Der autonome Impfausweis

Bilanz des ersten Jahres der »Guten Regierungen« in Chiapas

Direkte Solidarität Chiapas vom 16.10.2004

 

Seit einem Jahr sind die zapatistischen »Juntas de Buen Gobierno« (Räte der Guten Regierung) im Amt. Eine Zwischenbilanz anhand der Communiqués der EZLN und der eigenen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Zapatistas.

»La Realidad: Am Eingang, in welchem der Rat der Guten Regierung namens »Hacia la Esperanza« untergebracht ist, steht eine kleine Klinik, ein grün angemaltes Holzhäuschen. Einige Leute stehen um das Haus herum. Auf Kartontafeln wird, neben dem Beschrieb von verschiedenen Verhütungsmethoden, eine Kampagne zur Impfung von Kindern und Erwachsenen angekündigt. »Wir bekämpfen Diphtherie und Tetanus«, verkündet stolz der Gesundheitsverantwortliche, ein Indigener mittleren Alters, der Buch über die betreuten Personen führt. In der Warteschlange halten die Frauen die autonomen Impfausweise ihrer Kinder in der Hand.«

Mit dieser Alltagsszene aus La Realidad beginnt Gloria Muñoz ihren Bericht über den Widerstand in den fünf zapatistischen Zentren − »Caracoles« genannt. Gloria, welche ihr Buch (EZLN: 20+10 Das Feuer und das Wort) über die zapatistische Bewegung Ende Oktober 04 in Zürich präsentieren wird, ist eine von zahlreichen KommentatorInnen, die nach einem ersten Jahr der neuen offenen Autonomiestrukturen der Zapatistas versuchen, eine Bilanz zu ziehen. Auch Subcomandante Marcos meldete sich nach längerer Abwesenheit wieder zu Wort und beschrieb in einem achtteiligen Communiqué die Fortschritte und Herausforderungen der neuen indigenen Regierungen im Aufstandsgebiet.

Marcos thematisiert die eingestandenermassen schwache Frauenpartizipation in den zapatistischen Regierungsstrukturen, die Gesetze gegen Umweltzerstörung, die eigene Gerichtsbarkeit mit zahlreichen Fallbeispielen und die partielle Zusammenarbeit mit der chiapanekischen Bundesregierung. Aber auch soziale Fragen, zu welchen sich die Zapatistas bisher kaum äusserten, werden benannt. So die Migration und der damit verbundene Menschenhandel, welcher auch durch zapatistisches Gebiet führt. Ausführlich werden die Hauptforderungen der Zapatistas beleuchtet: Bildung, Gesundheit und die Verwaltung der Territorien, was auch indigene Rechtssprechung einschliesst. Anhand einiger illustrativer Beispiele aus den Texten und Communiqués rund um das einjährige Jubiläum der »Juntas de Buen Gobierno« (JBG) sol l die zapatistische Praxis beleuchtet werden.

(Sich) Regieren als kollektiver Lernprozess

Gleich zu Beginn der Communiqués geht Marcos auf Kritiken der Zivilgesellschaft an den neuen zapatistischen Regierungsstrukturen ein. Denn diese regionalen Gremien, in denen je zwei Delegierte der autonomen Bezirke Einsitz haben, rotieren alle ein bis zwei Wochen. So lösen sich Regierungsteams in den fünf regionalen Hauptorten der Zapatistas ab. Häufig bedingt diese Rotation ein mehrfaches Erklären derselben Vorschläge und Ideen, die an die Zapatistas herangetragen werden. »Wenn wir uns endlich mit einer Equipe des Rates verständigt haben, dann wechselt diese und wir können wieder von vorne anfangen.«, so das Lamento der »sociedades civiles«, insbesondere de r NGO‚s. Laut Subcomandante Marcos liegen die »Zivilgesellschaften« jedoch falsch, wenn sie darin einen Fehler der Strukturen sehen: »Der Zweck ist, dass die Aufgabe des Regierens nicht ausschließlich einer Gruppe vorbehalten ist und es keine "professionellen" Anführer gibt, damit so viele Menschen wie möglich sie erlernen können und damit wird die Vorstellung zurückgewiesen, dass das Regieren nur von "besonderen Menschen" ausgeführt werden kann. (...) Eine gründliche Analyse wird zeigen, dass dies ein Prozess ist, in dem ganze Dörfer lernen zu regieren.« Die Rotation verhindere zudem die Korruption. Sie ermöglicht den Regierenden, welche diese Aufgabe als freiwillige, unbezahlte Gemeindearbeit (in den indigenen Kulturen »cargo« genannt) verrichten, nebenher weiterhin ihre Felder zu bestellen. Dennoch ist wohl unbestritten, dass diese Art von »Milizverwaltung« den Nachteil einer Schwerfälligkeit hat, die für BesucherInnen eine Geduldsprobe darstellt.

