Autonomer indigener Bezirk denunziert neue paramil. Aktivitäten

Direkte Solidarität Chiapas vom 26.07.2002

 

26.07.2002, soldircc. Die zunehmend explosive Lage in Chiapas wird durch nachfolgendes, aus dem Spanischen übersetztes Gemeindeprotokoll aus dem autonomen Bezirk Flores Magón in ihrer ganzen Tragweite deutlich gemacht.

Leider wird immer deutlicher, dass auch die neue mexikanische Regierung unter Präsident Vicente Fox nicht einmal im Ansatz Willens ist, die miserablen Lebensbedingungen von mehreren hunderttausend indigenen Einwohnern in ganz Mexiko zu verbessern.

Es scheint, als ob die Regierung Fox, statt die schon lange anstehenden Probleme der armen Bevölkerungsschichten anzugehen, zur altbekannten und leider auch erfolgreichen Taktik des "Gegeneinanderausspielens" gegriffen hat. Diese Taktik funktioniert immer nach dem gleichen Muster; einer Anzahl Personen aus einem bestimmten Dorf oder aus einem Nachbardorf wird zu einem bescheiden Wohlstand verholfen unter der Bedingung, dass diese der paramilitärischen Gruppierung, welche von Grossgrundbesitzern und Regierung bezahlt und ausgerüstet wurden, alles melden was in der Gemeinde vorgeht.

Um die Tragik dieses Vorgehens zu verstehen, muss man wissen, dass die meisten indigenen Dorfgemeinschaften in einem System der direkten Demokratie leben. An regelmässigen Gemeindeversammlungen werden die Belange der Dorfgemeinschaft diskutiert und anschliessend wird demokratisch abgestimmt, wer in der Gemeinschaft welche Arbeiten zu verrichten hat und wie das gemeinsam genutzte Land verwaltet wird. Auch über ein eigenes Rechtssystem verfügen die indigenen Gemeinschaften − Ein Täter, eine Täterin wird nicht einfach ins Gefängnis geschickt, er oder sie muss seine/ihre Taten durch Dienst an den Geschädigten wieder gutmachen.

Durch Denunziantentum und Unterwanderung des dörflichen Rechtssystems werden die Dorfgemeinschaften gespalten und können so geschwächt von Grossgrundbesitzern und Regierung einfacher manipuliert und von ihrem ohnehin schon kargen Land vertrieben werden.

Besonders perfid ist auch der Umstand, dass die paramilitärischen Gruppierungen sich Namen geben, welche vorgeben, im Interesse der armen indigenen Bevölkerung zu handeln.

Der übersetzte Bericht aus der autonomen Gemeinde Arroyo Granizo:


AUTONOMER BEZIRK RICARDO FLORES MAGON

An das Volk von Mexiko
An die Völker der Welt

Brüder und Schwestern:

Wir, die gewählten Vertreter dieses Autonomen Bezirkes in Rebellion möchten die Gefahr melden, die durch die Gründung und das Wachsen einer neuen paramilitärischen Gruppe entstanden ist, deren Operationsbasis sich im Ejido Arroyo Granizo befindet. Hier versucht eine Gruppe von Personen, die der "Organisation für die Verteidigung der Indigenen und Campesinorechte" (OPDIC) angehört die Bevölkerung zu spalten und sich darüber hinaus krimineller Delikte gegen die Bevölkerung schuldig gemacht hat. Diese Organisation wird von Pedro Chelín Jiménez angeführt, einem bekannten paramilitärischen Anführer der Revolutionären Antizapatistischen Bewegung (MIRA). Er hat bereits die paramilitärischen Angriffe gegen diesen Autonomen Bezirk am 11. April 1998 befehligt. Wir haben den starken Verdacht, dass diese paramilitärische Gruppe, die unter dem Schutz der Bundesarmee und im straffreien Raum der ihr von der Regierung zugestanden wird, sich heute mit grosser Wahrscheinlichkeit hinter dem Namen OPDIC verbirgt.

Unser autonomer Bezirk möchte folgendes bekannt machen:


Protokoll der Generalversammlung
EJIDO ARROYO GRANIZO

29. Juni, 2002
Autonomer Bezirk in Rebellion Ricardo Flores
Magón Chiapas, Mexiko.

Die Versammlung wurde abgehalten im Ejido Arroyo Granizo des Autonomen Bezirkes in Rebellion, Ricardo Flores Magón, im Bundesstaat Chiapas, Mexiko, Zeit: 7:00 Uhr des 29. Juni 2002, im Ejidohaus, in Anwesenheit der repräsentativen Autoritäten des Ejido und 92 Ejidobewohnern im Vollbesitz ihrer Rechte (...)

