Oaxaca. Opfer werden zu Täter gemacht

Direkte Solidarität Chiapas vom 12.05.2010

 

Die internationalen Reaktionen auf die schrecklichen Ereignisse in Oaxaca sind geharnischt. Bewaffnete Zivilisten griffen am 27. April mit Schnellfeuerwaffen eine Menschenrechtskarawane an, ein finnischer Beobachter und eine mexikanische Aktivistin starben, 20 weitere im Kugelhagel stehende Personen trugen mentale und körperliche Verletzungen davon.

Die EU erklärte sich »sehr besorgt« über die Verschlechterung der Menschenrechtssituation und vier UNO-Sonderbotschafter nannten die in völliger Straffreiheit und in offener Kollaboration mit den Behörden agierenden bewaffneten Zivilisten gar beim Namen: Paramilitärs. Deren Existenz wird jedoch von der mexikanischen Regierung Calderón — momentan in Europa unterwegs — immer noch vehement bestritten.

Die Regierung Ulises Ruiz in Oaxaca hat zusätzlich einen Angriff auf die ausländische Präsenz im touristisch attraktiven Bundesstaat lanciert. Evencio Martínez Ramírez, ehemals Ombudsmann für Menschenrechte, dann Polizeichef und heute Innenminister von Oaxaca, versicherte, die ausländischen Leute, welche an Menschenrechtsbeobachtungen teilnehmen, destabilierten den »sozialen Frieden« Oaxacas. Es sei dringend notwendig, Massnahmen zu ergreifen und er habe deshalb von der Migrationsbehörde Daten über die anwesenden AusländerInnen angefordert, er will wissen, »wie viele AusländerInnen in Oaxaca sind und was sie hier tun«.

Einmal mehr werden so die Opfer von krassen Menschenrechtsverletzungen zu Tätern gestempelt. Erinnert sei nur an Digna Ochoa, die mutige Anwältin, welche sich 2001 gemäss den Behörden trotz Kampfspuren im Büro und weiteren Beweisen eines Mordes mit zwei Schüssen Suizid begangen haben soll. Oder der US-Indymedia-Aktivist Brad Will, der seine Mörder, Auftragskiller im Namen der Regierung, auf den Barrikaden des Aufstandes in Oaxaca von 2006 selber filmte — und die Behörden nach zweijähriger Untätigkeit dann einen Aktivisten der APPO festnahm (der nach langwierigem Prozess im Februar 2010 freigelassen werden musste).

Die seit Tagen andauernde xenophobe Kampagne der Regierung Ruiz findet mitten in einem von Gewaltakten überschatteten Wahlkampf statt. Am 4. Juli werden Bürgermeisterämter, Parlament und Gouverneursamt neu bestückt. Die PRI, seit 80 Jahren an der Macht, hat grosse Angst, dass Stimmenkauf und Manipulationen nicht ausreichen könnten, um an der Regierung zu bleiben. Sie versucht zudem, dem Wahlprozedere mit über 1’200 mexikanischen WahlbeobachterInnen einen legitimen Anstrich zu geben. Letzmals waren es 600 — aber es wurden keine Namen bekannt, es gab kein Bulletin, keine Pressekonferenz, die BeobachterInnen waren eine Fata Morgana. Besonders beunruhigt hat die Regierung Ruiz die Aussage von internationalen VertreterInnen des Sozialforums in Mexiko Stadt, welche eine Beobachtung der Wahlen ankündigten. Dies sei verboten, so Evencio Martínez Ramírez postwendend. Was so nicht stimmt, korrekt ist, dass für lokale Urnengänge zwar keine eigentliche Figur der internationalen Beobachtung vorgesehen ist, aber die Einhaltung der Menschenrechte und deren uneingeschränkte Beobachtung hat Mexiko in internationalen Abkommen firmiert.

Auch in anderen Bundesstaaten wird gegen engagierte ausländische AktivistInnen gehetzt, so tauchten kürzlich über die regierungstreue Zeitung Reforma angebliche Fotos von Subcomandante Marcos auf — in Wahrheit ist der abgebildete bärtige Herr ein junger italienischer Aktivist in Chiapas, der vom Alter her wohl Marcos Sohn sein könnte. Das Fotoalbum, das über die Reforma diverse AktivistInnen diffamiert, soll wohl eine Art öffentliche Drohung darstellen in einer Zeit, wo die sozialen Organisationen immer stärker kriminalisiert werden. Im Jahr 2000, als Vicente Fox als erster nicht-PRI-Präsident an die Macht kam, endete die Kriminalisierung der internationalen Beobachtung, die Ausschaffungen der 90er-Jahre gehörten der Vergangenheit an, Landesverweise wurden aufgehoben und das UNO-Menschenrechtshochkommissariat eingeladen, ein Büro zu eröffnen. Doch die Transformation der Gesellschaft in Richtung mehr Demokratie und Respektierung der Menschenrechte fand nicht statt und zehn Jahre später scheinen auch die Repressalien gegen ausländische BeobachterInnen wieder systematisch einzusetzen.


Quelle:
Direkte Solidarität mit Chiapas/Café RebelDía:
Quellenstrasse 25, 8005 Zürich

Spenden für Direkte Solidarität mit Chiapas
Zur Spendeninformation


Café RebelDía
fein-fair-bio
Quellenstrasse 25
8005 Zürich

Für Deinen täglichen Aufstand!
Verkaufsstellen in der Schweiz


Das Buch zum Kaffee: "Das Aroma der Rebellion."
Zapatistischer Kaffee, indigener Aufstand und autonome Kooperativen in Chiapas, Mexiko.
Zur Ankündigung der Neuauflage


https://chiapas.ch/
soli AT chiapas PUNKT ch



 

Quelle: https://chiapas.ch/?artikel_ID=1019&start=0&j=10


 

URL der Nachricht:  https://www.chiapas.eu/news.php?id=5390