Mexiko: Allein gegen die Mafia

Indymedia vom 08.12.2008
Andreas Henrichs

 

Die mexikanischen Drogenkartelle überziehen das Land mit einer Welle der Gewalt. Der politisch angeschlagene Präsident Felipe Calderón setzt weiter auf eine militärische Lösung des Konfliktes

Nach Angaben (1) der Tageszeitung Milenio starben in Mexiko, seit dem Amtsantritt des rechtskonservativen Felipe Calderón am 01. Dezember 2006, fast 8000 Menschen bei Kämpfen innerhalb der rivalisierenden Kartelle und bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und Mitgliedern der Drogenbanden. Auch kritische Journalisten und unbeteiligte Zivilisten müssen zunehmend um ihr Leben fürchten. Alleine im vergangenen Monat November wurden 701 Todesopfer gezählt − eine Steigerung um 81 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Calderón, von der Partei der Nationalen Aktion (PAN), hatte unmittelbar nach seinem umstrittenen Wahlsieg vom 02. Juli 2006 den mexikanischen Drogenkartellen den "Krieg" erklärt und angekündigt auch die Streitkräfte in den Kampf gegen die "Narcos" mit einzubeziehen. Inzwischen stehen den vier großen mexikanischen Drogenkartellen landesweit knapp (2)
40.000 Soldaten und Bundespolizisten gegenüber, doch nur ein kleiner Teil (3) der mexikanischen Bevölkerung glaubt, dass die Regierung als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen wird.

Nach Ansicht (4) von David Fernández Dávalos, Direktor der Universidad Iberoamericana in Mexiko-Stadt, war es ein Fehler den Kampf gegen den organisierten Drogenhandel zu eröffnen ohne vorher die Korruption in den Führungsetagen des mexikanischen Polizeiapparates zu beseitigen und auch die Einbindung der mexikanischen Armee in Calderóns Drogenkrieg hält er für falsch, weil die für diesen Zweck unzureichend ausgebildeten Soldaten die individuellen Freiheitsrechte verhafteter Personen zunehmend missachten würden. Bereits Anfang des Jahres hatte José Luis Soberanes, Präsident der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH), gefordert (5) die Streitkräfte wieder von den Straßen abzuziehen und begründete dies mit eine Serie von schwerwiegenden Verstößen gegen die Menschenrechte, die Militärangehörige im Rahmen von Anti-Drogen-Einsätzen an Zivilpersonen verübt hatten.

Neben der Armee sorgten in den letzen Wochen auch die mexikanischen Strafverfolgungsbehörden für negative Schlagzeilen (6). Anfang November musste Víctor Gerardo Garay, Leiter der mexikanischen Bundespolizei (PFP), nach Korruptionsvorwürfen zurücktreten und nur wenig später wurde der Chef von Interpol-Mexiko, Ricardo Gutierrez Vargas verhaftet. Ihm wird vorgeworfen monatlich 450.000 US-Dollar für die Weitergabe geheimer Informationen an das Sinaloa-Kartell erhalten zu haben. Ähnliche Anschuldigungen führten auch zu der Festnahme (7) von Mexikos ehmaligen Anti-Drogen-Zar Noe Ramirez Mandujano und den hochrangigen Mitarbeitern der Bundespolizeieinheit gegen organisierte Kriminalität (SIEDO), Miguel Colorado Gonzalez und Fernando Rivera Hernandez. Auch die Nachrichten vom anderen Ende der Hierarchie-Skala sind für Felipe Calderón wenig erfreulich. Am 27. November veröffentlichte (8) die mexikanische Regierung eine Studie in der sie einräumte, dass von 55.000 landesweit überprüften Polizisten 49,4 Prozent als "nicht geeignet" eingestuft wurden mussten und in Mexiko 87 Prozent aller Straftaten nicht angezeigt werden, was "das Misstrauen der Gesellschaft in Polizei und Justiz reflektiert."

