Die mexikanische Karibik: Ein Paradies für wenige, eine Hölle für viele...

CIEPAC vom 27.03.2009
Mariela Zunino − Bulletin Nr. 567
übersetzt von: Carmen Neuwersch

 

CIEPAC, San Cristóbal de Las Casas, Chiapas

Eine Annäherung an die Situation der chiapanekischen Migranten an der Nordküste von Quintana Roo.

"Die Ertrinkenden der Globalisierung pilgern
Wege, die sie erfinden; Häuser, die sie ersehnen,
Tore, an denen sie pochen:
Die Tore, die sich öffnen mit Magie,
schließen sich vor ihnen,
im Gleichschritt des Geldes.
Einigen gelingt es sich einzuschleichen."


Eduardo Galeano: Bocas del Tiempo

Zusammenfassung: Wöchentlich kommen hunderte chiapanekische Migranten an die Nordküste von Quintana Roo, um für die Errichtung der Hotels und Ferienzentren zu arbeiten. Dieses Bulletin will aufzeigen, was sonst oft über das "Ferienparadies" verschwiegen wird: die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Migranten und die Probleme, mit denen sie während ihres Aufenthalts in der Karibik konfrontiert sind.

Einführung:

Im Norden des Bundesstaates Quintana Roo befindet sich das "Ferienparadies", wo jährlich mehr als 3 Millionen Touristen anreisen. Man nimmt an, dass Cancún in der Sprache der Mayas "Schlangennest" bedeutet, obwohl es auch heißt, dass sich Cancún von "Ka´n Ku´n" ableite, was wiederum "gelbe Schlange" bedeutet, da während des Sonnenaufganges ein sanfter Gelbton den Erdarm bedeckt, der zwischen Lagune und Meer emportaucht − die schlangenförmige Insel Cancún. Natürlich, bevor es die Hotels gab...

Wo vorher Urwald, Mangroven und Sand waren, formen heute große Hotels, voll gestopfte Alleen, MacDonalds und riesige Einkaufszentren das Landschaftsbild. Man schätzt, dass Cancún mehr als 2000 Millionen Dollar an Devisen pro Jahr einnimmt, dass es neben den Bahamas den größten Touristenstrom und innerhalb Mexikos die höchste Beschäftigungsrate in der Hotelbranche hat. Die Einahmen des Bundesstaates Quintana Roo betragen ungefähr ein Drittel der gesamten Einnahmen Mexikos durch den Tourismus.

Jedes Jahr kommen tausende Arbeiter aus Chiapas, Oaxaca, Campeche und Yucatán nach Quintana Roo auf der Suche nach dem Traum, den sie sich in ihren Dörfern nicht erfüllen können. Die beliebtesten Ziele sind Cancún, Playa del Carmen, Cozumel, Orte an der als "Riviera Maya" bekannten Karibik Mexikos. Durchschnittlich dürfte die Bevölkerung des Bundesstaates um 50 000 Personen jährlich anwachsen. Das Bevölkerungswachstum von Cancún beispielsweise beträgt 7%, der nationale Durchschnitt liegt bei 1,9%. Der Bezirk Solidaridad, dem Playa del Carmen angehört, verzeichnet mit einer jährlichen Wachstumsrate von 15,8% das höchste Bevölkerungswachstum des amerikanischen Kontinents.

Man schätzt, dass, im Jahr 2006 10 Millionen Besucher nach Quintana Roo kamen, die, laut Daten der staatlichen Tourismusbehörde, 4 Millionen Dollar verbrauchten. Doch es liegt eine unüberwindbare Kluft zwischen denen, die auf der Suche nach Unterhaltung und Vergnügen sind, und jenen, die hinter einigen Pesos her sind, um sich und ihre Familien weiter zu bringen. Während einige herkommen, um die voll gestopften Installationen und paradiesischen Strände zu genießen, kommen andere hierher, um die Infrastruktur der Multimillionäre eines Systems zu errichten, dessen Wesenszug Ungerechtigkeit und Ausbeutung ist. − Hier prallen die Kontraste zweier Mexikos aufeinander.

