FIAN und Vía Campesina rufen weltweit zur Verteidigung auf

La Jornada vom 30.11.2007
Hermann Bellinghausen
übersetzt von: Dana

 

FIAN und Vía Campesina rufen weltweit zur Verteidigung der bedrohten Gemeinden von Olga Isabel auf
Angespannte Situation in Bolom Ajaw aufgrund paramilitärischer Übergriffe

Bemerkung: Die Protestaktion von FIAN und Vía Campesina läuft noch bis zum 15. Dezember weiter, und kann online unterzeichnet werden.

Agua Azul, Chiapas, 29. November. Die Organisationen Vía Campesina und FIAN International haben weltweit zu einer dringenden Aktion zur Verteidigung der bedrohten Gemeinden des autonomen Bezirks Olga Isabel aufgerufen. Hierzu haben sie sowohl die Bundes- und Staatsregierungen angesprochen, als auch Instanzen der Vereinten Nationen (UN).

Im Grenzgebiet zwischen den autonomen Regionen San José und La Montaña des autonomen Bezirks Olga Isabel (sowie an der Grenze zwischen den offiziellen Bezirken von Tumbalá und Chilón) bleibt die Lage indessen weiterhin angespannt, aufgrund kontinuierlicher Aggressionen gegen die zapatistische Gemeinde Bolom Ajaw, in unmittelbarer Nähe des Flusses Agua Azul.

Noch in der Nacht von Dienstag, 27. November, feuerten bewaffnete PRI- Anhänger Schüsse in die Luft, um die Bewohner zu erschrecken. Mitglieder der (paramilitärischen, d.Übs.) Organisation für die Verteidigung der Indigenen und Campesino Rechte (OPDDIC) haben sich um Bolom Ajaw herum postiert, wohin sie am 24. November gewaltsam eingedrungen sind. Sie sind in drei bewaffnete Gruppen aufgeteilt (aus der Gemeinde Agua Azul, wo sich die Wasserfälle und das bekannte Touristenzentrum befinden). Am 28. November wurde in der bedrohten Gemeinde ein ziviles Beonachtungscamp installiert.

Vía Campesina weist darauf hin, dass im Ejido Mukulum-Bachajón, ebenfalls in Olga Isabel, etwa 271 indigene Familien mit (fragwürdigen, d.Übs.) juristischen Mitteln zugunsten der OPDDIC ihrer Ländereien beraubt wurden, die wiederholt als paramilitärische Organisation identifiziert wurde. "Mindestens 70 dieser Familien sind derzeit von einer gewaltsamen Vertreibung von ihrem Land bedroht. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten in den landwirtschaftlichen Prozessen der Organisation für die Verteidigung der Rechte von Indigenen und Bauern A.C. (OPDDIC), die gemeinsame Sache mit den örtlichen, regionalen und staatlichen Behörden macht, werden die gesetzesmäßigen und geltenden Landrechte dieser Familien missachtet".

Diesen Familien droht jetzt ein Vertreibungsurteil. "Der juristisch sanktionierte Landraub und die mögliche gewaltsame Vertreibung stellen schwerwiegende Bedrohungen für die Sicherheit des Landbesitzes dieser Familien dar und bedeuten eine ernsthafte Gefahr für ihre Rechte auf angemessene Nahrung und auf angemessenes Wohnen". Die Aktion, zu der Vía Campesina und FIAN International aufgerufen haben, hat eine wahre Briefflut an Richter Rafael García Simerman, Leiter des 3. Landwirtschaftlichen Gericht (TUA) in Tuxtla Gutiérrez ausgelöst, in der die endgültige Aussetzung der Räumung gefordert wird.

Kopien des Briefes wurden auch an Präsident Felié Calderón, Gouverneur Juan Sabines Guerrero und an den Leiter der Behörde für Landwirtschaftliche Reforsm (SRA), Abelardo Escobar Prieto gesendet. Außerdem wurde die Aktion den UN Beauftragten Jean Ziegler (Beauftragter für das Recht auf Nahrung), Miloon Kothari (Recht auf Wohnen) und Rodolfo Stavenhagen (Indigene Völker) zur Kenntnis gebracht.

