Nach 11 Jahren des bewaffneten Aufstandes schreiten die indigen Gemeinden voran

Die autonomen Landkreise geben den Beweis für den Erfolg der neuen Regierungsformen

La Jornada vom 30.12.2004
Hermann Bellinghausen
übersetzt von: J.P.

 

Im zapatistischen Territorium wurde mit knappen Mitteln der Aufbau von Kliniken und Schulen geschafft

La Realidad, Chiapas, 30. Dezember 2004 Hat sich nach 11 Jahren des bewaffneten Aufstandes der EZLN, und deren Wiedereinforderungen der elementarsten Anliegen für die bis dahin unsichtbaren indigenen Völker das Leben in den zapatistischen Gebieten geändert (bzw. den Gebieten mit »zapatistischen Einfluß«, so wie es einige Akademiker und die Regierungsfunktionäre auszudrücken pflegen)?

Egal von welchem Standpunkt aus betrachtet, die Antwort kann einzig allein zustimmend sein. In etwas mehr als 10 Jahren ist die Veränderungen der indigenen Dörfer, zapatistisch oder nicht, so tiefgreifend, wie ihre Rückkehr in die politischen Bedeutsamkeit innerhalb der mexikanischen Gesellschaft im neuen Jahrhundert. Auf die praktische Anstrengung eines bis dahin noch unveröffentlichten Modells von indigener Autonomie und gemeinschaftlicher Lösung von Problemen, hat die offizielle Macht sofort mit der Umstrukturierung durch öffentliche Vorhaben, Hilfsprogrammen und Gemeinschaftsprojekten geantwortet, welche häufig eine wahrhaftige Umwandlung von Produktivität erreichte, durch die Campesinos nun als Kellner oder Touristenführer gefordert wurden. Oder mit dem kommerziell ausgerichteten Gewinnstreben in der Selva in den unheilvollen Jahren derweit verbreitetenAusbeutung. Man muss sich nur den konservativen Diskurs der Regierung betrachten, die, ihren eigenen Plänen wiedersprechend, die natürlichen Ressourcen an das fremde Kapital abliefert, so wie es sich offenen Augen darstellt.

Wo man auch hinschaut, das Leben ist anders. Auf die indigene Aktion von 1994 hat der Salinismus mit einer bedrückenden Militarisierung reagiert, die sich während des Zedillismus konsolidierte und im Foxismus weitergeführt wurde. Diese Reaktion brachte die Konstruktion eines immensen Straßennetzes in den Los Altos, der Selva und der Zona Norte voran, meist in schlechtem Zustand aber ausreichend um das Gebiet zu militarisieren und gleichzeitig die »Abgeschiedenheit« der Maya-Dörfer von Chiapas zu bekämpfen.

Diese Militarisierung ist die Grundlage von Programmen der bewaffneten Aufstandbekämpfung, die, so wie es aussieht, im Resultat gescheitert sind, abgesehen vom zeitweisen Erfolg des paramilitärischen Programmes von »Entwicklung, Frieden und Gerechtigkeit« in Sabanilla, Tila, Salto de Agua, Palenque und Tumbalá, sowie dem probierten Genozid in Chenalhó, welcher am 22. Dezember 1997 in Acteal seinen Ausdruck fand (mit dem hohen Preis von Menschenleben).

Unterdessen haben zahlreiche autonome Landkreise, weder mit Waffengebrauch, noch mit Gewalt, und mit einem begrenzten Einsatz von Geld, eine alternative Lebensform geschaffen. Dieses Zusammentreffen erscheint unvorteilhaft, und in Wahrheit ist es das auch.

Systematisch von Stützpunkten und Kasernen der Bundesarmee belagert, etablieren die rebellischen Landkreise Regierungsformen die funktionieren und ohne die eine Regierbarkeit dieser Regionen unvorstellbar wäre. Wahrhaftig gibt es in diesen Regionen viel weniger Kriminalität und gesetzeswidrige Vorfälle, als in anderen Teilen von Chiapas, während die urbanen Zonen im Zentrum und die Grenzgebiete von Soconusco heute die Orte hoher Kriminalität landesweit anführen.

Als die Räte der Guten Regierung (JBG) ihre ersten Jahresberichte im August des vergangenen Jahres vorlegten, konnte man den Haushalt jedwelchen Landreises des indigenen Territoriums unter einer der JBGs abgleichen. Der von Oventic, z.B. hatte Einnahmen von 4.547.000 Pesos, und Ausgaben von 3.501.000 Pesos.

