Halbzeit-Wahlen in Mexiko

Das Ende des Staatspartei PRI?

Zapapres-Import vom 15.08.1997

 

Vorabdruck aus dem Rundbrief 4/97 (August) des Informationsbüros Nicaragua e.V., Wuppertal In den Wahlen vom 6. Juli hat die Institutionelle Revolutionäre Partei (PRI), die seit 70 Jahren den Präsidenten in Mexiko stellt, zum ersten Mal die absolute Mehrheit im mexikanischen Bundesparlament verloren. In den Wahlen zum Senat behauptete die PRI die absolute Mehrheit nur deshalb, weil lediglich die Hälfte der SenatorInnen gewählt wurde.

Sitzverteilung im neuen Bundesparlament (ab Dezember)

PRI (Partido Revolucionario Institucional)     239
PRD (Partido de la Revolución Democrática)     125
PAN (Partido de la Acción Nacional)     122
PVEM (Partido Verde Ecologista Mexicano)     8
PT (Partido del Trabajo)     6

Die Opposition auf dem Vormarsch

Eine Sensation stellt der Wahlsieg des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Cuauhtémoc Cárdenas von der links-zentrischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) in Mexiko-Stadt dar, wo zum ersten Mal in der Geschichte Mexikos überhaupt Wahlen zum Stadtoberhaupt stattfanden. Im Stadtparlament wird die PRD über die absolute Mehrheit verfügen.

Ergebnis der Bürgermeisterwahlen in Mexiko-Stadt

Cuauhtémoc Cárdenas (PRD)     47%
Alfredo del Mazo (PRI)     25%
Carlos Castillo Peraza (PAN)     16%

Bei den Gouverneurswahlen gewann die konservativ-klerikale Partei der Nationalen Aktion (PAN) in Querétaro und überraschend auch in Nuevo Leon. In den Bundesländern Sonora, San Luis Potosí und Colima unterlag sie gegen die PRI. In Colima protestiert die PAN wegen Wahlbetrug. In Campeche, wo der PRI-Kandidat zum Gouverneursamt aufgrund zahlreicher Manipulationen einen knappen Vorsprung vor der PRD-Kandidatin erzielte, finden ähnlich wie vor zwei Jahren im benachbarten Bundesland Tabasco massive Mobilisierungen der PRD-Basis und Aktionen des zivilen Ungehorsams statt.

In Chiapas und anderen ländlichen Regionen in Südmexiko, wo nur Abgeordnete zum Bundesparlament gewählt wurden, entschlossen sich die indianischen Bevölkerungsgruppen aufgrund der massiven Militarisierung weitgehend zum Wahlboykott, der auch von der EZLN mitgetragen wurde.

Die PRI sicherte sich hier die Mehrheit in altbekannter Manier durch die korporative Macht ihrer lokalen Bosse; d.h. durch Stimmenkauf, astronomische Wahlkampfausgaben, ökonomischen Druck und militärische Repression.

Nach diesen Wahlen scheint sich auch die wirtschaftliche Macht in Mexiko neu zu verteilen: Während die Oppositionsparteien PAN und PRD ab Dezember die bevölkerungstärksten und industrialisierten Bundesländer im Norden und im Zentrum Mexikos regieren werden, beherrscht die PRI weiterhin die Erdölregionen am Golf von Mexiko, die Karibikküste (Tourismus) und den Drogenhandel (v.a. Sonora und Sinaloa).

Was dem Präsidenten nützt..

Präsidenten Zedillo feiert die Wahlen gemeinsam mit dem gesamten politischen Establishment von PRD bis PAN als Durchbruch zu demokratischen Verhältnissen in Mexiko. Tatsächlich hat das Herrschaftssystem der PRI mit dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit einen Schlag erlitten; doch auch das Ableben wichtiger Träger des Regimes im Frühjahr dieses Jahres − wie z.B. des greisen Gewerkschaftsführers Fidel Velázquez oder des TV-Monopolisten Azcárraga (Televisa) haben erheblich zum Machtschwund der (ehemaligen) Staatspartei beigetragen.

