Mexikanische Regierung überwacht euopäische Solidaritätsnetzwerke

News vom 01.08.2001
Milenio Semenal
übersetzt von: Dana

 

Bevor es zu Missverständnissen kommt: Dies ist die bewusste Übersetzung eines Propagandaartikels gegen die EZLN, der Vorläufer einer neuen Pressekampagne zur Aufhetzung gegen die internationale zapatistischen Solidarität zu sein scheint. Wo von "Organisationen in Deutschland — wo die autonomen Gruppen die radikalste Schlagkraft bilden" die Rede ist, da sind unter anderem WIR gemeint. Immerhin ist unsere Website eines der Webprojekte in Deutschland, wo recht umfangreich über die Situation in Mexiko/Chiapas berichtet wird.

Seit einiger Zeit warnen einige einflussreiche mexikanische Medien vor einer massiven europäischen zapatistischen "Verschwörung", die auf das direkte Betreiben der EZLN zustandekommen soll. Dreh- und Angelpunkt des Ganzen war die Veröffentlichung eines Interviews von Manuel Vázquez Montalbán mit Subcomandante Marcos in der italienischen Zeitung Corriere Della Serra, kurz vor dem G-8 Gipfeltreffen in Genua. Obwohl es sich dabei um ein altes Interview handelte, das in März während der Marcha zustandegekommen war, wurde es von (fast) allen wichtigen Presseorganen als ein neues Interview und ein Beispiel dafür hingestellt, wie Marcos hinter dem Rücken der Fox-Regierung sein Schweigen bricht, um mit seinen europäischen Unterstützern zu paktieren. Wichtige Politiker wie Santiago Creel und Alberto Elizondo liessen sich darüber in der Öffentlichkeit aus, und bis heute wurde die Behauptung es würde sich dabei um ein neues Interview handeln niemals richtiggestellt.

Folgender Artikel aus dem Milenio Semanal, warnt die mexikanische Bevölkerung über Versuche der EZLN, eine gigantischen Kampagne ihrer europäischen Anhänger zu aktivieren, um einen negativen Eindruck von der Fox-Regierung zu verbreiten und eine Lobby gegen das Indigene Gesetz zu schaffen. Der Artikel hat einen ziemlich gewaltiges Echo ausgelöst, und wird von der Regierung anscheinend sehr ernst genommen. Der PRD- Abgeordnete und derzeitiger COCOPA-Präsident Miguel Ulloa Pérez selbst hat die Fox-Regierung diese Woche beschuldigt, Telefonspionage gegen die COCOPA zu betreiben, um Informationen über die Beziehungen der EZLN mit ihren Unterstützern im Ausland zu erhalten und direkten Bezug auf dieses Milenio Artikel genommen. Am 28 Juli wurde einer italienische Delegation die das autonome Bezirk Lucio Cabanas besuchen wollte, von Militärs beschattet und von PRIistas aufgehalten, und sie berichteten ebenfalls von einer grossen Militärpräsenz, die anscheinend auf Informationen über die Aufenthalt eines EZLN-Comandante in der Gegend beruhte.

In dem Milenio Artikel sind mehrere interessante Taktiken der Desinformation bemerkbar, zum Beispiel der Versuch, einen Keil zwischen dem Zapatismus und die internationale Antiglobalisierungsbewegung zu treiben, während gleichzeitig die Globalisierungsgegner und ihre "Minderheitenstellung" in Europa herabgesetzt werden (was recht ungeschickt ist, weil ja doch von diesen Leuten die Gefahr dieser ungeheuren Offensive ausgehen soll...). Ebenfalls interessant sind die Informationen, die hier unbeabsichtigt geliefert werden, wie z.B die Informationen über die Struktur des mexikanischen Informations- und Propagandaapparates in Europa und der Hinweis auf die Überwachung der europäischen prozapatistischen Solidaritätsnetzwerke.

Am interessantesten jedoch ist der Einblick in die Art und Weise wie die mexikanische Regierung die europäische Solidaritätsbewegung wahrnimmt. Die mexikanische Regierung hat Angst vor uns, sie fürchtet den Einfluss, den wir auf die öffentliche Meinung in Europa haben könnten. Also denkt daran, jeder Protestbrief, jedes Fax, jede e-mail die ihr an die mexikanische Botschaft schickt, jede Aktion, die ihr veranstaltet, wird wahrgenommen und hat eine Wirkung.

