Oaxaca: Lehrer streiken weiter

Poonal vom 24.10.2006
Von Wolf-Dieter Vogel

 

(Mexiko-Stadt, 23. Oktober 2006, poonal).- Im Konflikt zwischen streikenden Lehrern und der Landesregierung im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca ist keine Entspannung in Sicht. Am Sonntag (22. Oktober) beschloss eine Versammlung der Pädagogen, ihren seit fünf Monaten andauernden Streik vorerst nicht aufzuheben. Zwar hatte sich der Verhandlungsführer der rebellischen "Sektion 22" der Lehrergewerkschaft SNTE Enrique Rueda mit dem Bundesinneministerium auf einen Kompromiss geeinigt, doch nach einer harten und langen Debatte lehnten die Teilnehmer der Versammlung diese Vereinbarung dennoch ab. Die Oppositionellen warfen Rueda undemokratisches Verhalten und Fälschung des Abstimmungsergebnisses vor.

Die Regierung hatte höhere Löhne und bessere Lehrbedingungen angeboten, allerdings fordern die Streikenden zudem die Absetzung des Gouverneurs des Bundesstaates Oaxaca Ulises Ruiz Ortiz. Im Laufe der Woche soll nun eine Befragung der Gewerkschaftsbasis für Klarheit sorgen. Dann soll entschieden werden, ob und wann die Lehrer wieder in die Klassenzimmer zurückkehren.

Die streikenden Lehrkräfte und ihre Unterstützer kontrollieren seit Mitte Juni de facto die südmexikanische Touristenstadt. Ursprünglich waren die rund 70.000 Pädagoginnen und Pädagogen im Mai in den Streik getreten, um höhere Löhne und bessere Lehrbedingungen durchzusetzen. Doch nachdem Gouverneur Ruiz am 14. Juni mit einem brutalen Polizeieinsatz gegen die Streikenden vorging, schlossen sich zahlreiche Gruppen den Protesten an: Indígenas, Studenten, Linke. Organisiert in der "Versammlung der Bevölkerung Oaxacas" (Appo) besetzten sie Radiostationen, errichteten Barrikaden und blockierten Regierungsgebäude. Ihre Forderung: "Weg mit Ulises Ruiz Ortiz". Der Politiker der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) gilt vielen als Inbegriff der Korruption und des repressiven Vorgehens, mit dem sich die PRI sieben Jahrzehnte lang an der Macht gehalten hatte.

Die Aktivisten machen den Gouverneur für die bewaffneten Angriffe verantwortlich, durch die neun Menschen starben. Immer wieder haben Scharfschützen auf Appo-Mitglieder geschossen und diese tödlich verletzt. Am vergangenen Mittwoch (18. Oktober) traf es den indigenen Lehrer Pánfilo Hernández. Er wurde von Unbekannten aus einem Auto heraus durch Pistolenschüsse ermordet. "Meine Hände sind sauber, ich habe nichts zu verstecken," erklärte Ruiz am Samstag. Zugleich kündigte er an, dass der Konflikt in der nächsten Woche gelöst werde. Er schloss einen Einsatz der zahlreichen Polizei- und Militäreinheiten nicht aus, die in den letzten Wochen in dem Bundesstaat stationiert wurden. "Es geht nicht um Räumungen oder Repression, sondern darum, Ordnung zu schaffen," sagte Ruiz. Die konservative Bundesregierung lehnt bislang ein gewaltsames Vorgehen gegen den Aufstand ab.

Am vergangenen Donnerstag (19. Oktober) hatte der mexikanische Senat mit 74 zu 31 Stimmen gegen die Absetzung des Landeschefs gestimmt. Zugleich bestätigten die Senatoren in ihrer gemeinsamen Erklärung aber, dass Ruiz "nicht über die notwendigen Bedingungen verfügt, um die Normalität wieder herzustellen". Selbst Parteifreunde hatten kein gutes Wort für den Gouverneur übrig. Sollte sich der umstrittene Politiker jedoch noch bis Dezember an der Macht halten, wäre er zwei Jahre im Amt. Anstelle von Neuwahlen könnte die PRI dann einen Interimspräsidenten einsetzen. "Die Senatsabstimmung war ein politisches Manöver. Alle wissen, dass Ruiz nicht mehr regieren kann", sagte Gewerkschaftssprecher Alfredo Chíu Velásquez.

Doch auch die Lehrer stehen zunehmend unter Druck. Schließlich müssen rund 1,3 Millionen Kinder seit fünf Monaten auf ihren Unterricht verzichten. Nicht zuletzt deshalb einigten sich die Verhandlungsführer der Lehrer mit der Bundesregierung auf den Kompromiss. Demnach werden die Löhne erhöht und Verbesserungen im Schulsystem durchgeführt, im Gegenzug sollten die Pädagogen noch im Oktober wieder in die Klassenzimmer zurückkehren. Forderungen wie die Einstellung aller Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Streik wurden nicht zugestanden. Die Absetzung von Ruiz stand in diesen Gesprächen ohnehin nicht zur Debatte, da die Bundesregierung nicht befugt ist, diese Entscheidung zu treffen.

Die weitere Entwicklung bleibt offen. Innerhalb der Bewegung könnten die Vorkommnisse der letzten Tage eine Spaltung in "moderate" und "radikale" Kräfte beschleunigen. Kritiker blockierten die Versammlung, auf der über den Vorschlag abgestimmt werden sollte. Verhandler Rueda wurde bereits bei der Ankunft im Versammlungssaal als "Verräter" beschimpft. Auch Flaschen flogen. Die "Oppositionellen" werfen Rueda vor, sich mit der Bundesregierung auf einen Deal eingelassen zu haben. "Ruiz muss zurücktreten. Hinter diese Forderung gehen wir nicht zurück," erklärt Velásquez von der "Sektion 22". Ein Hungerstreik, mit dem 20 Aktivisten in Mexiko-Stadt für die Absetzung von Ruiz kämpfen, werde ebenso weitergeführt wie das Protestcamp, in dem sich Vertreter der Lehrer und der Appo vor dem mexikanischen Senat niedergelassen haben. Auch die Barrikaden in Oaxaca werden nicht abgebaut, denn ein gewaltsamer Einsatz der Sicherheitskräfte bleibt weiterhin nicht ausgeschlossen.


Quelle: poonal
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