SIPAZ-Bericht − August 2002 (deutsche Fassung)

SIPAZ-News vom 22.09.2002

 

Zusammenfassung

Bei Redaktionsschluß dieses Berichts wurde die Entscheidung des mexikanischen Obersten Gerichtshofs (SCJN) über die im letzten Jahr verabschiedete Verfassungsreform über indigene Rechte erwartet. Diese war von der EZLN, den Kongressen der Bundesstaaten mit den höchsten Anteilen indigener Bevölkerung sowie den wichtigsten indigenen Organisationen abgelehnt worden, da sie als hinter den Vereinbarungen von San Andrés zurückbleibend angesehen wurde.

Mehr als 300 Eingaben oder Controversias Constitucionales wurden vor dem SCJN gegen die Reform präsentiert, ein ungewöhnliches und historisches Ereignis, da eine Verfassungsreform noch nie so breit infrage gestellt wurde.

In den letzten Monaten signalisierten viele Organisationen der Zivilgesellschaft, daß das SCJN die Möglichkeit, zum Friedensprozeß beizutragen, in den Händen hält, da die Umsetzung der Vereinbarungen von San Andrés eine der Bedingungen der EZLN für die Wiederaufnahme des Dialogs ist.

Die Entscheidung des SCJN wird von den Akteuren ein Überdenken ihrer Strategien verlangen. Wenn die Reform als gültig anerkannt wird, könnte das Urteil von einigen dahingehend interpretiert werden, daß die politischen und friedlichen Mittel, diesen Konflikt zu lösen, erschöpft seien. Es bleibt jedoch immer noch die Möglichkeit, sich an die internationalen Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte oder die UNO zu wenden. Allerdings ist bekannt, daß Entscheidungen der internationalen Organisationen auf nationaler Ebene keine Mittel zur Durchsetzung haben.

Vom 5.-7. Juli 2002 fand in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, das Nationale Treffen für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde statt, an dem mehr als 1000 indigene und nicht-indigene Personen von 285 Organisationen, 23 mexikanischen Bundesstaaten und 13 Ländern teilnahmen.

Das Treffen bot eine Gelegenheit, die Verbindungen zwischen der indigenen, sozialen und Bürgerbewegung zu festigen. Das Hauptziel war die Wiederbelebung der zivilen Initiativen bezüglich des Chiapaskonflikts; die behandelten Themen gingen jedoch darüber hinaus und bestätigten damit den nationalen wie auch internationalen Charakter dessen, worum es in Chiapas geht.

Das erste Thema war der bewaffnete Konflikt in Mexiko, seine Folgen und der Friedensprozeß. Das zweite Thema war Demokratie und Rechte der indigenen Völker, das dritte Thema alternative wirtschaftliche Entwicklung für die indigenen Gemeinden und Völker. Ein weiteres, viertes Thema oder auch die Querachse war der Aufbau von Alternativen der äußerung und Beteiligung der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft, um Frieden mit Gerechtigkeit und Würde zu erreichen.

Ein weiterer Aspekt der Stärkung der organisierten Zivilgesellschaft war der Konflikt in San Salvador Atenco, wo die Ejidatarios die Enteignung ihres Landes zugunsten des Baus eines neuen internationalen Flughafens im Bundesstaat Mexiko ablehnten. Dieser Kampf der die Unterstützung breiter sozialer Sektoren erhielt, erreichte, daß die Regierung im August von dem Projekt Abstand nahm.

Die Ablehnung des Plan Puebla Panamá war in dieser Zeit ein weiterer Sammelpunkt der Bevölkerung. In Veracruz, Chiapas, Managua und Guatemala trafen sich die sozialen und indigenen Organisationen Mittelamerikas, um ihre kategorische Ablehnung des Megaprojekts zu bestätigen. Als Antwort auf die Kritik erklärten Präsident Fox und der ehemalige Koordinator des Plans, Florencio Salazar, das nichts ohne Zustimmung der Bewohner/innen der Region geschehen wird.

Gleichzeitig vervielfachen sich in Chiapas die Anzeigen der autonomen zapatistischen Gemeinden über den offenkundigen Anstieg militärischer und paramilitärischer Aktivitäten im Konfliktgebiet. Es ist sogar die Rede von einer neuen Gruppierung, der vorgeworfen wird, paramilitärisch zu sein (OPDIC). Im August wurde eine besorgniserregende Eskalation der Gewalt in autonomen Bezirken der Selva registriert.

Am 31. Juli 2002 denunzierten die Autoritäten des autonomen Bezirks Ricardo Flores Magón einen Angriff der OPDIC im Ejido La Culebra, mit sieben Verletzten auf seiten der zapatistischen Unterstützungsbasen. Am 7. August wurde der Zapatist José López Sántiz im autonomen Bezirk 17. November ermordet. Am 19. August gab es einen Zusammenstoß mit neun Verletzten an der Kreuzung Quexil im autonomen Bezirk San Manuel, wo die Unterstützungsbasen der EZLN einen Kontrollpunkt unterhalten, um den Schmuggel von Alkohol, gestohlenen Autos und wertvollen Hölzern zu unterbinden.

Am 25. August wurden in der Siedlung Amaytik (Ocosingo) zwei zapatistische Autoritäten des autonomen Bezirks Ricardo Flores Magón umgebracht. Am selben Tag wurde ein Zapatist im autonomen Bezirk Olga Isabel (Chilón)erschossen. Dieses letzte Verbrechen war das Werk einer bewaffneten Gruppe namens "los Aguilares" (die Adler). In der Mehrzahl der Fälle beschuldigen die Zapatisten bewaffnete, der PRI nahestehende Gruppen.

