Montes Azules: Vertreibung und Gier

News vom 04.02.2003
Peter Clausing

 

Das Grundstueck des Instituto de Desarollo Humano, des mexikanischen Sozialamtes, wo seit Ende Dezember die "friedlich" vertriebene Gruppe aus den Montes Azules untergebracht ist (jene aus der Gemeinde Lucio Cabañas im Gebiet von Arroyo San Pablo), liegt in Comitan hinter dem Friedhof (1). Das Gelaende ist umzaeunt, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Schule, von der Pausenlaerm herueberdringt. Rein zufaellig steht ein Polizeiauto vor dem Objekt, und der Polizist, der mehr beilaeufig fragt, wo wir hinwollen, hindert uns nicht am Weitergehen. Obwohl, er versucht uns mit der Auskunft zu entmutigen, dass die Fluechtlinge woanders hingegangen seien. Wohin, das wisse er nicht, und zurueck kaemen sie wohl auch nicht wieder. Daraufhin sagen wir, wir wollten mal "da hinten nachsehen, ob nicht dort jemand wuesste, wo sie hingegangen sind".

Die Waesche auf der Leine und der aufsteigende Rauch hinter der Hausecke bestaerken uns, den Worten des Polizisten keinen Glauben zu schenken. Zwei Frauen sind dabei, Tortillas zu backen und begruessen uns zoegernd. Wie sich erweist, sind die maennlichen Mitglieder der Gruppe tatsaechlich abwesend, kehren aber waehrend unserer Unterhaltung mit den Frauen ins Lager zurueck.

Zu essen haetten sie genug und auch jene Lebensmittel, die ihnen zusagen — u.a. Mais und Frijoles, aerztliche Versorgung sei gegeben und es kaemen Lehrer, die sich mit den Kindern beschaeftigen. Die Fluechtlinge verweisen auf eine entstellende Berichterstattung in oertlichen Tageszeitungen und der regierungsnahen Fernsehstation TELEVISA AZTECA, in der behauptet wurde, sie haetten sich ueber unzureichende Ernaehrung beklagt und darueber, dass ihre Kinder aufgrund von Fehlernaehrung sterben wuerden (vgl. auch indymedia- chiapas vom 21. Januar 2003).

Wegen dieser entstellenden Berichterstattung hat die Fluechtlingsgruppe am 9. Januar 2003 mit Jose I. Campillo, dem Vertreter der Umweltpolizei PRODEFA, in deren "Obhut" sie sich befindet, ein dreimonatiges Stillhalteabkommen vereinbart. Waehrend dieser Zeit soll die Regierung das fuer die Umsiedlung in Aussicht gestellte Land fuer die vier Familien besorgen. Die Fluechtlingsgruppe ihrerseits versprach, sich in dieser Periode oeffentlicher Aeusserungen zu enthalten. Auch fuer die Regierung steht einiges auf dem Spiel, denn wenn dieses Versprechen nicht eingehalten wird, hat sie gegenueber den acht weiteren zapatistischen Ansiedlungen in den Montes Azules, die akut von einer Zwangsumsiedlung bedroht sind, nicht einmal mehr Argumente, abgesehen davon, dass diese groesseren, nicht so wehrlosen Gemeinden ohnehin nicht zur Umsiedlung bereit sind.

Die Odysee der von uns besuchten, zur Chol-Ethnie gehoerenden Gruppe begann vor knapp 10 Jahren. Aufgrund der in Chiapas nie in Angriff genommenen Landreform, waren sie 1992 gezwungen, ihre Heimat in der Naehe von Tila im Norden von Chiapas zu verlassen. In Salina Cruz in der Zona Marques de Comillas, zwischen dem Montes Azules Biospaerenreservat und der Grenze zu Guatemala, lebten sie acht Jahre lang, fast lange genug, um ihren Status auf dem von ihnen bebauten Land zu legalisieren. Hier ging es ihnen gut — neben Grundnahrungsmitteln fuer den Eigenbedarf bauten sie Tomaten und Chili als "cash-crop" an, sie hatten ihre Haustiere, sogar ein paar Kuehe, und verstanden (und verstehen) sich als Zapatista- Sympathisanten. Ihre Hoffnung auf Legalisierung ihres Status fand ein jaehes Ende, als Manuel Méndez Sánchez and Gloria Méndez Sánchez, zwei Angehoerige ihrer Gruppe, am 2. November 2000, von Mitgliedern der militanten Campesino-Organisation MOCRI (Movimiento Campesino Regional Independiente) aus dem Hinterhalt erschossen wurden.

