»Todespakt« der letzten Kiliwa

Verzweifelte Reaktion der Ethnie im Norden Mexikos auf Zerstörung ihrer Kultur

junge welt vom 21.02.2007
Von Andreas Henrichs, Chiapas/Mexiko

 

Das Anthropologische Museum in Mexiko-Stadt ist weltweit eine der bedeutendsten archäologischen Sammlungen. Auf über 44000 Quadtratmetern Ausstellungsfläche pflegt der mexikanische Staat hier liebevoll und mit beachtlichem finanziellen Aufwand sein präkolumbisches Erbe. Den Nachfahren der Ureinwohner, den schätzungsweise 24 Millionen Indígena, wird von der mexikanischen Gesellschaft weniger Sympathie entgegengebracht. »Dieses Land verherrlicht seine indianische Vergangenheit, aber verachtet seine lebenden Indios«, schreibt der Dichter Octavio Paz, und so ist es nicht überraschend, daß die Bundesstaaten mit dem höchsten indigenen Bevölkerungsanteil − Chiapas, Guerrero und Oaxaca − , im Süden der Republik das sogenannte »Dreieck der Armut« bilden. Auch in den anderen Teilen Mexikos, vor allem in Yucatán, Veracruz und im Zentrum des Landes ist die indigene Bevölkerung weitgehend marginalisiert und lebt zu 80 Prozent unterhalb der Armutsgrenze.

Eine der 56 ofiziell anerkannten indigenen Gruppen Mexikos ist die Ethnie der Kiliwa, die im Norden der Halbinsel Baja California lebt. Lediglich 54 Menschen zählt dieses Volk, von denen nur noch fünf ihre eigene Sprache sprechen. Die Geschichte der Kiliwa ist beispielhaft für die Zerstörung einer Jahrtausende alten Kultur durch die ökonomischen und politischen Interessen zunächst der spanischen Eroberer und später des mexikanischen Staates. Von ihrem ursprünglichen Territorium in das karge Hochland der Sierra San Miguel vertrieben, der eigenen Sprache und kulturellen Identität durch eine diskriminierende Gesetzgebung beraubt, entschlossen sich viele Kiliwa zur Abwanderung in die Städte Tijuana und Mexicali oder emigrierten in den angrenzenden US-Bundesstaat Kalifornien. Die acht übriggebliebenen, traditionell lebenden Familien konnten nach einem jahrelangen Rechtsstreit in einen Teil ihres angestammten Siedlungsgebietes in Valle de Trinidad zurückkehren, wo sie heute unter schwierigsten sozialen und ökonomischen Bedingungen Subsistenzwirtschaft betreiben.

»Dieser ständige Kampf macht müde, niemand hört uns zu, niemandem bedeuten wir etwas«, erklärte Elías Espinosa am 20. Oktober des vergangenen Jahres während eines Treffens mit Subcomandante Marcos, dem Sprecher der EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung), der im Rahmen der »Anderen Kampagne gegen Neoliberalismus und Kapitalismus« Baja California bereiste. Der 30jährige Espinosa ist der jüngste und wahrscheinlich letzte Kiliwa, denn die Frauen seines Volkes haben bereits vor Jahren einen »Todespakt« beschlossen und weigern sich seither, Kinder zu gebären. Es ist ihre verzweifelte Antwort auf die gleichgültige Behandlung durch den Staat Baja California, der von Governeur Eugenio Elorduy Walther von der nationalistischen PAN (Partei der Nationalen Aktion) regiert wird. »Wir haben keine Schule oder Krankenhaus, unsere Kultur wird nicht respektiert, da ist es eine Schande, Kinder in diese Welt zu setzen«, begründete Elías Espinosa noch einmal öffentlich diese »sehr schwerwiegende Entscheidung« seines Volkes.

Bis zum heutigen Tag haben die Behörden in Baja California trotz vager Zusagen keine konkreten Hilfsangebote folgen lassen, und es steht zu befürchten, daß die Kiliwa in naher Zukunft aussterben werden. Alles, was von dieser 9000 Jahre alten Kultur dann noch übrig bleiben wird, werden wohl einige Artefakte in der Glasvitrine eines anthropologischen Museums sein.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2007/02-21/008.php


 

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