Bei Redaktionsschluß dieses Berichts sind die zivilen Beobachtungsbrigaden noch bei der Untersuchung dieser Vorfälle. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen aus Chiapas erheben den Vorwurf, daß diese und andere Gewalttaten gegen die autonomen zapatistischen Bezirke die selben Urheber haben. Besorgniserregend ist darüber hinaus die Verschlechterung des Zusammenlebens zwischen Zapatistas und anderen indigenen Organisationen im Gebiet Selva, wo sich die gegenseitigen Beschuldigungen und gewaltsamen Konflikte vervielfacht haben.

Die Landfrage bleibt weiterhin ein Faktor ständiger Spannungen. Der Gouverneur Pablo Salazar erkennt an, daß 80% der sozialen und politischen Probleme in Chiapas mit landwirtschaftlichen Themen zusammenhängen. In mehreren Zonen des Bundesstaates bestehen Brennpunkte , besonders in der Selva. Dazu kommt die drohende Vertreibung der in der Biosphäre Montes Azules angesiedelten Gemeinden.

Die Bundesautoritäten ihrerseits erkennen an, daß in ganz Mexiko ungefähr 5000 Agrarkonflikte existieren. Aufgrund des Massakers in Agua Fría (Oaxaca) im Juni, wo bei Agrarkonflikten zwischen Gemeinden 26 Menschen starben und 42 verletzt wurden, wurde ein interministerielles Organ geschaffen, um eine Strategie zur Vorbeugung von Agrarkonflikten bzw. zur Reaktion auf vorhandene auszuarbeiten.

Trotz einiger Fortschritte bleibt Mexiko ein Sorgenkind nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen. Die scheidende Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, der Repräsentant des UNO-Generalsekretärs für intern Vertriebene, Francis Deng, und der Präsident der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, Juan Méndez, besuchten Mexiko in den letzten vier Monaten. Dasselbe taten Amnesty International, die Internationale Liga für Menschenrechte und die Internationale Zivile Beobachtungskommission für Menschenrechte. Alle stimmten darin überein, daß die indigenen Völker die hauptsächlichen Opfer der regelmäßigen Menschenrechtsverletzungen in Mexiko sind.

Empfohlene Aktionen:
1. Schreiben Sie an Präsident Fox :
1. Ihre Sorge darüber, daß die Verfassungsreform über indigene Rechte zu einem Hindernis für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses und das Erreichen einer Lösung des Konflikts in Chiapas geworden ist;
2. die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft , daß der mexikanische Staat, sowohl durch die Exekutive, die Legislative als auch die Jurisdiktion, die Reform gemäß den Vereinbarungen von San Andrés und der Verpflichtung durch Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 verändert.
3. Ihre Besorgnis über die zunehmenden Militäraktionen in Chiapas, die nicht zur Entspannung beitragen, sondern die politischen und sozialen Konflikte im Bundesstaat noch verstärken.
1. Drängen Sie die ILO, den mexikanischen Staat zur Anpassung seiner Gesetze an die Konvention 169 aufzufordern.
2. Drängen Sie die Regierung des Bundesstaates Chiapas, die jüngsten Gewalttaten in Chiapas sofort, objektiv und effektiv zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
3. Verbreiten Sie Informationen wie den Inhalt dieses Berichts über die Situation in Chiapas und in Mexiko. Adressen:

Lic. Vicente Fox Presidente de la República Residencia Oficial de los Pinos 11850 México, D.F., Mexiko Fax: (+52) 55 55 22 41 17

http://www.presidencia.gob.mx/?P=17

Dr. Juan Somavia Director General Internationale Arbeitsorganisation

4, route des Morillons CH-1211, Geneva 22, Schweiz Fax: (00-41) 22 917 90 10

cabinet (AT) ilo PUNKT org  

Lic. Pablo Salazar Mendiguchía

Gobernador del Estado de Chiapas

Palacio de Gobierno, 1er piso

Fax: (+52)-961-61-20917

salazarp (AT) prodigy PUNKT net PUNKT mx   http://www.pablosalazar.org.mx

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Aktuelle Situation:

Zeiten der Entscheidung für den Konflikt in Chiapas

Zeitgleich mit Veröffentlichung dieses Berichtes wird die Resolution des nationalen Obersten Gerichtshofes über die im letzten Jahr verabschiedete Verfassungsreform zur indigenen Kultur und Autonomie erwartet.

Vorlauf:

Die erste Verhandlungsrunde zwischen der Regierung und der EZLN gipfelte im Februar 1996 mit den Vereinbarungen von San Andres über indigene Rechte und Kultur. Im selben Jahr entwirft die Parlamentskommission für Eintracht und Befriedung (Comisión de Concordia y Pacificación − COCOPA ) einen Vorschlag zur Verfassungsreform auf Basis dieser Vereinbarungen.

Nach vielen Wechselfällen wurde das Projekt schliesslich im Dezember 2000 durch den kürzlich ins Amt gekommenen Präsidenten Vicente Fox dem Kongress präsentiert. Im April 2001 verabschiedete der Kongress eine stark vom Originalvorschlag abweichende Verfassungreform. Sie wurde von der EZLN, den Kongressen der Bundesstaaten mit mehrheitlich indigener Bevölkerung und deren Hauptorganisationen abgelehnt. Trotz allem nahm der Reformprozess seinen Verlauf und das Gesetz wurde durch die Mehrheit der Stimmen der Bundesstaatsparlamente schließlich im August 2001 verkündet.

Mehr als 300 Eingaben oder Verfassungsbeschwerden wurden dem Obersten Gerichtshof präsentiert − ein historischer und ungewöhnlicher Akt, weil niemals zuvor eine Verfassungsreform von so vielen Seiten in Frage gestellt wurde. Nach den im Mai und Juni durchgeführten Anhörungen ist der Oberste Gerichtshof nun im Begriff sein Urteil abzugeben.