1.Maratón gegen die Erste Welt: die schnelle Errichtung des "Ferienparadieses"

Ende der 60er Jahre stellte sich Präsident Gustavo Díaz Ordaz die Frage, wie man in einer der unterentwickeltsten Gebiete Mexikos, dem unbewohnten Staat Quintana Roo, Entwicklung und Wirtschaftswachstum erreichen könnte. So entstand der Plan Maestro von INFRATUR, der Tourismusbehörde, die FONATUR (Nationaler Fonds für Tourismus) vorausging. Darin wird definiert, dass die Umwandlung Cancúns in eine touristische Entwicklungsregion folgende Ziele habe:

− die Beschaffung von Arbeitsplätzen in einem Gebiet ohne ökonomische Alternativen
− die Einnahmen von Devisen für die industrielle Entwicklung der Nation

Man begann 1970 schnell mit den Bauarbeiten, schon 1975 gab es 15 Hotels und insgesamt 1322 Zimmer. Der Plan beinhaltete auch den Bau eines internationalen Flughafens und die Errichtung der notwendigen Infrastruktur, um Cancún in ein Luxustouristenziel zu verwandeln. Der Bau der Straße vom Norden Quintana Roos in den Süden, die Cancún mit Tulúm verbindet, trieb die schnelle Entwicklung der anderen touristischen Zentren der "Riviera Maya" voran wie z.B. Playa del Carmen, gleichzeitig regte sie auch die Errichtung zahlreicher Hotels entlang der Karibikküste an. Diese rasche Entwicklung zog tausende Einwanderer aus den Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca, Tabasco, Puebla, Veracruz und Yucatán an.

2. "Chapitas" in Quintana Roo.: die andere Seite der Münze

Die großen Tourismusprojekte sind Teil des neoliberalen Netzes, dass nach Inversionen giert und in ständiger Suche nach der Reservearmee ist, die eine billige und effiziente Arbeitskraft garantiert. "Um diese Reservearmee zu bilden, " konstruiere", laut Mercedes Olivera und Maria Teresia Ramos, "das System die individuelle und soziale Bereitschaft auszuwandern...nicht als Notwendigkeit und letzte Alternative für diese Menschen, um in Würde zu überleben, sondern auch als eine Möglichkeit die imaginative persönliche Realisierung zu erlangen, denn durch Besitz und Konsum dessen, was andere besitzen, fühle man sich anerkannt und erfolgreich."

In Chiapas überqueren Männer und Frauen, größtenteils jüngere, aus Ocosingo, Las Margaritas, Comitán, Chilón, Yajalón, Simónjovel, San Cristóbal de las Casas u.a. die innerstaatliche Grenze, um sich irgendeine Arbeit am Bau oderr im Haushalt zu suchen. Man nimmt an, dass von den 90 000 Arbeitern/innen im Norden des Staates 40 000 aus Chiapas sind. Sie sind das andere Gesicht der Münze, die große Masse der Ausgeschlossenen − Ausgeschlossene, die paradoxerweise unentbehrlich sind, wenn die Pfeiler dieser Welt der Multimillionäre errichtet werden, einer Welt, zu der sie nie Zutritt haben werden.

Die Agrarkrise, der Abbau von Arbeitsplätzen, die Zuspitzung der sozialen Ungleichheit in der Landwirtschaft, dazu die Verwüstungen des Hurrikan Mitsch und Stan, die neuerlichen Muren im Norden des Staates bewirkten, dass Chiapas auf nationaler Ebene in Bezug auf die Abgabe von Arbeitskräften nun an vierter Stelle liegt.

Laut der Studie "Problematik der Arbeitsmigranten aus Chiapas, die in die nördlichen Gebiete von Quintana Roo pendeln", die Caritás gemeinsam mit den Tourismusnetzwerken gemacht hat, sind 80% der Befragten Männer, drei von vier sind zwischen 15 und 34 Jahren alt. Obwohl die Tendenz der temporalen Migration vorherrscht, ist es nach und nach immer mehr zu permanenten Ansiedlungen an den Stadträndern gekommen.

