Fox’ Zermürbungstaktik

Die mexikanische Regierung versucht die indigene Bewegung zu spalten und die EZLN zu isolieren

ILA 260 vom 10.11.2002
Peter Clausing

 

In aller Welt wurde am 02.08.2002 mit Freude und Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass die Fox- Regierung ihre Pläne zur Zwangsumsiedlung der Bewohner von San Salvador Atenco und umliegender Dörfer fallen ließ. Durch den dort ursprünglich geplanten Bau des neuen internationalen Flughafens für Mexiko- Stadt war geplant gewesen 5000 ha Land zu enteignen, was die Bewohner von Atenco und 12 weiterer Dörfer ihrer Lebensgrundlage beraubt hätte. Bei aller Freude über diesen Sieg und voller Anerkennung, dass die Campesinos/-as den Kampf für ihr Land mit beispielhafter Entschiedenheit geführt haben, bleibt aber die Frage nachdem warum für das Einlenken der mexikanischen Regierung. Wurde hier nicht ein Präzedenzfall geschaffen, dessen Nachahmung der Regierung Fox nur unlieb sein kann?

Am 06.09.2002 wurden die Beschwerden gegen das Ley Indigena — letztes Jahr im August von der mexikanischen Legislative verabschiedet — vom obersten Gerichtshof Mexikos mit dem Verweis auf seine angebliche Nichtzuständigkeit abgewiesen. Damit wurden die Besorgnisse und Bemühungen von über 300 Gruppen und Organisationen verhöhnt. Die Möglichkeiten, die Verstümmelung des ursprünglichen, auf dem Abkommen von San Andres basierenden Gesetzentwurfes der COCOPA rückgängig zu machen sind damit erschöpft, wenn man von Bemühungen absieht, den Fall bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der vereinten Nationen und beim Interamerikanischen Gerichtshof vorzubringen. Beide Wege sind jedoch langwierig und selbst im positiven Fall werden die Ergebnisse wenig verbindlichen Charakter tragen.

Analysten aus Chiapas schätzen ein, dass beide Entscheidungen, so wie sie getroffen wurden, miteinander im Zusammenhang stehen: Die gewaltsame Räumung von Atenco und eine Ablehnung der Beschwerden zum Ley Indigena zu etwa der gleichen Zeit hätte die Gefahr einer sozialen Explosion in Mexiko in sich geborgen. In der Form, wie die beiden gesellschaftlichen Konfliktpunkte aktuell gehandhabt wurden, ist ein Aufschrei der Indigenas in Mexiko vermieden worden.

Die gute Nachricht zuerst: Atenco erklärte sich wenige Tage nach dem Einlenken der Regierung zur autonomen Gemeinde. Autonome Gemeinden, ursprünglich von den zapatistischen Unterstützungsgemeinden im Konfliktgebiet in Chiapas etabliert, existieren inzwischen auch in weiteren Bundesstaaten. Mit anderen Worten — praktizierte Autonomie macht Schule.

Die schlechte Nachricht: Mit dem Scheitern des Einspruchs gegen die Verstümmelung des indigenen Gesetzes ist eine ernsthafte Gefährdung des zapatistischen Projektes als nationales Vorhaben eingetreten. Hinzu kommt, dass die Aufstandsbekämpfung in Chiapas unter Fox besser zu funktionieren scheint als unter Zedillo.

Im Gefolge der Verstümmelung des Ley Indigena ?a la Fox" bzw. mit der Ablehnung der Beschwerden gegen diese wurde begonnen, "verbesserte‰ indigener Gesetze auf der Ebene einzelner Bundesstaaten zu schaffen, so z.B. in Michoacan, wo die PRD im Begriff ist, die dort lebenden Indegenas auf diese Weise für ihre parteipolitischen Belange zu kooptieren und für das nationale Projekt des Abkommens von San Andres zu neutralisieren, dessen Implementierung — so sollte man nicht vergessen — ja nicht den Endpunkt der Gespräche zwischen EZLN und Regierung darstellt, sondern entsprechend der Forderung der Zapatistas die Voraussetzung für Verhandlungen zu weiteren, d.h. sozialen und ökonomischen Themen.

Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, dass unter dem Druck der Aufstandsbekämpfung und durch die Verlockungen, die von den neuen Regierungen in Chiapas und Mexiko-Stadt ausgehen, ehemalige Verbündete der Zapatistas zu Konfliktpartnern werden. Einige Campesino-Organisationen, wie z.B. ORCAO und ARIC-Independiente, hatten sich im Zuge des zapatistischen Aufstandes an Landbesetzungen beteiligt und waren Sympathisanten der Zapatistas ohne direkt ein Teil von ihnen zu werden. Neuerdings erhalten diese Gruppen von der Regierung Salazar in Chiapaz die Möglichkeit, den Status der von ihnen besetzten Ländereien zu legalisieren und private Landtitel zugesprochen zu bekommen. Damit werden sie zwar nicht automatisch zu Verbündeten der Regierung des ehemaligen PRIisten Salazar, aber das Nettoresultat ist eine konfliktgeladene Abspaltung vom Kreis der Zapatista-Sympathisanten und eine Schwächung des Konzepts vom kommunalen zugunsten des privaten Landeigentums. Hinzu kommt, dass durch derart begünstigte Gruppen die Sprecherfunktion der EZLN in Frage gestellt wird und dass die territorialen Vorstellungen dieser Gruppen (neuerdings) von denen der EZLN abweichen.

Dem Schachzug dieser schrittweisen Isolierung der Zapatistas folgte in den letzten Monaten eine deutlich spürbare Reaktivierung paramilitärischer Gruppen, verbunden mit "nachaltiger‰ Straflosigkeit und Unterstützung durch die Sicherheitskräfte. Während Salazar in seinem Wahlkampf ausdrücklich auf die notwendige Bekämpfung der Paramilitärs Bezug nahm, ist dieser Begriff seit dem Amtsantritt aus seinem Vokabular verschwunden. Daran ändert auch die kürzliche Verhaftung von 22 Mitgliedern der paramilitärischen Gruppe "Paz y Justitia‰ nichts, deren Verurteilung eher unwahrscheinlich bleibt, denn im Gegensatz zu Gouverneur Salazar, kennt der Generalstaatsanwalt von Chiapas, Mariano Herran Salvatti, den Begriff des "Paramilitärs‰ zwar, vertritt aber die Ansicht, dass Paramilitär zu sein an sich noch keine strafbare Handlung darstellt. Völlig ausgebelendet aus dem öffentlichen Diskurs sind Verbindungen zwischen Paramilitärs den mexikanischen Streitkräften sowie deren direkte Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. Chiapanekischen Menschenrechtsgruppen zufolge, lehnen es die staatlichen Institutionen selbst dann noch ab, sich mit den Tätern derartiger Übergriffe zu befassen, wenn diese per Video dokumentiert sind. Das Resultat einer solchen Politik ist, dass die Campesinos/- as es in begründetem Misstrauen gegenüber den Behörden unterlassen, paramilitärische Morde überhaupt anzuzeigen. Teils wegen der offensichtlichen Nutzlosigkeit dieses Unterfangens, teils aus Furcht davor, selbst Opfer von Repressalien im Gefolge einer solchen Anzeige zu werden. So kursieren seit Monaten unterschiedliche Angaben über die Zahl ermordeter Opfer in der Munizipalität Chilon, die sich mit dem autonomen Municipio Olga Isabel überlappt, aber selbst Insider waren erstaunt, als sie Ende September in einem vertraulichen Gespräch mit einem katholischen Laienpriester erstmals die Namen von Opfern erfuhren.

Eine Delegation des Mexico Solidarity Networks, die in dieser Zeit die zapatistischen Gemeinden Cruzero San Antonio und K‚an Akil im autonomen Municipio Olga Isabel besuchte, wurde Zeuge der Situation vor Ort. Fotos der verstümmelten Leiche des jüngsten — und dieses Mal öffentlich denunzierten — Opfers der paramilitärischen Gruppe Los Aguilares sprachen eine deutliche Sprache: Antonio Mejia Gomez war Diacono Principal (ein Laienpriesteramt) seiner Gemeinde K‚an Akil und wurde auf dem Heimweg vom Gottesdienst, etwa 500 Meter von seinem Haus entfernt, mit grosskalibrigen Waffen (R15- und M16-Gewehre, die legal nur von der Armee besessen werden können) erschossen. Die Bergung der Leiche, der beide Ohren und ein Stück der linken Wange abgeschnitten waren, wurde von den Paramilitärs zwei Tage lang verhindert.