Was unter Zedillos Vorgänger Salinas noch undenkbar war − nämlich formal-demokratische Verhältnisse in Mexiko − paßt dem Präsidenten und dem neoliberalen Mehrheitsflügel innerhalb seiner Partei (und den Vorgesetzten in Washington) heute mehr denn je in’s Konzept. Nach dem Abschluß wichtiger Privatisierungen ist die Absicherung der politischen Macht durch eine Staatspartei nicht mehr zwingend notwendig.

Desweiteren gibt es wirtschaftspolitisch zwischen PAN und PRI kaum Unterschiede; selbst wichtige Anführer der PRD, von denen die meisten wie der Wahlsieger von Mexiko-Stadt vor 10 Jahren noch Anhänger der PRI waren, verfolgen lediglich eine Art "sanften" Neoliberalismus.

Perspektiven für Mexiko-Stadt

Betrachtet man die 17-Millionen-EinwohnerInnen-Metropole mit ihren fast unlösbaren Problemen, so wird nachvollziehbar, warum die PRI bereit war, dort die Macht abzugeben. Sollen sich doch Cárdenas und die PRD die Zähne ausbeissen.

Erschwert wird die zukünftige Regentschaft von Cárdenas auch dadurch, daß Präsident Zedillo in wichtigen Aspekten der Sicherheits- und Finanzpolitik die Zügel weiterhin in der Hand hält. So muß Cárdenas sich bei der Ernennung des neuen Polizeichefs mit Zedillo einig werden, was erneut einen General der mexikanischen Bundesarmee auf diesem wichtigen Posten befördern wird.

Den Möglichkeiten einer alternativen Stadtentwicklung vor allem in den Bereichen der Verkehrs-, Sozial-, und Umweltpolitik sind finanziell enge Grenzen gesetzt, weil die Hälfte des Staatshaushalts unter präsidialer Kontrolle steht.

Beschließt das neue Bundesparlament − wie von PRD und PAN in einer gemeinsamen Initiative angekündigt − auch noch eine Reduzierung der Mehrwertsteuer von 15 auf 10 Prozent, so trägt dies zwar zu einem erhöhten Konsum in breiten Teilen der Bevölkerung bei − aber gleichzeitig würde die mexikanische Bundesregierung die zu erwartenden Verluste bei den Steuereinnahmen auf Mexiko-Stadt und andere Bundesländer abwälzen.

Ein weiteres Hindernis der PRD-Regierung in Mexiko-Stadt stellen die Ambitionen von Cárdenas dar, sich im Jahr 2000 erneut um die Präsidentschaft Mexikos zu bewerben. Drei Jahre sind viel zu kurz, um wesentliche Veränderungen zur Lösung der vielfältigen Probleme in der Metropole in Gang zu bringen. Doch ohne Erfolge in Mexiko-Stadt macht es eigentlich keinen Sinn, wenn Cárdenas zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat antreten würde.

Der Blick auf die Hauptstadt zeigt also, daß der Wahlerfolg der PRD sich leicht als Pyrrhus-Sieg erweisen könnte. Desweiteren stellt der Weg von der Opposition in die Regierung das heterogene Bündnis aus ehemaligen PRI-Politikern, Angehörigen der mexikanischen Bourgeoisie, sozialen Basisbewegungen und linken Parteien vor die schwerste Herausforderung seit seiner Gründung vor neun Jahren.

Bei den Wahlen zum Stadt- und zum Bundesparlament hat die PRD überraschend viele Direktmandate erzielt. Profitiert haben hiervon vor allem die Kandidaten der in der PRD organisierten Basisbewegungen, während so mancher altgedienter PRD-Berufspolitiker, der sich über einen nach Verhältniswahlrecht zu vergebenden Listenplatz schon als sicherer Abgeordneter wähnte, draußen vor blieb. Dies läßt auf eine spannende Arbeit der PRD-Fraktion in beiden Parlamenten hoffen.