Im August war der Gerichtshof noch am Analysieren, ob er überhaupt die Berechtigung hat, über Verfassungsreformen zu entscheiden. In den letzten Monaten haben viele Organisationen der Zivilgesellschaft die Verantwortung und Chance betont, welche der Oberste Gerichtshof besitzt, den Vereinbarungen von San Andres Respekt zu verschaffen, um auf diese Art zum Friedensprozess in Chiapas beizutragen. Tatsächlich ist die Erfüllung der auf Initiative der COCOPA ausgehandelten Vereinbarungen von San Andrés eine der gestellten Bedingungen der EZLN um den Dialog wiederaufzunehmen. Andere Analysten betrachten das Urteil, das der Oberste Gerichtshof zu diesem politisch hoch sensiblen Thema ergreifen wird, als einen Parameter zur Bewertung der tatsächlichen Gewaltenteilung der mexikanischen Demokratie.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofes eröffnet zwei mögliche Szenarien: Wenn die Reform für gültig erklärt wird, würde die Anpassung der ausführenden Gesetze an den Verfassungstext beginnen. Im Falle, dass der Gerichtshof das Gesetz für ungültig erklärt, würde definiert, ab welchem Punkt der Prozess umgearbeitet werden muss: ab der Diskussion im Bundeskongress, oder ab der Abstimmung in den Bundesstaatsparlamenten oder ab der Auswertung der Resultate. Keine Option garantiert allerdings, dass die Diskussion über den Inhalt des Gesetzes wiederaufgenommen wird.

Sicher ist, dass diese Entscheidung die Akteure dahin führen wird, ihre Strategien zu überdenken. Da die Verfassungsreform die Definition von Autonomie den Bundesstaatsparlamenten zuweist, wäre es für die verschiedenen indigenen Völker des Landes komplizierter, eine gemeinsame Strategie zu formulieren. Aber es wäre immer noch möglich, sich an internationale Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die interamerikanische Organisation für Menschenrechte oder an die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) zu wenden. Es ist jedoch bekannt, dass die Resolutionen der internationalen Organe keine Verpflichtung zur Umsetzung auf staatlicher Ebene besitzt. Auf der anderen Seite haben wir in früheren Berichten auf die Gefahr hingewiesen, dass ein negativer Gerichtsentscheid als die Ausschöpfung der legalen und friedlichen Wege angesehen werden könnte. Egal welcher Fall eintritt, die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses in Chiapas ist weit entfernt. Während die EZLN weiterhin die Erfüllung der drei geforderten Bedingungen verlangt, hat man es immer noch nicht geschafft, die fünf in Tabasco und Querétaro inhaftierten zapatistischen Gefangenen frei zu bekommen, trotz Bemühungen der COCOPA.

Eine schwierige Beziehung

Während man sich ein Ende dieser Sackgasse erhofft, bewiesen andere Tatsachen ganz klar die Konfrontation zwischen Staat und den indigenen Völkern, ausgedrückt durch Mangel an Vertrauen und Kommunikationsschwierigkeiten.

Die Regierung hat ihre Absicht kundgetan, das nationale Indigene Institut (INI) so zu verändern, dass der Entwurf, die Ausrichtung und die Überwachung der die indigenen Völker betreffenden Politiken gänzlich unter ihrer Verantwortung bleiben. Während des gesamten Monats Juli suchte man 62 indigene Völker Mexikos auf, um diese zu befragen, welcher Art von Beziehung sie zum Staat wünschen und welche Art von Reform sie sich für das INI erhoffen.

Die Befragung mit dem Titel "Indigene Völker, öffentliche Politik und Verfassungsreform" wurde von den indigenen Hauptorganisationen abgelehnt. In der Deklaration von Waut , dem nationalen indigenen Kongress, der viele der Organisationen vereint, wird bestätigt: "Wir werden nicht eine einzige legale und institutionelle Reform akzeptieren, wenn die drei Signale für den Dialog nicht erfüllt werden."

Selbst die Heiligsprechung des Indios Juan Diego im Rahmen des Papstbesuches in Mexiko brachte Polemiken und harte Kritiken von verschiedenen indigenen Organisationen hervor. Einige lehnten die Einladung zur Teilnahme an der Zeremonie zur Heiligsprechung mit dem Argument ab: "Diejenigen, die die Heiligsprechung Juan Diegos vorantreiben sind keine Indigenen; es sind die selben, die sich systematisch der Bewegung und dem Kampf um die legitimen Rechte der Gemeinschaften widersetzt haben."

Eine andere heftige Konfrontation war der Konflikt zwischen der Regierung und den "Ejidatarios" von San Salvador Atenco, die sich der Enteignung ihrer Ländereien für den Neubau des internationalen Flughafens im Bundesstaat Mexico widersetzten. Mit Unterstützung von zwölf benachbarten "Ejidos" und anderer Sektoren der Zivilgesellschaft erreichte der organisierte Kampf der (Klein)Bauern schliesslich, dass die Regierung das Vorhaben aufgab.

Einige Analysten betrachten diesen Konflikt als eine Warnung für das, was zum Plan Puebla- Panama (PPP) passieren könnte. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen dieses Projekt ist in den vergangenen Monaten stärker gestiegen als das Vorankommen des Planes. In Veracruz, Chiapas, Managua, und Guatemala haben sich soziale Organisationen zusammengeschlossen um wiederholt ihre kategorische Ablehnung gegenüber dem Megaprojekt und seiner funktionalen Ausrichtung auf die strategischen nordamerikanischen Interessen aufzuzeigen. Und trotz des starken sozialen und umweltorientierten Einschlags den dieser Plan haben wird: die Bevölkerung ist bei der Ausarbeitung nicht konsultiert worden.