Dana/KADO




Die EZLN geht in die Gegenoffensive

Schlachtfeld Europa


Die Bewilligung der Verfassungsreform zu indigenen Rechten und Kultur nach der Abstimmung der Staatskongresse, hat dem Zapatismus eine ernste Niederlage zugefügt. Aber die EZLN bleibt nicht passiv. Diplomatische Quellen der mexikanischen Regierung enthüllen, dass die Zapatisten bereit, sind eine diplomatische Gegenoffensive zu starten, um ihre ungünstige politische Lage, sowohl auf interner als auch auf internationaler Ebene wieder zu ihrem Gunsten zu verändern, wie mexikanische Geheimdienstquellen aus den Europäischen Hauptstädten berichten. Die internationale zapatistische Kampagne deckt sich mit der Furcht über eine Radikalisierung der indigenen Gemeinden, wie Xóchitl Gálvez selbst erkennt.



Die EZLN steht vor einer unbekannten Situation: es handelt sich dabei weder um die militärische Umzingelung, noch um die interne Isolation, der sie die Regierungen von Salinas und Zedillo unterworfen haben, sondern um einen politischen Rückschritt auf allen Ebenen bald nach dem Erfolg ihres nationalen Marsches im letzten Februar und März. Unter solchen Umständen scheint der Beginn einer Gegenoffensive entscheidend.

Die Berichte der mexikanischen Geheimdienste, zu denen Milenio Semanal Zugang hatte, zeigen, dass Subcomandante Marcos sich entschlossen hat, seinen Gegenangriff von einer Analyse ausgehend zu starten, in der drei Punkte betont werden.

Erstens, dass der Zapatismus nach dem nationalen Marsch isoliert worden ist, die Gelder der internationalen Organisationen fliessen nicht mehr und das Prestige löst sich auf.

Das zweite Element zielt darauf hin, dass Präsident Vicente Fox dabei ist den Medienkrieg zu gewinnen, weswegen die europäischen kommunitären Institutionen eine Position zugunsten der Regierung eingenommen haben.

Der dritte Punkt der Analyse weist darauf hin, dass der Zapatismus an Präsenz verliert, wegen dem Einfluss, den die Antiglobaliserungsgruppen auf den Strassen und auf den ersten Seiten der Tageszeiteungen gewonnen haben. Ein aktuelles Beispiel für diese Situation wäre Genua.

Von dieser Analyse ausgehend haben die Zapatisten in den letzten zwei Monate in einem Kontext gearbeitet den sie als eine "Verhärtung der politischen Lage bezeichnen."

Und um das negative nationale und internationale Szenario umzuwandeln, hat Subcomandante Marcos einen Plan festgelegt, der aus drei Aktionsebenen besteht und beginnen wird, sobald das neue Gesetz für indigene Rechte und Kultur in Kraft treten wird.

Die zapatistische Strategie besteht in erster Linie, aus der Benutzung der solidarischen Organisationen in Frankreich, Italien und Spanien als "Motoren" einer Kampagne, um das Ansehen der Fox Regierung und des neuen indigenen Gesetz herabzusetzen.

Auf zweiter Ebene versucht Subcomandante Marcos als "Sekundärkräfte" die Organisationen in Deutschland zu reaktivieren — wo die autonomen Gruppen die radikalste Schlagkraft bilden — und von Belgien, dem Hauptsitz der Europäischen Union.

Auf einer dritten Ebene, mehr am Rande, strebt der Zapatismus die Reaktivierung der Organisationen aus Schweden, Dänemark und Norwegen an, um die Medienstrategie in ganz Europa abzuschliessen.

Ein Element, der in diesem neuen Kontext berücksichtigt werden muss, ist der mexikanische Regierungswechsel, der auf internationaler Ebene auf positive Weise betrachtet wird, wo das PRI-Regime und seine sieben Jahrzente ständiger Vorherrschaft immer negativer betrachtet wurden.