Versammlungsablauf

1. Feststellung der Anwesenheit: Von den 158 gesetzlich anerkannten Ejidobewohner des landwirtschaftlichen Zentrums sind 92 anwesend (...)

2. (...)

3. Bericht des von den Ejidovertretern ernannten Ermittlungsbeauftragten

a) Der Ermittlungsbeauftragte legte einen ausführlichen Bericht über die Vergehen vor, die seit dem 1. Januar 2002 von Angehörigen der OPDIC Organisation verübt worden sind. Diese Organisation ist mit der PRI eng verbunden. In unserer Gemeinschaft haben seit der Gründung dieser Gruppe verschiedene Ejidobewohner aufgehört die Versammlungen zu besuchen, damit sie ihre Meinungen in den Generalversammlungen nicht bekannt machen müssen.

Am 1. Juni errichteten diese Personen ein Haus, das sie jetzt als Gefängnis benutzen, besetzten Land, das Gemeinschaftsland ist und zur Grundschule im Gemeindezentrum gehört. Diese Personen haben ohne Zustimmung der Ejidoversammlung, Personen ernannt, die sich selbst als die offiziellen Ejidoautoritäten ausgeben. Ihre "Polizisten" benutzen Uniformen, als ob sie militärisch organisiert wären und führen nächtliche Patrouillen durch.

b) Die Gruppe hat Señor Ricardo Jiménez Ensino illegal zum stellvertetenden Ejidobeauftragten ernannt. Señor Ricardo Jiménez Ensino war vor vier Jahren für die Gewichte und Waagen des Ejido verantwortlich. Er gab die Position auf ohne der Gemeinschaft irgendeine Rechenschaft abzugeben und entwendete $2500 Pesos, die er bis jetzt nicht den Ejidoautoritäten zurückerstattet hat, obwohl es sich dabei um Eigentum des Kollektivs gehandelt hat.

c) Festnahme von Señor Rubicel Pérez Sánchez für das unerlaubte Eindringen in ein fremdes Haus um 1:00 Uhr nachts am 24. April. Der Eigentümer des Hauses, Alonso Sánchez Hernández (aus dem Nachbardorf Santo Domingo) erkannte ihn und meldete ihn den Ejidoautoritäten.

d) Der Ermittlungsbeauftrage meldet, dass Señor Fernando Cruz Saragos von der OPDIC/ PRI Gruppe zum Polizeichef ernannt wurde. Er ist in unserem Ejido wegen verschiedener Verbrechen gut bekannt. In den letzten Monaten hat Señor Fernando Cruz Saragos die Autoritäten des autonomen Ejido bedroht und grundlos angegriffen.

e) Alberto Sánchez Gómez entzog sich dem Ejidogericht welche ihn der Vergewaltigung einer Minderjährigen namens Olivia Guzmán Méndez anklagt. Dieser Verbrecher hat bei Angehörigen der OPDIC Unterschlupf gefunden.

f) Señor Rosendo Velásquez Mendoza drang am 5. Mai 2002, gegen 1:00 Uhr morgens in das Haus von Señora Rosa Gómez Martínez (Witwe) ein und stahl 500 Pesos. Bei diesem Einbruch vergewaltigte er auch das Kind Manuela Espinoza Gutiérrez.

g) Der Ermittlungsbeauftragte stellte fest, dass alle genannten Verbrecher gegenwärtig Zuflucht im Haus von Señor Policarpio Jiménez Sánchez gefunden haben, der von der OPDIC zum Ejidokommissar ernannt worden ist.