Verschiedene religiöse und intellektuelle Kreise haben sich den Kritiken angeschlossen, so dass sich Präsident Fox und der Ex-Koordinator des PPP, Florencio Salazar, genötigt sahen zu äussern, dass nichts ohne die Zustimmung der Bevölkerung dieser Region gemacht würde. Vielleicht beinhalten diese Zugeständnisse weit entfernt von einem aufrichtigen Respekt für den Willen der Bevölkerung − eine Dosis von Realismus: Atenco bewies, dass die Durchführung von Projekten ohne die Zustimmung der Betroffenen sehr hohe soziale und politische Kosten haben kann.

Das im Juli in Chiapas realisierte Nationale Treffen für den Frieden , die Mahnung des Papstes die Rechte der indigenen Bevölkerung anzuerkennen und der Sieg von Atenco haben die Stimmung gehoben: Man spürt das stärkere Vertrauen der organisierten Zivilgesellschaft in ihre Fähigkeit, ihre Forderungen zur Geltung zu bringen.

Gefährlicher Anstieg der Gewalt in Chiapas

Dessen ungeachtet häufen sich die Anzeigen der autonomen zapatistischen Gemeinden in Chiapas über den erheblichen Anstieg der militärischen Aktivitäten in der Konfliktzone (Überflüge, Patroullien, Übergriffe der Armee gegen die Dörfer).

Auf der anderen Seite melden die zapatistischen Gemeinden, das Netzwerk der Menschenrechtsverteidiger der Gemeinden und die zivile Organisation Las Abejas das Fortbestehen von paramiltärischer Präsenz, einschliesslich der Gründung neuer Gruppierungen. Der autonome Bezirk Ricardo Flores Magón bestätigt die Neugründung der bewaffneten Gruppe Organisation zur Verteidigung der indigenen und kleinbäuerlichen Rechte (OPDIC) in Ocosingo, deren Anführer der zur Zeit amtierende Abgeordnete der PRI Pedro Chulín ist. Anscheinend ist er auch Führer der vermeintlichen paramilitärischen Gruppierung, indigene revolutionäre antizapatistische Bewegung (MIRA).

Im Juli und August wurde ein besorgniserregender Anstieg der Gewalt in den autonomen Bezirken der lakandonischen Selva registriert. Am 31.Juli zeigten die Autoritäten des autonomen Bezirkes Ricardo Flores Magón einen Überfall durch die OPDIC auf dem Ejido La Culebra mit dem Ergebnis von 7 Verletzten auf Seiten der Unterstützungsbasen. Am 7.August wurde der Zapatist José López Sántiz im autonomen Bezirk 17. de Noviembre (Altamirano) ermordet. Am 19. August kam es an der Kreuzung Quexil des autonomen Bezirkes San Manuel, an der Unterstützungsbasen der EZLN einen Wachposten unterhalten, um den Verkehr von Alkohol, gestohlenen Autos und wertvollem Holz zu unterbinden, zu einer Konfrontation mit neun Verletzten. Am 25. August wurden zwei Zapatisten und gleichzeitig Autoritäten des autonomen Bezirks Ricardo Flores Magón in der Siedlung Amaytík (Ocosingo) ermordet. Am selben Tag wurde ein weiterer Zapatist im autonomen Bezirk Olga Isabel (Chilón) getötet. Das letztgenannte Verbrechen soll das Werk einer bewaffneten Gruppierung Las Aguilares sein. In den meisten Fällen beschuldigen die Zapatisten der PRI nahestehende bewaffnete Gruppierungen.

Noch während der Fertigstellung dieses Berichtes forschen die zivilen Beobachtungsbrigaden weiter zu diesen Taten.

Verschiedene Nichtregierungsorganisationen aus Chiapas melden, dass diese und andere registrierte − letztendlich gegen die autonomen zapatistischen Bezirke gerichtete − Gewalttaten ähnliche Urheber haben. Ein weiterer besorgniserregender Faktor ist die offensichtliche Verschlechterung des Zusammenlebens von zapatistischen und anderen indigenen Organisationen insbesondere in dem Gebiet der Cañadas (Selva). Häufig kommt es zu gegenseitigen Beschuldigungen zwischen den Autoritäten der autonomen Bezirke und den Führern von ORCAO, ARIC Independiente, FOS, etc.. Die Versionen über die jeweils von der anderen Gruppe begangenen Gewalttaten widersprechen sich.

Bereits vor dieser erst kürzlichen Gewalteskalierung kritisierten viele Organisationen die Bundesstaatsregierung nicht tatkräftig gehandelt zu haben. Seinerseits erklärte der Gouverneur Salazar der Internationalen Zivilen Kommission zur Menschenrechtsbeobachtung (CCIODH), dass sich seine Strategie in zwei Phasen gliedert: in der ersten sollen Politiken zur Versöhnung von Gemeinden angeregt und später die Straflosigkeit bekämpft werden.

In diesem Interview betonte der Gouverneur auch seine Aktionen zur Demontage des repressiven Apparates (mit der Verhaftung von einem Ex-Staatsanwalt und 25 Polizeichefs) als auch die gerichtliche Strafverfolgung von 88 Ex-Bürgermeistern, die Verhaftung von hohen Ex-Funktionären und die Haftbefehle wegen Korruption gegen mehr als 20 % des Kabinetts des früheren Gouverneurs.

