Die Männer helfen fast nie

Treffen der zapatistischen Gemeinden stellt Arbeit und Kampf der Zapatistinnen vor

ILA vom 23.02.2007
von Joanna Blum

 

Artikel über Arbeit und Kampf der zapatitischen Frauen
Mit freundlicher genehmigung der ila aus dem Heft Nr. 302 (Februar 2007)

"Guten Tag Compañeras und Compañeros, Brüder und Schwestern: Wir sind heute gekommen, um mit euch zu teilen, in welcher Weise wir zapatistischen Frauen im Widerstand am Kampf beteiligt sind." Gabriela, Zapatistin aus Morelia (Chiapas), begrüßte mit diesen Worten die Frauen-Arbeitsgruppe auf dem "Treffen der zapatistischen Gemeinden mit den Völkern der Welt", welches zur Jahreswende im zapatistischen Zentrum von Oventik stattfand. Die Arbeitsgruppe, in der es um die Arbeit und den Kampf der zapatistischen Frauen ging, war ein Höhepunkt des Kongresses. Bislang wurden Themen, die die Rechte der indigenen Frauen betreffen, in der Öffentlichkeit vor allem von den Kommandantinnen der EZLN (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung) thematisiert. Auf diesem Treffen hingegen berichteten Zapatistinnen der zivilen Unterstützungsbasen über ihre Erfahrungen innerhalb des Widerstandes, ihren Alltag, die Hindernisse in der Durchsetzung ihrer Rechte sowie die noch zu erreichenden Ziele.

Der Einladung der ZapatistInnen waren über 2000 Personen aus 48 Ländern gefolgt, viele von ihnen UnterzeichnerInnen der "Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald"(1), welche die Vernetzung der Kämpfe "von unten" vorschlägt. Auf dem Kongress ebenfalls anwesend waren rund 3000 Frauen und Männer der zapatistischen Unterstützungsbasen, darunter mehr als 200 indigene Autoritäten, die in Arbeitsgruppen von den Erfolgen und Schwierigkeiten der zapatistischen Selbstverwaltung berichteten. Themen der Arbeitsgruppen waren Autonomie und Selbstregierung, Gesundheit, Bildung, Kommunikation, "Anderer Handel" sowie die Organisierung der zapatistischen Frauen. Für die Frauenarbeitsgruppe, die am letzten Tag des vergangenen Jahres stattfand, waren Delegationen von jeweils drei bis fünf Frauen aus den Gebieten aller fünf zapatistischen Caracoles (2) angereist. Alle Sprecherinnen hatten Erfahrung in der politischen Arbeit und Organisierung, da sie im Rahmen der Selbstverwaltung als Delegierte für verschiedene Bereiche gewählt worden waren. Deutlich wurde in vielen Berichten der Zapatistinnen, dass mit der zapatistischen Organisierung eine Bewusstseinsänderung bei den indigenen Frauen in Bezug auf ihre Rechte begann. Die traditionellen Vorstellungen über die Tätigkeitsbereiche der indigenen Frauen beschränken sie auf die Rolle der Mutter und Hausfrau. Nach den Aussagen von Magdalena bedeutete Frau-Sein in der Wahrnehmung der Männer "nichts wert zu Sein" und in allen Lebensbereichen "Misshandlungen, Verachtung und Ungleichheit" erfahren zu haben: "Wir wurden nie als menschliche Wesen betrachtet, sondern wurden immer wie Tiere behandelt." Die indigenen Frauen hatten kein Recht Entscheidungen in Bezug auf das eigene Leben zu treffen. Viele junge Mädchen wurden gegen ihren Willen im Alter von 13 bis 15 Jahren verheiratet. Von den weiblichen Mitgliedern der indigenen Gemeinschaften wurde erwartet, alles stillschweigend zu dulden und sich nicht zu beschweren, berichtete Magdalena.

