Wahlbetrug und Korruption: PRI hat neuen Chef

Poonal vom 05.03.2002
Von Gerold Schmidt

 

Korruptionsskandal lässt die Wahl des Parteipräsidenten zu einer Blamage für Mexikos ehemalige Quasi-Staatspartei PRI werden. Machthunger und Hoffnung auf Wahlsiege verhindert die Spaltung

(Mexiko-Stadt, 4. März 2002, npl).- Es sollte das herausragende Beispiel für die grundlegende demokratische Erneuerung der Partei sein, die Mexiko jahrzehntelang regierte und dabei zum Synonym für Korruption und Wahlbetrug wurde. Doch die Praktiken der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) verändern sich offenbar nicht von einem Tag auf den anderen und so geriet der Versuch, den Parteivorsitzenden erstmals demokratisch zu wählen, zu einer parteiinternen Zerreißprobe.

Sieben Tage währte das Tauziehen um die Stimmenauszählung, begleitet von gegenseitigen Manipulationsvorwürfen und Anfeindungen. Erst am Sonntag Abend stand das Ergebnis endgültig fest: Roberto Madrazo, ehemals Gouverneur des Bundesstaates Tabasco, hatte sich knapp gegen die Mitbewerberin Beatriz Paredes durchgesetzt.

Ein Sprecher von Madrazo erklärte nach der Bekanntgabe des Endergebnisses ungeniert, dass "nur die Stimmen aus rund 30 Urnen, also weniger als 0,34 Prozent annulliert worden sind". Beatriz Paredes ließ gleichzeitig verlauten, sie halte den Vorwurf der Wahlfälschung gegen den neugekürten Parteichef aufrecht, wolle aber keine Spaltung der Partei provozieren. Beste Voraussetzung für die feierliche Amtseinführung, die am Montag Abend in Anwesenheit aller PRI-Größen stattfinden sollte.

Kaum jemand in Mexiko glaubt noch, dass dieser Abend der Startschuss zum langersehnten Neuanfang der PRI wird, nachdem sie im Sommer 2000 nach 71-jähriger ununterbrochener Regierungsherrschaft abgewählt worden war. Nur der ungebrochene Wille zur Macht dürfte eine Spaltung der mehrfach verfrüht totgesagten PRI verhindern.

Druck auf die Wähler, gefälschte Auszählungen, im voraus gefüllte Wahlurnen — dies sind nur einige der Beschuldigungen, die sich die beiden PRI-Fraktionen in den vergangenen Tagen an den Kopf warfen. Sogar von "organisierter Kriminalität" war die Rede. Tatsächlich erregten die Fälle, bei denen die angeblich ausgezählten Stimmen für einen Kandidaten die Zahl der gesamten in der Wahlurne enthaltenen Zettel übertrafen, oder die aus aufgestellten Urnen und Wahlbeteiligung errechnete Abstimmungsgeschwindigkeit von einer Sekunde pro Wähler zum Teil belustigte Aufmerksamkeit. Ebenso sind die riesigen Stimmenunterschiede, mit denen Paredes und Madrazo sich in ihren jeweiligen Einflusszonen deklassierten, eine harte Probe für Ungläubige.

Die ungeklärte Frage ist, ob sich die Betrügereien gegeneinander aufrechnen lassen oder der von Madrazo erreichte knappe Vorsprung von 1,7 Prozent — bei insgesamt gut drei Millionen abgegebenen Stimmen — letztendlich seiner größeren Unverfrorenheit zuzuschreiben ist. Nicht wenige tendieren zu letzterer Auffassung, denn Roberto Madrazo ist seit seiner Gouverneurszeit in Tabasco berüchtigt. Bedenkenlos setzte er öffentliche Gelder und Macht für seine Interessen ein. Sowohl Oppositionsparteien wie die parteiinternen Gegner bekamen das zu spüren. Derzeit will eine Kommission des Bundesparlamentes sein Finanzgebaren als Gouverneur noch einmal unter die Lupe nehmen.

Fast hätte Madrazo es mit seiner draufgängerischen Art im Jahr 2000 sogar geschafft, gegen den Willen des Parteiapparates als Präsidentschaftskandidat der PRI aufgestellt zu werden. Die spätere Niederlage seiner Partei ebnete ihm nun in gewisser Weise den Weg an die Schaltstelle der PRI-Macht. Dem kommt besondere Bedeutung zu, da die PRI ihr Tief in der Wählergunst offenbar überwunden hat. Nach den Präsidentschaftswahlen verlor sie in den Bundesstaaten zunächst eine Wahl nach der anderen. Inzwischen laufen die Wähler wieder scharenweise zu ihr zurück.

Zudem kann weder die konservative Regierungspartei PAN noch die linksgemäßigte oppositionelle PRD auf einen so harten Kern an Stammwählern zählen wie die PRI. Die Beteiligung an der Direktwahl für den Parteivorsitz ist ein Beispiel dafür, selbst wenn die offiziellen Zahlen übertrieben sein mögen.

Im Sommer 2003 wird das mexikanische Parlament vollständig neu gewählt. Hält der derzeitige Trend an, könnte die PRI die 1997 abgegebene und im Jahr 2000 noch deutlicher verfehlte absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer wieder zurück gewinnen. Präsident Vicente Fox von der PAN, der jetzt schon über keine eigene Mehrheit im mexikanischen Kongress verfügt, hätte dann einen noch schwereren Stand für die restlichen drei Jahre seiner Amtszeit.

Möglicherweise schreckt Roberto Madrazo aber auch diejenigen PRI-Wähler ab, die an eine Erneuerung der Partei glaubten. PAN und PRD bestimmen am nächsten beziehungsweise übernächsten Wochenende ihre neue Parteiführung, um sich für das kommende Jahr zu positionieren. Spannend wird es auch bei ihnen werden, doch die PRI hat ihnen mit ihrem Spektakel zumindest die Schau gestohlen.


Quelle: poonal
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