Gouverneur weigerte sich, uns zu empfangen
Interview mit CCIODH-Teilnehmerin Regine Brosius
junge welt vom 27.02.2008 | |
Gerold Schmidt |
Regine Brosius war mit einer 51köpfigen Delegation der Internationalen Menschenrechtsbeobachterkommission (Comisión Civil Internactional de Observación por los Derechos Humanos &-& CCIODH) mit Sitz in Barcelona drei Wochen in Mexiko und führte in drei Bundesstaaten sowie in Mexico-City gut 300 Interviews mit Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und staatlichen Stellen
Die Internationale Menschenrechtsbeobachterkommission (CCIODH) untersucht seit 1998 regelmäßig Menschenrechtsverletzungen in Mexiko. Was ist Ihr Fazit nach dem sechsten Besuch der Kommission, der am 20. Februar endete?
Es hat sich nichts verbessert. Menschenrechtsverletzungen wird nicht ernsthaft nachgegangen, Anzeigen stoßen meistens auf taube Ohren. Wir stellten immer wieder fest, daß die betroffenen Menschen den Glauben an die Justiz des Landes und andere staatliche Institutionen verloren haben. Das zeigte beispielsweise ein Gespräch mit Familienangehörigen von Häftlingen vor dem Gefängnis Molino de Flores im Bundesstaat Mexiko. Nach einem brutalen Polizeieinsatz im Mai 2006 gegen demonstrierende Bewohner des Dorfes San Salvador Atenco, bei dem es zwei Tote gab, befinden sich im Rahmen eines fragwürdigen Rechtsverfahrens immer noch Demonstranten in Haft. Die Polizeiübergriffe zogen hingegen keine Konsequenzen nach sich. Die Familienangehörigen erklärten uns: Wir klagen weiter, damit bekannt wird, was geschehen ist. Hoffnung auf Gerechtigkeit durch die Behörden haben wir nicht.
Was machte den besonderen Charakter des sechsten Mexiko-Besuches der CCIODH aus?
Wir wollten vor allem die Menschenrechtssituation im Kontext der Konflikte in den Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und in San Salvador Atenco untersuchen. Beim fünften Aufenthalt der Kommission im vergangenen Jahr wurden umfangreiche Empfehlungen für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation abgegeben. Wir wollten prüfen, ob sich daraufhin etwas getan hat. Im Laufe der drei Wochen wurden wir jedoch immer wieder mit Aussagen über neue Menschenrechtsverletzungen konfrontiert, fast schon überfordert. Die Bewohner kamen überall auf uns zu und sprachen uns an.
Wie war die Reaktion der staatlichen Stellen auf Ihren Besuch?
Unterschiedlich. In Chiapas hofierte uns der Gouverneur geradezu. Er wollte die gesamte Kommission empfangen, wir schickten aber nur eine Abordnung von fünf Personen. Auf Intervention der CCIODH kam es zur Freilassung von zwei kurz zuvor ohne stichhaltige Gründe verhafteten und dabei schwer verletzten Mitgliedern der zapatistischen Bewegung. In fünf weiteren Fällen wurde uns die Freilassung von Personen versprochen. Wir werden das verfolgen. Gleichzeitig nahm die Kommission eine Fülle von Aussagen auf, die besagen, daß Konflikte zwischen und in den Gemeinden bewußt geschürt werden. Beispielsweise wird über ein gemeinsames Vorgehen von Polizei und der militanten Bauernorganisation OPPDIC berichtet, durch das die selbstverwalteten Gemeinden der zapatistischen Bewegung geschwächt werden sollen.
Und in Oaxaca und im Bundesstaat Mexiko?
In Oaxaca weigerte sich der Gouverneur explizit, uns zu empfangen. Er schickte nachgeordnete Funktionäre vor. In zahlreichen Interviews wurde uns über willkürliche Verhaftungen und Drohungen gegen ganze Familien berichtet, sobald einzelne Mitglieder der oppositionellen Bewegung gegen die Lokalregierung angehören. Monatelang werden Personen inhaftiert, um dann aufgrund des sogenannten »Wegfalls von Tatbestandsmerkmalen« ohne irgendeine Entschädigung freizukommen. Auch im Bundesstaat Mexiko mußten wir eine eine harte Linie der Behörden feststellen.
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Mir ist vor allem das Gespräch mit einem Mitglied der Frauenkoordination aus Oaxaca präsent. Die Frau schilderte, wie sie vor wenigen Wochen auf offener Straße in ein Auto gezerrt und dort eine halbe Stunde lang geschlagen und mit Vergewaltigung bedroht wurde, um ihr zu zeigen, »was Frauenrechte bedeuten«. Das erinnert stark an das Polizeivorgehen in Atenco, wo es damals zu Vergewaltigungen und sexuellen Demütigungen der Frauen kam.
Wie wird die CCIODH ihren Besuch auswerten?
In etwa zwei Monaten soll ein umfangreicher Bericht mit Empfehlungen und Schlußfolgerungen erscheinen, der dann hoffentlich schnell auch in der deutschen Version verfügbar ist. Wir werden die Informationen an die UNO, das EU-Parlament und die nationalen Parlamente weiterreichen.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/02-27/005.php
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