Welle der Gewalt im Süden Mexikos

Nach Massaker im April: Humanitäre Delegation will erneut Lebensmittel in belagerte Gemeinde bringen

junge welt vom 07.06.2010
Darius Ossami

 

Der Mexikaner Omar Esparza wirkt verloren in dem bunten Hostel in Berlin-Friedrichshain, wo junge Touristen aus Australien lautstark Bier trinken. Gerade kommt er aus Finnland, wo er die Eltern von Jyri Jaakkola traf, der Ende April im südmexikanischen Oaxaca als Teilnehmer einer internationalen Menschenrechtskarawane erschossen wurde. Bei diesem Angriff starb auch Esparzas Ehefrau Bety Cariño. Beide waren führende Aktivisten der indigenen Gemeindeorganisation CACTUS und hatten die aus 25 Menschenrechtsbeobachtern, Lehrern und Journalisten bestehende Delegation mitorganisiert. Sie hatte sich am 27. April auf den Weg nach San Juan Copala im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca gemacht, um Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter in die seit sechs Monaten belagerte Gemeinde zu bringen. 800 Menschen sind hier ohne Strom, ohne fließend Wasser, ohne Schulunterricht und ohne Medikamente eingeschlossen, seit paramilitärisch agierende Gruppen im vergangenen November begonnen hatten, San Juan Copala, das sich im Januar 2007 für »autonom« erklärt hatte, zu belagern. Wichtigste Kraft dieser Paramilitärs ist die UBISORT, die sich selbst als zivile Gemeindeorganisation darstellt, faktisch aber eine bewaffnete Truppe von Oaxacas Regierungspartei PRI ist. Laut Esparza gehört zu ihren Aufgaben die Einschüchterung der Bevölkerung und das Töten von oppositionellen Politikern. »Sie handeln nicht nach den Gesetzen, sondern stehen außerhalb des Rechts. Die Regierung von Oaxaca benutzt sie als Mordtruppe, um ihre Gegner auszulöschen«, berichtete er gegenüber junge Welt. Seit Beginn der Belagerung im November sind rund 20 Menschen erschossen worden. Wahlen stehen an, und in der Region Triqui gibt es viele bewaffnete Akteure. Neben der UBISORT operiert die MULT als bewaffnete Truppe der Oppositionspartei PUP, die allerdings ebenfalls mit den Schaltstellen der Macht kungelt. Eine Abspaltung von dieser Gruppierung, die MULT-I, steht hingegen der autonomen Gemeinde nahe. Alle schieben sich reihum die Schuld für die tödlichen Angriffe zu.

Anfang Mai gelang es Journalisten der Zeitschrift Contralínea im Schutz der Nacht erstmals, die autonome Gemeinde San Juan Copala zu besuchen. Sie erlebten eine Geisterstadt, deren Bewohner gelegentlich von den umliegenden Bergen aus beschossen werden und sich im wesentlichen von Mais und Bohnen ernähren. Am 15. Mai wurde eine Gruppe von Frauen aus Copala eine Nacht lang in einer von der UBISORT kontrollierten Nachbargemeinde festgehalten. Fünf Tage später wurden der Anführer der MULT-I, Timoteo Alejandro, und seine Frau Cleriberta Castro in ihrem Haus erschossen. Auch Esparza und seine beiden Kinder haben Morddrohungen erhalten. Nach dem Tod von Bety Cariño mußten sie Hals über Kopf ihr Haus verlassen.

Angesichts dieser Welle der Gewalt warb Esparza in Europa um Unterstützung für eine weitere, diesmal größere humanitäre Karawane, die am heutigen Montag mit 250 Teilnehmern von Mexiko-Stadt aus nach San Juan Copala starten soll. Trotz aller Gefahren ist auch Esparza wieder dabei: »Trotz des Schmerzes werden wir darum kämpfen, daß solche Dinge nicht mehr passieren und nicht ungestraft bleiben. Wir bleiben an der Seite derjenigen, die wir mit unseren Forderungen schon immer vertreten haben: den indigenen Völkern Mexikos in ihrem Kampf um Land, Freiheit und Gerechtigkeit.«

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/06-07/040.php


 

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