Die Charakteristik des Pendelns wird daran deutlich, dass mehr als die Hälfte der Migranten schon zwei oder mehrere Male im Staat war. Die Mehrheit von ihnen lässt die nächsten Familienangehörigen in Chiapas, nur 20% nehmen die Familie mit. 75% der Migranten sind in ihren Heimatorten Bauern oder Landarbeiter, nur wenige waren in ihrem Staat bereits im Baugeschäft tätig.

3. Die Geschichte eines Traumes, der sich in einen Alptraum verwandelte

Die Reise in die "Erste Welt" beginnt mit dem Schlepper, der von seinem Büro aus, in Städten wie San Cristóbal, dem Migranten die Fahrt in die Küstenregion anbietet, wo er angeblich gleich bei seiner Ankunft Arbeit finden könne, was jedoch selten der Fall ist. Wenn die Migranten an ihrem Ziel ankommen, warten sie üblicherweise auf Plätzen oder sonstigen öffentlichen Orten auf den "Mittelsmann", der die Verbindung zwischen Arbeiter und Subunternehmer der Baustelle ist. Er ist dafür zuständig, die Arbeiter zur Baustelle zu bringen, wo sie nur mittels mündlicher Abmachungen und ohne Lohnvereinbarung arbeiten sollen. Der erste Wochelohn steht dem "Mittelsmann" zu, aufgrund einer vorherigen Abmachung mit dem Subunternehmer. Diese mündlichen Verträge gelten generell nur eine Woche. Deshalb muss der Arbeiter sich jeden Montag um einen neuen Vertrag kümmern, was eine extreme Unsicherheit der Arbeitssituation schafft.

Obwohl sie besser verdienen, als wenn sie als Agrartagelöhner in ihren Heimatdörfern arbeiten, sind die Löhne im Baugeschäft niedrig, bringt man sie mit dem Stundenausmaß und der Gefahr, der sie ausgesetzt sind, in Zusammenhang. Obwohl man manchmal 3000 Pesos (Ê. 185 Euro) verdienen kann − das durchschnittliche Monatseinkommen sind 1500 Pesos − entspricht das dem Preis einer Übernachtung in einem "All inclusiv -Hotel" oder dem Abendessen in irgendeinem luxuriösen Restaurant in der Quinta Avenida in Playa del Carmen. Durchschnittlich beträgt der Arbeitstag 10 bis 11 Stunden, sonntags ist frei.

Durch die Pendlermigration und durch die temporären Verträge erklärt sich, dass die informelle Arbeit vorherrscht, dass es keine Sozialversicherung gibt und dass oft nicht einmal ein Register der Arbeitnehmer existiert. So verringert man die "Produktionskosten" des Bauunternehmens. Unfälle sind an den Baustellen häufig und wenn jemand stirbt, weiß man oft nicht einmal seinen Namen. Man schätzt ungefähr zwischen 40 und 50 Verletzten pro Woche. 2006 starben 280 Bauarbeiter aufgrund von Arbeitsunfällen. Verletzte und aufgrund der schlechten Ernährung und der fehlenden Hygiene Erkrankte müssen sich selbst um die medizinische Versorgung kümmern. Weder die Regierung noch die Unternehmen reagieren auf die häufig vorkommenden Unfälle. An den meisten Baustellen müssen die Maurer sogar den "vorgeschriebenen Schutzhelm " von der Firma mieten. Nach der gesetzlichen Regelung müssten Netze gespannt sein, um einen möglichen Sturz aufzuhalten. Auch das gibt es nicht. Stirbt jemand, so wird der Leichnam üblicherweise am Straßenrand ausgesetzt oder in eine Gemeinschaftsgrube geworfen. Die Familien können kaum etwas über den Tod ihres Angehörigen erfahren.