Die ausbleibenden Erfolge in Calderóns Krieg gegen den organisierten Drogenhandel waren nicht zuletzt der Grund für das schlechte Abschneiden der PAN bei den Regionalwahlen (9) am 9. November im Bundesstaat Hidalgo. Dort verlor die PAN neun Bürgermeisterposten von ehemals 18 Mandaten und rechnet man alle regionalen und bundesstaatlichen Wahlvorgänge des Jahres 2008 zusammen, erhielt die PAN insgesamt nur rund 10 Prozent (10) der abgegebenen Stimmen. Vor diesem Hintergrund wird auch Calderóns Personalentscheidung bei der Neubesetzung des Innenministerpostens verständlich, die nach dem Tod des bisherigen Amtsinhabers Juan Camilo Mouriño bei einem Flugzeugabsturz am 4. November nötig wurde. Neben Mouriño starben an diesem Tag der ehemalige SIEDO-Vorsitzende José Luis Santiago Vasconcelos und mit ihnen 12 weitere Personen beim Aufprall eines regierungseigenen Learjets auf eine stark befahrene Straße im Zentrum von Mexiko-Stadt. Direkt nach dem Absturz kursierten in den Medien Gerüchte (11) über ein mögliches Attentat der Drogenmafia doch Untersuchungen des Inneministeriums (SEGOB) ergaben, dass der Learjet zu wenig Abstand zu einer vorausfliegenden Boing 767 einhielt und dadurch ins Trudeln geriet. Den beiden Piloten der Unglücksmaschine, die nach Angaben (12) von Verkehrsminister Luis Téllez zu wenige Flugstunden absolviert hatten und deren Ausbilder nicht ausreichend qualifiziert waren, gelang es anschließend nicht mehr das Flugzeug unter ihre Kontrolle zu bringen.

Sechs Tage nach dem tragischen Vorfall ernannte Calderón den Anwalt Fernando Francisco Gómez Mont als Nachfolger des umstrittenen Mouriño, der sich seit seinem Amtsantritt im Januar 2006 mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sah und über dessen Rücktritt in der mexikanischen Öffentlichkeit bereits spekuliert wurde. Gómez Mont stammt aus einer alteingesessenen PAN-Familie und verteidigte während seiner Anwaltstätigkeit unter anderem Raul Salinas de Gortari, den notorisch korrupten und wegen der Beteiligung an einem politischen Mordkomplott verurteilten Bruder des Ex-Präsidenten Carlos Salinas, sowie Rogelio Montemayor Seguy, den ehmaligen Chef der staatlichen Erdölgesellschaft PEMEX, dem die Unterschlagung (13) von ca. 143 Millionen US-Dollar vorgeworfen wurde. Gómez Mont verfügt zwar nur über eine geringe politische Erfahrung, doch der politisch angeschlagene Präsident Calderón hatte nach dem Tod von Mouriño erklärt (14), dass der "nächste Innenminister nicht nur ein Angehöriger der PAN sein müsse, sondern sich auch erwiesenermaßen und auf militante Weise mit den Zielen der Partei zu identifizieren habe." Diesen Anforderungen kann Gómez Mont sicher genügen, allerdings fragen sich viele Menschen in Mexiko ob der 45-jährigen Jurist die geeignete Person ist um die drängenden Sicherheitsprobleme des Landes in den Griff zu bekommen.

Repressive Lösungen

Am 19. November dieses Jahres erklärte Tony Garza, der us-amerikanische Botschafter in Mexiko, in einer vielbeachteten Rede (15) vor Mitgliedern der Handelskammer in Harlingen, Texas: "Die Wahrheit ist, Mexiko wäre nicht dieses Zentrum von Aktivitäten der Kartelle und würde nicht unter dem hohen Niveau der Gewalt leiden, wenn nicht die Vereinigten Staaten der größte Konsument illegaler Drogen und Hauptlieferant für die Waffen der Kartelle wären." Weiter sagte Garza, dass: "Die USA und Mexiko diese kriminellen Organisationen gemeinsam bekämpfen müssen, oder sie würden gemeinsam scheitern." Mit dieser Aussage bezog sich Garza auf die sogenannte Mérida-Initiative, ein 1,4 Milliarden US-Dollar schweres, in mehrere Lieferungen aufgeteiltes Militärhilfepaket, das Mexikos Armee und Polizeibehörden durch die Bereitstellung von Hubschraubern, Flugzeugen und modernster Überwachungstechnologie im Kampf gegen den organisierten Drogenhandel unterstützen soll. Die ersten 197 Millionen US-Dollar wurden am
3. Dezember von der US-Regierung freigegeben (16), der Rest der für 2008 bewilligten 400 Millionen US-Dollar soll in den nächsten Monaten folgen. Die US-Regierung behält sich jedoch vor, die letzten 15 Prozent des Gesamtpaketes erst dann an Mexiko zu liefern, wenn die Regierung Calderón Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung und der Einhaltung der Menschenrechte gegenüber dem U.S. State Department nachweisen kann. Kritiker der Initiative befürchten schon jetzt eine weitere Militarisierung des Landes und warnen vor einem "Technologietransfer" für die Drogenkartelle durch korrupte Polizei- und Armeeangehörige.

