Trotz Repression hat die Autonomie Wurzeln geschlagen

Eine Spurensuche des langen Weges vom zapatistischen Aufstand in Chiapas

contraste vom 11.10.2004

 

Nur etwa gute Stunde im klapprigen Kleinbus dauert die Fahrt vom Touristenmekka San Cristóbal de las Casas, im zentralen Hochtal von Chiapas gelegen, um den kleinen Bergort Oventíc im Gebiet der "Los Altos" zu erreichen. Hier im südöstlichen Teil Mexikos schauen die aufständischen Zapatistas bereits auf gut ein Jahr "Gute Regierung" zurück. 10 Jahre nach Beginn des zapatistischen Aufstandes am 1. Januar 1994 hat sich mittlerweile eine autonome Selbstverwaltung etabliert, die nach dem Motto "Fragend schreiten wir voran", versucht für ein besseres Morgen zu arbeiten, ohne zu Wissen wie dieses Morge n genau aussehen mag.

In Oventíc, sowie an vier weiteren Orten im rebellischen Chiapas, wurde am 9. August 2003 eine neue Stufe der autonomen Selbstverwaltung der indigenen zapatistischen Gemeinden erreicht, wobei im Rahmen eines großen Festes mit 10.000 Gästen aus aller We lt die sogenannten "Caracoles" (Schneckenhäuser) eröffnet wurden. Das Bild der Schnecke verdeutlicht die neuen zapatistischen Bemühungen, eine autonome Selbstverwaltung "des gehorchenden Regierens" zu verwirklichen. So sollen durch den Eingang in das Schneckenhaus, der die Tür zu einer kollektiven Entscheidungsfindung darstellt, und in der Spirale des politischen Diskurses alle Stimmen gehört werden, um schließlich im Zentrum zu einem Konsens zusammenzukommen. Umgekehrt werden getroffenen Beschlüsse durch die Spirale des Schneckenhauses wieder in die Welt getragen.

In einer Erklärung heißt es dazu: "So werden die Caracoles wie Eingangspforten in die Gemeinden und Ausgangspforten sein; wie Fenster, damit man uns drinnen sieht und wir nach draußen sehen; wie ein Sprachrohr, um unser Wort weit verbreiten zu können und um das Wort dessen, der fern ist, zu höre n. Aber vor allem, um uns selbst daran zu erinnern, dass wir wachsam sein müssen und abhängig sind von allen Welten, die diese Welt bevölkern." Comandante David unterstrich, dass die "Caracoles" für alle Menschen der Welt zugänglich sind, wobei er hervorhob, dass nichtzapatistisch e Indígenas, die im rebellischen Gebiet leben, nicht von ihnen ausgeschlossen werden. Diese an 5 Orten errichteten Holzhäuser stellen seitdem die Sitze der "Guten Regierung" dar. Die »Räte der Guten Regierung«, in Abgrenzung zur schlechten Regierung des Staates, setzen sich aus den gewählten Mitgliedern der jeweiligen autonomen, insgesamt 34 Landkreisregierungen zusammen und routieren ein- bis zweiwöchentlich. Die jeweilgen Ratsmitglieder arbeiten ehrenamtlich und werden von ihrer Heimatgemeinde unterstützt, die sich derweil die dort anfallenden Arbeiten aufteilt. Die »Räte der Guten Regierung«, ins Leben gerufen, "um dafür Sorge zu tragen, dass auf zapatistischem Territorium in Rebellion derjenige, der befiehlt, gehorchend befiehlt", sind mittlerweile als verwaltende und rechtssprechende Instanz soweit angesehen, dass sich beispielsweise in Rechtsstreitigkeiten auch nichtzapatistische Bauern an sie wenden, um den korrumpierten offiziellen Justizapparat zu umgehen.

Mit der neuen basisdemokratischen Regierungsform, der "Juntas der Guten Regierung", die im politikwissenschaftlichen Sinne am ehesten mit "Räteregierung" zu bezeichnen ist, legt die EZLN (Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung) wesentliche Entscheidungsbefugnisse in die Hände der zivilen Selbstverwaltung. In den "Caracoles" wird über Recht, Gesundheit in den Gemeinden, Bildung, Wohnung, Land, Arbeit, Ernährung, Handel, Information und Kultur, sowie den lokalen Verkehr entschieden.