Einige Baufirmen installieren Lager, wo die Bauarbeiter normalerweise in Hängematten oder auf Karton am Boden die Nacht verbringen. Sie zahlen zwar weniger als sonst wo, aber dementsprechend ist auch die Unterbringung: Es gibt weder Wasser noch Abwasserkanäle. Sie schlafen im Freien, wo sie ständig davon bedroht sind, dass man ihnen ihre wenigen Habseligkeiten oder ihr Geld stiehlt. Die Zeitschrift "Proceso" beschreibt eines dieser "Lager" als "eine aus Wellkarton, Holzstaub und Holzresten erbaute Baracke neben dem Mangrovenwald", wo 100 Bauarbeiter die Nacht verbringen. Sie arbeiten an der Baustelle des "Hotel NH" der spanischen Investorengruppe Martinón-Grumesa, deren Investition 240 Millionen Dollar beträgt, um 600 Luxuszimmer zu erbauen. Wenn die Arbeiter keine Lager zur Verfügung haben, müssen sie kleine Zimmer oder Hütten mieten, wo sie sich bis zu zehnt total zusammen drängen müssen. Die letzte Übernachtungsmöglichkeit sind die öffentlichen Parks, solange sie nicht von der Polizei vertrieben werden, da sie ja das Stadtbild stören oder gar die Touristen erschrecken könnten.

Während ihres langen Arbeitstages, an dem sie der Hitze und dem Zeitdruck, den die Firmen wegen ihrer Terminvereinbarungen auf sie ausüben, ausgesetzt sind, werden die Arbeiter mit einem Essensservice versorgt. Das wird von den Verantwortlichen der Baustelle an Subunternehmen vergeben, die dafür viel zu hohe Preise verlangen, 30 bzw. 35 Pesos pro Portion. Normalerweise bleibt den Arbeitern keine andere Wahl als die Summe zu bezahlen, da die Distanz, die sie zurücklegen müssten, um sich woanders mit Lebensmittel zu versorgen, zu groß ist. Deshalb sehen sie sich dazu gezwungen, sich das Essen zu zweit oder zu dritt zu teilen. Oft besteht das Essen nur aus einem "gezuckerten Sodagetränk" und einem Säckchen Kartoffelchips.

4. Ausbeutung und Raubbau: das ideale Binom für Unternehmerprofite

Man schätzt, dass in 24 Jahren 75% des Mangrovenwaldes, das charakteristische Ökosystem der Küste von Quintana Roo, verschwunden sind. Die Mangroven bestehen aus Bäumen mit enormen Wurzeln und wachsen an den Strandufern. Abgesehen, dass sie unzählige Tierarten beherbergen, besteht ihre Funktion darin, Wasser zu filtern, Erosionen zu verhindern und vor allem die Küstenbewohner vor Hurrikans und Stürmen zu schützen. Die Mangroven sind auch strategisch wichtig für das Überleben des mittelamerikanischen Korallenriffs, das an zweiter Stelle an Größe und Vielfalt dem australischen folgt.

Die Umweltorganisationen führen die Zerstörung auf die großen Tourismusbauten, den Bau von Straßen und das heimliche Abholzen zurück. 2004 veränderte Alberto Cárdenas, der zu dieser Zeit Minister für Ressourcen und Umwelt war, die Regelungen über das Ökosystem, indem er das Abholzen der Mangroven um den geringen Betrag von 10 Pesos (ca. 65 Cent) erlaubte. Mit der Regierung als Komplizen bedienen sich die Unternehmer ohne Skrupel der Ur- und Mangrovenwälder, um darauf ihre monströsen Hotels zu errichten, wie z.B. die Firmen der spanischen Investoren.