Daraufhin beugte sich die Chol-Gruppe beugte sich der Logik der in Chiapas herrschenden Straflosigkeit und fluechtete nach diesen Morden zunaechst nach Absalon Castellanos. Doch dort wurden sie weiterhin von MOCRI-Leuten bedroht, weshalb sie nach Aqua Dulce weiterzogen, wo es Chol-Zapatistas gab, die ursprüglich aus Buenavista (bei Sabanilla im Norden von Chiapas) gekommen waren. Von diesen bekam die auf der Flucht befindlichen Gruppe Land geliehen, dessen Benutzung jedoch von Jahr zu Jahr neu verhandelt werden musste. Dieser vagen Zukunft ueberdruessig, zog die aus 10 Erwachsenen und 17 Kindern bestehende Gemeinde in die Montes Azules und gründete am 29. Oktober 2002 die Siedlung Lucio Cabañas im Gebiet von Arroyo San Pablo.

Mit ihrer Siedlung in den Montes Azules waehnten sie sich am Ende ihrer Odyssee, sahen sich aber binnen kurzem neuen Konflikten ausgesetzt. Diesmal ging es nicht um bebaubares, sondern um (touristisch) vermarktbares Land. Den Gegenpart in diesem Konflikt stellten Angehoerige jener ethnischen Gruppe, die zu Zeiten der Kolonialherrschaft von den Spaniern aus Yucatan in das oestliche Chiapas zwangsumgesiedelt wurde, um die durch todbringende europaeische Infektionskrankheiten entvoelkerte Region wieder zu besiedeln (2), und die sich spaeter den Namen Lacandones gaben.

Ein einschneidendes Ereignis der juengeren geschichte war ein Dekret des damaligen Praesidenten Echeverría vom Maerz 1972 mit dem er die exklusiven Landrechte fuer eine Fläche von 660 000 ha tropischen Regenwald an nur 66 Lacandonen-Familien vergab. Neben den Rechten zur Gewinnung von Mahagoni und anderen Edelhoelzern (zusammen mit der staatlichen Forstwirtschaftsgesellschaft COFOLASA), fiel den Lacandones die Aufgabe zu, "den Wald zu schuetzen". Das Dekret von Präsident Echeverría ignorierte dabei den Tatbestand, dass sich in den Jahrzehnten zuvor auf dem Territorium dieser reichlich 600 000 ha mindestens 3000 Tzeltal- und Chol- Familien angesiedelt hatten, und zwar mit Genehmigung der frueheren Regierungen (3). Diese Lacandones bebauen selbst kaum Land und verdienen ihren Lebensunterhalt ausser mit Holzhandel vor allem im Tourismusgewerbe. Sie nehmen auch insofern eine Sonderstellung ein als sie das einzige indigene Volk Mexikos sind die einerseits das 1996 zwischen den Zapatistas und der Regierung geschlossene Abkommen von San Andrés ablehnten und die entstellte, vom mexikanischen Parlament im Jahr 2001 verabschiedete Version des Gesetzes zu indigenen Rechte und Kultur begruessten (4).

Nach Darstellung der von uns in Comitan besuchten Gruppe, befindet sich in der Konfliktregion auch eine noch nicht ausgegrabene Maya- Ruine, deren kuenftige Vermarktung durch die dort siedelnden Zapatistas behindert wird. Der angebliche "Oeko-Konflikt", erweist sich mehr als ein oekonomischer denn ein oekologischer: Die zapatistischem Siedler passen weder in die Plaene der an touristischen Dienstleistungen interessierten Lacandones noch in jene der potentiellen Investoren, zu denen sowohl auslaendische Interessengruppen als auch lokale Clans, wie zum Beispiel die Familie Pedrero (Besitzer von etwa einem Drittel des Grundeigentums in San Cristobal), gehoeren.

Der im Dezember 2002 im Biosphaerenreservat Montes Azules gesichtete Konvoi von 16 mit rund 50 "Gringos" belandenen Jeeps gab damals zu Spekulationen Anlass, dass es sich bei diesen um auslaendische Investoren auf der Suche nach Oekoturismus-Objekten handeln wuerde. Die Suche nach oeko-touristischen Investitionsobjekten passte gut in das Bild dieses "Oeko-Konflikts". Es waere immerhin nicht das erste: Am Rio Lacanja in der Naehe des Maya-Ruinen-Komplexes Bonampak ist bereits der Bau eines Luxushotels geplant. Inzwischen sind jedoch Zweifel daran entstanden, ob das Interesse der Jeep-Kolonne potenziellen oekoturistischen Investitionsobjekten galt. Offiziell handelte es sich um die ohnehin schizophren klingende Idee, mit einer Querfeldein-Ralley den Umweltgedanken zu foerdern (siehe www.isuzuchallenge.com).

