»Auch deutsche Konzerne sind Biopiraten«

junge welt vom 20.12.2004

 

US-Biopiraterie scheiterte am Widerstand der Bevölkerung des mexikanischen Chiapas
Europäische Firmen agieren geschickter
Ein Gespräch mit Ana Valadez

* Die Mexikanerin Ana Valadez ist Beraterin des »Rates traditioneller indigener Heiler und Hebammen von Chiapas« (Consejo Estatal de Organizaciones de Médicos y Parteras Indigenas Tradicionales de Chiapas, COMPITCH). Diese unabhängige Organisation klärt über Biopiraterie auf und fördert kommunale Gesundheitskonzepte.

F: Im Jahr 2001 haben Sie und andere Organisationen den Stopp eines Biopiraterie-Projekts* im Bundesstaat Chiapas (Mexiko) erreicht. Und das, obwohl das Vorhaben von Regierungen, Universitäten und Konzernen verschleiert wurde. Wie kam es dazu?

Unser Verband wurde 1994 von einem staatlichen Institut gegründet, weil die Politik durch die Förderung traditioneller Medizin Kosten sparen wollte. Später wurden wir unabhängig und organisierten kommunale Gesundheitsversorgung und -seminare.

1998 wurden wir gefragt, ob wir das von den USA finanzierte International Collaborative Biodiversity Groups (ICBG)-Maya-Projekt zur Erstellung privater Gendatenbanken unterstützen wollten. Wir sollten Kenntnisse über Heilpflanzen und dazugehörige Behandlungsweisen u. a. an die Universität von Georgia (USA) weitergeben.

Da wir den Nutzen dieses Projektes nicht verstanden und die Verantwortlichen uns auch nicht informieren wollten, wurden wir skeptisch. Wir fanden heraus, daß es sich bei dem Projekt um die Vorbereitung einer gigantischen Biopiraterie handelte, d. h. um die private Aneignung und Patentierung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens. Wir verbreiteten diese Nachricht in ganz Chiapas und weltweit. Angesichts des Widerstandes gab die mexikanische Regierung 2001 das Projekt auf − sie fürchtete einen zweiten Krisenherd in Chiapas.

F: Wie agieren Konzerne und Regierungen heute? Es scheint schwieriger geworden zu sein, konkrete Verantwortliche auszumachen ...

Das gescheiterte Projekt war klar identifizierbar: die US-Regierung protegierte US-Konzerne; doch auch hier waren bereits europäische Unternehmen involviert.

Die EU agiert zur Zeit geschickter. Sie suggeriert, die betroffene Bevölkerung werde konsultiert und die Natur geschützt. Vielleicht ist dieses Vorgehen noch schlimmer: Zur Zeit gibt es ein Projekt der sogenannten nachhaltigen Entwicklung in Chiapas, das die EU mit 15 Millionen Euro finanziert. Wir lehnen es ab, weil es das Leben von Mensch und Natur und die indigene Autonomie zerstören kann.

Viele transnationale Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Ernährung, Kosmetik und Energie haben größtes Interesse an Patenten aus dem Lakandonischen Urwald in Chiapas, vor allem aus dem darin liegenden Biosphärenreservat Montes Azules. Doch hinter der Biopiraterie steht noch viel mehr! Es geht nicht nur darum, das Wissen der dort lebenden Menschen über Pflanzen, Medizin und Bodenschätze auszubeuten. Es geht auch um langfristige territoriale Kontrolle.

Heutzutage verstecken sich Konzerne wie Savia (Mexiko), McDonald‚s, Disney, Exxon, Ford oder British Petrol hinter angeblichen Umweltorganisationen wie »Conservation International«, die dann öffentlich gegen Kleinbauern wettern, da diese angeblich den Regenwald zerstörten. Auch deutsche Konzerne wie DaimlerChrysler, Bayer und Volkswagen sind beteiligt. Allerdings tarnen sie ihr Vorgehen geschickt.

F: Wenn wir das Thema in den globalen Kontext einordnen − wie kann der Widerstand gegen den Neoliberalismus gestärkt werden?

Die Bewegungen gegen den Neoliberalismus müssen sich gegenseitig informieren und unterstützen. Für Europa könnte das bedeuten: Jedes Mal, wenn z. B. die Privatisierung einer städtischen Wasserversorgung verhindert wird, verlieren die entsprechenden Konsortien ein wenig an Kraft. Dadurch können sie unter Umständen weniger Mittel gegen die rebellischen Menschen in den Ländern des Südens einsetzen.

* Als Biopiraterie wird u. a. das Bestreben privater Konzerne bezeichnet, sich Getreidesorten oder Heilpflanzen mitsamt den dazu gehörenden Heilmethoden patentieren zu lassen. Die eingeborene Bevölkerung, die diese Pflanzen zum Teil seit Jahrtausenden verwendet, muß dann die weitere Nutzung bezahlen.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2004/12-20/020.php


 

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