Die Landfrage bleibt ein ständiger Spannungsfaktor. Pablo Salazar anerkennt, dass 80 % der sozialen und politischen Probleme in Chiapas mit der Agrarfrage zusammenhängen. Es existieren Brennpunkte in verschiedenen Zonen des Bundesstaates, hauptsächlich in der Selva, die meisten könnten zu Tod, Verletzung oder Entführung führen. Dazu kommt die Gefahr der Vertreibung von Gemeinden aus der Biosphäre von Montes Azules und die latente Gewalt im Gebiet von Chimalapas (Grenze zu Oaxaca).

Staatliche Institutionen erkennen an, dass ungefähr 5000 Agrarkonflikte in Mexiko existieren (362 unter ihnen mit dem Risiko von sozialen Explosionen), die hauptsächlich in Verbindung mit den indigenen Bevölkerungen stehen. Das Massaker in Agua Fría (Oaxaca) im Juni, welches 26 Tote und 42 Verletzte wegen Landkonflikten unter Gemeinden erforderte, erregte weitere Aufmerksamkeit, so dass eine Sitzung von Staatssekretären der Regierung, des Verteidigungs-, Umwelt- und Naturministeriums, sowie des Ministeriums für Agrarreform und soziale Entwicklung gerechtfertigt war. Gemeinsam mit den Regierungen verschiedener Bundesstaaten wurde eine Institutionen übergreifende Strategie zur Prävention und Antwort auf mögliche Agrarkonflikte entworfen.

Trotz der Anstrengungen: Mexiko fiel in Sachen Menschenrechte durch

Mitte Juni wurden durch erste Anwendung des kürzlich verabschiedeten Gesetzes zur Transparenz die Dokumente über den Schmutzigen Krieg in Mexiko (70 und 80iger Jahre) veröffentlicht. Fox stand der Öffnung dieser besagten Archive in einer Zeremonie vor und versicherte, dass sich die Regierung auf der Suche nach der Wahrheit und der Anwendung des Gesetzes befände, aber dass es weder Platz für Vergeltung, noch Revanchismus oder Hohn geben dürfe. Die Menschenrechts-NGOs kritisieren, dass die speziell zur Erforschung dieses Zeitraumes eingerichtete Staatsanwaltschaft eine begrenzte Funktion hat, da sie ja weder Institutionen verurteilen könne noch festlegen würde, ob sich die Taten in die damalige Politik des Staates einfügten.

Ein anderes positives Signal war die Einrichtung von zwei neuen Abteilungen − eine im Staatsministerium der Regierung, das andere bei der Bundesstaatsanwaltschaft − für die Bearbeitung zu Angelegenheiten bei Menschenrechtsverletzungen, vielleicht als Ergebnis des Runden Tisches zwischen der Bundesstaatsregierung und den NGOs, die eine Menschenrechtspolitik des Staates einfordern.

Trotz dieser Fortschritte erhielt die Bundesregierung auch in den letzten Monaten weiterhin kritische Berichte sowohl von nationalen als auch internationalen Einrichtungen zu Menschenrechtsverletzungen. Im August veröffentlichte das Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro seinen Bericht über Folter im ersten Halbjahr 2002, der die Folterungen von Polizisten und Militarangehörigen an 35 Personen registriert, darunter 13 an Minderjährigen und 2 von Militärs begangene Vergewaltigungen an indigenen Frauen.

Mexiko ist auch weiterhin Gegenstand von Besorgnis bei internationalen Menschenrechtseinrichtungen. Die gerade ausscheidende Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, der Sonderberichterstatter zu internen Vertriebenen der Vereinten Nationen, Francis Dreng, und der Präsident der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (der Organisation Amerikanischer Staaten, OAS) Juan Méndez besuchten von April bis Juni Mexiko (die beiden letztgenannten auch Chiapas).

Im Juni präsentierte Amnesty International seinen Jahresbericht 2001 in welchem Missbrauch und Ungerechtigkeiten in Mexiko dokumentiert sind. Der Abgesandte für Mexiko besuchte auch Chiapas. Durch ihn gab auch die Internationale Förderation für Menschenrechte den Bericht der Beobachtungsreise Ende 2001 über indigene Bevölkerungen bekannt. Er stufte die Verfassungsreform für die indigenen Rechte und Kultur als "im Vergleich mit dem Inhalt und dem Geist der Vereinbarungen von San Andrés Larrainzar und den Vorschriften des internationelen Abkommens 169 der ILO" als ungenügend ein, da diese "nicht dem Ziel der Befriedung beiträgt". Auch die Internationale Zivile Kommission zur Menschenrechtsbeobachtung (CCIODH) bereiste Mexiko und besuchte Chiapas um ihren Bericht über die zu Beginn des Jahres durchgeführte Beobachtungsreise zu präsentieren. Dort wird bestätigt, dass sich auch mit den neuen Regierungen wenig in Bezug auf die indigene Bevölkerung geändert hätte, da diese auch weiterhin die Hauptopfer von Menschenrechtsverletzungen darstellte.

Fokus

Nationaler Kongress für den Frieden: die Zivilgesellschaft lädt Chiapas mit neuer Energie

Vom 5. bis 7. Juli fand in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, ein nationaler Kongress für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde statt, an dem sich mehr als 1000 Personen (Indígenas sowie Nicht- Indígenas) aus mehr als 285 Organisationen aus 23 Bundesstaaten und 13 Ländern beteiligten.

Ziel des Kongresses war, die Zivilgesellschaft erneut zu ermuntern, als Initiatorin von Vorschlägen zur Lösung des Konflikts in Chiapas aufzutreten, mit einem Schwerpunkt auf der Verteidigung der Abkommen von San Andres zu indigenen Rechten und Kultur.

