Erste Wahl: Enthaltungen

Abgeordnetenwahl nach Regierungswechsel in Mexiko

junge welt vom 01.07.2003
Gerold Schmidt, npl/Mexiko

 

Praesident Fox hofft auf mehr Spielraum

In einer Woche entscheidet sich, welchen Handlungsspielraum der konservative mexikanische Praesident Vicente Fox in der zweite Haelfte seiner sechsjaehrigen Amtszeit haben wird. Mit einer Abgeordnetenmehrheit im Ruecken koennte er die umstrittenen Steuer- und Privatisierungsreformen endlich durchsetzen. Andernfalls wuerde Fox wie bisher ideenlos und mit gebundenen Haenden agieren.

Die in Mexiko uebliche komplette Erneuerung des Bundesparlamentes zur Halbzeit einer Praesidentschaft sowie die Wahl von Gouverneuren in sechs der 31 Bundesstaaten und weitere Regionalwahlen koennen die politische Landschaft Mexikos veraendern. Doch eindeutige Favoriten fuer den Urnengang am 6. Juli sind nach Einschaetzung der meisten Beobachter kaum auszumachen. Der klar von der Opposition beherrschte mexikanische Senat steht zudem nicht zur Wahl. Heimlicher Triumphator, so meinen viele, koennte am 6. Juli die Wahlenthaltung sein, wenn sie die Marke von 40 Prozent ueberschreitet. Denn die Desillusion vieler Mexikaner gegenueber den Parlamentsparteien ist gross.

Noch vor drei Jahren wurde der ueberraschende Sieg von Fox und seiner Partei der Nationalen Aktion (PAN) bei den Praesidentschaftswahlen sogar von Teilen seiner politischen Gegner begruesst, weil er die 71jaehrige Herrschaft der abgenutzten Revolutionaeren Institutionellen Partei (PRI) beendete. Doch der "demokratische Bonus", der Fox im Jahr 2000 zugestanden wurde, hat sich schnell verbraucht. Seine Unfaehigkeit, ohne sichere Abgeordnetenmehrheit in wichtigen Fragen zu tragfaehigen Kompromissen mit dem Parlament zu kommen, steht in der Kritik. Gemessen an seinen vollmundigen Versprechungen bezueglich Wirtschaftswachstum, Armutsbekaempfung und Arbeitsplatzbeschaffung ist der Praesident im Grunde schon zur Halbzeit gescheitert. Einziger Hoffnungsschimmer fuer Fox ist der desolate Zustand der Oppositionsparteien, der es der PAN ermoeglichen koennte, doch endlich die absolute Mehrheit der 500 Abgeordnetensitze zu erreichen.

Offiziell hat sich dieses Ziel auch die einstige Staatspartei PRI gesetzt. Entgegen den Prognosen brach sie nach dem Machtverlust auf Bundesebene nicht zusammen, sondern konnte sich zuletzt bei Regionalwahlen auf relativ hohem Niveau stabilisieren. Von einer geschlossenen Partei kann jedoch nicht die Rede sein. Die PRI, die vielen immer noch als Synonym fuer Korruption gilt, spekuliert auf eine hohe Wahlenthaltung bei gleichzeitiger Mobilisierung ihrer Stammwaehler. Alle Mehrheitskalkulationen duerften hinfaellig sein, wenn es der linksgemaessigten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gelingen sollte, mehr als 20 Prozent der Stimmen zu bekommen. Die in vielen Bundesstaaten sehr schwache PRD hofft vor allen Dingen, von der ungeheuren Popularitaet zu profitieren, die ihr frueherer Parteivorsitzender Andres Manuel Lopez Obrador als Buergermeister in der Hauptstadt hat. Ob das voraussichtlich herausragende PRD-Ergebnis in Mexiko-Stadt aber fuer ein insgesamt gutes Abschneiden ausreichen wird, ist umstritten.

Mit Spannung wird hingegen das Abschneiden der acht kleinen Parteien verfolgt, die lediglich eine Huerde von zwei Prozent ueberspringen muessen. Die eher opportunistisch als ideologisch ausgerichteten mexikanischen Gruenen − im wesentlichen ein Familienbesitz der Unternehmerfamilie Gonzalez Torres − haben sich diesmal der einst verteufelten PRI angenaehert. Offenbar aus Frust darueber, dass vor drei Jahren ihr Buendnis mit Vicente Fox nicht mit entsprechenden Regierungsposten belohnt wurde. Unter drei voellig neuen Parteien sticht die links verortete Mexico Posible (Mexiko ist moeglich) hervor. Ihren Wahlkampf hat die Partei vor allem mit den Themen Menschen- und Buergerrechte, Frauenpolitik, Minderheitengruppen und legale Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gefuehrt. Die sicherlich einkalkulierten Verurteilungen seitens der katholischen Kirchenhierarchie sowie die daraus resultierende Kontroverse bescherten der Partei eine Oeffentlichkeit, die sie mit ihren begrenzten Mitteln sonst kaum erreicht haette. Ein Grossteil der mexikanischen Intellektuellen schaltete vor wenigen Tagen eine Anzeige in Tageszeitungen, in der sie dazu aufriefen, "Mexico Posible" unabhaengig von Parteireferenzen auf anderen Wahlebenen ins Bundesparlament zu waehlen. Sollte die Partei den Sprung ins Parlament schaffen und sich konsolidieren, koennte sie fuer viele von den traditionellen Parteien enttaeuschte Waehler mittelfristig eine Alternative werden.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2003/07-01/005.php


 

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