Bereits jetzt stammt ein Großteil der im mexikanischen Drogenkrieg verwendeten Waffen aus den Vereinigten Staaten wo sie von Strohmännern legal gekauft und anschließend in das südliche Nachbarland geschmuggelt werden. Die über 12.000 Waffengeschäfte entlang der gemeinsamen Grenze zu Mexiko erzielen nach Aussage des mexikanischen Generalstaatsanwalts Eduardo Medina Mora durchschnittlich einen doppelt so hohen Umsatz wie die Händler im Rest der USA und in einem Interview (17) mit der spanischen Zeitung El Pais sagte Medina Mora: "Das ist weder ein Zufall noch passiert dies unabsichtlich . Der
2. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert dieses Recht und auch wenn es uns absurd erscheint, dass ein Bürger eine AK-47, eine AR-15 oder eine Barret 50 (18) kaufen kann, so lautet nun einmal das Gesetz." Die Vorwürfe des mexikanischen Generalstaaatsanwalts werden auch durch Zahlen des us-amerikanischen Amtes für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe (ATF) bestätigt. Im Rahmen eines Amtshilfeabkommens mit den mexikanischen Strafverfolgungsbehörden hat das AFT seit 1996 bei 62.000 in Mexiko konfiszierten Waffen nachgewiesen (19), dass diese ursprünglich aus den USA stammen und illegal nach Mexiko ausgeführt wurden. Dieser Schmuggel ist bereits so alltäglich geworden, dass Mitarbeiter der ATF den Grenzfluss Rio Grande amtsintern als "Iron River" bezeichnen.

Knapp 90 Prozent (20) des hauptsächlich aus Kolumbien stammenden und in den Vereinigten Staaten konsumierten Kokains wird von den hochgerüsteten mexikanischen Kartelle über die 3200 Kilometer lange Grenze in das nördliche Nachbarland transportiert. Zusammen mit den Erlösen aus dem Verkauf von mexikanischem Marihuana, Heroin und im Land produzierten chemischen Drogen erzielen die Kartelle nach Angaben (21) des PAN-Abgeordneten und Mitglied der Kommission zur nationalen Verteidigung, Eduardo de la Torre Jaramillo, einen geschätzten Gesamtgewinn von 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr von denen 350 Millionen US-Dollar für die Korrumpierung von Behördenmitarbeitern aufgewendet wird. Angesichts solcher Summen wird verständlich warum die mexikanischen Kartelle untereinander mit solcher Brutalität um die Kontrolle der lukrativen Handelsrouten in die USA kämpfen und weshalb es der Drogenmafia möglich ist sich weite Teile des mexikanischen Polizei- und Justizapparats gefügig zu machen. "Der organisierte Drogenhandel agiert wie ein transnationales Unternehmen und hat alle Ressourcen um die Institutionen zu schwächen und die Regierung dieses Landes in Mitleidenschaft zu ziehen", sagte de la Torre Jaramillo und musste damit zugeben über welch großes Machtpotential die Drogenkartelle bereits verfügen und wie schwierig es sein wird diese Strukturen grundlegend zu bekämpfen − rein repressive Mittel werden dazu mit Sicherheit nicht ausreichen.

Links

(01) http://impreso.milenio.com/node/8503534
(02) http://www.cnnexpansion.com/actualidad/2008/11/13/mexico-embarga-narco-avionetas
(03) http://www.eluniversal.com.mx/graficos/encuestas/narcos/default.html
(04) http://www.lajornadadeoriente.com.mx/2008/11/26/puebla/jus307.php
(05) http://www.exonline.com.mx/...
(06) http://www.mexicosolidarity.org/node/212
(07) http://edition.cnn.com/2008/WORLD/americas/11/21/mexico.arrest/?iref=mpstoryview
(08) http://www.univision.com/...
(09) http://www.imocorp.com.mx/Inicio/Estados/Hgo2008.htm
(10) http://www.kas.de/proj/home/pub/57/4/-/dokument_id-15050/index.html
(11) http://latimesblogs.latimes.com/laplaza/2008/11/half-of-mexican.html
(12) http://74.125.95.132/...
(13) http://mexidata.info/id61.html
(14) http://blogs.eluniversal.com.mx/weblogs_detalle6109.html
(15) http://www.securitycornermexico.com/...
(16) http://www.thenews.com.mx/...
(17) http://www.elpais.com/...
(18) http://www.barrettrifles.com/rifle_82.aspx
(19) http://www.mysanantonio.com/...
(20) http://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/Studies/OAS_Study_2008.pdf
(21) http://www3.diputados.gob.mx/...

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