Aus diesem Ansatz ergab sich, daß schwerpunktmässig zu drei Themen gearbeitet wurde: als erstes der bewaffnete Konflikt in Mexiko, seine Konsequenzen und der Friedensprozess, als zweites das Thema Demokratie und Rechte der indigenen Bevölkerung; als drittes alternative wirtschaftliche Entwicklung der indigenen Gemeinden, Bezirke und Völker. Ein viertes Thema, bzw. die Achse um die sich die anderen drei Themen drehten, war die Erzeugung von alternativen zivilen Möglichkeiten, sich auf nationaler sowie internationaler Ebene auszusprechen und zu beteiligen, um einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde zu erreichen.

Zeitpunkt und Gründe für den Kongreß

Aufgerufen hatte Samuel Ruiz − emeritierter Bischof von San Cristóbal de las Casas − gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten und Mitgliedern der ehemaligen Comision Nacional de Intermediación (Nationale Vermittlungskommission Conai), dem sich dann andere zivile, intellektuelle Organisationen und Repräsentanten verschiedenster sozialer Gruppierungen anschlossen. Entstanden war die Idee während einer Reihe von Treffen in Mexiko Stadt, die zum Ziel hatten, den Boden für einem neuen Impuls für den Frieden zu bereiten.

Laut Miguel Alvarez von SERAPAZ (Unterstützung und Anleitung für den Frieden) "besteht ein weiterer Grund für die Entstehung des Kongresses darin, dass auf kurze Sicht nicht absehbar ist, wie der Dialog wieder aufgenommen werden könnte...aus der Zivilgesellschaft heraus muss wieder Aufmerksamkeit auf den Konflikt in Chiapas gelenkt werden, da sich dieser augenblicklich in Augen vieler auf Probleme innerhalb der Gemeinden beschränkt. (Hoy 4/7/02)

Nach Meinung von Felipe Toussaint von der Kommission zur Unterstützung kommunitärer Einheit und Versöhnung (CORECO) und Mitorganisator des Kongresses, hat nach den grossen Initiativen der Jahre 94-96 die öffentliche Mobilisierung zugunsten einer friedlichen Lösung in Chiapas stark nachgelassen. Das Massaker von Acteal 1997 löste bedeutende Reaktionen aus, aber 1998 nach den Schlägen gegen die autonomen Gemeinden fiel sie in sich zusammen. Die Wahlen von 2000 trugen das ihrige dazu bei, die Zivilgesellschaft zu spalten, nichtsdestotrotz gab es Anfang 2001, als die Zapatisten nach DF marschierten, bedeutende Mobilisierungen.

Dennoch haben der Rückzug und das lange Schweigen der zapatistischen Führung nach der Annahme der indigenen Reform (die von den Acuerdos de San Andres abweicht) zu einem Stillstand geführt, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach fortsetzen wird, bis das oberste Gericht (SCJN) eine Entscheidung über die gegen das Gesetz vorgelegten Rechtsmittel fällt. In dieser entscheidenden Phase, so Toussaint, "war es wichtig, daß die Zivilgesellschaft sagt: hier sind wir und wir haben die Absicht, weiter am Friedensprozess zu arbeiten, als Akteure, die am Friedensprozess beteiligt sein müssen".

Gonzalo Ituarte, ehemaliges Mitglied der CONAI, meint dazu: "Die Regierung Fox hat zur Zeit weder ein Verständnis des Konflikts noch des Friedensprozesses, noch der indigenen Problematik und seiner tiefer liegenden Ursachen... Im Augenblick sind keine Kräfte mehr verfügbar und in Chiapas polarisiert sich die Lage, und das soziale Netz zerbricht. Mit dem Frieden, von dem Fox auf seinen Auslandsreisen spricht, ist anscheinend nur das Schweigen der Waffen gemeint und es scheint nicht angekommen zu sein, daß der Konflikt weiter besteht, daß die Armee in ihren Positionen verbleibt, die EZLN weiter bewaffnet ist, die Kriegserklärung weiter Gültigkeit hat und das Problem der Paramilitärs ebenfalls weiter besteht. Solange die Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und der Armee, unter deren Schutz diese Gruppen entstanden sind, nicht bestraft werden, ist es schwer zu glauben, daß auch nur die minimalen Bedingungen für Friedensgespräche gegeben sind.

Abwesenheit, Schweigen und Streit

Die Organisatoren verschickten auch an die EZLN einen Brief, um sie über die Durchführung des Kongresses aufmerksam zu machen und um ihre Unterstützung zu bitten, die zapatistischen Basen teilnehmen zu lassen; ebenfalls erklärten sie, daß es nicht ihre Absicht sei, Druck auszuüben, daß die EZLN ihre derzeitige Strategie ändere. Die EZLN hat sich dann aber weder für noch gegen den Kongreß ausgesprochen, obwohl die Beteiligung von Sympathisanten und zapatistischen Unterstützern unübersehbar war. Toussaint erklärte dazu: "Evtl. war das Interesse der EZLN, zu sehen, welche Ergebnisse der Kongreß bringt und wieviele Leute sich beteiligen. Und zu sehen, ob die Zivilgesellschaft weiterhin fähig ist, sich zu mobilisieren oder nicht, weil die EZLN sich von Beginn an − als die "Gewehre schwiegen", wie sie sagen − und eine politische und verhandelte Lösung des Konflikts gesucht wurde, auf die Zivilgesellschaft stützten wollte."

Die Regierung Mexikos und die Regierung von Chiapas schienen dem Kongreß zunächst wohlwollend gegenüber zu stehen. So erklärte der Regierungssekretär Santiago Creel,:" ich hoffe die Debatten in San Cristóbal de las Casas tragen dazu bei und bereichern die Reflexionen und Diskussionen über ein Thema, das analysiert werden muß, das ständiger Reflexion bedarf"(Diario de Chiapas, 5/7/02). Der Regierungssekretär von Chiapas Emilio Zebadua sagte: "sicherlich wird klarer werden, was sie (die TeilnehmerInnen) für nötig halten, damit die EZLN ihr Schweigen bricht und ein Zeichen sendet, das die Rückkehr zum Dialog ermöglicht. (expreso, 11/7/02).

