27 Menschen starben bei einem Massaker in Oaxaca

Poonal vom 11.06.2002
Von Wolf-Dieter Vogel

 

(Mexiko-Stadt, 10. Juni 2002, poonal). — 27 Menschen starben am 31. Mai bei einem Überfall in der Sierra Sur im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Unbekannte hatten den Lastwagen der Arbeiter in der Nähe des Ortes Aqua Fria gestoppt und das Feuer eröffnet. Die Männer aus dem zapotekischen Dorf Santiago Xochiltepec waren gerade auf dem Heimweg von der Arbeit. Lediglich drei Personen überlebten den Angriff.

Erklärungen waren schnell zur Hand. Oaxacas Generalstaatsanwalt Sergio Santibáñez hatte gleich mehrere Motive parat: Illegaler Holzabbau, Drogenhandel, Landkonflikte. José Murat Casab, der Gouverneur des Bundesstaates, verwies auf die soziale Lage in der Region. Die Menschen "sind so arm, dass sie sich umbringen, um etwas zu erreichen," ließ der Politiker vergangene Woche wissen.

Die mexikanischen Sicherheitsbehörden reagierten ungewöhnlich schnell: Kaum hatte man von dem Blutbad erfahren, ließen sie die gesamte Zone von Soldaten umstellen. Die Bundesregierung in Mexiko-Stadt schickte gleich zwei Elitetruppen der Polizei in die Sierra Sur, 66 Beamte der Staatsanwaltschaft reisten aus der Landeshauptstadt Oaxaca an. Schon am darauffolgenden Tag nahmen die Polizisten 17 Bewohner des nahegelegenen Dorfes Santo Domingo Teojomulco als Verdächtige fest.

Dass die Beschuldigten tatsächlich hinter dem Massaker stecken, wird in Teojomulco heftig bestritten. Die Festnahmen seien eine "verzweifelte" Antwort des Gouverneurs Murat, "um sich aus der Verantwortung zu ziehen und sich selbst reinzuwaschen", sagt Gemeindesprecher Laurencio Gutiérrez. Am vergangenen Sonntag (9. Juni) sind fünf der Gefangenen wegen der "willkürlichen Festnahmen" in den Hungerstreik getreten.

Doch nicht nur in Teojomulco, dem einzigen mestizischen Dorf der Region, hält man wenig von den Verlautbarungen aus Oaxaca und Mexiko-Stadt. Vertreter aus 15 Gemeinden des "Forstforums Sierra Sur" erklärten in einem offenen Brief an Präsident Vicente Fox und Gouverneur Murat, dass "weder in unseren Kommunen noch in der Region" Drogenhandel oder "illegale Geschäfte mit Forstprodukten" existierten. Murat müsse endlich "gegen die wirklich Verantwortlichen ermitteln," forderte Sprecher Nicolás Sánchez Sánchez, obwohl zahlreiche der indigenen Gemeinden schon seit über 60 Jahren im Streit mit den Mestizen von Teojomulco liegen.

Ungeklärte Nutzungsverhältnisse sorgen seit 1941 regelmäßig für harte Auseinandersetzungen. In deren Folge starben mindestens 100 Menschen. Nicht zuletzt deshalb steht nun nach dem Massaker von Aqua Fria das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen (Semarnat) im Zentrum der Kritik. Semarnat habe Genehmigungen zur Rodung in der umstrittenen Zone bewilligt und damit den Hass erst geschürt, wirft Oaxacas Gouverneur Murat der bundesstaatlichen Behörde vor. Eine Kritik, die das Umweltministerium zurückweist. Man habe nur Erlaubnisse für Grundstücke erteilt, in denen es keine Agrarkonflikte gebe. Auch Gemeindesprecher Gutiérrez aus Teojomulco hält an seiner Kritik gegen die Ermittler fest. Ja, es habe viele Auseinandersetzungen mit den Leuten aus Santiago Xochiltepec gegeben, aber die Behauptungen der Regierung, hinter dem Überfall stünde ein Streit zwischen den beiden Kommunen über die Nutzung eines Edelholzgebietes, sei "absurd".