Ein erwachendes Bewusstsein der indigenen Frauen in Bezug auf ihre Rechte war den Bemühungen der in der EZLN organisierten Guerrilleras zu verdanken, die ab Mitte der 80er Jahre in engem Kontakt mit den Frauen der zapatistischen Dörfer standen und dort Vorträge und Diskussionsrunden zu Frauenrechten durchführten. 1993 entstand das so genannte Revolutionäre Frauengesetz, in dem die zapatistischen Frauen Rechte einforderten, die ihnen zuvor nicht zugestanden wurden. Dazu gehört zum Beispiel das Recht auf die Übernahme von ämtern innerhalb der Gemeinschaften, das Recht, die Anzahl der Kinder selbst bestimmen zu können und das Recht, den Ehepartner selbst auswählen zu dürfen. Deutlich wurde in den Reden der Zapatistinnen, dass sich seit der Einführung des Gesetzes Einiges geändert hatte. Mädchen werden heute in den zapatistischen Gemeinden nicht mehr zwangsverheiratet und die Frauen sind in vielen Bereichen der zapatistischen Selbstorganisierung vertreteten. Jacinta, Delegierte des Caracol Morelia, erläuterte die verschiedenen Arbeitsfelder, in denen die Zapatistinnen tätig sind. Viele Frauen beteiligen sich als Promotorinnen (Bildungsbeauftragte) am Ausbau und der Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung und des Bildungssystems innerhalb der Autonomie. Auch beim zapatistischen Radio Insurgente arbeiten viele Frauen. Andere werden als Vertreterinnen in lokale und regionale Gremien berufen. Im Klandestinen Indigena-Komitee (CCRI), der politischen Führung der EZLN sind 40 Prozent der Mitglieder Frauen. Die Kollektivarbeit in Frauenkooperativen ermöglicht den Frauen, ein Einkommen unabhängig von ihren Männern zu erwirtschaften. Zudem wird mit den Einkünften der Lebensunterhalt derjenigen Compañeras unterstützt, die politische Aufgaben übernommen haben, so Jacinta. Zu den Frauenprojekten gehören gemeinsam betriebene Gärten, Bäckereien und kleine Läden sowie Kleintierzucht. Im Hochland von Chiapas ist die wichtigste Einkommensquelle für die Frauen der Verkauf von Kunsthandwerksprodukten. In Kooperativen organisiert, versuchen die indigenen Frauen, ihre selbst gewebten und bestickten Blusen und Taschen zu einem fairen Preis zu verkaufen. Magdalena sieht einen Zusammenhang zwischen dem politischen Kampf und dem Kampf gegen die Armut und betont in Bezug auf die Organisierung in Kooperativen: "Das stärkt den Widerstand und die ökonomische Autonomie der Frauen, denn in den Regionen des Hochlandes von Chiapas existieren keine anderen Möglichkeiten zu arbeiten, es gibt kein Land zum bearbeiten. [...] Das Einzige was die Frauen tun können, um ein kleines bisschen Geld zu erlangen, ist Handwerksprodukte herzustellen, um dadurch mit ihren Familien zu überleben."

Die Verabschiedung des Revolutionären Frauengesetzes, auf das die Frauen sich zur Durchsetzung ihrer Rechte berufen können, die Möglichkeit zur Partizipation an der Ausgestaltung der zapatistischen Autonomie und die gemeinsame Organisierung der zapatistischen Frauen in verschiedenen Gruppen bedeutet insgesamt einen großen Fortschritt. Diese Veränderungen waren jedoch keineswegs leicht. Magdalena betonte: "Zu Beginn waren es sehr wenige Frauen, die Bewusstseinsarbeit leisteten oder als Führungspersönlichkeiten auftraten, aber trotzdem begannen sie Formen zu suchen, um Schritt für Schritt vorwärts zu kommen." Für Ilse, Delegierte aus einem Landkreis des Caracol La Realidad, war Folgendes am wichtigsten: "Wir haben gelernt, einige Probleme zu lösen, mit denen wir konfrontiert werden. Wir haben auch andere Erfolge, weil wir jetzt wissen, dass wir als Frauen etwas wert sind und wir haben gelernt, unsere Arbeit zu machen. Es ist nicht wichtig, ob wir lesen können, hier ist es wichtig zu verstehen, um mit unserer Arbeit weiterzumachen. Es hat uns sehr viel Mühe gekostet, das ist sicher, aber wir gehen Schritt für Schritt weiter, um zu lernen und um mehr Bewusstsein zu erlangen." Magdalena erklärte in ihrer Rede, dass die zapatistischen Frauen in ihrer Arbeit oft an Grenzen stoßen: "Trotz aller Arbeit, die wir machen, stehen wir immer wieder vor Problemen und Hindernissen, zum Beispiel in Bezug auf die Hausarbeit − oft lassen sie uns nicht weggehen, weil wir auf die Kinder und Tiere aufpassen müssen und wegen vieler anderer Sachen. Die Männer helfen fast nie oder müssen selbst ihren Verpflichtungen für den Kampf nachgehen." Sie betonte, dass Frauen, die Aufgaben in der Selbstverwaltung der Autonomie übernehmen, oft dem Spott anderer ausgesetzt sind. Dass es für Frauen noch immer schwieriger als für Männer ist, öffentliche ämter zu übernehmen, ist an der Beteiligung der Zapatistinnen an den "Räten der Guten Regierung" (3) zu erkennen. Nach Aussage von Magdalena sind in den Räten sehr viel weniger Frauen als Männer vertreten. Sie betonte, dass in Bezug auf die Mobilisierung von Frauen noch sehr viel getan werden muss: "Die Beteiligung und Erfahrungen der Frauen innerhalb des zapatistischen Kampf sind noch immer nicht ausreichend. Man muss mehr Arbeit in den Dörfern machen, damit die Compañeras mehr Bewusstsein erlangen und Entscheidungen treffen können und damit es mehr Beteiligung der Compañeras an den verschiedenen Arbeiten unserer Organisation gibt."