Dennoch gab es in den Tagen vor der Eröffnung zunehmend Spannungen. In einer Pressekonferenz drückten die Veranstalter ihre Besorgnis darüber aus, daß die Regierung von Chiapas "versucht diese Leistung der Zivilgesellschaft zu vereinnahmen, indem sie sie so darstellt, als wäre sie aus gemeinsamen Kräften heraus entstanden, oder versucht sich die Initiativen, die von diesem Kongreß ausgehen, auf die eigene Fahne zu schreiben. Außer sich abzugrenzen, machten sie klar, es nicht zulassen zu wollen, daß die Regierung von Chiapas Druck auf den Kongreß ausübt, um über diesen Umweg Druck auf die Zapatisten auszuüben.

Obwohl dann auch Regierungsfunktionäre als Beobachter oder Teilnehmer anwesend waren, fragte der Gouverneur von Chiapas Salazar schon wenige Tage nach dem Kongreß: "Sie machen sich was vor, es sind Wahnsinnige, die glauben, in Chiapas ließe sich ein Prozeß der Versöhnung in Opposition zur Regierung konstruieren, genauso wenig wie ein Prozeß, der die Regierung außer Acht läßt sowie einer, der die Regierung zu isolieren versucht". "Das waren Friedensvorschläge in der Sprache des Krieges, Vorschläge der Versöhnung, die die Regierung isolieren". (Expreso, 11/7/02).

Nach Meinung von Toussaint, "vergißt Pablo Salazar, daß diese Organisationen, die ihm auf die eine oder andere Weise geholfen haben, an die Macht zu kommen, gleichzeitig ihrer Position treu blieben, gegenüber den Regierungsinstanzen autonom zu handeln, um weiterhin mobilisieren zu können und weiterhin mit Sektoren im Austausch zu bleiben, die in Opposition zur Regierung stehen. (.) Der Friedensprozeß liegt in der Verantwortung aller, alle haben ihre Funktion, und wir, die Zivilgesellschaft, haben unsere Funktion und wir sind nicht darauf angewiesen, zu warten, daß die Regierung uns sagt, was wir tun sollen".

Erreichtes, Perspektiven und Fragen

In quantitativer Hinsicht war der Kongreß ein voller Erfolg. Der Historiker Andrés Aubry bezeichnete den Kongreß als einen Baustein für den Frieden: die Beteiligung von mehr als 1000 Personen aus allen Sektoren war ein Beweis, daß die Zivilgesellschaft nicht passiv ist. "Die Menschen reagierten auf diesen Kongreß, kamen von überall her und das in großer Zahl (.) (der Kongreß) zeigt, daß die sogenannte Zivilgesellschaft reagieren wird, wenn es zu einem Notfall kommt"(Expreso, 10/7/02).

Laut Felipe Toussaint war ebenfalls ein Erfolg, daß über die Verteidigung der Abkommen von San Andres hinaus viel Arbeit geleistet wurde, sich zu anderen Themen wie z.B. den Wirtschaftsaspekten zu artikulieren (insbesondere der Kampf gegen den Plan Puebla Panama und gegen das ALCA) sowie ebenfalls zu Initiativen aus anderen Sektoren.

Die TeilnehmerInnen beschlossen, die Ergebnisse des Kongresses den Richtern der SCJN zu übergeben (am 14 Juli) und einen weiteren Kongreß in sechs Monaten zu organisieren, evtl. im Bundesstaat Guerrero, um den nationalen Charakter des Prozesses zu unterstreichen.

Über die erste Begeisterung und den offensichtlichen Erfolg der Veranstaltung hinaus, bleiben Fragen über die Zukunft dieser Initiative, vor allem in Bezug auf seine Wirkung auf die politischen Handlungsträger und auf die Kontinuität der eingeschlagenen Richtung. Viel wird davon abhängen, ob die Organisationen fähig sind, gemeinsame Strategien zu formulieren, um die Beschlüsse in die Tat umzusetzen; vor allem in der Etappe nach dem Beschluß des SCJN.

Die wichtigsten Entscheidungen

Die Ergebnisse der 3 Arbeitsgruppen lassen sich in 11 Punkten zusammenfassen:
− daran arbeiten, daß alle zivilen Kräften sich daran orientieren, Bedingungen für den Frieden zu schaffen, die die Menschenrechte respektieren und die die Demokratie aufbauen.
− auf die Erfüllung der Abkommen von San Andrés zu beharren, aufbauend auf der Forderung nach Erfüllung der drei Bedingungen der EZLN
− im Kampf gegen die Militarisierung und Paramilitarisierung die zivile Beteiligung und Beobachtung stärken, für die Freiheit der politischen Gefangenen und Schaffung der Bedingungen für eine Rückkehr der Vertriebenen.
− gleichermaßen Frauen und Männer in alle Prozesse und Projekte einbeziehen, die den Aufbau des Friedens begünstigen.
− den Ernst des Kriegszustands und der Konflikte, wie auch die Notwendigkeiten für einen echten Frieden auf nationalen Niveau öffentlich machen.
− den Prozeß der Autonomie und des Widerstands der Indigenen Völker stärken.
− Prozesse der Vereinigung mit und der Beteiligung der Zivilgesellschaft auslösen, um den Frieden und die Demokratie aufzubauen.
− politische Werte verbreiten, die auf dem Prinzip von befehlend gehorchen aufbauen und die kulturelle Vielfalt respektieren.
− die Beteiligung der mexikanischen Zivilgesellschaft im kontinentalen und internationalen Kampf und gegen neoliberale Globalisierungsprojekte wie das Freihandelsabkommen (TLCAN/ NAFTA), den Plan Puebla Panamá (PPP), das amerikanische Freihandelsabkommen (ALCA/ FTAA) forcieren.
− den Kampf gegen die Privatisierungen stärken, die in Artikel 123 der Verfassung enthaltenen Rechte der Arbeiter verteidigen und den ursprünglichen Charakter des Artikels 27 (Ejodo-Gesetz) wiedererlangen.
− wirtschaftliche Alternativen erzeugen, die die Autonomie sowie die biologische und kulturelle Vielfalt fördern.