Die Merkwuerdigkeiten haeufen sich jedoch, wenn man in Betracht zieht, dass
- diese Umweltfreaks, die mit ihren Allrad-Fahrzeugen durch das Biospaerenreservat preschten, eben nicht (wie auf der Homepage verkuendet) die touristische "Ruta Maya" befuhren, sondern — wie beobachtet wurde — ungehindert die dem Militaer vorbehaltenen Strassen des Reservats benutzten, auf denen normale Zivilisten kaum einen Kilometer weit kommen.
- es eines der auf der Homepage erklärten Ziele dieser Mission war, die "Ranger" des Reservats (wer sind die denn ??) mit modernsten Mitteln der Telkommunikation einschliesslich Satelliten-gestuetzten Mobiltelefonen auszustatten — "um dem illegalen Holzeinschlag besser Einhalt bieten zu koennen" (Conservation International ick hoer dir trappsen).
- es sich bei dem Leiter dieser Expedition, sozusagen dem Ober- Allrad-Umweltfreak, um den ehemaligen Chef der israelischen Luftwaffe (und jetzigen Generalvertreter von General Motors in Israel) handelt.
- die an die Oeffentlichkeit gelangte Liste der Teilnehmer an diesem Ausflug erkennen lässt, dass es sich zum groessten Teil um israelische Staatsbuerger handelt, die dort die Militaerstrassen des Biosphaeren-Reservats befuhren, um nach links und rechts die Satellitentelefone an die Nationalpark-Ranger auszuteilen.

Eingedenk der Rolle, die das israelische Militaer in der Vergangenheit in Lateinamerika bei der Aufstandsbekaempfung (Guatemala) bzw. bei der "Eindaemmung der kommunistischen Gefahr" (Chile, Argentinien, Brasilien) gespielt hat, ist der Gedanke, dass das Unterfangen einen eher militaerischen als oekoturistisch-geschaeftlichen Hintergrund hatte, nicht ganz von der Hand zu weisen.

Raeumungen und Raeumungssdrohungen in den Motes Azules haben eine lange Tradition. Seit den fruehen 50er Jahren wurde diese Region von der Regierung als Ventil fuer die ungeloeste Landfrage in Mexiko genutzt und landlose Bauern teils direkt dorthin umgesiedelt, teils zur eigenstaendigen Besiedlung ermutigt. Doch bereits 1972, im Ergebnis der Landvergabe an die Lacandones durch Praesident Echeverría, wurden Vertreibungen angedroht. Im August 1982 wurden im Zuge von Landdisputen 2 Personen ermordet, 23 Personen entfuehrt und 149 Behausungen abgefackelt (5). Offenbar aus taktischen Gruenden, um das Fass der schwelenden sozialen Konflikte in Mexiko nicht zum Ueberlaufen zu bringen, wurden die neuerlichen, seit einem dreiviertel Jahr kursierenden Raeumungsdrohungen — von der "friedlichen" Raeumung in Lucio Cabañas abgesehen — bisher nicht wahr gemacht (vgl. 6). Auf der Kundgebung der 20 000 Zapatistas, die am 01. Januar 2003 anlaesslich des 9. Jahrestages des Aufstandes in Chiapas mit Macheten-Geschepper in San Cristobal de las Casas einmarschiert waren, wurde deutlich kommuniziert, dass die anderen 8 zapatistischen Kommunen nicht bereit sind, sich "friedlich" raeumen zu lassen und mit der Unterstuetzung der EZLN rechnen koennen.
- Der Besuch erfolgte am 11.01.2003.
- Collier, G.A. und E. Lowery-Quaratiello: Basta ! Land and the Zapatista Rebellion in Chiapas. Food First Books, Oakland, California 1999, S. 19.
- Harvey, N.: The Chiapas Rebellion. The Struggle for Land and Democracy. Duke University Press, Durham und London 1998, S. 80.
- Lateinamerika-Nachrichten Nr. 344, 2003, S. 27
- Harvey, a.a.O., S.88
 

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