Ochoa-Akte geschlossen

Mexikanische Justiz unterstellt einen Selbstmord der Menschrechtsaktivistin. Familie erhebt Widerspruch

junge welt vom 22.07.2003
Gerold Schmidt (npl)

 

Die offizielle Schlußfolgerung der Justiz am vergangenen Samstag kam zwar nicht überraschend, war jedoch deswegen nicht weniger umstritten: Laut Sonderstaatsanwältin Margarita Guerra nahm sich die am 19. Oktober 2001 erschossen in ihrem Anwaltsbüro in Mexiko-Stadt aufgefundene Menschenrechtsaktivistin Digna Ochoa »aus persönlichen Motiven« selbst das Leben. Das sehen die Familienangehörigen sowie viele Organisationen und Einzelpersonen anders und gehen weiterhin von einem politisch motivierten Mord aus. Nahrung erhält ihre Vermutung durch die von Interamerikanischen Menschenrechtskommission aufgelisteten Verfahrensmängel. Und so bleiben derzeit hinter den Todesumständen viele Fragezeichen - Fragen zu einem Fall, der vor knapp zwei Jahren auch international für Aufsehen gesorgt hatte.

Das verbreitete Mißtrauen gegenüber der Suizidthese erklärt sich unter anderem aus der Vorgeschichte Ochoas. Morddrohungen gegen sie gab es seit 1998. Die Anwältin war deswegen mehrere Monate in die USA gegangen, trotz gegenteiliger Ratschläge von Menschenrechtsorganisationen aber wieder nach Mexiko zurückgekehrt. Dort setzte sie ihre Arbeit fort. Kurz vor ihrem Tod engagierte sie sich für die Sache von Ökobauern im Bundesstaat Guerrero, die sich gegen ein Holzunternehmen zur Wehr setzten: Zwei Wortführer der Protestierenden waren vom Militär festgenommen und anschließend auf der Grundlage offensichtlich konstruierter Anklagen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

Trotz dieser brisanten Vorgeschichte ist für die Staatsanwaltschaft der Fall Ochoa nach »strenger Untersuchung der Beweise« klar: Wie ihr Vorgänger bei der Untersuchung schließt Staatsanwältin Guerra ein Mordkomplott durch Militärs oder Lokalfürsten aus, deren Interessen Ochoa mit ihrer Menschenrechtsarbeit in ihrem Heimatbundesstaat Guerrero im Wege stand. Ochoas Körperhaltung beim Tod, die Tatwaffe sowie - neben den Todesschüssen - fehlende weitere Anzeichen von äußerer Gewaltanwendung sind einige der Indizien, die die Ermittlungsbehörden der mexikanischen Hauptstadt zur der Überzeugung Suizid kommen ließen.

Ihre Angehörigen, Freunde und andere Gruppen bezweifeln diese Einschätzung. Sie bezweifeln auch, daß Ochoa dazu in der Lage gewesen wäre, sich zur Vortäuschung eines Mordes zuerst in einen Muskel und dann mit einer zweiten Kugel in den Kopf zu schießen. Für sie sind die Angaben der Staatsanwaltschaft ein Versuch, Unzulänglichkeiten bei den Ermittlungen zu übertünchen. Die Anwältin Barbara Zomara, die den Fall in der ersten Phase der Untersuchungen für die Familie Ochoa vertrat, nennt den Schlußbericht eine »Schmach« und »lächerlich«. Sie geht fest davon aus, daß die Menschenrechtlerin und Kollegin umgebracht wurde.

Ochoas Familie hat inzwischen angekündigt, gegen die Resolution der Sonderstaatsanwältin bei der Bundesjustiz Einspruch einzulegen. Sollte dies keinen Erfolg haben, könnte der Fall bis vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof kommen.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2003/07-22/007.php


 

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