Der vergessene Krieg

oder: Neue Formen des Kampfes um Indígena Rechte

Zapapres-Import vom 12.10.2001

 

jk/ZAPARES, Mexiko-Stadt, 12. Oktober 2001 Bereits seit Monaten war der "heimliche" Krieg in Chiapas aus den nationalen und internationalen Schlagzeilen verschwunden, vergessen der Marsch der Zapatistas nach Mexico-Stadt, um dort vor dem Parlament, ihre Forderungen in bezug auf das zur Debatte stehende "Gesetz über Indígena-Rechte und Kultur" deutlich zu machen. Seit dem 14. August ist das offizielle "Gesetz über Indígena-Rechte und Kultur" − von der Opposition als "Contrareforma" = Gegenreform charakterisiert und kritisiert − Teil der mexikanischen Gesetzgebung mit den entsprechenden Verfassungsänderungen. Ungeachtet der zahllosen Proteste und Widersprüche gegen das Gesetz, das die Forderungen der Indígenas, aber auch die Inhalte internationaler Abkommen über die Rechte der Indígenas in weiten Teilen unberücksichtigt lässt, durchlief das "Gesetz über Indígena-Rechte und Kultur − light" − wie es auch genannt wurde, alle formalen Gesetzgebungsinstanzen auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene. Seitdem hat sich die Auseinandersetzung um die verfassungsmäßige und gesetzliche Verankerung der in den Abkommen von San Andrés verabschiedeten Rechte der Indígenas auf die juristische Ebene verlagert: Hunderte, im Nationalen Indígena Kongress (CNI) organisierte Indígena-Gemeinden haben vor dem mexikanischen Verfassungsgericht Beschwerde eingelegt, aber auch − unterstützt von mexikanischen Gewerkschaftsstrukturen − in Genf bei der Internationalen Arbeitsorganisation.

Zu diesen Organisationen gehört das "Menschenrechtsnetzwerk Cualli Nemilistli aus Puebla, das vor wenigen Tagen in Genf seinen Bericht über die Verletzungen des Abkommens 169 der Internationalen Arbeitsorganisation durch die mexikanische Regierung vorlegte.

Die Art der Verletzungen und Missachtung eines Vertrages, der von der mexikanischen Regierung vor 12 Jahren unterzeichnet und ratifiziert wurde, konkret 1989, können − so Cualli Nemilistli − als "kulturellen Genozid" bezeichnet werden. Auch die vorgenommenen Modifizierungen und damit grundsätzlichen Veränderungen eines Gesetzesentwurfes, der auf einem 1996 vereinbarten Abkommen zwischen der EZLN und der mexikanischen Regierung beruhte, werden von dem Menschenrechtsnetzwerk, stellvertretend für den Großteil der Indígena- Organisationen, als Verletzungen und Bruch des Abkommens 169 bezeichnet. Der "mexikanische Staat hat nach der Ratifizierung des Abkommens 169 über indigene Rechte kein einziges Umsetzungsgesetz erlassen, das den Forderungen dieses internationalen Abkommens entspricht. Und das in diesem Jahr verabschiedete Gesetz widerspricht in weiten Teilen diesem Abkommen".

Die wichtigsten Widersprüche haben mit folgenden Aspekten zu tun:

• Die Negierung der Kollektiv-Rechte der Indígena-Völker

• die Nicht-Anerkennung der Indígena-Völker als Einheiten des öffentlichen Rechtes

• die Verweigerung des Rechts über ihr Land und die dort vorhandenen Bodenschätze autonom zu entscheiden

• die Unterordnung der Autonomie-Rechte unter die Entscheidungen der jeweiligen Länderregierungen.

Auch die Klagen, die beim mexikanischen Verfassungsgericht eingereicht wurde, berufen sich auf das Prinzip "Bundesrecht bricht Landesrecht", bzw. ratifizierte internationale Verträge und Abkommen brechen nationales Recht.

Am Beispiel der im Abkommen 169 verankerten Territorialrechte der Indígena-Völker macht Cualli Nemilistli diese Widersprüche deutlich:

Während das Abkommen 169 explizit all das von den Indígena-Völkern bewohnte und bearbeitete Land als ihr Territorium anerkennt, über dessen Bodenschätze und Reichtümer sie autonom verfügen können, was die Nutzung, Verwaltung und die Konservierung betrifft, so schränkt das mexikanische Gesetz dieses Recht sowohl in Bezug auf die Verfügungsgewalt und Verwaltung der vorhandenen Bodenschätze und Reichtümer, als auch in bezug auf das Recht auf Land ein.

Auch die Forderung, dass in allen Belangen, die die Indígena-Völker betreffen, ihr Mitsprache- und Entscheidungsrecht respektiert wird, findet sich so nicht in der nationalen Gesetzgebung wider.

Die EZLN, die den politischen Kampf um die verfasungsmäßige und gesetzliche Verankerung der in den Abkommen von San Andrés verabschiedeten Rechte der Indígenas begonnen hat, schweigt seit der endgültigen Verabschiedung der "Gegenreform".

Auch in bezug auf die Initiative von 110 Abgeordneten der verschiedenen Parlamentsfraktionen, die im "Manifest von San Lázaro" (dem Sitz des mexikanischen Parlaments) die Wiederaufnahme der Debatte um das verabschiedete Indígena- Gesetz vorschlagen, da dieses die Forderungen der Indígena-Völker nur unzureichend aufgreift, liegt noch keine Stellungnahme der EZLN vor. Fast zeitgleich zu diesem juristischen Kampf auf nationaler und internationaler Ebene fanden in Chiapas Gemeinde- und Parlamentswahlen statt, aber auch der Beginn der Rückkehr von Dutzenden von geflüchteten Familien in ihre Heimatgemeinden im Bezirk Chenalhó, obwohl noch immer paramilitärische Banden in verschiedenen Teilen Chiapas aktiv sind.

Noch herrscht kein Frieden in Chiapas, noch sind die Forderungen der Indígena- Völker nicht Wirklichkeit, doch es scheint, als ob der Kampf um ihre Rechte im Augenblick neue Formen angenommen hat: Mit den "Waffen des internationalen Rechts" versuchen große Teile der mexikanischen Indígena-Völker ihre Rechte einzufordern.


Quelle: Zapapres
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