Nach den Reden der Zapatistinnen hatten die ZuhörerInnen die Gelegenheit, Fragen an die indigenen Frauen zu stellen. Eine Frage aus dem Publikum bezog sich auf den Vorschlag eines Treffens nur für Frauen, einem Begegnungsort für zapatistische Frauen und Frauen der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft. Die Antwort einer Compañera war deutlich: "Ja, das ist sehr wichtig, denn es gibt Compañeras, die sich bei der Anwesenheit von Männern nicht trauen teilzunehmen. Zwischen Frauen würden mehr Ideen entstehen, wie der Kampf geführt werden kann." Die Zapatistinnen sind sich bewusst, dass die Kindererziehung eine wichtige Aufgabe ist. Auf die Frage, wie die Kinder erzogen werden, um die Gleichheit zu fördern, antwortete eine Compañera: "Wir als Frauen haben eine Hoffnung, auch wenn der Machismo noch immer existiert. [...] Die Hoffnung sind die Kinder, weil die Jungen und Mädchen innerhalb des autonomen Bildungssystems erzogen werden. Das ist unsere Hoffnung: Dass die Kinder aufwachsen mit der Vorstellung, dass Frauen das Recht haben, ihr Leben zu leben, wie sie wollen [...]." Deutlich wurde in den Redebeiträgen der Zapatistinnen, dass sie trotz aller Widrigkeiten ihre Vorstellungen von einem besseren Leben nicht aufgegeben haben. Eine Compañera aus dem Caracol Roberto Barrios erklärte: "Wir träumen von einer besseren Welt, in der wir wie Geschwister zusammenleben. Wir wollen nicht noch mehr Tote, keine Gewalt, wir wollen ein Leben zum leben, damit unsere Söhne und Töchter ein besseres Vorbild haben [...]." Ilse, Delegierte aus dem Caracol La Realidad, betonte am Ende ihrer Rede die Wichtigkeit des gemeinsamen Kampfes: "Compañeros und Compañeras, wir laden euch ein, dass ihr euch wie wir zusammenschließt und kämpft, damit wir gemeinsam eine wirkliche Autonomie aufbauen können, in der auch wir als Frauen wissen, wie wir regieren und uns selbst regieren können; damit wir es sein werden, die entscheiden, was wir machen."

Anmerkungen:
1) Im Herbst 2005 von der EZLN herausgegebene Erklärung, aus der die am 1. Januar 2006 begonnene "Andere Kampagne" hervorging.

2) Die Caracoles sind die Hauptverwaltungs- und Bildungszentren in den zapatistischen Gebieten.

3) Juntas de Buen Gobierno. Basisdemokratische Regierungsform der ZapatistInnen. Die Mitglieder der Räte werden von der Basis bestimmt und übernehmen für jeweils eine Periode ein imperatives Mandat um sich um die Belange der Dörfer ihres Regierungskreises zu kümmern.

 

Quelle: http://www.ila-web.de/


 

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