SIPAZ-Aktion für die Rechte der Indigenen Völker Mexikos

SIPAZ-News vom 18.07.2002
übersetzt von: Dana

 

In den kommenden Wochen wird das Oberste Mexikanische Gerichtshof (SCJN) eine wichtige Entscheidung über die Anerkennung der Rechte der indigenen Völker von Mexiko, und der Zukunft des Friedensprozesses in Chiapas fällen.

Das Oberste Gerichtshof ist dabei ein Urteil über mehr als 300 Verfassungsklagen gegen die indigene Verfassungsreform zu fällen, die im Jahr 2001 von dem mexikanischen Kongress bewilligt und von der Exekutive verabschiedet wurde. Diese Reform wurde von den wichtigsten indigenen Organisationen des Landes und den Kongressen der Staaten mit der grössten indigenen Bevölkerung abgelehnt.

Die indigenen Völker lehnten diese Reform ab, weil sie eine wesentliche Einschränkung ihres fundamentalen Rechtes auf Selbstbestimmung bedeutet, das in den San Andrés Verträge für Indigene Rechte und Kultur anerkannt wird. Diese Verträge wurden 1996 von der mexikanischen Regierung und der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) unterzeichnet, aber niemals erfüllt. Der Gesetzesentwurf der Kongresskommission für Versöhnung und Frieden (Comisión de Concordia y Pacificación, COCOPA), für die gesetzmässige Umsetzung dieser Verträge, wurde von der Reform ebenfalls missachtet.

Die bewilligte Reform erkennt die indigenen Völker und Gemeinden nicht als Subjekte des öffentlichen Gesetzes an (wie in der COCOPA Initiative festgelegt); sie schränkt den Massstab der Autonomie auf die Bezirke ein, und beschränkt das Recht der indigenen Völker auf politische Beteiligung und Repräsentation; sie erkennt die Rechte der indigenen Völker auf ihre Gebiete und die darauf befindlichen natürlichen Ressourcen nicht an. Aus diesen Gründen verstösst sie gegen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für Indigene und Stammesvölker in Unabhängigen Staaten, die von Mexiko ratifiziert wurde.

Die Klagen gegen die Reform wurden dem Obersten Gerichtshof von indigenen Autoritäten und Bezirke der mexikanischen Staaten von Puebla, Guerrero, Oaxaca, Tabasco, Veracruz, Morelos, und Chiapas vorgelegt, und von anderen Autoritäten, wie der Kongress und der Gouverneur von Oaxaca. Es gibt zwei Basisargumente:

− die Unregelmässigkeiten der Bundes- und Staatsregierungen bei der Durchführung des Verfahrens für die Bewilligung der Reform, die sowohl gegen die Richtlinien der mexikanischen Verfassung verstiessen, als auch gegen die internen Regelungen der jeweiligen Staatskongresse.

− die Tatsache, dass die indigenen Völker über diese Reform, die sie persönlich betrifft, nicht konsultiert worden sind, was ein Verstoss gegen Artikel 6 der ILO Konvention 169 darstellt.

Das Oberste Gerichtshof setzte zwischen Mai und Juni öffentliche Anhörungen zu den Klagen an. Obwohl dies ein ungewöhnliches Verfahren in der gerichtlichen Geschichte Mexikos war, gab es bedeutende Einschränkungen: das Oberste Gerichtshof räumte jedem einzelnen Fall nur eine halbe Stunde Zeit ein, es liess Aussagen und Expertenmeinungen als Beweise für die Unterstützung der Argumente der Kläger nicht zu, und gestattete deren Beteiligung nur durch ihre gerichtlichen Vertreter.

Die bevorstehende Resolution des Obersten Gerichtshofes über die Verfassungsklagen könnte sowohl für die indigenen Völker, als auch für die gesamte mexikanische Gesellschaft von historischer Bedeutung sein. Es liegt bei der höchsten gerichtlichen Institution die Chance zu nutzen Gerechtigkeit zu schaffen, indem sie den Forderungen der indigenen Völker Gehör schenkt, oder die Verfassungsreform zu legitimisieren, die hinter dem Rücken ihrer angeblichen Nutzniesser geschaffen wurde.

Ein günstiges Urteil des Obersten Gerichtshofes, würde auch eine Stärkung der demokratischen Institutionen bedeuten, indem die judikative Gewalt ihre Pflicht erfüllen würde die legislative Gewalt zu überwachen, und sicherzustellen, dass ihre Handlungen nicht gegen die Verfassung verstossen.

Letztendlich wäre eine Resolution des Obersten Gerichtshofes, mit der die Unkonstitutionalität der Reform erklärt würde ebenso wichtig für die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses in Chiapas sein, und dadurch den Weg zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes eröffnen. Andererseits würde die Legitimisierung der Reform für viele Menschen das Versagen der gesetzlichen und friedlichen Mittel bedeuten.

