesem faulen Trick. Mittlerweilen setzte die PRI-Regierung von Chiapas diesen Gesetzesentwurf auf chiapanekischer Ebene um, womit die Einführung des originären Gesetzesentwurfs erschwert oder gar unmöglich gemacht wird!


Offensive IV, die diplomatische

Mexiko genießt den Ruf, ein demokratisches Land zu sein, in dem die Menschenrechte garantiert sind. So war und ist ein wichtiger Teil der Solidaritätsarbeit für den zapatistischen Aufstand, die Öffentlichmachung und Anklage der durch die mexikanische Regierung begangenen Menschenrechtsverletzung. Z.B. wurden am dritten und vierten Tag des zapatistischen Aufstandes (3./4.1.94) Kämpfer der EZLN von Soldaten außergerichtlich hingerichtet (siehe Kasten). Die Regierung bemüht sich krampfhaft, nach außen das Bild eines demokratischen Landes zu zeichnen, in dem die Menschenrechte respektiert werden und zeigt sich bestürzt, wenn eine externe Instanz (z.B. eine UNO-Unterkommission) sie der Menschenrechtsverletzungen anklagt. Im letzten Herbst beklagte sich der mexikanische Präsident Ernesto Zedillo bei Wirtschaft- Bundesrat Couchepin darüber, dass die Schweiz die Zapatistas unterstütze. Und Couchepin war sich nicht zu schade, Zedillo zu versprechen, dem zu Hause nachzugehen. Die Außerpolitische Kommission des Nationalrates ist zwar über die Lage in Chiapas informiert und versprach auch etwas diesbezüglich zu unternehmen. Das war allerdings das letzte, was man von ihnen im Sommer 98 hörte. Wie in vielen anderen Konflikten, haben die hiesigen Massenmedien den Tenor der Mächtigen mehrheitlich übernommen: So sind es nach ihrer Lesart die Zapatistas, die den Dialog verweigern. Über die Dimension der Militarisierung wird nicht in seiner Ganzheit berichtet und die Berichterstattung erfolgt bruchstückhaft und zusammenhangslos, womit die jeweiligen Darstellungen eine verfälschtes Bild abgeben. Auf die Logik (und überhaupt die Extistenz) der Paramilitarisierung wird kaum eingegangen, da sie ein wichtiges Instrument der Aufstandbekämpfung sind, nicht nur in Mexiko sondern auch in Ost-Timor, Kurdistan oder Kolumbien. Um einen internationalen Aufschrei wie beim Massaker von Acteal zu vermeiden, wendet die Regierung bei der aktuellen Offensive alle Mittel des Terrors an und versucht gleichzeitig zu verhindern, dass es massenhaft Toten gibt.

Der strategische Sinn der neusten Militäroperationen... Alle jüngsten Militäroperationen finden im Lakandonischen Urwald statt. Wenn wir eine Landkarte beiziehen, wird schnell ersichtlich, um was es bei der Offensive seit dem Mai geht. Der seit der Militärinvasion im Februar 95 entstandene Belagerungsring soll geschlossen werden. Ein Drittel der mexikanischen Bundesarmee ist in Chiapas stationiert. Seit Ende Mai sind 10’000 neue Soldaten in die Cañadas und die Region um La Realidad verlegt worden. Die bestehenden Camps wurden verstärkt, neue Strassensperren verhindern den freien Personenverkehr, neue Camps, zum Teil in den Dörfern selbst, sind entstanden. Zahlreiche zapatistischen Gemeinden befinden sich in einem Ausnahmezustand. Was in der Zona Norte und auch in den Altos schon länger praktiziert wird, soll auch im Lakandonischen Urwald Alltag werden: Die enge und koordinierte Zusammenarbeit zwischen Militär, verschiedenen Polizeikräften und den paramilitärischen Gruppen, die nun in dieser Zone immer zahlreicher und schlagkräftiger werden. Mit der Besetzung des Weilers Amador Hernandez setzte sich die Armee "im Rücken der EZLN" fest, wie es Subcomandante Marcos nannte. Damit tritt diese seit dem Februar 1995 schwerste Offensive in eine "neue" Phase. La Realidad, Ort der Treffen mit der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Auftritte der Comandancia und von Marcos, ist ein neuralgischer Punkt auf der militärischen Landkarte. Waren die Angriffe vom Juni in den Cañadas vor allem gegen die Unterstützungsbasis der EZLN gerichtet, geht es in den jetztigen darum, die Guerilla und die Kommandatur in ihrem Bewegungsspielraum weiter einzuschränken und durch einen direkten Zusammenstoß mit der Guerilla, die EZLN zu einer militärischen Antwort zu provozieren. Amador Hernandez liegt in einem Zugang zum Naturschutzgebietes der Montes Azules. Dies war und ist eines der letzten sicheren Rückzugsgebiete sowohl für die EZLN, als auch für die mit ihnen sympathisierenden Flüchtlinge. Diese Offensiven machen deutlich, dass es den Mächtigen Mexikos ernst ist mit den lästigen Rebellen vor den Wahlen 2000 aufzuräumen. Dabei wird auch ein fremdenfeindliches Klima geschürt. Diesmal nicht nur in den Medien und in Form von massenhaften Ausweisungen von internationalen BeobachterInnen. Am 21. August wurden zwei internationale BeobachterInnen und eine mexikanische ärztin auf dem Weg aus La Realidad von einer Militärkontrolle aufgehalten und kurz darauf, einige Kilometer vom ersten Kontollposten und nur wenige Meter vor der nächsten Militärkontrolle von einer Gruppe paramiltärischer Männer aufgehalten und zusammengeschlagen. Die ärztin wurde sexuell angegriffen. Im Aguascaliente Morelia wurden die BeobachterInnen des "Zivilen Friedencamps" von einigen (nicht allen!) priistischen Männern des Dorfes darauf aufmerksam gemacht, dass sie im Falle einer Fortführung ihrer BeobachterInnentätigkeit nicht fuer ihr Leben garantieren koennen. Die BeobachterInnen verließen darauf das Dorf und es kam zu Übergriffen von jungen Männern auf zapatistische Familien und Einrichtungen, da ein Großteil der Zapatistas auf dem Rückweg von einer Kundgebung war. Die Fremdenfeindlichkeit richtet sich mittlerweile auch gegen nicht- chiapanekische MexikanerInnen.. Wäre es möglich MexikanerInnen aus Mexiko auszuweisen, die Regierung würde es tun. Der aggressiven Wahlvorbereitung soll nichts im Wege stehen, was das ohnehin schon schlechte Image der Regierungspartei PRI noch mehr anschlagen könnte.

