Ex-Generäle zu hohen Haftstrafen verurteilt

Poonal vom 05.11.2002
John Ross, Poonal 547 vom 05.11.2002

 

(Acapulco, 5. November 2002, na-poonal).- Die von der mexikanischen Armee durchgeführte Verhaftung von zwei Generälen, die bei der "Campagna insurgente" des Militärs und der Polizei des Bundesstaates Guerrero gegen Guerrillagruppen teilgenommen hatten, stellt ein noch nie da gewesenes Eingeständnis der Existenz des schmutzigen Krieges gegen die Guerilla in den Siebzigerjahren dar. Francisco Quirós und Mario Arturo Chaparro Acosta wurden wegen 143 Mordfällen angeklagt, die sich zwischen 1973 und 1979 ereignet hatten. Es wird angenommen, dass die meisten Toten Anhänger des Guerillaführers Lucio Cabañas und seiner Partei der Armen (Partido de los Pobres) waren.

Den Generälen wurde vorgeworfen, die mutmaßlichen Guerilleros von Militärflugzeugen aus in den Pazifischen Ozean geworfen zu haben. Vor allem aber sollen sie ins mexikanische Drogengeschäft involviert gewesen sein und Geld von verschiedenen Banden angenommen haben. Am 28. Oktober begann gegen Quirós und Chaparro der Prozess vor einem Militärgericht, und bereits am vergangenen Freitag (1.11.) wurden die beiden zu 16 bzw. 15 Jahren Haft verurteilt.

Menschenrechtsgruppen applaudierten anfänglich über die Verhaftungen. Sie wurden als ein Fortschritt gesehen, um die Verantwortung für das Verschwinden hunderter von Personen während des schmutzigen Krieges aufzuklären. Bei näherer Betrachtung kam jedoch der Verdacht auf, dass das Militär eine breitere zivile Untersuchung über die Gräueltaten verhindern möchte. Nach Angaben des Sonderstaatsanwaltes für soziale und politische Bewegungen der Vergangenheit Ignacio Carillo Prieto wird durch die Verurteilung der beiden Generäle vor dem Militärgericht ein ziviler Prozess verhindert. Seiner Meinung nach könnten weitere hundert Offiziere von hohem Rang, wie zum Beispiel der letzte Verteidigungsminister Enrique Cervantes, in die Straftaten dieser Zeit involviert sein.

Die Verhaftung der beiden Generäle wurde vor der jährlichen Gedenkfeier an das Massaker von Tlatelolco bekannt gegeben. Bei diesem Massaker wurden am 2. Oktober 1968 vermutlich Hunderte von streikenden Studenten auf dem Platz der drei Kulturen in Tlatelolco, einem großen Wohnkomplex in Mexiko-Stadt, ermordet. Chaparro wurde auch vorgeworfen, einer Militäreinheit angehört zu haben, die das Feuer in Tlatelolco eröffnet hatte.

Ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Machenschaften des Militärs nicht vom Sonderstaatsanwalt untersucht werden sollen, ist, dass der Militärstaatsanwalt Jaime Antonio López Portillo dem Generalstaatsanwalt und Ex-Militär Rafael Macedo de la Concha eine Liste mit 37 von der Partei der Armen ermordeten Soldaten zwischen 1973 und 1979 übergeben hat. Er beantragte einen Prozess gegen die überlebenden Mitglieder dieser Organisation. Die Liste führt einen Teil der Namen der rund 350 während des schmutzigen Krieges in Guerrero umgekommenen Soldaten.

Der Landlehrer Cabañas, der seit 1968 am bewaffneten Kampf teilgenommen hatte, wurde sechs Jahre später ermordet. Diese Ermordung ereignete sich kurz nach dem der Gouverneurskandidat Rubén Figueroa der damals regierenden Partei der Institutionellen Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional) entführt worden war. Ehemalige Einwohner von Atoyac, einem Ort an der Pazifikküste, in dem die meisten Auseinandersetzungen stattfanden, sagten, dass mehr als 600 zivile Parteimitglieder von Cabañas einschließlich 126 seiner Familienangehörigen verschwanden oder ermordet worden seien.

Bis Quirós und Chaparro verhaftet wurden, weigerte sich das Militär zuzugeben, dass der schmutzige Krieg stattgefunden hat. Der General a.D. Alberto Quintana, einer der 100 Personen auf der Liste der Verdächtigen des Sonderstaatsanwaltes, erklärte kürzlich in einem Interview mit der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, dass "der schmutzige Krieg nicht existierte. Es war ein sauberer Krieg. Der Präsident befahl uns, das Land vom Kommunismus zu säubern."

Quirós und Chaparro wurden auch angeklagt, den verstorbenen Drogenbaron Amado Carillo, bekannt als der "Herr der Himmel", geschützt zu haben. Ein Dutzend der 326 Generäle der Division und Brigade von Mexiko wurden wegen des Verdachts der Beteiligung am Drogenhandel verhaftet. Sowohl bei den Drogen- als auch bei den Menschenrechtsprozessen steht die Verfassungsgarantie in Frage, weil Militärangehörige von einer zivilen Verurteilung befreit wurden. Aus diesem Grund sind Menschrechtsverteidiger skeptisch gegenüber dem Prozess gegen Quirós und Chaparro.

Rosario Ibarra de Piedra, deren Sohn Angehöriger einer bewaffneten Gruppe war und 1976 unter Gewahrsam verschwand, sagt: "Die Armee baut ihre eigenen Regeln auf, sie klagen sich selbst an, sie sprechen sich selbst frei und alle gehen dann glücklich nach Hause. Es ist immer das Gleiche: Die Armee wäscht ihre dreckige Wäsche zu Hause". Ibarra ist Gründerin von Eureka, der wichtigsten Gruppe von Familienangehörigen von Vermissten in Mexiko.


Quelle: poonal
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