Von vier Hotels der Riviera Maya, nimmt man an, werden drei mit spanischem Kapital finanziert. Laut Daten des mexikanischen Wirtschaftsministeriums betrugen die Investitionen aus Spanien zwischen 1999 und 2006 in Quintana Roo 4 Milliarden Dollar. Davon waren 70% für das Hotelwesen bestimmt. Ökologische Gruppen klagen die spanischen Unternehmen an, sich auf Kosten der mexikanischen Naturressourcen zu bereichern und die Arbeitskraft auszubeuten, indem sie ökologische Gesetze die Stadtplanung betreffend und Arbeitsgesetze übergehen. Alles, was in Spanien verboten wurde, wird ohne ein Hindernis in Mexiko zu Ende geführt. Das spanische Umweltministerium beklagt, dass die nationalen Hotels bereits ein Viertel des 2000 km langen Küstenstreifens in Spanien zerstört haben. Das Modell "alles inklusive ", das diese Hotels führen, ist in dreifacher Hinsicht schädlich: Es schadet der Umwelt, bringt der Region keinen wirtschaftlichen Nutzen, die Arbeitskraft wird ungestraft ausgebeutet, in dem Arbeitsgesetze missachtet werden.

Massiv rückten die spanischen Hotelketten in der Karibik in den 90er Jahren an, nutzten die günstigen Investitionsbestimmungen und die niedrigen Grundstückspreise. Ein Beispiel ist die spanische Gesellschaft Pinera, die die Bahia- Principe -Anlage betreibt, die größte der Riviera Maya. Die 477 Hektar, über die sie sich ausdehnt, wurden um 28 Pesos (ca1,80 Euro) pro Quadratmeter erworben.

Beispielhaft ist der Fall der Sol-Melía-Kette, das weltweit größte Hotelunternehmen, ebenso mit spanischem Finanzkapital, dessen Projekt "Costa Turquesa" einer der größten Umweltzerstörer ist. In Playa del Carmen, am Ende der Qinta Avenida, wird der Bau eines Hotels mit 2000 Zimmern geplant. Als der Unternehmer Rangel Castelazo nicht einmal noch mit der Genehmigung der Bundesregierung rechnen konnte, hatte er bereits unerlaubt hunderte Hektar Mangroven- und Urwald entfernt, um mit den Bauarbeiten voran zu kommen. Trotzdem und dank der Macht der Aufsichtsräte des transnationalen Konzerns autorisierte Sarmant die Durchführung des Milliardenprojekts − auf Kosten eines wertvollen ökologischen Gebietes, das irreparable Schäden erleiden wird.

5. Zwei Welten, die unsichtbar zusammen leben: die unsichtbaren Mauern der Diskriminierung

Es besteht eine soziale Hierarchie, die fest in Arbeitsbereichen verwurzelt ist. Mercedes Olivera und Maria Teresa Ramos bezeichnen die erste Stufe der Hierarchie als die so genannte "Unternehmerstufe, deren ausländisches Oberhaupt unsichtbar ist, das an transnationale Baufirmen gerichtete Ausschreibungen abwickelt, die wiederum kleinere mexikanische Firmen anwerben, um den für sie passenden Teilbereich auszuführen. Die zweite Stufe bilden die nationalen Techniker, Professionelle wie Ingenieure, Techniker und Architekten. Dieser folgt die dritte Stufe bestehend aus lokalem Personal und Migranten, Baumeister, Installateure, Tischler, Schmiede etc.. Zum Schluss, an vierter Stelle findet man die große Masse der pendelnden Einwanderer, die durch ihre Arbeit als Maurer die große Pyramide stützt. Die meisten sind "chapitas", die nicht Spanisch sprechen, und da sie dringend Arbeit brauchen, sind sie schlimmster Diskriminierung und verschiedensten Ausbeutungspraktiken ausgesetzt. Aber es gibt noch eine Stufe darunter: Die der Frauen, die, falls sie nicht in Haushalten der "Oberschicht" arbeiten, "Putzbrigaden" auf den Baustellen bilden, deren Aufgabe darin besteht, Bauschutt zusammen zu häufen und Müll einzusammeln.