Wer auch immer an diesem 31. Mai geschossen hat, für Octavio García, den evangelischen Pfarrer von Teojomulco, sitzen die Verantwortlichen ohnehin woanders. Seit Murat von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) 1998 an die Macht gekommen sei, wisse er von den Konflikten in der Sierra Sur. Die Menschenrechtsorganisation Barca habe der Bundesregierung und auch Murat regelmäßig Informationen gesandt. "Aber die Antwort war immer die Gleiche: Schweigen," berichtet Garcia.

ähnliche Erfahrungen machte auch Domingo Hernández Sánchez, der Präsident der Organisation "Vereinigte Dörfer der Sierra Sur". Schon Mitte März, so erinnert sich Hernández, hätten die Verwaltungen der betroffenen Dörfer ein amtliches Schreiben an Murat geschickt, in dem sie ihre Besorgnis über einen möglichen "bewaffneten Angriff der Nachbarn aus Santo Domingo Teojomulco" zum Ausdruck brachten. Auch diese Warnung wurde von den Behörden ignoriert. "Warum haben sie keine Polizisten geschickt, als wir sie darum gebeten haben," fragen sich nun die Witwen aus Xochiltepec.

Pfarrer García liefert eine simple Erklärung. Die Regierung wolle "die Gewaltbereitschaft in den Kommunen am Leben halten". Auch die Menschenrechtsorganisationen "Centro de Derechos Humanos Miguel Agustin Pro Juárez" macht die Landesregierung von Oaxaca für das Massaker verantwortlich. Sie habe durch ihr Nichthandeln die unsichere Situation für die indígenen Kommunen verstärkt. Die Menschenrechtler werfen noch eine weitere Frage auf: Woher hatten die mutmaßlichen Täter jene schwere Armeewaffen, die am Tag danach beschlagnahmt worden waren? Und warum ausgerechnet jetzt die Region so militarisiert? Pfarrer García verweist darauf, dass es in der Region viele Interessen gebe. Hinter dem Massaker könnten politische Interessen stecken, "möglicherweise von Fremden, die eine Situation der sozialen Instabilität schaffen wollen".

Tatsächlich spielt die Region eine zunehmend größere Rolle, seit Präsident Fox im vergangenen Jahr seinen "Plan Puebla Panamá" (PPP) bekannt gegeben hat. Die südmexikanischen Bundesländer sollen demnach mit den mittelamerikanischen Staaten zu einem "Entwicklungskorridor" zusammengefasst werden. Fox träumt von einer Freihandelszone, in der billige Arbeitskräfte Investoren für Weltmarktfabriken anziehen und zahlreiche Pflanzen den Pharmamultis neue Patente ermöglichen sollen. Oaxaca, eines der ärmsten Länder Mexikos, ist hier von besonderer geostrategischer Bedeutung. Im Istmus von Tehuantepec, wo nur 300 Kilometer den atlantischen Golf von Mexiko von der pazifischen Küste trennen, soll eine Frachtverbindung geschaffen werden, um den Panama-Kanal zu entlasten. Zudem zählt die Gegend zu den wertvollsten Rohstoffregionen. Im Norden etwa lagern rund 90 Prozent der mexikanischen Ölvorkommen.

Doch neben den angrenzenden Bundesstaaten Chiapas und Guerrero gilt Oaxaca auch als einer der wichtigsten Schauplätze des Widerstandes. Im Westen werden noch immer Guerilleros und Guerilleras des EPR, der "Revolutionären Volksarmee" vermutet, im Istmus von Tehuantepec organisieren sich zahlreiche indígene Gemeinden gegen den PPP, in dem sie ein Projekt sehen, das mehr als 65 Millionen Menschen "zur Armut verurteilt". Ebenso wie in Chiapas stehen sie den Plänen aus dem Präsidentenpalast erheblich im Weg, und ebenso wie dort wird man ihnen letztlich nur mit militärischer Gewalt beikommen können.

Naheliegend also, dass nach dem Massaker von Aqua Fria Parallelen gezogen werden. Etwa mit jenem Angriff paramilitärischer Einheiten vom Dezember 1997, bei dem im chiapanekischen Actéal 45 Indígenas ermordet wurden. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass staatliche Stellen in das Verbrechen involviert waren, während damals nur von Streitigkeiten verschiedener Bevölkerungsgruppen die Rede war. Die Folge: Tausende von Militärs wurden ins rebellische Chiapas verlegt, um, wie es hieß, für Sicherheit in der Region zu sorgen.


Quelle: poonal
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