Wenn dies die Einnahmen von insgesamt sieben oder acht Landkreisen ist, sieht man wie günstig die Autonomie ist. Genannte Zahlen beinhalten nicht die Produktion und Subsistenzwirtschaft der indigenen Campesinos, ohne welche die enorme Widerständigkeit unerklärlich wäre. Gleiche Summen werden in allein ein einziges der zahlreichen Regierungsprojekte gesteckt, die einer einzigen Gemeinde oder kleinen Gruppen von loyalen Bauern zugute kommen.

Auch erscheint es als Wunder, vergleicht man die errichteten Kliniken, Gesundheitsstationen und verschiedene Schularten der autonomen Landkreise mit den Umbau der schulischen Infrastruktur der Regierung, erlangt mit Hilfe der Coca Cola Company und anderen internationalen Konzernen.

Die Journalistin Concepción Villafuerte schreibt dass »die zapatistische Autonomie im Stillen voranschreitet«, und nimmt als Beispiel die Einführung von Justiz in Gebieten, »in denen es keine Gefängnisse gibt, aber Gefangene« (Contralinea Chiapas, número 2, Dez. 20004)

Drei Bilder der anderen Globalisierung

Erstens: 18 junge DänInnen wandern, mit Rucksäcken auf dem Rücken, durch die Berge der Selva Tojolabal. Sie kehren von einem zweitägigem Besuch in der Gemeinde X zurück, wo das Solidaritätskomitee, zu dem sie gehören, den Bau einer weiteren autonomen Schule finanziert hat. Vielleicht kommen sie nicht zurück, oder nur zum Einweihungstag. Der Bau und die Führung dieser Schule geschieht in der Hand der Gemeinde im autonomen Landkreis San Pedro de Michoacán und der JBG »zur Hoffnung«.

Nicht zu vergleichen mit den aggressiven Einmischungen in Orten wie Lacanjá Chansayab, Zamora Pico de Oro oder Ixcán durch die Interessen von Ford Motor Company, Weltbank, USAID oder der Europäischen Union in der gleichen Selva Lacandona, unterstützt durch die staatliche und föderale Regierung. Genauso zu erwähnen sind die großen »Tourisenzentren«, die der Staat am Río Lacantún in Las Nubes (Jerusalén), Sueño Prometido und anderen Orten der geplanten ökotouristischen Route baut, welche die Selva den Indigenas dort raubt, wo sie es zulassen. Oder aber die Brücke in Amatitlán über den Fluss Lacantún, welche die Laguna Mirmar (und die Montes Azules allgemein) mit dem staatlichen Straßennetz verbindet und ein Millionenprojekt der Regierung ist, die den »Schutz« der unberührten Selva proklamiert hat.

Zweitens: Ankunft einer Karawane von 45 Studierenden aus D.F. in La Realidad zur Neujahresfeier im Caracol »Mutter aller Caracoles des Meeres unserer Träume«. Sie kommen zum Fest, zeigen aber auch Bereitschaft um zu arbeiten und sich nützlich zu machen. Sie insistieren bei den Repräsentanten der Gemeinde und des autonomen Landkreises, bis sie schließlich die Erlaubnis bekommen, nach San José del Río zu gehen und sich an der Errichtung einer Brücke zur neuen autonome Klinik zu beteiligen (also gibt es Brücken zu Brücken).

Drittens: Seit einigen Jahren erleuchtet in jeder Nacht (oder fast jeder) das elektrische Licht die Häuser und Höfe in La Realidad. Der Strom wird durch die autonome Turbine erzeugt, welche die Realideños zusammen mit ArbeiterInnen der Gewerkschaft Sindicato Mexicano de Electricistas und mit der Rückendeckung der Organisation Ya Basta und anderen italienischen Gruppen, die den zapatistischen Widerstand unterstützen, installiert haben.

In einigen wenigen Nächten ist die Turbine defekt oder wegen Reinigungs-, und Wartungsarbeiten ausgeschaltet. In anderen Nächten, einigen mehr, stellt die staatliche Comisión Federal de Electricidad die Lieferung des Stromes entlang des Grenzgebietes und dem Gebiet Las Margaritas wegen Ineffizienz ein, oder es fehlte wegen des zivilen Widerstandes der PRIistas, PTistas, PRDistas die Bezahlung der gestiegenen staatlichen Stromtarife, gegen die sich auch die Zapatistas wehren. In diesen Fällen ist La Realidad die einzige beleuchtete Siedlung im Umkreis von Hunderten von Kilometern.

 

Quelle: https://www.jornada.com.mx/


 

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