Allgemeine angelegenheiten:

Beschlüsse wurden gefasst und die wichtigsten Probleme der Gemeinde wurden diskutiert.

a) Der Direktor der offiziellen Schule, Juan Gómez López (aus Santo Domingo) wurde beschuldigt, einer der Anführer der OPDIC und der Paramilitärs zu sein. Diese Person benutzt die Schuleinrichtungen als Treffpunkt für seine Gruppe und die Schullautsprecher um sehr laute Musik zu spielen und Ansagen für seine Gruppe durchzugeben, sowie für Berichte über die Programme der schlechten Regierung.

b) Señor Juan Gómez López gab am 5. Juni, während des Abschlussfeier des Schulsemesters, die Ernennung der vorgeblichen, von der OPDIC ernannten neuen Ejidoautoritäten, bekannt. Dies ist eine Lüge, da die Ejidoversammlung sie nicht ernannt hat, noch hat die Versammlung die Autoritäten ausgewechselt.

c) Señor Gómez López verkündete auch öffentlich, dass eine Parzelle von 9 Rindern, die kollektives Eigentum des Ejido sind, der Aufsicht der neuen Autoritäten unterstellt sein sollte. Die Versammlung ist damit nicht einverstanden.

d) Zuletzt ernannte die OPDIC Gruppe eigenmächtig ein neues Bildungskomitee ohne die Versammlung vorher zu konsultieren. Als Mitglied des Bildungskomitees ernannten sie Melchor Jiménez Encino und andere Mitglieder der OPDIC.

Beschlüsse

1. Die Gemeinde fasste den Beschluss durch dieses Protokoll die Vorfälle die sie belasten öffentlich zu melden. Sie beschloss die Namen der Personen zu melden, welche die Anführer der OPDIC in diesem Ejido sind. Es sind die gleichen Personen, welche sich weigerten die Generalversammlung anzuerkennen, die aus der Mehrheit der Ejidobewohner und Mitgliedern verschiedener Organisationen gebildet wird, in erster Linie zapatistische Unterstützungsbasen und Mitgliedern von Xi’nich. Die OPDIC Mitglieder die sich selbst zu Ejidoautoritäten erklärt haben, sind die gleichen Personen, die Verbrechen gegen die Gemeinde verüben, wie Diebstahl, Vergewaltigungen von Minderjährigen, Bedrohungen, Trunkenheit, Drogenkonsum und weitere. Durch ihre Handlungen haben sie unsere Gemeinde gespalten und versuchen indigene Brüder und Schwestern gegeneinander aufzubringen. Wir sind der Meinung, dass diese Gruppierung von der schlechten Regierung geschaffen wurde, um den Frieden der Menschen des Ejidos zu stören. Sie handeln auch als Promotoren der Regierung, um die Umsetzung des Puebla Panama Planes in unseren Gemeinden voranzubringen, etwas das die Generalversammlung des Ejidos ablehnt.

2. Die Generalversammlung des Ejido fasste den Entschluss in den Widerstand zu treten, keine Programme der schlechten Regierung anzunehmen, keine Bauprojekte von den Bundes- und Staatsregierungen zu beantragen und den Plan Puebla Panama zurückzuweisen.

3. Die Versammlung sprach sich dafür aus, dass die Ejidobewohner die Probleme, die die Gemeinde belasten, gemäss gemeinsamer Beschlüsse zu lösen.

4. Die Personen, die direkt mit der Operationen der OPDIC Gruppe und den falschen ämtern identifiziert wurden sind:

− Policarpio Jiménez Sánchez (falscher Ejidokommissar)
− Alonso Gómez Martínez (falscher Sekretär)
− Domingo Hernández Gutiérrez (falscher Sicherheitsrat)
− Ricardo Jiménez Encino (falscher Aushilfsagent)
− Alberto Hernández Díaz (selbsternannter Delegierter für die Mikroregion von Valle de Santo Domingo für den Plan Puebla Panama)
− Professor Juan Gómez López (Direktor der offiziellen Schule)
− Fernando Cruz Saragos (falscher Polizeichef)

5. Die Versammlung identifiziert auch Pedro Chelín Jiménez als Leiter der OPDIC. Er ist ebenfalls als Anführer der paramilitärischen Gruppe MIRA bekannt und ist gegenwärtig ein lokaler PRI Abgeordneter. Des weiteren Homero Hernández González, der ebenfalls ein Anführer der Organisation ist. Diese Personen haben in den letzten Jahren auch Waffen und Drogen in das Ejido gebracht.

Die Generalversammlung wurde um 12:00 Uhr des gleichen Tages geschlossen. Dies Protokoll wurde vorgelesen, von den Ejidoautoritäten unterzeichnet und die Öffentlichmachung beschlossen.

Unterschriften und Siegel der Ejidokommissaren des Ejido Arroyo Granizo und des Autonomen Bezirkes in Rebellion

Chiapas, Mexiko.


Quelle:
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Quellenstrasse 25, 8005 Zürich

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