Selbst gedreht

Interview mit dem Tzotzil-Filmemacher José Alfredo Jiménez

Poonal vom 30.07.2010
von Bettina Hoyer

 

Jose Alfredo Jimenez(Berlin, 30. Juli 2010, npl).- 45 Tzotzil-Indigene wurden 1997 beim Massaker in Acteal im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas umgebracht. Bis heute wurde niemand für diese Gräueltat verurteilt. Die Opfer gehörten der pazifistischen Organisation »Las Abejas« (»Die Bienen«) an. Las Abejas steht den Zapatisten nahe, lehnt den bewaffneten Kampf jedoch bis heute ab.

»Bienen sind sehr solidarisch, wenn du eine angreifst, kommen alle anderen und helfen«, sagt Jose Alfredo Jimenez, der für dieses Jahr zum Vorsitzenden der der Organisation gewählt worden ist. Der 34-jährige Tzotzil-Sprecher lebt in der Ortschaft Acteal, die zur Gemeinde Chenalhó in Chiapas gehört. Er arbeitet als Filmemacher für die Organisation Las Abejas. Vor kurzem hat José Alfredo Jiménez seinen 2007 fertiggestellten Dokumentarfilm »Acteal — 10 Jahre Straflosigkeit. Wie viele noch?« über das Massaker von 1997 in Deutschland präsentiert.

Wann bist du Journalist geworden? Jiménez: Das war Ende des Jahres 2002. Ich war getrieben von der Idee, ein indigener Journalist zu werden. Anschließend nahm ich an Workshops für Printmedien teil, die von alternativen Medien angeboten wurden. Und ab 2003 gaben wir in Acteal für unsere Organisation »Las Abejas« gedruckte Newsletter heraus, die wir innerhalb der Gemeinden und an interessierte alternative Medien verteilten.

Wie bist du dann zum Film gekommen? Meine Kollegen und ich haben bereits 2003 bemerkt, dass gedruckte Medien nicht das Richtige waren. Es gibt keine Lesekultur in meinem Volk, den Tzotzil. Das Interesse, vor allem der Jugendlichen und Kinder, gilt den audiovisuellen Medien. In den meisten Orten gibt es Strom, die Leute haben einen Fernseher und einen DVD-Player. Und egal was läuft: Sie hocken vor den Geräten und schauen sich das stundenlang an. Ich dachte: Da muss man doch was machen, damit sie nicht nur Dinge sehen, die überhaupt nichts mit ihrer eigenen Kultur zu tun haben. Meine Idee, mein Traum war es, Video und Fernsehprogramme zu machen, die auch Wissen vermitteln und mit deren Hilfe die Menschen — und vor allem die Jugendlichen — die Kultur, die Sprache und die Identität unserer Tzotzil-Kultur wieder mehr schätzen lernen und pflegen. Deshalb begann ich 2005 erneut mit Weiterbildungen, dieses Mal im Bereich Video.

Wo hast du das nötige Handwerk gelernt? Mich haben beispielsweise Nichtregierungsorganisationen in San Cristobal, Chiapas und alternative Medienkollektive eingeladen, bei ihnen zu lernen. Anschließend drehte ich meinen ersten Dokumentarfilm über ein alternatives Gemeinderadio. Ich erhielt daraufhin Einladungen zu Festivals und zeigte den Film auf dem Festival der Lateinamerikanischen Koordinationsstelle der Indigenen Völker CLACPI in Oaxaca. So lernte ich immer neue Leute kennen, erfuhr von weiteren Kursen und bin immer tiefer ins Metier eingestiegen. Für den ersten Film über das Gemeinderadio hatte ich mir die komplette Technik ausgeliehen. Mit dem Filmprojekt über das Massaker zu Acteal, in dem ich zeigen wollte, dass es sich dabei um ein Staatsverbrechen handelt, gewann ich ein Teilstipendium und das Geld investierte ich dann erst einmal in technische Ausrüstung.