Die ungünstige Auffassung steigerte sich nach dem zapatistischen Aufstand in 1994, der einen Knackpunkt in der Krise der internationalen Koexistenz zu kapitalisieren wusste, insbesondere im kürzlich vereinigten Europa, durch den überzeugenden Einsatz von Subcomandante Marcos’ Antiglobalisierungsdiskurs durch das Internet, der sowohl einen sehr guten Schreibstil als auch eine mehr als verlässliche Kenntnis der internationalen Kultur aufbot.

Wie niemals zuvor in der Geschichte des Landes, wurden mexikanische Botschaften und Konsulaten von Gruppen von Unterstützer der chiapanekischen Aufständischen angegriffen.

Die Wahlen am 2. Juli letzten Jahres, und der Sieg eines Oppositionskandidaten nach mehr als 70 Jahren PRI-Hegemonie, brachten einen Umschwung in diesem internationalen Kontext, und öffnete einen Raum, in dem der Politik von Präsident Vicente Fox eine Chance gegeben wurde.

Hinzu kommt auch die Ernennung von Jorge G. Castañeda zum Aussenminister, ein Mann mit weitreichenden Beziehungen im progressiven und linksgerichtenen Umfeld, sowie dem akademischen, intellektuellen und politischen Umkreis in Europa.

Der neue Präsident eröffnete fast seit dem ersten Augenblick seiner Amtsübernahme, eine diplomatische Offensive, die darauf hinzielte, das mexikanische Image um Ausland wiederaufzubauen, vor allem in Europa, wo es auf einen alarmierenden Tiefstand gefallen war.

Eine der Achsen dieses politischen Wiederaufbaus war die Ernennung anerkannter Intellektueller und Künstler als Kultuattachés in den mexikanischen Botschaften in Europa, was ebenfalls den Raum der den Zapatisten zum Manövrieren zur Verfügung steht, eingeschränkt hat.

Die Kampagne, die von der EZLN vorbereitet wird, versucht die Unterstützung zu erreichen, die sie in 1994-95 erhalten hat.


Marcos’ Botschaften

Laut den Berichten der mexikanischen Geheimdienste in Europa sollen Subcomandante Marcos und seine Beratergruppe bereits verschiedene Persönlichkeiten in die europäischen Länder geschickt haben, um die solidarischen Organisationen über seinen Gegenangriffsplan zu informieren.

Annerkannte Intellektuelle, die mit dem Zapatismus in Verbindung stehen, haben Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland besucht; unter jenen, die diese Initiative unterstützen würden, deren Startpunkt sich auf eine intensiven Pressekampagne konzentriert, werden Luis Hernández Navarro und Adelfo Regino erwähnt.

Ein Anfang war das Interview, das Marcos nach zwei langen Monaten des Schweigens nach dem zapatistischen Marsch, dem italienischen Magazin Corriere Della Serra am letzten Mittwoch, dem 4. Juli gegeben hat.

Als erstes Ergebnis dieser Besuche, haben bedeutende pro- zapatistische europäische Intellektuelle, kürzlich Artikel veröffentlicht, in denen die Vorgehensweise der Fox-Regierung und die Bewilligung des indigenen Gesetzes kritisiert werden.

Die Texte von Alain Touraine in der Le Monde und von Manuel Vázquez Montalbán in der El País sind ein Beispiel dieser Initiative zur Sensibilisieung der europäischen öffentlichen Meinung.

Die mexikanischen Geheimdienstquellen behaupten, dass das begünstigende Verhalten einiger europäischer Medien für die Sache der EZLN, viel mit dem aggressiven Aktivismus der grünen Abgeordneten zu tun hat, wie in erster Linie der französische Euroabgeordnete Sami Nair, der die Hauptrolle bei der Zulassung der Zapatisten vor dem mexikanischen Kongress gespielt hat, und den immer noch erwarteten Besuch einer indigenen Delegation vor dem Europäischen Parlament durchgesetzt hat.