Aus diesen Gründen ersucht Sie der Internationale Dienst für den Frieden (SIPAZ), sich an die Richter des Obersten Gerichtshofes zu wenden, um ihnen gegenüber respektvoll die Hoffnung der internationalen Gemeinde zum Ausdruck zu bringen, dass:

− sie die Rechte der indigenen Völker in einem fairen legalen Prozess respektieren werden, und die Beweise und Argumente die ihnen vorgelegt wurden analysieren und berücksichtigen werden;

− sie bei der Lösung der Verfassungsklagen die legitimen Forderungen der indigenen Völker sowie die Auflagen zu denen die mexikanische Regierung sich in den San Andres Verträgen verpflichtet hat, und die internationalen gesetzlichen Verpflichtungen zur ILO Konvention 169 berücksichtigen werden.

(Siehe Ende des Aufrufes für ein Musterbrief an den Obersten Gerichtshof).

Senden Sie Ihre Botschaft so schnell wie möglich an die:

Honorables Ministros de la Suprema Corte de Justicia de la Nación Suprema Corte de Justicia de la Nación − Controversias Constistucionales Tel: (+ 52)- 55 55 22 15 00 Fax: (+ 52) 55 51 30 16 50 or (+ 52) 55 55 22 44 45 Pino Suárez # 2 Col. Centro, Delegación Cuauhtémoc México D.F − México


Hintergrundinformation

(Aus der Urgent Action des Menschenrechtszentrums Miguel Agustin Pro Juarez, Mai 2002)

Der Kampf der indigenen Völker für die Anerkennung ihrer Rechte ist lang und hart gewesen, da ihre historischen Probleme nicht angehört wurden, und sie vom Staat systematisch ausgeschlossen worden sind.

Seit dem zapatistischen Aufstand in Januar 1994, haben die indigenen Völker ihre Stimmen vor den drei Staatsgewalten mit dem selben Ziel erhoben: die Anerkennung ihrer kollektiven Rechte. In 1996 unterzeichnete die EZLN, in Vertretung und mit Zustimmung zahlreicher indigenen Organisationen die San Andres Verträge mit der exekutiven Bundesgewalt. Diese Verträge wurden von der COCOPA in einem Gesetzesentwurf übertragen. Diese Initiative wurde von den indigenen Völker unterstützt, aber von der exekutiven Gewalt modifiziert, die es unterliess die Verpflichtungen, die sie mit der Unterzeichnung der Verträge eingegangen war zu erfüllen, und die Hauptforderungen der indigenen Völker ignorierte. Dies führte Ende 1996 zum vollständigen Abbruch der Friedensgespräche mit der EZLN.

In März 2001 verschafften die indigenen Völker vor dem Nationalkongress gehör, durch die EZLN Kommandanten die sich mit Abgeordnete on Mexiko Stadt trafen, und sie ersuchten die COCOPA Initiative zu bewilligen. Entgegen der Forderung der Zivilgesellschaft, unterscheidet sich das Gesetz, das am 25. April von dem Senat und am 28. April von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, im grossen Ausmass von dem COCOPA Gesetzesvorschlag, und noch mehr von den San Andres Veträge. Dieses Gesetz wurde daraufhin von 19 Staatskongresse bewilligt, und am 18. Juli erklärte die Ständige Kommission des Bundeskongresses nach der Auszählung der Stimmen das Gesetz für vollständig angenommen. Es wurde am 14. August in dem Offiziellen Bundesjournal publiziert, und wurde dadurch zu einer offziellen Verfassungsreform.

Die Publizierung der Reform durch die exekutive Gewalt erfolgte in völliger Missachtung der zahlreichen Unregelmässigkeiten während der Legislaturverfahren der Bundes- und Staatskongresse, und der Tatsache, dass die Kongresse von Yucatan und Tamaulipas zur Zeit der Auszählung ihre Abstimmung noch nicht einmal eingereicht hatten. Aufgrund dessen reichten indigene Bezirksautoritäten und Gemeinden, politische Parteien und Gewerkschaften in Koordination mit indigenen und zivilen Organisationen, verschiedene gesetzliche Anfechtungen gegen die Reform ein (einschliesslich von mehr als 300 Verfassungsklagen).


Briefvorlage an den mexikanischen Obersten Gerichtshof

(Übersetzung siehe unten):

Honorables Ministros Suprema Corte de Justicia de la Nación Presentes.

De nuestra mayor consideración:

Nos dirigimos a Uds. con motivo de los fallos que próximamente la Suprema Corte de Justicia de la Nación dictará sobre las controversias constitucionales presentadas por las autoridades y municipios indígenas contra la Reforma Constitucional en Materia de Derechos y Cultura Indígena aprobada el año pasado por el Congreso de la Unión y promulgada por el Poder Ejecutivo.

Los pueblos indígenas de México han luchado históricamente por el reconocimiento de sus derechos colectivos. Después del levantamiento indígena de 1994, han acudido al Poder Ejecutivo y posteriormente al Legislativo a fin de que fueran escuchadas y atendidas sus demandas. Ahora han recurrido al máximo órgano del Poder Judicial para reclamar justicia ante una reforma constitucional que limita seriamente sus derechos y que fue aprobada al margen de toda información y consulta a los directamente involucrados.