Wie haben die Menschen in Acteal auf deine Idee reagiert, ein Video über das Massaker zu drehen? An dieser Stelle sollte ich erklären, dass ich als Medienarbeiter für die Gemeinde und nicht als individueller Film — oder Videoproduzent tätig bin. Das bedeutet, ich gehe nicht los, denke, das will ich machen und lege los. Die Entscheidung über den Film zu Acteal wurde im Kollektiv gefällt. Natürlich ist mir die Idee gekommen, aber auch andere sagten: »Warum machst du nicht ein Video über Acteal, um der Kampagne und der Version der Regierung etwas entgegenzusetzen?«

So habe ich zuallererst die Leitung der Organisation »Las Abejas« um ihre Zustimmung und ihre Meinung zum Projekt gebeten. Sie waren einverstanden. Anschließend sprach ich mit den Überlebenden, die ja die Protagonisten des Videos sein würden. Ich erklärte ihnen, dass sie als Zeugen über das sprechen sollten, was sie erdulden mussten, damit endlich anerkannt wird, was passiert ist und das Massaker nicht ungestraft bleibt. Als auch sie eingewilligt hatten, konnte ich beginnen.
Was genau ist ein Gemeindejournalist? Ein Gemeindejournalist arbeitet immer mit Zustimmung der Gemeinde und hat dadurch auch deren Unterstützung. Wenn die Gemeinde ein Projekt nicht gut heißt, akzeptiere ich das. Es gibt also einen Unterschied zum Journalisten, dem der Chefredakteur sagt: Mach mal etwas über dieses Thema! Außerdem mache ich meine Arbeit nicht, um sie für Geld zu verkaufen. Natürlich habe ich viele Ideen, aber ein Gemeindejournalist muss auch immer schauen, welche Themen in der Gemeinde gerade Priorität haben, wie die politische Situation ist. Dementsprechend mache ich meine Vorschläge und die Leitung sagt dann vielleicht: Ja, wir sind einverstanden, denn wir halten das, was du vorschlägst, gerade auch für sehr wichtig.

Wo wurde dein Video über das Massaker von Acteal gezeigt? Zuerst wurde es beim 10. Jahrestag des Massakers von Acteal im Dezember 2007 präsentiert. Die Protagonisten sollten es zuerst sehen und sich dazu äußern können. Später wurde das Video auch in anderen Städten Mexikos, in der Hauptstadt und bei internationalen Festivals in Mexiko und in Kanada, Spanien, Chile und den USA gezeigt. Etwa beim XIV. Festival des Indigenen Films und Videos, organisiert vom Smithsonian National Museum of the American Indian, in New York.

Wie waren die Reaktionen des Publikums? Es gibt nicht nur im Ausland, sondern auch in Mexiko viele Menschen, die nicht wirklich wissen, was damals geschah. Oder, sie kennen durch die Massenmedien eine sehr oberflächliche Sicht auf das Massaker. Die Zuschauer sind immer sehr bewegt, manche auch peinlich berührt, dass es so etwas gegeben hat. Das Video hat viel Solidarität ausgelöst, manche sind auch aktiv geworden und haben daraufhin Protestaktionen gemacht.
Wurde der Film außer auf indigenen Filmfestivals auch auf anderen Festivals gezeigt oder hat die Massenmedien — ein anderes Publikum — erreichen können? Der Dokumentarfilm kritisiert Staat und Regierung sehr stark. In den monopolisierten Massenmedien Mexikos wird er daher wohl nicht laufen. Aber er wurde auf Festivals vor Indigenen aus dem ganzen amerikanischen Kontinent gezeigt, aus Kanada, Bolivien, Ecuador, Brasilien, Guatemala oder Chile beispielsweise. Andere indigene Völker zu erreichen, damit sie wissen, was bei uns geschieht ist meiner Meinung nach sehr wichtig. So entstehen Netzwerke. Wir haben Filmmaterial und Kenntnisse ausgetauscht. Und auf den Festivals sind natürlich auch Nicht-Indigene, die zu »indigenen Themen« arbeiten — was auch immer das dann sein soll.

