Chiapas-Bürgermeisterin kontra Zapatistas?

Mexiko: Erstmals Führungsposition für Ureinwohnerin

junge welt vom 06.11.2004
Diego Cevallos

 

María Sánchez will »Politik für alle« machen
Trotz Waffenstillstands mit Regierung Angriffe auf Dörfer im EZLN-Gebiet

Erstmals in der Geschichte des südmexikanischen Bundesstaates Chiapas wird eine Ureinwohnerin eine politische Führungsposition bekleiden. Im Dezember tritt María Sánchez von der oppositionellen Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) für drei Jahre an die Spitze der Lokalregierung von Oxchuc, einem verarmten indigenen Bezirk, in dem 40000 Menschen leben.

Für die künftige Bürgermeisterin ist der Sieg bei den Wahlen Anfang Oktober ein klarer Beweis für den außerordentlichen Respekt, den ihr die Gemeinde entgegenbringt. Immerhin setzten sich ihre Wähler über die Einwände der ältesten hinweg, eine Frau im Amt verstoße gegen indigene Sitten und Gebräuche. In der indigenen Kultur wird Frauen keine politische Mitsprache eingeräumt.

Zehn Prozent der 102 Millionen Mexikaner sind Angehörige autochthoner Völker, die meist in Armut leben und am sozialen Rand der Gesellschaft leben. Besonders prekär ist die Situation für indigene Frauen. Sie sind die Hauptbetroffenen von sozialer Not und Marginalisierung.

Die Benachteiligung offenbart sich auch im Bildungsbereich. 32 Prozent der indigenen Frauen Mexikos können weder lesen noch schreiben, die Analphabetenrate bei den Männern liegt bei nur 18 Prozent. Für 46 Prozent der Ureinwohnerinnen bleibt die Aussicht auf Grundschulbildung versperrt, und nur 8,9 Prozent besuchen eine weiterführende Schule. »Ich hatte das Glück, studieren zu können, und ich nahm die Herausforderung an«, betonte Sánchez, die einen Universitätsabschluß als Verwaltungswissenschaftlerin besitzt. »Jetz t muß ich mich auf einem neuen Gebiet bewähren.« In ihrem Bezirk wolle sie − so ihr Programm − »Politik für alle« machen.

Oxchuc, Heimat ethnischer Tzetzal, liegt zwar in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) kontrollierten Gebiet, der Einfluß der Zapatisten ist jedoch wenig spürbar. Offiziellen Untersuchungen zufolge kontrolliert die Guerilla mindestens 15 Prozent des 75634 Quadratkilometer großen Chiapas. Es handelt sich um Gebiete mit eigenen Verwaltungsformen, die nur mit EZLN-Erlaubnis zugänglich sind. Nach Angaben der Guerilla zeichnet sich das Leben in den kontrollierten Gebieten durch Gerechtigkeit, kommunales Bewußtsein, ökologisches Verständnis und Gleichberechtigung aus. Frauen hätten i n den EZLN-dominierten Gebieten Führungspositionen inne.

Zwischen der Rebellenbewegung, die sich im Januar 1994 erhoben hatte, und der Regierung herrscht seit Jahren Waffenstillstand. Die Zapatisten werden trotzdem bekämpft. Eine Studie der katholischen Menschenrechtsorganisation »Agustín Pro Juárez« Ende der neunziger

Jahre kommt zu dem Schluß, daß Oxchuc zu den Gebirgsregionen zählt, in denen die PRI-nahe Indigene Revolutionäre Antizapatisten-Bewegung aktiv ist. Damit bestätigt sie Vorwürfe der EZLN, die PRI versuche seit Jahren, Sympathisanten der Rebellen einzuschüchtern − auch mit militärischen Mitteln. Bürgermeisterin Sánchez weist dies jedoch zurück. »In Oxchuc gibt es keine Gewaltgruppen«, sagt sie.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2004/11-06/010.php


 

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