Doch zwei Fehler gibt Marcos freimütig zu: Der erste Fehler ist die sehr geringe Partizipation der Frauen an den »Juntas de Buen Gobierno« (kurz: JBG). »Regierungsarbeit bleibt immer noch den Männern vorbehalten. Wir wollen kein "empowerment" der Frauen, so wie es in den oberen Schichten Mode ist, sondern es fehlt in der JBG immer noch der Raum, in dem die starke Partizipation der Frauen in der sozialen zapatistischen Basis ihren Ausdruck findet. Und nicht nur das. Obwohl zapatistische Frauen im Widerstand eine fundamentale Rolle hatten und haben, ist die Achtung ihrer Rechte in einigen Fällen bloss eine Absichtserklärung auf Papier. Die Gewalt in der Familie hat abgenommen, das ist wahr, aber mehr durch die Einschränkung des Alkoholverbrauchs, als durch eine neue Familien- und Geschlechterkultur.« Konkrete Vorschläge zur stärkeren Beteiligung der Frauen an den Regierungsstrukturen fügt der Sprecher der EZLN jedoch nicht an.

Der zweite Mangel ist der militärische Einfluss der Guerilla EZLN auf diese zivilen zapatistischen Strukturen: »Die Tatsache, dass die EZLN eine politisch-militärische und klandestine Organisation ist, korrumpiert immer noch Prozesse, die demokratisch sein sollten und müssen. In einigen JBG und Caracoles trafen Kommandanten des CCRI (Kommandantur der EZLN) Entscheidungen, die ihnen nicht zustanden und mischten sich in Probleme der JBG ein. ?Gehorchend regieren‚ ist ein Anspruch, der weiterhin gegen Wände stösst, die wir selbst errichtet haben.« Der Widersprüchlichkeit, aus einer bewaffneten Aufstandsarmee hinaus die zivile Verwaltung der indigenen Autonomie zu kreieren, ist sich Marcos und die EZLN sehr wohl bewusst. Wie schwer der militärische Schatten der Guerilla tatsächlich auf den JBG lastet, ist von Aussen schwer zu beurteilen.

Nach dem Eingeständnis dieser beiden Mängel der zapatistischen Strukturen bedankt sich Marcos in seinem Rechenschaftsbericht für die nationale und internationale Unterstützung. Die Ein- und Ausgaben der fünf zapatistischen Regionen werden offengelegt. Insgesamt haben die JBG in diesem ersten Jahr ihres Bestehens, also von August 2003 bis August 2004, rund zwölf Millionen Pesos (1.3 Mio. CHF) durch Spendengelder eingenommen und 10 Millionen (1.1 Mio. CHF) ausgegeben. Und dies nicht für Löhne, Spesen oder andere »cajas chicas« (mexikanisch für Korruptionskassen) der Regierungsverantwortlichen, sondern für die diversen Projekte der Regionen. Genaue Abrechnungen pro Region können in den Caracoles eingesehen werden.