Die Hotelzone in Cancún hebt sich sehr stark von den Arbeiterbezirken ab. Fährt man den Kukulcán Boulvard entlang, kommt man durch die exklusive und luxuriöse Hotelzone, wo die Strände fast ausschließlich den Hotels gehören und wo es zahlreiche erstrangige Restaurants und Geschäftszentren gibt. Weit von der Hotelzone entfernt bilden sich die dicht besiedelten Bezirke ringförmig um die Stadt. In diesen Siedlungen gibt es weder asphaltierte Straßen noch Wasser oder sonstige infrastrukturellen Einrichtungen. Sie sind Enklaven der Armut in einer der luxuriösesten Gegenden des Landes. Man nimmt an, dass in Cancún mehr als 100 000 Menschen unter Bedingungen höchster Marginalisierung leben, wovon ca. 40 000 indigenen Bevölkerungsgruppen angehören. Obwohl die Gemeinde Millionen Dollar als Devisen einnimmt, wird wenig oder gar nichts investiert, um die Häuser der wöchentlich ankommenden Migranten mit Wasser oder Strom auszustatten.

Diese räumliche Hierarchisierung ist auch ganz deutlich in Playa del Carmen sichtbar. Dort werden die "Armen" durch die Bundesstraße und die Collodio-Alle abrupt von der Touristenzone getrennt. Auf der einen Seite sind entlang der "Quinta Avenida" Hotels, Bars und sogar geschlossenen Stadtviertel entstanden, auf der anderen Straßenseite beherbergt "El Ejido" ("Das Gemeindeland") die tausenden Männer und Frauen, die es überhaupt ermöglichen, dass diese künstliche Welt funktioniert.

6. Spaß und Genuss auf der einen − Entwurzelung und Einsamkeit auf der anderen Seite

Alkohol- und Drogenkonsum ist unter den Bauarbeitern üblich. Die meisten Arbeiter sind Jugendliche, die weit von ihren Familien entfernt sind und von einer Ihrer Kultur fremden Umgebung ausgebeutet und ausgeschlossen werden. Dadurch entstehen Angstgefühle und Depressionen, die sie in den Alkoholismus und in die Drogenabhängigkeit führen. Außerdem kontrastieren ihre Entbehrungen mit dem protzigen Luxus der Hotels, die sie erbauen und einem Lebensstil, den sie niemals erreichen werden. Man nimmt an, dass die Hälfte der Arbeiter minderjährig ist, die Baufirmen ziehen "Jungs" vor, da sie körperlich widerstandsfähiger sind und sich seltener beschweren.

Die Selbstmordrate ist höher als der nationale Durchschnitt. 2005 wurde von 86 Fällen berichtet, 2006 hat sich die Zahl auf 120 Fälle erhöht. Faktoren wie die Auflösung der Familie, die zweifache Diskriminierung, einerseits als Indigener, andererseits als Migrant, das zusammen gepferchte Hausen in den Unterkünften, der soziale Kontrast und die extreme Marginalisierung, machen das Touristenzentrum Cancún zu einem Ort der Isolation und Entwurzelung. Die Frustration, die "Erste Welt" zu betreten, dort verlängerte Arbeitstage zu schuften und dann in ihre miserablen Unterkünfte zurückzukehren, ohne ihre Lebensqualität ändern zu können, bewirkt, dass viele dem Alkoholismus verfallen. Oft kehren die Migranten mit genauso viel Geld heim, wie sie hatten, als sie von zu Hause abfuhren. Die anfallenden Ausgaben sind sehr hoch: die Fahrt zum Zielort und wieder zurück in die Heimatgemeinde, die Unterkunft, die hohen Verpflegungspreise, die Arztkosten, falls notwendig, Alkohol usw. Oft wer den auch Prostituierte aufgesucht. Da es dabei an entsprechenden hygienischen Maßnahmen mangelt, nimmt man an, dass die Hälfte der Migranten an Geschlechtskrankheiten leidet oder mit dem Aidsvirus infiziert ist.