Ausserdem befindet sich in Oventíc eine autonome Schule mit Grund- und Mittelstufe, eine autonome Klinik, sowie verschiedene selbstverwaltete Kooperativeläden und eine Schufabrik. Zum Rückzug der EZLN aus den zivilen Bereichen der Selbstverwaltung kam das Aufheben der Kontrollposten an den Strassen hinzu, an denen bisher die EZLN u.a. auch die Einhaltung des strengen Alkoholverbotes in den zapatistischen Gebieten kontrollierte. Dieses kam auf Initiative der befragten indigenen Frauen und ihren Erfahrungen mit gewalttätigen, alkoholisierten Männern in den zapatistischen Gemeinden zustande.

Doch während die EZLN und die indigenen Gemeinden in Rebellion die Juntas der Guten Regierung einsetzten, und einen weiteren Schritt zum Frieden unternahmen, hat das Militär einen neuen Kreis der Kontrolle und Überwachung geschlossen. In seinen Informationsbriefen beschreibt SIPAZ (Internationaler Friedensdienst) eine zunehmende Truppenbewegung des Militärs in Chiapas während des vergangenen Jahres, aber auch gleichzeitig ein verstärkter Widerstand gegen die militärische Präsenz.

Die Zapatistische Café-Kooperative "Mut Vitz", ein Versuch die Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen

Zusammen mit Deutschen und Schweizern ImporteurInnen des genossenschaftlichen Kleinbauernkaffees der Kooperative Mut Vitz, sowie einem weiteren Wiederverkäufer aus Frankfurt, nahm ich die Einladung der Kooperative an, einer Delegierten-Vollversammlung beizuwohnen und reiste dafür in den Ort "La Estación". Hier etwa 2 Busstunden westlich von San Cristóbal in den Bergen gelegen, befindet sich das Büro, das Lager und der zentrale Versammlungsort der Kooperative, sowie ein selbstverwalteter Laden einer Frauenkooperative, wo diese ihr Kunsthandwerk verkauft.

Roman Gonzales, der Präsident der Kaffeekooperative Mut Vitz hatte uns eingeladen, an diesem Wochenende an einer Versammlung mit Delegierten aus allen in der Kooperative zusammengeschlossenen Kaffeegemeinden teilzunehmen.(1) Insgesamt sind KaffeeproduzentInnen aus 32 (teils-) zapatistischen Gemeinden beteiligt, die bis zu 48 km vom logistischen Zentrum »Estación« entfernt liegen. Dort wird die Kaffeeernte aller Kleinbauernfamilien gesammelt und anschließend in eigenen, mit dem Mut Vitz-Logo versehenen Kaffeesäcken zur Weiterverarbeitung gebracht.

Da auf weiterverarbeitete Produkte sehr hohe EU-Zölle zu zahlen sind, wird der importierte Rohkaffee erst in den Verbraucherländern in kleinen Röstereien geröstet. Dieses Jahr gehen nach Deutschland 2 Container (= 2 mal 250 Säcke), in die Schweiz und nach Italien ebenfalls 2 Container, nach Spanien und Frankreich jeweils ein Container des biologisch produzierten Mut Vitz-Cafés auf die Reise über den Atlantik.

Für die Kleinbauernfamilien der Kooperative Mut Vitz bedeutet dies, ihren von CERTIMEX als Biocafé zertifizierten Kaffee zu Preisen verkaufen zu können, die über dem Doppelten des seit mehr als 10 Jahren von einer tiefen Preiskrise getroffenen Weltmarktes für Kaffee liegen.

Außerdem gewähren ihnen die Abnehmer, wie z.B. die deutsche Importkooperative Café-Libertad, durch längerfristige Verträge mehr Planungssicherheit. Die Kooperative Mut Vitz steht nach 5 Jahren erst am Anfang, hat sich aber bereits von 26 teilnehmenden Gemeinden auf 32 ausweiten können, in denen 510 Kleinbauernfamilien zu den Produzenten gehören. Diese sind zapatistische Campesinos, die teilweise in gespaltenen Dörfern leben und jegliche Unterstützung seitens der Regierungsbehörden ablehnen, da dies zu Abhängigkeit und weiterer Spaltung führt.