Entwicklung von unten

Autonome Projekte schiessen momentan regelrecht aus dem Boden. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Ausbildungszentrum für Lehrer, eine Gesundheitsstation oder eine Primarschule eingeweiht wird. Dabei sind von Projekt zu Projekt grosse Unterschiede in der Realisierung auszumachen. Im Bereich der Gesundheit erwies sich beispielsweise die Inbetriebnahme des Spitals in San José del Rio als ungemein mühsam. Tausende von Freiwillige erstellten zwar den grossen Bau in drei Jahren, doch ein funktionierendes Spital besteht eben nicht nur aus Zement und Gerätschaften. Es müssen die Personen vorhanden sein, welche die Apparaturen auch warten und bedienen können und welche medizinische Grundkenntnisse aufweisen.

Auch in diesem Fall erwies sich das zapatistische System der »cargos«, der unbezahlten Gemeindeaufgaben, als sehr träge: Oft wurden die Ausbildungen zum Gesundheitsverantwortlichen abgebrochen oder die Kurse zwar beendet, aber die Schüler wandten ihr Wissen nachher nicht an, da sie aus purer Not zurück auf ihre Felder mussten. Dennoch scheint die Struktur des Spitals inzwischen soweit gefestigt zu sein, dass drei Frauen und drei Männer ehrenamtlich fest tätig sind und von den Gemeinden mit dem Lebensnotwendigen unterstützt werden. Diese neuen, unbefristeten »cargos« stellen eine

Neuinterpretation der bisherigen Rotation dar (die sich so auch in anderen Projekten der Zapatistas manifestiert, beispielsweise bei den Kaffeekooperativen). Nach sieben Jahren Aufbautätigkeit fand in San José del Rio am 1. August 2004 die erste Operation in diesem Spital mitten im Dschungel statt. Auch werden hier die 118 Gemeindeverantwortlichen der Region im Bereich Gesundheit aus- und weitergebildet.

Das zapatistische Gesundheitssystem kennt noch einen zweiten grossen Spital, die »Guadalupana« in Oventik. Dort stimmen die Erfahrungen −

nach elf Jahren Betrieb − um einiges optimistischer. Über hundert Kranke werden täglich behandelt. Auch Nicht-Zapatistas nehmen die Gesundheitsleistungen der Zapatistas gerne in Anspruch. Schliesslich machen sie erstens dieselben Erfahrungen rassistischer Diskriminierung im offiziellen Gesundheitssystem und können sich zweitens auch die hohen Kosten der offiziellen Medizin kaum leisten. In den zapatistischen Spitälern, die in den Bezirken durch sogenannte »Mikrokliniken« und in den Gemeinden mit Gesundheitsposten ergänzt werden, können die PatientInnen mit sehr geringen Kosten für Medikamente und Gratisbehandlung rechnen.

Das Schulwesen der Zapatistas hat oft mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: Die zu Lehrkräften ausgebildeten Personen nehmen grosse persönliche Entbehrungen auf sich. Viele verlassen das »cargo« als Lehrer wieder. Denn, wie Gloria Muñoz schreibt: »Alle zapatistischen Gemeindearbeiter bekommen keinen Gehalt irgendwelcher Art. Nur die Dörfer unterstützen sie mit Lebensmitteln und Fahrgeldentschädigungen.« Hinzu kommt, dass viele Lehrkräfte über die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit klagen: Den Bauern fehlt oft die Vorstellung davon, wie mühsam und aufreibend die Arbeit eines Lehrers, eines Kooperativenvorstands oder eines Gesundheitsverantwortlichen sein kann. Da diese nicht mit ihren Händen arbeiten und abends nicht dreckig und verschwitzt von ihrer Arbeit nach Hause kommen, werden sie gar als Faulenzer belächelt. Dementsprechend dürftig fällt oft die »gegenseitige Hil fe« (in Form von Naturalien und Arbeitsleistungen auf dem Feld des »cargo« − InhaberInnen) aus, welche nach zapatistischer Ideologie das »cargo«-System tragen sollte. Doch trotz dieser Widerstände sind auc h im Bildungsbereich die Fortschritte der letzten Monate beachtlich: »Die Eröffnung von 83 neuen autonomen Primarschulen (...) im Rahmen des »Sistema Educativo Autónomo Revolucionario Zapatista de Liberación Nacional (SEARZLN) wurde möglich durch den Ausbildungsabschluss einer neuen Generation von Lehrern, welche in der rebellischen Sekundarschule »Primero de Enero« in Oventik ausgebildet wurde. Dies ist die erste zapatistische Sekundarschule. Ein weiteres Lehrer-Ausbildungszentrum befindet sich im Caracol Roberto Barrios, in welchem die fünfte Lehrergeneration ausgebildet wird. Ferner ist dieser Region 2003 ein sechsräumiges Schulhaus für Sekundarschulunterricht eingeweiht worden. Das zapatistische Schulsystem bietet damit eine Alternative nicht nur für die Region, sondern für das ganze Land − »...und einmal mehr sind di e Besitzlosen jene, welche einen Ausweg aufzeigen«, wie Luis Javier Garrido in Anspielung auf die Privatisierung des Bildungswesens in Mexiko meint.