Die von Tourismusverbänden erstellte Umfrage zeigt auf, dass das größte Problem der Migranten, aus Gründen der "Einsamkeit, fehlendem sozialen Kontakt und dem Mangel an Freizeitaktivitäten am Wochenende, der Alkoholkonsum sei ". Während ihrer Freizeit, samstagnachmittags und sonntags, fehlen ihnen jegliche Erholungsräume. Sie können zwar zum Strand gehen − zu einem der wenigen, die noch frei zugänglich sind − doch dort sind sie nicht gerade willkommen. Daher entscheiden sie sich für die Einkaufszentren, wo sie das Gefühl haben, nicht wahrgenommen zu werden, oder sie suchen Kantinen oder Bordelle auf.

7. Sklaverei im 21.Jahrhundert

Es herrscht eine Situation der völligen Entpolitisierung, in der die Arbeiter/innen überhaupt keine Ahnung von Arbeitsrechten haben. Arbeiter/innen, die sich auflehnen, werden in der darauf folgenden Wochen nicht mehr aufgenommen. Dies sowie die Korruptionsfäden und das große Angebot an Arbeitskräften "ließen die zahlreichen Ungerechtigkeiten, denen die Migranten ausgesetzt sind, zu einem ungeschriebenen Gesetz werden." Die Gewerkschaften sind Komplizen und holen sich ihren Anteil: ...auf einer Baustelle von 280 Arbeitern kassieren die Gewerkschaften zwischen 20-30 Millionen Pesos pro Woche ab. Dafür stellen sie eine Plakette aus, die die Arbeiter als Gewerkschaftsmitglieder ausweist. Doch, ob die Arbeitsrechte respektiert werden, wird nicht überprüft." Gewerkschaftsmitglieder sind üblicherweise nur 4 bis 5 Personen, hauptsächlich Anwerber.

Der "nachhaltige" Tourismus, mit dem sich die Regierungsfunktionäre, Unternehmer und Hoteliers stolz hervortun, unterstützt nur die großen Inseln des Überflusses, inmitten des Elends. Die Arbeiter/innen sind diejenigen , die den wahren Preis solch eines "Luxuszirkus" und solch einer Zurschaustellung bezahlen. Ohne Arbeitsrechte, ohne Gesundheitsversorgung, ohne würdige Unterkünfte, in einer Welt, die ihren Sitten und Traditionen völlig fremd ist, werden sie zu missbrauchten und unterdrückten Opfern derer, die sich auf ihre Kosten bereichern.

Es ist äußerst wichtig, die schwierige Situation aufzuzeigen, der sich hunderte Mexikaner/innen stellen müssen,, die auf der Suche nach einem besseren Leben in diese Touristenzentren kommen. Ebenso dringlich ist es, Projekte ähnlicher Art aufzudecken, die in Chiapas eifrig gefördert werden, wie das CIPP, Centro Integralmente Planeado de Palenque-Cascadas de Agua Azul (="Planungseinheitszentrum von Palenque und den Agua-Azul-Wasserfällen"), wo man versucht ein neues Cancún im Norden von Chiapas zu errichten, wie es in der "Erklärung von Comitán", die Roberto Albores und sein Sohn ausgearbeitet haben, aufgezeigt wird. Und hier sollten wir uns die Frage stellen: Wollen wir dieses destruktive Modell für Chiapas?

"Tourismus in der Welt der Mayas" ist eine Webseite, die den Tourismus in der Karibik propagiert. Im Teil "Geschichte der Kolonialzeit" heißt es, dass in jener Epoche "...die Spanier die Herrschaft über Ländereien und Besitztümer an sich rissen und den Handel kontrollierten,...dass sich die Landeigentümer bereicherten, da sie von den Mayas, die wie Sklaven arbeiteten, unterstützt wurden." Heutzutage scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Die Landeigentümer sind die Hotelmagnaten, die Sklaven − Frauen und Männer aus dem Mexiko des 21.Jahrhunderts.

 

Quelle: http://www.ciepac.org/boletines/chiapas_de.php?id=567


 

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