Die sozialen Bewegungen haben sehr unterschiedlich auf den Wahlerfolg der PRD reagiert. So kündigte z.B. die Bewegung der hoch-verschuldeten Bauern und Unternehmer "El Barzón", von denen auch Mitglieder in’s Bundesparlamment einziehen werden, an, ihre Protestdemonstrationen in Mexiko-Stadt einzustellen, un die zukünftige Cárdenas-Administration nicht zusätzlich unter Druck zu setzen. Bei anderen Basisbewegungen (z.B. in der FAC-MLN − Breite Front für den Aufbau der Nationalen Befreiungsbewegung) gibt es heftige Kontroversen an der Frage der Beteiligung am von Regierung und Parteien konzertierten Demokratisierungsprozeß.

Kein Jubel im Süden

In der Hauptstadt mag der Wahlausgang von den Parteien gefeiert werden, im Süden Mexikos hält die PRI ihr korporatives Regime mit allen Mitteln aufrecht.

Z.B. hat die PRI in Campeche 34 Mio. Pesos (4,3 Mio. US-Dollar) für ihren Wahlkampf ausgegeben; sieben mal mehr als gesetzlich erlaubt war. Im Norden von Chiapas besetzten von der PRI organisierte paramilitärische Gruppen die Wahlorte.

In der Kaffeeregion wurden Anfang Juli unter dem "Schutz" der Bundesarmee an PRI-treue Bauern 214 Hektar der über 3.000 Hektar großen Kaffeeplantage Liquidámbar verteilt. Die unabhängige "Volks- und Bauernunion Francisco Villa", die vom Sommer 1994 bis zum Frühjahr 1995 die Plantage besetzt hielt, ging bei der Landverteilung natürlich leer aus. Ihre Mitglieder werden unter dem Vorwand, dem EPR-PDRP (Revolutionäres Volksheer − Demokratisch- Revolutionäre Volkspartei) anzugehören, verfolgt.

Das EPR-PDRP hat während des Wahlprozesses einen einseitigen Waffenstillstand verkündet, um sich verstärkt um politischen Rückhalt in der Bevölkerung zu bemühen. Doch ungehindert geht die militärische Besetzung weiter Regionen und den Einsatz von Todesschwadronen weiter, um jegliche unabhängige politische Arbeit zu unterbinden und die unter Waffen stehenden Befreiungsbewegungen von ihrer zivilen Basis abzuschneiden.

Eine Teilnahme von Mitgliedern der zapatistischen Führung am zweiten Interkontinentalen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit, das Ende Juli im Spanischen Staat stattgefunden hat, wurde von der Regierung verhindert. Schließlich konnte die EZLN zwei Mitglieder der indianischen Widerstandsgemeinde Guadalupe Tepeyac auf das Treffen schicken. Um so zynischer erscheint daher der neue Vorschlag der Regierung, die EZLN solle die Waffen niederlegen und sich als regionale Partei am "erfolgreichen" Demokratisierungsprozeß beteiligen. Im Gegenzug würde die Regierung das Abkommen von San Andrés erfüllen. Die Armeeführung hat durchblicken lassen, daß sie im Fall einer Weigerung der EZLN, auf den Regierungsvorschlag einzugehen, zur militärischen Lösung greifen wird.

Die Regierung scheint vergessen zu haben, daß das Abkommen von San Andrés erst ein kleiner Teil eines zwischen beiden Seiten vereinbarten umfassenden Dialogprozesses darstellt, in dem weit aus schwierigere Probleme wie die Landfrage in Mexiko oder das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada noch überhaupt nicht behandelt wurden. Die indianische Landbevölkerung in Südmexiko hat andere Sorgen, als den Wahlausgang zu analysieren.

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