Paramilitärische Offensive gegen die indigene Autonomie

Direkte Solidarität Chiapas vom 06.09.2002

 

Seit dem 31. Juli ist im südöstlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas eine paramilitärische Offensive im Gange, die auf Seiten der zapatistischen Indígenas bisher vier Tote und Dutzende Verletzte gefordert hat. Zahlreiche oppositionelle Familien wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Die mexikanische Regierung leugnet dennoch die Existenz der Paramilitärs.

Diese stärkste Offensive der paramilitärischen Gruppierungen seit dem Massaker von Acteal vor fünf Jahren wird dabei begleitet von Mobilisierungen der Bundesarmee. Die rechtskonservative Regierung Fox wie auch die chiapanekische Regierung Salazar leugnen trotz der Morde und Angriffe der Paramilitärs deren Existenz: Die Ermordungen seien auf innerkommunitäre Konflikte zurückzuführen, es gehe um Streitigkeiten zwischen Familien, in einem Fall bspw. darum, dass ein Ehemann seine Frau verliess und eine neue Beziehung einging. Lorenzo Martínez Espinosa und Jacinto Hernández Gutiérrez, die Vertreter der autonomen indigenen Behörden, welche in diesem alltäglichen Fall in der Gemeinde Amaytik eine vermittelnde Position einnahmen und die beiden Streitparteien zu einer Aussprache einluden, wurden jedoch gezielt von Paramilitärs überfallen und bestialisch ermordet. Diese Paramilitärs gehören der Gruppe OPDIC an, welche unter der Leitung des PRI-Abgeordneten Pedro Chulín Jiménez agiert und innerhalb der letzten Wochen auch zahlreiche weitere Mordversuche auf dem Gewissen hat. So wurden Zapatistas überfallen, die eine autonome Schule bauten (La Culebra, 31. Juli) und Strassenkontrollen der Zapatistas angegriffen, welche die illegale Ausfuhr von Tropenhölzern und die Einfuhr von Alkohol und Drogen in die indigenen Gemeinden zu unterbinden versuchen.

Weshalb dieser neue Ausbruch von paramilitärischer Gewalt in Chiapas, wenn doch schon alle Welt meint, es herrsche, siebeneinhalb Jahre nach dem Aufstand der EZLN, wieder Frieden im mexikanischen Südosten?

Nun, die neue Zentralregierung wie auch die des Bundesstaates waren nicht fähig, die sozialen Ursachen des zapatistischen Aufstandes anzugehen und ihre Politik gleicht immer stärker derjenigen der ehemaligen Staatspartei PRI. So hat auch der ehemals linke Politiker Emilio Zebadua, heute chiapanekischer Innenminister, am Mittwoch in Genf behauptet, es gäbe keine Paramilitärs, sondern bloss Konflikte um Land.

Die Gründe für die paramiliärischen Aktivitäten liegen nach Meinung der autonomen indigenen Behörden und zahlreicher Menschenrechtsbeobachter auf der Hand: Die Autonomie der indigenen Dörfer, wie sie von der zivilen Basis der EZLN immer stärker in die Praxis umgesetzt wird, ist eine Bedrohung für die neoliberalen Pläne der Regierung Fox — und der Regierung Bush, die den gesamtamerikanischen Freihandelsraum FTAA bis 2005 verwirklichen will. Denn eine Bevölkerung, die mitbestimmen will bei der sogenannten ?Entwicklung" oder diese gar in die eigenen Hände nimmt, kann schnell auch mal einem Grossprojekt den Garaus machen, wie das Beispiel des projektierten Grossflughafens in San Salvador Atenco gezeigt hat, das vor wenigen Wochen am entschlossenen Widerstand der betroffenen Gemeinden scheiterte.

Die paramilitärischen Überfälle des vergangenen Monats fanden denn auch an strategisch wichtigen Punkten in Chiapas statt:

In der Zona Norte (autonomer Bezirk Olga Isabel, im offiziellen Bezirk Chilón gelegen), wo die Bevölkerung sich erfolgreich gegen den Bau einer Schnellstrasse durch ihre Gemeinde wehrte − dieser Strassenbau ist Teil des von Fox initiierten Plan Puebla-Panama.

Im autonomen Bezirk Ricardo Flores Magón (offiziell: Ocosingo), am Eingang zu dem Naturschutzgebiet der Montes Azules, wo sich zahlreiche Gemeinden ihrer Vertreibung widersetzen. Der Urwald der Montes Azules zählt zu einem der begehrtesten Landstriche in Mesoamerika, aufgrund seiner biologischen Vielfalt (Pharmaindustrie, Biotechnologie) wie auch seiner Bodenschätze (Uran, Erdöl).

Der Widerstand eines breiten Teils der chiapanekischen Bevölkerung gegen die Pläne der Regierung Fox, das Land und deren Ressourcen an in- und ausländisches Kapital zu verschachern, findet seinen klarsten Ausdruck in der Organisierung der autonomen indigenen Gemeinden. Die paramilitärischen Angriffe und die neuen Truppenverschiebungen der mexikanischen Bundesarmee in den Südosten lassen vermuten, dass nun auch die Regierung Fox in einem Zermürbungskrieg gegen die Gemeinden die indigene Autonomie zu ersticken versucht.


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