Trotz freiwilliger Gemeindearbeit und tiefen Kosten, ohne die ökonomische Unterstützung von Aussen wäre der Aufbau dieser autonome n Gesundheits- und Bildungssysteme wohl kaum finanzierbar. Die »politisch aktive Zivilgesellschaft« ist in den Worten von Marcos die »dritte Schulter« auf welche die Zapatistas zählen können. Der Subcomandante bedankt sich für diese Unterstützung durch ökonomische

Mittel aber auch durch Mitarbeit in Entwicklung und Realisierung der Projekte. Nach wie vor nehmen die Zapatistas kein Geld von der Regierung an − auch wenn das Verhältnis zur chiapanekischen Regierung von Pablo Salazar als entspannt bezeichnet werden kann. Ein Beispiel dafür ist das Schulsystem. Der chiapanekische Schulminister, Alfredo Palacios Espinosa, meint gar, die zapatistischen Schulen seien willkommen: »Wenn sie Lerninstitute sind mit dem Ziel, Schreiben und Lesen zu fördern, scheint uns dies sehr gut im Kampf gegen den Analphabetismus. Wenn sie andere Ziele verfolgen, dann können wir dazu nichts sagen, aber was sich auf die Erziehung bezieht, ist willkommen«. Damit verrät er allerdings auch gleich seine Vision einer funktionierenden Schule: Das stumpfe Vermitteln von Lesen und Schreiben, das im trägen mexikanischen Schulwesen häufig mit Auswendiglernen und militärischem Drill wie Fahnenappellen einhergeht. Zur Selbstständigkeit wird in der offiziellen Schule kaum jemand erzogen.

Autonome Gerichtsbarkeit

Die Rechtsprechung ist eine der komplexesten Aufgaben der JBG. So hat zum Beispiel die JBG im Caracol »La Garrucha« im ersten Jahr der neugeregelten autonomen Struktur in 22 Konfliktsituationen vermittelt, wie Hermann Bellinghausen in der Jornada schreibt. Dabei wurden 17 Fälle gelöst, 4 sind noch hängig und nur ein Fall führte zu keiner Lösung. Anzumerken ist, dass es sich bei den gelösten Fällen auch um Konflikte zwischen Zapatistas und ihnen feindlich gesinnten, teilweise sogar paramilitärischen Organisationen handelte. Diese JBG hatte Fälle zu lösen wie zum Beispiel den Diebstahl von neun Pferden, vier Sätteln und einer Motorsäge in Ocosingo. Auch wurden einige Zapatistas bestraft, welche Mitglieder anderer Organisationen angegriffen hatten. Das Transportsystem der Sammeltaxis und die Vergabe der Routen ist ein Dauerbrenner in diesen Dschungeltälern: Die JBG von La Garrucha hat deshalb zwischen verschiedenen Transportfirmen vermittelt und 186 Vehikeln eine Zulassung erteilt.