Dadurch, dass in den Gemeinden zum Teil auch regierungsnahe PRI-Familien leben, die Regierungsgelder annehmen, ist für die in der Kooperative zusammengeschlossenen Familien dies eine Möglichkeit die sozioökonomische Benachteiligung abzufedern. Doch auch eine andere Bedeutung kommt der Kooperative zu: "Stärker als angenommen ist die Verkaufskooperative das organisatorische Rückgrat der Familien im Widerstand. Für die Bauern und Bäuerinnen ist die Organisierung in Mut Vitz der praktische Ausdruck ihrer politischen Affiliation und sie definieren darüber ihre rebellische Identität."(2)

Zu Beginn der Delegiertenversammlung in »Estación« wurden wir eingeladen uns vorzustellen und bekamen die Gelegenheit Fragen zu stellen und zu beantworten. Dann folgte der organisatorische Teil der Versammlung und später nach Ende des offiziellen Teiles setzten sich einige der gewählten Hauptverantwortlichen mit uns bis spät in die Nacht zum Austausch zusammen, während sich die Delegierten bereits auf dem teils mehrstündigen Fußmarsch zurück in ihre Dörfer befanden. Die Nacht verbrachten wir mit Bewachung im Versammlungsraum auf druckfrischen Kaffeesäcken aus Jute.

Am nächsten Morgen wurden wir noch vor Tagesanbruch abgeholt und in eines der Kaffeedörfer gebracht. Dort wurden wir, begleitet von einer 15-köpfigen Delegation, ausgestattet mit Macheten und Gummistiefeln, in drei der umliegenden Kaffeepflanzungen geführt. An den Sträuchern hingen noch die Kaffeekirschen für den dritten und letzten Erntedurchgang. Extra für uns wurden ein paar Zweige geerntet. Auch wir durften es mal probieren, gaben uns aber lieber damit zufrieden, die verschiedenen Kaffeesorten voneinander unterscheiden und namentlich zu bestimmen zu können.

Auf dem Rückweg kamen wir zu einem weiß gestrichenem Holzkreuz. An dieser Stelle, unweit des Dorfes, wurde ein Kaffeebauer der Kooperative in Dunkeln auf dem Rückweg von seiner Kaffeepflanzung erschossen. Der Täter, ein Bewohner des gleichen Dorfes, lebt weiterhin als freier Mann in der Gemeinde. Auch hier handelt es sich um eine gespaltene Gemeinde, in der wie so oft in Chiapas, VertreterInnen der unterschiedlichsten Gruppen nebeneinander leben.

Der von der Regierung seit mehr als 10 Jahren geführte "Krieg niederer Intensität" gegen die aufständischen Gemeinde (-teile) bringt erhebliche sozio-ökonomische Spannung in die gewachsenen Dorfgemeinschaften, die nicht selten in Gewalttätigkeiten münden.

Anmerkungen:

(1) Bericht zum Besuch auch auf der Homepage der Café Libertad Kooperative GbR, Hamburg: http://www.cafe-libertad.de/besuch04.html (2)Philip Gerber / Café Rebeldía, Zürich: Preguntando caminamos − Lizenziatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zü rich über die Kaffeekooperative Mut Vitz. 2004. Als PDF: http://www.cafe-libertad.de/preguntando

Johannes Plotzki, studierte Geographie und Politikwissenschaften in Trier, ist zur Zeit bei der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) in Tübingen und hielt sich im Winter 2003/04 als Menschenrechtsbeobachter in Chiapas auf. Als Wiederverkäufer des Mut
- Vitz-Cafés besuchte er diese Kooperative im Frühjahr 2004. Kontakt : Johannes AT Plotzki PUNKT de

Aktuell erschienen:
Die Befreiungsbewegung der Zapatisten in Chiapas/Mexiko im Würgegriff neoliberaler Konzerninteressen und staatlicher Repression durch den "Krieg niederer Intensität" (IMI-Studie 2004/2). In: Informationsstelle Militarisierung e.V. (Hrsg.): AUSDRUCK − Das IMI-Magazin (August 2004), S. 5-11, ISSN 1612-7366 Link: http://www.imi-online.de/2004.php3?id=1013
 

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