Spielt es für dich eine große Rolle, dass Indigene selbst ihre Filme drehen? Meiner Ansicht nach ist es großartig, dass dies erreicht worden ist. Ein Indigener, der Videos über die Belange und Bedürfnisse seines Volkes dreht, kann etwas sehr Authentisches produzieren, denn er kennt die Kultur, spricht die Sprache, weiß unglaublich viel über das Volk und in meinem Fall beispielsweise: Alles, was ich in meiner Videoarbeit mache, entspringt einem tiefen inneren Bedürfnis und hat daher viel Kraft und Kreativität. Es ist »alles« enthalten. Damit will ich nicht sagen, dass Indigene professionellere Videos machen könnten. Aber wenn andere Filme über Indigene machen, ist dieser Reichtum an Kenntnissen nicht vorhanden, deshalb kann nicht alles enthalten sein. Das soll aber nicht heißen, dass gemeinsame Arbeiten zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen nicht auch gemacht werden können.
Gibt es im Ort Leute, die in deine Fußstapfen treten möchten? Ja, momentan unterrichte ich vier Jungs zwischen 14 und 18 Jahren. Es ist wichtig, dass ich mich jetzt nicht professionalisiere und fertig, sondern dass die Videoarbeit Teil des Kampfes unserer Organisation bleibt und weitergeführt wird, wenn ich einmal andere Dinge machen möchte.

Gibt es auch einen Austausch mit nicht indigenen VideoproduzentInnen aus Mexiko? Ja, sogar sehr viel. Ich arbeite beispielsweise im alternativen Medienkollektiv Komanilel. Auf unserem Blog gibt es Audios, Texte und Videos. Das Kollektiv besteht aus Tzotziles, Tzeltales, Mayas oder Mestizen und Medienleuten aus anderen Ländern. Wir indigenen Videomacher dürfen uns keinesfalls von der Welt abwenden, sondern müssen uns mit anderen verbinden. Aber wir müssen unsere Arbeiten gegenseitig respektieren.

Hast du bereits Pläne für neue Projekte? Dieses Jahr bin ich zum Leiter meiner Organisation »Las Abejas« gewählt worden und in dieser Funktion auch in Deutschland. Ich zeige das Video, damit auch nach 12 Jahren das Massaker nicht vergessen wird. Wir fordern weiterhin Gerechtigkeit, damit so etwas nicht wieder passiert und die Täter nicht straffrei bleiben. Das heißt, gerade bin ich mit anderen Aufgaben betraut. Aber im kommenden Jahr werde ich meine journalistische Arbeit fortsetzen.

Mein Traum wären fiktionale Geschichten über Märchen und Erzählungen meines Volkes. Am liebsten kombiniere ich die Dinge mit aktuellen Ereignissen, etwa zur Situation der Menschenrechte... und klar, hängt alles von der Entscheidung der Gemeindeautoritäten ab. Aber, wenn man mit Spaß, Überzeugung und Leidenschaft bei der Sache ist, warum dann nicht die Träume Realität werden lassen?


− [Das Video »Acteal, 10 años de impunidad. ¿Cuántos más« (Spanisch/Tzotzil mit engl. UT] kann kostenlos angeschaut werden:



− Tipp: In der aktuellen Ausgabe der Lateinamerikanachrichten (433/434) findet ihr ein weiteres Interview mit dem Filmemacher. Barbara Rühling hat ihn vor allem zum Massaker und zur Situation in Acteal befragt. http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/archiv/ausgabe/433.html
− José Alfredo Jiménez hat gemeinsam mit Maya-KünstlerInnen und GemeindekommunikatorInnen sowie drei nicht indigenen AnthropologInnen und KünstlerInnen das Buch »Sjalel Kibeltik: Tejiendo Nuestras Raíces« (dt.: Unsere Wurzeln weben) herausgegeben.
− Webseite des Videokollektivs Komanilel http://www.komanilel.org/


Quelle: poonal
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