Frauen als Streitobjekt

junge welt vom 09.05.2008
Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt

 

Liberale Abtreibungsregelung in Mexikos Hauptstadt wird vor Oberstem Gericht verhandelt.
»Lebensschützer« sehen Bruch der Verfassung
Hunderte Frauen demonstrierten am 29. März 2007 in Mexiko-Stadt für ihr
Recht auf sichere und straffreie Abtreibung

Auch gut ein Jahr, nachdem die gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in Mexiko-Stadt liberalisiert wurden, sind die Fronten in der öffentlichen Auseinandersetzung verhärtet. Am 24. April 2007 hatte die Stadtverordnetenversammlung von Mexiko-Stadt mit großer Mehrheit der Gesetzesini tiative der sozialdemokratischen PRD zur Änderung des Strafrechtsartikels 144 zugestimmt. Seitdem können in der Hauptstadt als einzigem mexikanischem Bundesstaat Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei durchgeführt werden. Außerhalb der Stadtgrenzen sind sie bislang weiterhin nur nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter gestattet. Illegal vorgenommene Abbrüche werden mit mindestens sechs Monaten und bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Nun steht die Neuregelung in der Hauptstadt auf dem Prüfstand. Seit dem 11. April verhandelt das Oberste Gericht Mexikos in zunächst sechs öffentlichen Sitzungen bis Ende Juni die von Generalstaatsanwaltschaft und der Nationalen Kommission für Menschenrechte eingereichte Verfassungsklage. Heuchlerische Politik

Im Bundesparlament gab und gibt es für eine Liberalisierung der Gesetze derzeit keine Mehrheit; Mexiko-Stadt hat als Bundesdistrikt (Distrito Fede ral) eine legislative Autonomie, die die neue Regelung ermöglicht hat. Doch die gesamte Rechte vom konservativen Präsidenten Felipe Calderón über die Wirtschaftseliten bis hin zu den Medien und vor allem die katholische Kirche — bis auf wenige Ausnahmen also Männer — laufen dagegen Sturm.

Dabei geht die Zahl der Abtreibungen durch restriktive Gesetze nachweislich nicht zurück — im Gegenteil. Objektiv wird damit sogar das erklärte Ziel des besseren Schutzes ungeborenen Lebens torpediert. Der Nationale Bevölkerungsrat spricht von 102000 Abbrüchen jährlich in Mexiko — die meisten davon sind illegal. Eine Studie der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) aus dem Jahr 2005 spricht dagegen von fast einer Million Abtreibungen, was knapp 30 Prozent aller Schwangerschaften entsprechen würde.

Gleichzeitig werden die Frauen in die Illegalität und in die Arme nicht qualifizierter Geschäftemacher getrieben. Unsachgemäß vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche sind die fünfthäufigste Todesursache bei Frauen in Mexiko. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sterben jede Woche zwei Frauen an den Folgen dieser Eingriffe. Einige NGOs gehen davon aus, daß es fünfmal so viele sind. Auf der anderen Seite stehen Millionengewinne für diejenigen, die klandestine Abtreibungen vornehmen.

Kirche wie Konservative nehmen mit ihrer Politik nicht nur den Tod Tausender Frauen billigend in Kauf, sondern auch, daß es die Armen sind, die zugrunde gehen. Denn während bessergestellte Frauen Abtreibungen im Ausland oder zumindest in einem hygienisch unbedenklichen Umfeld vornehmen lassen können, sind die meisten Betroffenen gezwungen, dies unter entwürdigenden und oft gefährlichen Bedingungen zu tun.

Errungenschaft in Gefahr

In der ersten Anhörung der Abtreibungsgegner am 11. April waren es die immer gleichen Argumente, die gegen die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen angeführt wurden. Der Umstand, daß sich das Kind im Körper der Frau befinde, erlaube es ihr nicht, über dessen Schicksal zu bestimmen, erklärte der Präsident der Menschenrechtskommission, José Luis Soberanes. Generalstaatsanwalt Eduardo Medina Mora stellte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung von Mexiko-Stadt in Frage, da sie »den Menschen« erst ab der 13. Schwangerschaftswoche schütze.

Dieser Argumentation widersprachen die Befürworter in ihrer ersten Anhörung am 25. April. Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche handele es sich bei einem Embryo noch keineswegs um eine eigenständige Person. Vielmehr sei die Regelung von Mexiko-Stadt eine »historische Errungenschaft«, die es den Frauen endlich erlaube, selbst über ihren Körper zu verfügen, so Leticia Bonifaz Alfonso, juristische Beraterin der Regierung von Mexiko-Stadt. Deren Befürworter haben jedoch auch klargestellt, daß diesem Schritt weitere folgen müßten. Dazu gehören eine umfassende Sexualerziehung und -aufklärung, eine Debatte über die Verantwortung von Vätern für ihre Kinder — und vor allem die Ausweitung der Neuregelung auf alle Bundesstaaten. Denn das Abtreibungsverbot im »Rest« des Landes fungiert weiter als Mittel sozialer und politischer Kontrolle von Frauen. Vor allem die katholische Kirche hat mit hysterischer Polemik Glaubenssätze über zivile Rechte gestellt. Sollte das Gericht die Neuregelung für verfassungswidrig erklären, dürfte es Jahre dauern, bis deren Befürworter einen neuen Anlauf wagen.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/05-09/007.php


 

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