Freilassung von Gallardo nach Verhandlungen und internationalem Druck
Poonal vom 12.02.2002 | |
Von Gerold Schmidt |
Die Freilassung des "Nestbeschmutzers" Gallardo ist zähen Verhandlungen und internationalem Druck zu verdanken
(Mexiko, 10. Februar 2002, npl).- Als der mexikanische Brigadegeneral Francisco Gallardo am vergangenen Donnerstag seine achtjährige Tochter Jessica umarmte, tat er es zum ersten Mal in Freiheit. Zuvor konnte er das kleine Mädchen nur selten sehen, denn einen Monat vor ihrer Geburt wurde er nach fadenscheinigen Anklagen in einem Militärgefängnis inhaftiert. Ginge es nach vielen seiner Kollegen in der Armee, hätte er noch weitere 20 Jahre dort verbracht. Doch internationaler Druck und eine veränderte politische Gesamtsituation in Mexiko machten diesen Absichten einen Strich durch die Rechnung. Nach langem Zögern und zähen Verhandlungen mit den Militärs reduzierte Staatspräsident Vicente Fox per Dekret die Strafe Gallardos von 28 auf acht Jahre. Der General war mit sofortiger Wirkung frei.
Der Fall ist noch längst nicht zu Ende, denn Gallardo will vor zivilen Gerichten noch seine Unschuld erstreiten. Doch mexikanische Militärgeschichte ist jetzt schon geschrieben. Die öffentlich vorgetragene Forderung, in den Streitkräften die Figur eines Menschenrechtsbeauftragten einzuführen, wurde Gallardo Anfang der 90er Jahre zum Verhängnis. Gleichzeitige Vorschläge für verfassungsmäßig abgesicherte Kontrollmechanismen gegen Misstände in der Armee waren in den Augen des damaligen Militärstaatsanwaltes ein klarer Fall von Nestbeschmutzung und "Diffamierung, Verleumdungen und Schmähungen" und führten Ende 1993 zu seiner Verhaftung und späteren Verurteilung. Weil Gallardo nicht kapitulierte, wurde noch einmal nachgelegt. Wegen "illegaler Bereicherung" erhöhte ein Militärgericht die Strafe auf die erwähnten 28 Jahre.
Schon zuvor hatten die Vorgesetzten den ehemaligen Bilderbuchsoldaten mit einer steilen Karriere ins Visier genommen. Der General hatte sich geweigert, trübe Privatgeschäfte eines Kommandenten mitzutragen. Ganz im Sinne der in seiner Institution herrschen Logik lautete 1990 die Anklage "Betrug, Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Beschädigung des Eigentums der Nation" — gegen Gallardo. Nachdem zivile Gerichte zu seinen Gunsten entschieden, zeigten die Militärs Einfallsreichtum. Sie bezichtigten den General unter anderem der Schwerverbrechen, einen Sattelknopf und eine Radiobatterie aus Armeebeständen verloren zu haben. Fassungs- und dann erbarmungslos reagierten sie aber erst auf die Forderung nach dem Menschenrechtsbeauftragten.
Anfangs unterstützte den General Gallardo vor allem seine Familie, doch bald nahmen sich auch nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen seiner Sache an. Seit 1996 forderte die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten immer wieder vergeblich seine sofortige Freilassung sowie einen vollständigen Freispruch. Hätte der Verurteilte seine "Schuld" eingestanden und die Militärführung um Perdon gebeten, wäre er vermutlich aus der Haft entlassen worden. Doch alle diesbezüglichen Angebote schlug Gallardo aus. Stets bezeichnete er sich als "Häftling aus Gewissensgründen". Aus demselben Grund lehnte er einen Gnadenerlass durch den Staatspräsidenten ab.
Der konservativen Regierung Fox, die im Juli 2000 die 71-jährige Herrschaft der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) beendete, war von Anfang an nicht an einer weiteren Inhaftierung Gallardos gelegen. Doch andererseits war ihr die im Wahlkampf so herausgestellte neue Menschenrechtspolitik offenbar nicht wichtig genug, um einen Streit mit dem Militärs zu riskieren. Popularitätsverlust und wachsender internationaler Druck nach dem Mord an der Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa im Oktober 2001 führten jedoch zu aktiverem Handeln. Die dekretierte Freilassung zweier bekannter Ökobauern aus "humanitären" Gründen kurz nach dem Mordfall waren ein erster Hinweis.
Wie im Fall der Ökobauern ist auch Gallardo nur vom überwiegenden Teil der Öffentlichkeit, nicht aber aus rechtlicher Sicht freigesprochen worden. Und es bleibt ein weiterer fader Beigeschmack. Rein zufällig traten am vergangenen Donnerstag erhebliche Strompreiserhöhungen in Mexiko in Kraft, der Fall Gallardo lenkte Aufmerksamkeit um. Rein zufällig steht der Fall Gallardo für den 19. Februar auf der Tagesordnung der Sitzung des Interamerikanischen Gerichtshofes und kurz danach erneut auf der Tagesordnung des Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Jetzt argumentiert die mexikanische Regierung, das Thema habe sich erledigt.
Gallardo und viele Menschenrechtsorganisationen sehen das anders. Sie meinen, der Fall müsse erst endgültig abgeschlossen werden und zwar mit einem Freispruch. Der General hat zudem angekündigt, "egal, aus welchem Schützengraben", weiter für eine grundlegende Militärreform und die Idee des Menschenrechtsbeauftragten einzutreten. Acht Jahre Haft haben ihn nicht gebrochen. Es scheint, als ob Gallardo noch manchem Militär und Politiker Kopfzerbrechen bereiten wird.
Quelle: poonal
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