Bei den Zapatistas steht in der Rechtsprechung nicht die Bestrafung im Vordergrund, sondern die Suche nach einer konstruktiven Konfliktlösung mit Lerneffekt und Wiedergutmachung des Schadens. In den autonomen Gebieten wird die Zuständigkeit der zapatistischen Rechtsprechung von der Regierung Salazar anerkannt. Teilweise kommt es gar zu einer Zusammenarbeit: Ermitteln und sammeln von Beweisen durch die Zapatistas, verfolgen und bestrafen durch Regierungsbehörden. Anfang Juli 04 wurde im Bezirk Chilón im Zuge einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Zapatistas und einer anderen Organisation ein Mädchen einer zapatistischen Familie von drei politischen Widersachern vergewaltigt. Marcos schreibt dazu: »Im Falle von Chilón, wo im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen Zapatistas und Nicht-Zapatistas ein 11-jähriges Mädchen vergewaltigt wurde, konnte die Ursache des Konflikts beigelegt werden. Die Daten der Vergewaltiger (inklusive medizinischer Analyse, welche die Vergewaltigung des Mädchens dokumentieren) wurden an die zuständigen Behörden weitergegeben (...) und nichts geschah (wenigstens bis zu dem Tag, an dem ich dies schreibe). Die Vergewaltiger sind auf freiem Fuss, obwohl sie nicht mit dem Rückhalt ihrer Organisation zählen können (welche sich vom Verbrechen distanziert).« Nachdem Subcomandante Marcos diese Passivität der offiziellen Behörden verurteilt hatte, verhafteten einen Tag später 24 Polizisten die Täter. Diese Zusammenarbeit zwischen autonomen und bundesstaatlichen Behörden ist keine völlig neue Entwicklung. Als Anfang 2000 in Chavajebal (El Bosque) vier Mitglieder der Kaffeekooperative Mut Vitz beraubt und umgebracht wurden, lieferten die Zapatistas den offiziellen Behörden die Beweise und die Namen der Täter. Dabei forderten sie die Behörden ultimativ zum Handeln auf, ansonsten sähen sie sich zu Selbstjustiz gezwungen. In Übereinkunft mit den autonomen Behörden verhaftete ein grosses Kontingent von Polizisten die Täter tags darauf. Es scheint, dass Kapitalverbrechen die zapatistische Strafverfolgung überfordern und die indigenen Autonomiebehörden sich dann an die staatlichen Behörden richten müssen. Es ist positiv zu bemerken, dass die autonomen Behörden dadurch die frühere Straflosigkeit in der Region stark einschränken konnten, wie Marcos schreibt: »Im Unterschied zu früheren Jahren haben die Konflikte zwischen Gemeinden und Organisationen auf dem Gebiet der JBG abgenommen, Kriminalität und Straflosigkeit gingen zurück. Die Konflikte wurden gelöst, nicht nur einzelne Konfliktpartner bestraft. Wenn Ihr mir nicht glaubt, so schaut nach in den Archiven, in den Gerichten, in den Ministerien, in den Gefängnissen, in den Spitälern und auf den Friedhöfen. Vergleicht früher und jetzt und zieht eure Schlüsse.«

Interessant in der Auseinandersetzung um Rechtsprechung ist insbesondere, dass es den Zapatistas in ihrer »Autonomie ohne Erlaubnis« gelingt, die Behörden zu einer Zusammenarbeit zu zwingen: »Die EZLN ist den Weg gegangen, sich vor der Regierung des Bundesstaates zu legitimieren, indem sie diese nicht direkt konfrontiert, sondern sie geschickt zu Verhandlungen auf ihrem eigenen Territorium und mit ihren eigenen Autoritäten zwingt«, meint Onesimo Hidalgo dazu. Früher, vor der zapatistischen Rebellion, machten die Indígenas in unterwürfiger Haltung Bittgänge zur Regierung und wurden kaum angehört. Heute kommt die Regierung in die Caracoles und verhandelt mit den indigenen Räten!

Und die Politik?