Eine ganz besondere Rolle spielen jene paramilitärischen Gruppen, die im Biosphärenreservat Montes Azules und ihm vorgelagerten Gebieten operieren. Anfang Mai diesen Jahres wurde von der mexikanischen Regierung die Zwangsumsiedlung von 49 zapatistischen Ansiedlungen angekündigt (als Ansiedlung ist im vorliegenden Fall alles zwischen einer einzeln siedelnden Familie und einem ganzen Dorf zu verstehen). Der Grund für diese Umsiedlungsabsichten ist ein offenes Geheimnis. Es sind definitiv nicht die vorgeblichen Sorgen der Regierung wegen der vorgeblichen Unvereinbarkeit des Naturschutzgedankens mit der Präsenz der Familien, die dort seit Jahrzehnten wohnen. Denn im Jahr 1998, dem Jahr der großen Dürre riefen die von der Armee im Biospährenreservat gelegten Waldbrände, die ein Teil der Aufstandsbekämpfung waren, bei der Regierung keinerlei Skrupel hervor. Inzwischen ist aber der Appetit der multinationaler Konzerne, die schon seit längerem ein Auge auf die Schätze dieser Region — Erdöl, Mineralien, immense Trinkwasservorräte sowie die dort vorhandene Biodiversität — geworfen hatten, noch erheblich gewachsen. Da wirken die auf Autonomie pochenden Bewohner der zapatistischen Ansiedlungen schon störend. Analysten in San Cristobal vertreten jedoch die Ansicht, dass eine Zwangsumsiedlung wie sie im Mai angekündigt wurden wegen der hohen politischen Kosten ("Atenco‰-Effekt) zumindest im Moment eher unwahrscheinlich ist. Stattdessen setzt man besonders hier auf "freiwilliges‰ Verlassen im Ergebnis des wachsenden paramilitärischen Terrors. Beredtes Zeugnis für diese Bemühungen ist das Auftauchen einer neuen paramilitärischen Gruppe, die unter dem Kürzel OPDIC firmiert. Der Chef der Gruppe, Pedro Chulin, wohnt in Taniperla, das am 12. April 1998 wegen der Vertreibung der dort wohnenden Bevölkerung durch ca. eintausend Sicherheitskräfte und, damit in Verbindung stehend, der Ausweisung von 12 Ausländern, traurige Berühmtheit erlangte. Neben seiner Funktion als OPDIC-Chef ist Pedro Chulin Abgeordneter der PRI im chiapanekischen Parlament und erfreut sich dadurch juristischer Immunität.

Bezüglich der Paramilitärs befindet sich die EZLN in einem Dilemma: Bewaffnete Banden (weiße Garden), die im Auftrag der Latifundistas aufmüpfige Campesinos/-as terrorisieren haben in Chiapas eine lange Tradition. Eine Wurzel für die Entstehung der EZLN waren Selbstverteidigungsgruppen, die versuchten, die Bewohner der Dörfer vor den Drangsalierungen der weißen Garden zu schützen.1) Das, was die EZLN aber bekanntermaßen von allen anderen Guerilla-Armeen der Welt unterscheidet, war der unmittelbare Schwenk von militärischen Aktionen zum politischen Projekt kurze Zeit nach ihrem bewaffneten Auftritt im Januar 1994. Innerhalb dieses Projekts ist sie beim Widerstand gegen Paramilitärs im wesentlichen auf öffentliche Denunzierung und zivile Aktionen angewiesen. Erleichternd wirkt hierbei ein, wenngleich eher punktueller Schutz für indigene Gemeinden durch die Anwesenheit von Menschenrechtsbeobachtern.

Angesichts der beschriebenen Situation ist solidarische Unterstützung unter Berücksichtigung der sich ändernden Konstellation so nötig wie eh und je.

1) siehe Neil Harvey: The Chiapas Rebellion. The Struggle for Land and Democracy, Duke University Press, Durham and London, 1998.

 

Quelle: http://www.ila-bonn.de/


 

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