Hungerstreik in Chiapas: Offener Brief von FrayBa

Erklärung zur Gefängniskrise in Chiapas

Denuncia von Fray Bartolomé vom 12.03.2008
übersetzt von: Dana

 

C. Gouverneur Juan Sabines Guerrero:

In der Nacht von gestern, 11. März 2008, führte ein allgemeiner Stromausfall beinahe zum Ausbruch eines Gefangenenaufruhrs. Die Reaktion der Insassen zielte darauf hin den Streikposten der Gefangenen zu schützen, die sich in Hungerstreik befinden, da Gerüchte im Umlauf waren, dass man beabsichtigte die streikenden Gefangenen in andere Strafanstalten zu verlegen.

Heute erreicht Zacario Hernández bereits den 30. Tag der völligen Nahrungsverweigerung. Weitere 37 Gefangene aus drei verschiedenen CERESOS haben sich inzwischen dem Hungerstreik angeschlossen; 10 weitere Häftlinge, sowohl Männer als auch Frauen, sind in ein mehrtägiges Protestfasten getreten. Sie alle sind überwiegend Indigenas, und Mitglieder sozialer Organisationen von Chiapas. Durch ihre Aktion legen sie alle beredtes Zeugnis über die schweren Missstände des Rechtssystems von Chiapas ab.

Herr Gouverneur, wir sind äußerst besorgt über das Fehlen eines klaren und deutlichen Zeichens seitens der Staatsregierung bezüglich der schwerwiegenden Situation in den CERESOs Nr. 14, 5, und 17, und bezüglich der Haltung, die Sie einzunehmen gedenken, um eine weitere Zuspitzung dieser Lage zu verhindern, bevor die Situation unumkehrbar geworden ist.

Zu Beginn Ihrer Amtsperiode haben Sie den Vorschlag der Regierung von Chiapas eingebracht, das Gesetz für Freiheit unter Aussetzung der Haftstrafe zu reaktivieren, das von dem damaligen Gouverneur Javier López Moreno im Jahr 1944 verabschiedet wurde, unter anderem zugunsten von Gefangenen, die Mitglieder sozialer Organisationen sind. Die Öffentlichkeit fasste ihre Initiative als ein Mittel auf, um Voraussetzungen für die Entlastung aller Bürger von Chiapas zu schaffen. Ungeachtet dessen, wie viele davon profitiert haben, stellt sich dieses Mittel im Licht der gegenwärtigen Vorgänge eindeutig als unzureichend heraus.

Wir wissen, dass der Großteil der Gefangenen, die heute protestieren, nicht während ihrer Amtszeit verhaftet worden sind, und auch, dass Sie persönlich nicht für die Unzulänglichkeit der Rechtsprechung und die Missbräuche der Staatsbeamten zu verantwortlich machen sind, die sich im Lauf vieler Jahre eingebürgert haben. In ihrer Eigenschaft als Gouverneur haben Sie jedoch die Verantwortung und die Gelegenheit diese zu berichtigen.

Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas hat bei verschiedenen Gelegenheiten, ungerechte und politisch motivierte Gerichtsprozesse gegen arme indigene Personen dokumentiert, insbesondere gegen Mitglieder sozialer Organisationen, von denen Ihnen einige persönlich bekannt sind. Eine tief greifende Reform des Rechtssystems ist dringend vonnöten, die das Recht der Angeklagten auf ein ordentliches Gerichtsverfahren und die Zusicherung der Unparteilichkeit für die gesamte Gesellschaft garantiert.

Dieses Zentrums ist ebenfalls der Meinung, dass die Ausbreitung des Hungerstreiks unter den Gefangenen auf eine historische Situation der sozialen Ungerechtigkeit hinweist, und heute durchaus auch als ein Zeichen der demokratischen Reife zu verstehen ist. Der Protest ist ein Recht und ist in sich eine demokratische Handlung. In diesem Sinne sollten die Forderungen von der Staatsregierung mit Sorgfalt und Ruhe überprüft und erfüllt werden, da sie sich an einen der empfindlichsten Stränge der Demokratie richten, die Rechtsprechung.

Die schwere Krise, die heute in den Strafanstalten herrscht, verlangt nach der Ausübung einer versöhnenden Geste, einer Amnestie. Wir wissen, dass innerhalb der Gesetzgebung des Staates das gesetzliche Mittel der Amnestie nicht existiert, aber dass es ausreichend Anwendungen gibt, um den gleichen Effekt zu erzielen. Das gleiche Gesetz, das im Fall der Freiheit unter Aussetzung der Haftstrafe angewendet wird, das Gesetz auf Aussetzung der Haftstrafe und für Freiheit unter laufendem Verfahren, das 1991 von Patrocinio González Garrido geschaffen und von Pablo Salazar in 2001 wieder in Kraft gesetzt wurde, die Möglichkeit der Rückziehung der Anklage, die auch unter ihrer Regierung Anwendung fand, sowie die Möglichkeit der Freiheit auf Bewährung und vorzeitige Entlassung.

Die sofortige Aufmerksamkeit der Staatsregierung für die Forderungen der Gefangenen im Hungerstreik könnte entscheidend dabei sein, ihre persönliche Integrität, das Wohl ihrer Familien und die Anwendung der Gerechtigkeit zu garantieren. Sie könnte aber auch den Ausschlag dafür geben, eine dunkle Epoche der Ungewissheit hinter uns zu lassen, und Wege für den Aufbau einer wahren Demokratie zu eröffnen.

Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas AC
San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, 12. März 2008


 

Quelle: http://www.frayba.org.mx/archivo/boletines/080312_pronunciamiento_huelga_de_hambre_Frayba.pdf


 

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