SIPAZ-Aktivitäten Juni bis August 2002

Begleitung

− Das SIPAZ-Team unternahm verschiedene Besuche in Gemeinden der Bezirke Tila und Sabanilla, beide in der nördlichen Zone von Chiapas. Seit dem Wechsel der Bundes- und der Bundesstaatsregierung hat sich die Situation beruhigt, aber das Mißtrauen zwischen den Gruppen bleibt bestehen. SIPAZ unterhält Beziehungen zu den verschiedenen politischen und religiösen Akteuren, um Raum zu schaffen für Entspannung, Respekt und Annäherung. In El Limar besuchten wir Leute früher entgegengesetzten Gruppen angehörten um uns deren Hoffnungen und Befürchtungen angesichts der Wiedereröffnung der Kirche anzuhören. In verschiedenen Gemeinden sprachen wir mit Gruppen von Flüchtlingen und zapatistischen Unterstütztungsbasen. Wir trafen uns auch mit Gemeinderäten in Tila und Sabanilla sowie mit Regierungsfunktionären in Yajalón, die die Bezirke Tila und Sabanilla betreuen.

− Auf Bitte des Menschenrechtszentrums Miguel Agustín Pro besucht SIPAZ regelmäßig dessen Anwalt in seinem Büro in Palenque. Seit der Ermordung von Digna Ochoa (Oktober 2001) erhielten verschiedene Menschenrechtsverteidiger/innen Drohungen.

Kontakte und Information

− SIPAZ traf sich in Mexiko-Stadt mit Beratern, Nichtregierungsorganisationen und Botschaften.

− Das Team empfing in San Cristóbal verschiedene Delegationen, Journalist/inn/en und andere internationale Besucher/innen, um ihnen die augenblickliche Lage in Chiapas und die Arbeit von SIPAZ darzulegen.

− Wir beteiligten uns auch am Nationalen Kongress für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde, welcher vom 5. bis 7. Juli in San Cristóbal stattfand.

Interreligiöser Dialog

Wir hielten Kontakt mit religiösen Akteuren von San Cristóbal de las Casas, dem Bezirk Chenalhó und der Pluralen Ökumenischen Gruppe.

Das Austauschprojekt zwischen religiösen Führer/Innen von Chenalhó und den Friedenskommissionen in Nicaragua entwickelt sich weiter. In den letzten Monaten besuchten die Delegierten, die im September 2001 in Nicaragua gewesen waren (Presbyterianer und Abejas aus Chenalhó, ein protestantischer Missionar, eine katholische Nonne und SIPAZ) , zehn Gemeinden in Chenalhó, um in Gemeindeversammlungen das Projekt, die Erfahrungen der Reise nach Nicaragua sowie die Friedenskommissionen dort vorzustellen, sowie den Gemeinden zuzuhören. An diesen Versammlungen nahmen insgesamt etwa 700 Männer, Frauen und Kinder unterschiedlicher christlicher Herkunft und politischer Richtungen teil.

SIPAZ stellte das Projekt auch an einem Treffen der CODIMUJ (Diözesanen Frauenkommission der katholischen Kirche) vor.

Darüber hinaus nahmen wir am Forum über das Recht der freien Religionsausübung teil, eine bundesweite Veranstaltung, die in Chiapas vom Staatssekretariat für Religiöse Angelegenheiten der Regierung von Chiapas organisiert wurde.

Wir beteiligten uns an der Konferenz zu Christentum und Islam, die von der Gesamtmission Chiapas der Nationalen Presbyterianischen Kirche von Mexiko organisiert wurde.

Das Team beteiligt sich weiterhin an der Vorbereitung und Durchführung ökumenischer Gebete für den Frieden in San Cristóbal de las Casas.

Workshops und Friedenserziehung

SIPAZ war an einer Seminarreihe zum Thema Konflikttransformation für die Schüler/innen der Zentren kommunitärer Entwicklung (CEDECOs) in San Cristóbal de las Casas und Las Margaritas beteiligt. Die Teilnehmer/innen sind Jugendliche, mehrheitlich Indígenas, die in den CEDECOs eine berufliche Bildung bekommen.

Außerdem führten wir Seminare zur Konflikttransformation für die Mitglieder der Organisation Melel Xojobal durch. Die Seminare wurden angefragt, um ihre Arbeit mit Straßenkindern zu verbessern, die viele Formen von Gewalt erleben.

SIPAZ beteiligt sich weiterhin am Netzwerk für den Frieden, welches Aktion und Reflexion, der Friedens- und Versöhnungsprozesse auf organisatorischer und Gemeindeebene in Chiapas unterstützt.

International

SIPAZ nahm teil am VII. Regionalen Kongreß der Friedensstifter/innen, der vom Regionalen Netzwerk für Frieden und Gerechtigkeit (Mexiko, Zentralamerika, Kolumbien und Karibik) vom 8.-10. August in El Salvador organisiert wurde.

 

Quelle: https://www.sipaz.org/?lang=de


 

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