Die widerspenstigen Frauen von Oaxaca

Peace Watch Switzerland vom 06.08.2007
Susanna Sutter

 

Vor einem Jahr, am 1. August 2006, hatten hunderte von Frauen, empört über die autoritäre und repressive Politik der Regierung von Ulises Ruiz Ortíz in den Strassen Oaxacas demonstriert, und als sie im offiziellen Fernsehkanal "Canal 9" keine Sendezeit eingeräumt erhielten, um die Bevölkerung darüber zu informieren, was in den Strassen der Stadt und in den ländlichen Gemeinden wirklich los ist, den Radio- und Fernsehsender kurzerhand eingenommen. Wenige Wochen konnten sie daraufhin unmittelbar mit Beteiligung der Bevölkerung Fernsehen machen und über Radio "Cacerola" senden, bis Schergen des Gouverneurs die Antennen zerstörten.

Die Gründungsversammlung der COMO (Coordinadora de Mujeres de Oaxaca primer de agosto; Koordination der Frauen von Oaxaca 1. August) fand unmittelbar nach der erfolgreichen Übernahme des Canal 9 statt. Damit begann eine breite Politisierung der Frauen. Viele hatten sich spontan den Protesten angeschlossen, ohne irgendwelcher Organisation anzugehören. Damit diese Frauenpower erhalten bliebe und sich für den eigenen Kampf einsetzen liesse, schlossen die Frauen sich in dieser Form zusammen. Zum diesjährigen 1. August hat die COMO zum Protest- oder Geburtstagsmarsch aufgerufen und den 1. August zum Tag der Frauen von Oaxaca erklärt.

Der getanzte Marsch

Der Tag begann mit strahlend blauem Himmel, die umliegenden Hügel sind nach den sommerlichen Regenfällen in frisches Grün getaucht. Am Morgen um 9 Uhr begannen sich Frauen, und Männer, am vereinbarten Ort, vor dem Gebäude des Fernsehsenders Canal 9 zu versammeln. Bis sich der Zug formiert hatte, die Blasmusik und der Lautsprecherwagen installiert waren, die Riesenpuppe eingestanden, in der erhobener linker Faust die Bratpfanne, verging einige Zeit − nach mexikanischem Verständnis ein dehnbarer Begriff -, und dann in Bewegung setzte, brannte die Sonne bereits heiss. In der Regenzeit bewährt es sich, täglich den Regenschirm dabei zu haben, in der Mittagshitze lässt er sich dann als Sonnenschirm nutzen.

Mit all ihren Aktivitäten beweisen die Frauen immer wieder ihre Organisations- und Improvisationsstärke, ihre Kreativität, ihren Humor, ihren Mut und ihre Wut. So auch an diesem Protestmarsch. Mit Transparenten, Plakaten, den hunderten aufgespannten Schirmen bekannten sie Farbe, mit Pfannen, Deckeln und Kochlöffeln machten sie Lärm, vorn blies die Kapelle aus Zimatlán, einer Landgemeinde, traditionelle Tänze. Die in eine farbige Tracht gekleidete Riesenpuppe in Frauengestalt hüpfte und wiegte im Takt. Abwechslungsweise feuerte eine Sprecherin nach der anderen über Mikrophon den Zug an, immer wieder von den Losungen unterbrochen, die zahlreich im Laufe der vergangenen 14 Monate des politischen Kampfs geprägt worden sind. Entlang des Zugs der ca. 2’000 Teilnehmerinnen setzen sich die Antwortreime fort. (Zum Beispiel: "¡Mujeres unidas − jamás serán vencidas!", Frauen vereint − nicht unterzukriegen; "¡El puño de la mujer − atenta contra el poder!", Di e Faust der Frau − gegen die Macht.)