Autonomie heisst schwierige Alltagssituationen selbständig meistern. Fragt sich, ob die Zapatistas nicht die politische Perspektive ihres Kampfes hinten anstellen. Mit den JBG wurde wohl lokal eine Isolation der Zapatistas durchbrochen: Die zapatistische Bewegung hat durch die autonomen Räte an Zugänglichkeit und Legitimität gewonnen und steht wieder im Dialog mit anderen Bauern-Organisationen. Viele Zapatistas sollen aktiv ins »mandar obedeciendo«, das gehorchende Regieren, einbezogen werden. Auch werden die Budgets der JGB offengelegt, der ganze Prozess des Regierens soll transparent sein. Die neuen Autonomiestrukturen hängen stark von der zapatistischen Basis ab: die häufig rotierenden ämter kosten viel Einsatz, wohlgemerkt unentgeltlichen, nur durch das zapatistische Bewusstsein motiviert. Überschätzen da die Zapatistas nicht die Fähigkeiten und Ressourcen der Basis, die zuallererst mit dem täglichen Überleben beschäftigt ist?

Die Konzentration auf die regionale autonome Praxis kann als ein Zeichen dafür angesehen werden, dass sich die Zapatistas mit der Regierung arrangiert haben, wie Guillermo Almeyra in der »La Jornada« den Zapatistas vorwirft. Fährt die EZLN eine Strategie der Entspannung, während sie gleichzeitig verbal weiter gegen die mexikanische »classe politique« donnert? Sind die zapatistischen JBG einfach der »Wurmfortsatz eines staatlichen Apparates, um soziale Konflikte zu reduzieren und zu domestizieren?« Ignoriert diese »friedliche Koexistenz« nicht, »dass das Land besetzt wurde, um das Recht des kapitalistischen Eigentums dem überlegenen sozialen und kollektiven Recht auf Überleben unterzuordnen«, fragt Almeyra in der Jornada.

Ein Beispiel für die pragmatische Herangehensweise der Zapatistas ist, dass in ihrem Einflussgebiet die letzten Wahlen nicht mehr aktiv boykottiert wurden. Auf die offizielle Anfrage der bundesstaatlichen Wahlbehörde an die JBG, ob sie Wahlurnen aufstellen dürften, antworteten die JBG ebenfalls mit offiziellen, aber autonomen Dokumenten: »Wir glauben zwar nicht daran, dass staatliche Wahlen ein wirklicher Pfad für die Interessen des Volkes darstellen, aber wir wissen, dass einige Menschen sie noch als einen Weg betrachten, um die Probleme des mexikanischen Volkes zu lösen.« Allerdings würden die JBG allfällige zapatistische und nicht-zapatistische Gemeinden, welche die Aufstellung von Wahlurnen ablehnten, in ihrem Wahlboykott unterstützen. So fanden dann Ende September 04 Regionalwahlen in ruhigem Klima statt − nicht zuletzt deshalb, weil die Wahlbeteiligung im Aufstandsgebiet sehr tief war.

Den Zapatistas kann vorgeworfen werden, sie konzentrierten sich auf den Kleinkram in ihren autonomen Gemeinden und liessen die nationale Perspektive ausser Acht. Marcos bezeichnet die autonomen Gebiete als »kleine Inseln, die trotz des neoliberalen Hurrikans bestehen«. Diese Inseln haben wohl nur eine Zukunft, wenn die Autonomie Schule macht, wenn in weiteren indigenen Regionen Mexikos die Autonomie in die Praxis umgesetzt wird Und wenn sich auf der Grundlage dieser lokalen Autonomie-Erfahrungen der Widerstand gegen die Privatisierung der natürlichen Ressourcen, gegen drohende Vertreibungen (wie in den Montes Azules im lakandonischen Urwald) und gegen weitere neoliberale Angriffe verstärkt.

Bibliographie:

Die Jornada-Artikel von Guillermo Almeyra (»Algunas preguntas a Marcos«), Hermann Bellinghausen, Luis Hernández Navarro (Desarrollo desde abajo«), Luis Javier Garrido (»La educación zapatista«) und Gloria Muñoz (»Chiapas − La resistencia«) sind auf https://chiapas.ch dokumentiert. Auch die Communiqués von Subcomandante Marcos (»Leer un video«) sind dort zu finden. Das CIEPAC-Bulletin von Onecimo Hidalgo (»Los actores y el proceso electoral en Chiapas«) kann man auf http://www.ciepac.org nachlesen.

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