Hintergrund der Besetzung

Um den Hintergrund des Problems zu dokumentieren, führt Vía Campesina aus, dass während des Indigenen Aufstands von 1994, zapatistische Campesinos und andere Gruppen mehr als 1.300 Privatfarmen besetzten, die zusammen eine Fläche von mehr als 250.000 Hektar umfassten. "Zwecks Entspannung des Konflikts bemühte sich die mexikanische Regierung rasch darum, die besetzten Ländereien von den betroffenen Besitzern zu kaufen, und erkannte dann die Landrechte der Landbesetzerfamilien an, wobei sie sich landwirtschaftlicher Treuhandschaften bediente. Auf diese Weise wurde in Chiapas eine bedeutende Agrarreform durchgeführt, bei der mehr als 200.000 Hektar Land umverteilt worden sind".

In Chilon besetzten in jenem Jahr verschiedene Gruppen 3.000 Hektar Land, und gründeten dasen autonomen Bezirk Olga Isabel. "Im Dezember 1996 schuf die Agrarreformbehörde (SRA) das erste Treuhandland ’Bachajón San Sebastián I’, das 1.680 Hektar umfasst, und erkannte 547 Landbesetzerfamilien als Begünstigte an. Im März 1998 wurde das zweite Treuhandland ’Bachajón San Sebastián II’ mit einer Fläche von
1.320 Hektar und 451 Familien als Begünstigten geschaffen. 2002 gründete eine Gruppe von Begünstigten, die Mitglieder der Indigenenorganisation Coordinadora Nacional de Pueblos Indígenas (CNPI) − die später Teil der OPDDIC wurde − das genossenschaftliche Land "Muk’ulum Bachajón" aus den Ländereien des ersten Treuhandlandes. Aufgrund von Manipulationen des Treuhänderregisters, die von der Agrarstaatsanwaltschaft legitimiert wurden, wurden 271 zapatistische Familien, die ursprünglich Begünstigte des ersten Treuhandlandes waren, aus dem genossenschaftlichen Land ausgeschlossen".

Die Agrarstaatsanwaltschaft und ein öffentlicher Notar unterzeichneten das geänderte Register in Anwesenheit von weniger als der Hälfte der Beteiligten. "Diesen Familien droht nun die offizielle Vertreibung von ihrem Land, da sie als ’Eindringlinge’ gelten. Sie sind zudem allen möglichen Arten von Drohungen und Übergriffen ausgesetzt, einschließlich der Zerstörung ihrer Anbauflächen. Im August dieses Jahres wurden Leonardo Navarro Jiménez und sein Sohn Juan Navarro Jiménez bei Übergriffen der OPDDIC schwer verletzt. Die OPDDIC ist angeklagt worden, zahlreiche Verbrechen begangen zu haben und Teil einer paramilitärischen Strategie zur Niederschlagung von Aufständen zu sein".

Die Situation der Familien von Olga Isabel stellt keinen Einzelfall dar, so Vía Campesina weiter. "Mehr als 20 Dörfer geben an, von Enteignungen und Vertreibungen bedroht worden zu sein und ständigen Übergriffen wie willkürlichen Festnahmen, Beschädigungen fremden Eigentums, Verletzungen, Verwundungen durch den Gebrauch verbotener Waffen, Raubüberfällen, Amtsmissbrauch usw. ausgesetzt gewesen zu sein. Zahlreiche zapatistische Gemeinden, die nach 1994 Ländereien zurückerhalten haben, leben in der Gefahr, ihr Land aufgrund landwirtschaftlicher und juristischer Prozesse, die auf falschen Anschuldigungen und gefälschten Dokumenten basieren, zu verlieren".

Das angespannte Klima hat sich in diesem Jahr verschlimmert. "Die starke Militarisierung des Staates gibt zusammen mit einer Reihe von Landrauben und Vertreibungen in jüngster Zeit Grund zur Furcht, dass sich der Konflikt verschärft und so eine allgemeine Welle der Gewalt ausgelöst werden könnte".

 

Quelle: https://www.jornada.com.mx/2007/11/30/index.php?section=politica&article=018n1pol


 

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