Beidseits des Zugs, zum Schutz der recht gemächlich schreitenden und tanzenden Frauen, gingen die Männer, Mitglieder der APPO oder Zugehörige, in langer Kolonne, mit einem Seil als Abspannung. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Schlägertruppen der Regierungspartei eine friedliche Demonstration angegriffen oder zu Ausschreitungen provoziert hätten. Auf der ganzen Strecke bis zum Hauptplatz der Stadt von etwas über zwei Kilometer, die in über zwei Stunden zurückgelegt wurden, blieb die "marcha" friedlich und fröhlich.

An der anschliessenden Manifestation auf dem Zócalo sprachen einige Exponentinnen über ihre Erfahrungen als Aktivistinnen der Oppositionsbewegung. Ihr Kampf zwingt sie, das bisherige Leben als Ehefrau, Mutter aufzugeben, Opfer zu bringen, Risiken einzugehen. Die ganze Familie ist mitbetroffen, aber ihre Kinder sehen, dass die Mutter einen Kampf für die Gerechtigkeit führt. Sie sprachen von ihrer Angst, ihrer Verwundbarkeit als Frau, aber dass sie ihrer Wut Ausdruck geben, aus dem Haus hinaustreten und sich zusammentun müssen. Sie erzählten auch vom Kampf für die verhafteten Partner, Väter, Brüder, um Aufklärung und Bestrafung der Schuldigen der über 20 Morde an Unschuldigen durch Polizei und Parapolizei, die Freilassung der politischen Gefangenen und für die gesunde Rückkehr der immer noch Verschwundenen. Mit dem Ruf: "Atenco hermano − Oaxaca te da la mano" (Atenco Bruder − Oaxaca reicht dir die Hand) solidarisierten sie sich mit den Frauen aus San Salvad or Atenco. Stellvertretend fuer die Partnerin von Ignacio del Valle, der wegen seines Einsatzes für die Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner von San Salvador Atenco nach den Zusammenstössen mit der Polizei am 3. und 4. Mai vergangenen Jahres in fragwuerdigem Verfahren zu 67 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, überreichten diese der COMO eine Machete und das "paliacate" (kleines farbiges Halstuch) als Symbol ihres Kampfes. Die COMO-Frauen übergaben den Atenco-Frauen die Bratpfanne mit dem Text: "¡Cuando una mujer avanza − no hay hombre que retroceda!" (wenn eine Frau vorangeht − weicht kein Mann zurück). Und sie forderten ausdrücklich, da sie in diesem Kampf um Demokratie in Oaxaca, der noch nicht zu Ende gefuehrt ist, immer mitgekämpft, einen grossen Teil ihres Lebens daran gegeben haben, von nun an mehr Mitbeteiligung und Rechte. Als Arbeiterinnen, Angestellte, Landfrauen, indigene Frauen, Quartierbewohnerinnen, in der Politik und überhaupt.

Das Fest am Abend

Der Geburtstag der COMO setzte für viele ein Zeichen für Mut und Weitermachen im Kampf um die Absetzung der Tyrannen Ulises Ruiz und für eine grundlegende Reform des veralteten Staatsapparates, eine Transformation, die eine wirkliche Gewaltentrennung und die demokratische Beteiligung der Frauen und Männer in Oaxaca garantieren soll. Am 5. August fanden die lokalen Parlamentswahlen statt. Unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen. Am vergangenen 16. Juli ging die Polizei einmal mehr brutal gegen die tausenden von Teilnehmenden des traditionellen Umzugs im Rahmen des wichtigsten Fests in Oaxaca, der Guelaguertza, vor, die für den Einlass in das dafür vorgesehene Auditorium demonstrierten. Es gab ein mehr als 10 Verletzte, zwei davon schwer, und über 20 Festgenommene. Jeden zweiten Tag seither fanden Schweigemärsche und Manifestationen auf dem Hauptplatz statt, Demonstrationen gegen die so genannte "offizielle Guelaguetza" der Regierung und der Tourismusindustrie. M it zahlreicher Beteiligung der mutigen, widerspenstigen Frauen Oaxacas.

Fuer Peace Watch Suiza Susanna Sutter Kehlstadt Oaxaca-Stadt

 

Quelle: http://www.peacewatch.ch


 

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