Wie auch immer, war die Reaktion der europäischen zapatistischen Sympathisanten gegen die Bewilligung des Gesetzes für indigene Rechte und Kultur seitens des mexikanischen Senates am 25 April, fast augenblicklich. In einer spontanen Kampagne, riefen am 3. Mai herausragende Persönlichkeiten in der Le Monde zu einer Initiative zur Unterstützung der EZLN auf.

Der Politologe Alain Touraine, die Schriftstellerin Regine De Forges, der Regiseur Ken Loach, der Bildhauer Miquel Barceló, der Mathematiker Jean Pierre Kahane, der Schriftsteller Guilles Perraul und die Soziologin Yvon Le Bot — die bereits vorher ein berühmtes Buch über die Guerillabewegungen von Guatemala geschrieben hat, und seit 1994 eine der aktiven intellektuellen Unterstützer des Zapatismus gewesen ist — befinden sich unter den Unterzeichnern des Aufrufes.

Der Text erwähnt die Notwendigkeit periodische Treffen über die zapatistische Bewegung abzuhalten, um deren Image in Frankreich wiederzubeleben, betonte die Notwendigkeit des Engagements für die indigenen Ziele (nicht nur in Mexico, sondern auch in Ecuador und Peru), und ruft die französische Bevölkerung auf, sich für mexikanischen Realität bezüglich Menschenrechte und der politischen Ausdrucksweise der indigenen Sektoren zu sensibilisieren.

Teil dieses Prozesses der Sensibilisierung wird der Besuch der Kommandantin Esther sein — die als Vertreterin der Zapatisten vor dem mexikanischen Kongress aufgetreten ist — der im nächsten September in Europa stattfinden wird.

Ihr bekanntes Ziel ist Berlin, aber die französischen Solidaritätsgruppen hoffen, dass sie einen Aufenthalt in Paris einlegen wird, wo bereits Konferenzen und Treffen in Universitäten und mit der Presse organisiert werden.

Die Idee ist, aus dem Besuch von Kommantin Esther den grösstmöglichsten Nutzen herauszuziehen, und ihn zu einem Hauptpunkt der Kampagne gegen das indigene Gesetz zu verwandeln.

Quellen der zapatistischen Solidarität bestätigen, dass an dieser Kampagne Parlamentarier der PRD und der Arbeiterpartei PT beteiligt sind, die einzigen die letztentlich gegen die Bewilligung des Gestzes gestimmt haben.

Auf jeden Fall sehen die mexikanischen Geheimdienste voraus, dass der europäische Zapatismus vor einem Dilema steht. Ihre erste Option ist es, eine Kampagne zu starten, die von der Antiglobalisierungsbewegung getrennt ist, was die Gefahr birgt auf wenig Echo zu stossen. Die zweite Option ist es sie innerhalb der "globalophoben" Bewegung zu starten, was die wahre Minderheitsdimensionen aufdecken würde, die diese in Europa hat, inmitten einer Unzahl von Strömungen die für verschiedene Ziele kämpfen, wie es an diesem Wochenende bei dem G-8 Gipfeltreffen in Genua bewiesen worden ist.

Über dieses Problem hinaus, ist die Regierung von Vicente Fox auch darauf vorbereitet, sich der zapatistischen Gegenoffensive zu stellen.

Die konsultierten Quellen enthüllten, dass die Ablösung des Chefs des mexikanischen Informationsdienstes in Madrid (dessen Position die Überwachung von ganz Europa beinhaltet) bevorsteht, ein Zivilist, der durch ein Militär abgelöst wird.

Gemäss diesen Versionen, gilt die Sorge der mexikanischen Regierung nicht so sehr der EZLN, deren Solidaritätsnetzwerke die leicht zu überwachen sind, sondern der Revolutionären Volksarmee EPR und ihrer verschiedenen Splittergruppen, die mit extremistischen politischen und ideologischen Organisationen in Verbindung stehen, und die alte Routen für den Waffenschmuggel benutzen, und "schwierig zu überwachen und zu infiltrieren sind."

Die Prognose ist jedenfalls, dass in Europa eine äusserst starke prozapatistische Kampagne vorbereitet wird, die jener aus 1994-95 sehr nahekommt. (Mit Informationen von Nubia Nieto aus París, Eva Usi aus Berlín und Marco Appel aus Brüssel)
 

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