....und der wirtschaftliche Natürlich ist der zapatistische Aufstand jedem mexikanischen Präsidenten ein Dorn im Auge und die Unverfrohrenheit, mit der die Zapatistas ihr Ziel verfolgen und der Regierung auf der Nase herumtanzen bzw. ihr den Spiegel vors Gesicht halten, mag so manchen Beamten, Politiker oder General schon zur Weißglut getrieben haben. Doch es scheint noch einen ganz banalen, weltlichen und alles andere als neuen Grund zu geben. Laut Presseberichten finden sich unter zapatistischem Boden die größten noch nicht ausgebeuteten Erdölvorkommen des nordamerikanischen Kontinentes. Bereits sind mehrere Ölkonzerne daran, Vorabklärungen zu treffen. Dies u.a. mit Hilfe der schweizer Firma Petroconsultants SA, Perly, GE. Reiche Ölvorkommen von hoher Qualität oder gar Uran, wie in denselben Artikeln vermutet wird, mögen die Offensive erklären und besonders den verstärkten Strassenbau! Denn wer Erdöl ausbeuten oder Tagebau betreiben will, braucht gute Strassen.

Und die EZLN? Bis anhin weigerte sich die EZLN auf die zunehmenden Provokationen der PRI-Regierung militärisch zu reagieren. Was für interne Diskussionen bei der EZLN stattfinden, wissen wir nicht. Die Antworten auf die jüngste Offensive waren alle ziviler Art, wie die Großdemonstrationen zeigen. Der erneute offene Bruch des Waffenstill- standabkommens führte zu den größten Mobilisierungen seit einem Jahr in San Christobal, Ocosingo, Altamirano und weiteren Orten. Auch im übrigen Mexiko kommt Bewegung in die Zivilgesellschaft und Parlamentarierdelegationen reisen nach Chiapas, um sich vor Ort zu informieren und gegen die weitere Verschärfung des Konfliktes zu protestieren. Wir alle wissen, dass die EZLN keine militärische Macht im herkömmlichen Sinn besitzt. Ihre Macht leitet sie aus ihrer Verankerung in der Bevölkerung und dem hohen ethischen Anspruch und der daraus resultierenden Praxis ab. Doch was passiert, wenn die Armee anfängt comandantes zu erschießen? In jedem Fall löst die Regierung damit keine Probleme, sondern schafft nur neue. Und die Alternative zwischen einem toten Marcos als Martyrer oder einem gefangenen Marcos der dauernd Kommuniques schreibt, ist für die Regierung nicht gerade vielversprechend. Vor allem aber hat es die EZLN verstanden, in den letzten fünfzehn Jahren Strukturen aufzubauen, die nicht militärisch zerstört werden können und die auch in anderen Bundesstaaten und weltweit als Beispiel genommen werden. Die EZLN ist beileibe nicht die einzige Organisation, die für die Rechte der indigenen Bevölkerung und soziale Veränderungen einsteht und ihr Kampf "für eine Welt, in der alle Welten Platz haben" ist zeitlos! Im Gespräch mit Zapatistas wurde uns immer wieder gesagt: "Auch wenn wir militärisch besiegt werden, auch wenn wir umgebracht werden, vergesst uns nie und behaltet uns in eurem Gedächtnis. So werden wir nicht sterben!"


Quelle:
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