Al recurrir a la SCJN con argumentos y pruebas contundentes, los pueblos indígenas están mostrándole al resto de la sociedad civil mexicana que es posible utilizar la institucionalidad del Estado para plantear inconformidades por la aprobación de leyes o reformas constitucionales violatorias de derechos y por actos de autoridad que no se apegan a la legalidad.

La comunidad internacional ha seguido con interés y expectativa este proceso, que puede contribuir al fortalecimiento de las instituciones democráticas en México, al mismo tiempo que representa una esperanza para la posibilidad de reanudar el proceso de paz tendiente a una solución del conflicto en Chiapas.

Confiamos en que la Suprema Corte, como instancia competente para velar por la constitucionalidad y legalidad de los actos de los demás poderes del Estado democrático y de su congruencia con los compromisos internacionales asumidos por éste, así como para responder a las demandas de justicia de la ciudadanía mexicana:

− en el marco del respeto al debido proceso, analizará y valorará las pruebas y alegatos presentados por los municipios indígenas, los cuales han demostrado la existencia de vicios durante el proceso de aprobación de la Reforma Constitucional en Materia de Derechos y Cultura Indígenas;

− actuará con independencia, imparcialidad y ecuanimidad, tal como lo ha hecho en las últimas resoluciones dictadas, resolviendo las controversias constitucionales de manera favorable a los municipios indígenas, sentando así un precedente fundamental para iniciar una nueva relación entre el Estado mexicano y sus pueblos indígenas, donde éstos puedan ser verdaderamente sujetos de derechos y contribuir al fortalecimiento y profundización de la democracia.

Saludamos a Uds. respetuosamente.

Nombre

Organización

Lugar


(Übersetzung)

Sehr geehrte Minister

Oberstes Gerichtshof

Wir wenden uns an Sie bezüglich der anstehenden Resolution des Obersten Nationalen Gerichtshofes betreffs der Verfassungsklagen der indigenen Autoritäten und Bezirke gegen die Konstitutionelle Reform für Indigene Rechte und Kultur, die von dem Bundeskongress bewilligt und von der Exekutiven verabschiedet worden ist.

Die indigenen Völker Mexikos haben einen langen geschichtlichen Kampf für die Anerkennung ihrer kollektiven Rechte geführt. Nach dem indigenen Aufstand von 1994, appellierten sie an die Exekutive und an die Legislative Gewalt, um ihren Forderungen Gehör zu schaffen. Nun haben sie sich an die höchste Institution der Judikativen Gewalt gewendet, um angesichts einer Verfassungsreform Gerechtigkeit zu fordern, die ihre Rechte schwer einschränkt, und die bewilligt wurde, ohne den direkt davon Betroffenen zu informieren oder zu konsultieren.

Indem sie sich an die SCJN mit starken Argumente und Beweise wenden, beweisen die indigenen Völker der übrigen mexikanischen Zivilgesellschaft, dass es möglich ist das institutionelle Staatssystem zu nutzen, um ihre Klagen über die Bewilligung von Gesetze vorzubringen, die ihre Rechte verletzt, und gegen autoritäre Handlungen, die die gesetzlichen Verfahren missachten.

Die internationale Gemeinde hat diesen Prozess mit grosses Interesse verfolgt, und mit der Hoffnung, dass er zur Festigung der demokratischen Institutionen in Mexiko, und zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses beitragen wird, der zu einer positiven Lösung des Konfliktes in Chiapas führen könnte.

Wir vertrauen darauf, dass der Oberste Gerichtshof als zuständige Institution, den Forderungen der mexikanischen Bürger nach Gerechtigkeit nachkommen wird, und über die Verfassungsrechtlichkeit und Legalität der Handlungen der anderen Gewalten in einem demokratischen Staat wachen wird, und ihrer Kongruenz mit den internationalen Verpflichtungen die sie eingegangen sind;

− mit dem Respekt der einem notwendigen Verfahrens zusteht, die Beweise und Klagen der indigenen Bezirke, die die vorhandenen Verstösse während des Abstimmungsverfahrens für die Verfassungsreform für Indigene Rechte und Kultur bewiesen haben analysieren und auswerten wird;

− unabhängig, unparteilich und ohne Bevorzugung handeln wird, wie in vergangenen Resolutionen, und die Verfassungsreformen zugunsten der Rechte der indigenen Völker lösen wird. Dadurch wird sie einen fundamentalen Präzedenzfall setzen, um eine neue Beziehung zwischen dem mexikanischen Staat und seinen indigenen Völkern zu initiieren, innerhalb derer sie zu Bürger werden, die ihre Recht wahrhaft ausüben, und zu der Festigung und Vertiefung der Demokratie beitragen können.

Hochachtungsvoll,

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