Klimaverhandlungen in Cancún

Wo Klimaschutz verhandelt wird, werden die Menschenrechte mit Füßen getreten

amerika21.de vom 01.12.2010
Von Peter Clausing

 

Auf der UN-Klimakonferenz in Cancún will man kleine Brötchen backen, heißt es allenthalben. Der Gipfel im vorigen Jahr in Kopenhagen endete trotz klimapolitischer Aufgeregtheit und Selbstinszenierung (»Klimakanzlerin«) mit einem Fiasko. Sich fast gar keine Ziele zu setzen, ist wohl die einfachste Strategie, um in Cancún Misserfolgen vorbeugen. Dabei wäre dringend geboten, entschiedene Schritte gegen eine weitere Verschärfung des Klimawandels zu unternehmen.

Nach allem, was zu lesen ist, werden die humanitären Folgen des Klimawandels im globalen Süden weitaus heftiger sein als im Norden, nicht zuletzt aufgrund der geringeren Ressourcen, um diese Folgen durch Anpassungsmaßnahmen abzumildern. Schwere Stürme, Starkregen, Überschwemmungen und Dürreperioden gibt es besonders in den südlichen Regionen schon heute in größerer zeitlicher und geografischer Dichte als im vorigen Jahrhundert. Ernteausfälle, Verlust an Biodiversität, Waldbrände, Wasserknappheit und Wüstenbildung sind die Folge.

Dadurch werden besonders den armen Bevölkerungsschichten immer häufiger die völkerrechtlich garantierten Menschenrechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser und Wohnung vorenthalten. Für Viele bleibt als Ausweg nur die Migration in Länder, die sie nicht willkommen heißen, die zugleich aber maßgebliche Verursacher des Klimawandels sind. Dabei wurde mit dem 2009 auf der Grundlage der Resolution 7/23 des UN-Menschenrechtsrates angenommenen Bericht zur »Beziehung zwischen Klimawandel und Menschenrechten« offiziell bestätigt, dass sich der Klimawandel negativ auf die Menschenrechte auswirkt.

In den Industrieländern wird suggeriert, dass die Klimakrise ohne grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, allein mit technisch-organisatorischen Lösungen in den Griff zu bekommen sei. Die Folge ist, neben der Verletzung der obengenannten Menschenrechte, eine unmittelbare Beeinträchtigung der Lebensgrundlage von jenen Teilen der Bevölkerung, auf deren die Grund und Boden die alternativen Energien gewonnen werden. In fast allen Fällen geht es um Landrechte, denn die Nutzung alternativer Energien ist mit einem entsprechenden Flächenbedarf verknüpft.

Dabei dienen diese Technologien oftmals der »CO2-neutralen« Stillung des Energiehungers der Industrieländer — erinnert sei an das Solarstromvorhaben DESERTEC in Mauretanien und Mali.

Auch im Gastgeberland des aktuellen Klimagipfels werden solche Technologien installiert, was bestimmten »Exportnationen« neue Wertschöpfungsmöglichkeiten bietet. Ausdruck dessen war unter anderem die erste »Unternehmerreise« der deutschen Energiewirtschaft nach Mexiko, die vom 12. bis 20. Juni 2010 stattfand. Darüber hinaus kündigte die Europäische Investitionsbank am 5. Mai an, dass sie sich mit 78,5 Millionen Euro am Bau der Windkraftanlage »La Venta III« in Santa Domingo Ingenio im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca beteiligen wird. Gleichartige Projekte in der Nähe von »La Venta III« waren Ziel von Protesten seitens der lokalen Bevölkerung. Dazu zählen der bereits in Betrieb befindliche Windpark »La Venta II« und der Eurus Windpark, der von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mitfinanziert wird. Ähnlich wie beim Eurus Windpark, dessen Hauptabnehmer der transnationale Zementkonzern CEMEX sein wird, kommt die in solchen Anlagen erzeugte Energie der örtlichen Bevölkerung kaum zugute.

Zu den »kleinen Brötchen«, die in Cancún gebacken werden, gehört voraussichtlich die Verabschiedung eines Abkommens zum Schutz der Urwälder — auf der Basis eines marktgesteuerten Instrumentariums. Ein Vorläufer dieses Instruments zum Schutz von »CO2-Senken«, d.h. Wäldern, existiert bereits in Form des von den Vereinten Nationen unterstützten REDD-Programms (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation). Doch eine Reihe von Regierungen des Südens, allen voran Bolivien, sowie zahlreiche Basisinitiativen kritisieren das REDD-Programm vor allem deshalb, weil es mit den spekulativen Märkten des Emissionshandels und der Veräußerung traditioneller Bodenrechte verknüpft ist. Die »Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte von Mutter Erde«, an der im April in Bolivien 45.000 Vertreterinnen und Vertreter aus 136 Ländern teilnahmen, haben sich aus eben diesen Gründen markant gegen das REDD-Programm ausgesprochen und einen Alternativvorschlag formuliert, den sie auf der angelaufenen Klimakonferenz einbringen werden.

In Übereinstimmung mit ihrem neoliberalen Wirtschaftsprogramm propagierte die mexikanische Regierung im Vorfeld des Klimagipfels verstärkt ihre Beteiligung am REDD-Programm. Da Mexiko das Land mit der zweithöchsten Entwaldungsrate in ganz Lateinamerika ist, nützen diese Ankündigungen zumindest der Imagepflege des Gastgeberlandes. Der jährliche Waldverlust in Mexiko — Folge einer Kombination von Abholzung sowie von gelegten und natürlichen Waldbränden betrug — in den vergangenen 35 Jahren 0,6 Prozent (bzw. 1,1 Prozent von 1990 bis 2000). Die Vegetationsdecke reduzierte sich von 1970 bis 2005 um 18 Millionen Hektar. Dies versucht die mexikanische Regierung, durch Baumplantagen zu kompensieren. Seit 2004 fördert sie Palmölplantagen, deren negative ökologische und soziale Folgen hinlänglich bekannt sind. Inzwischen gibt es davon allein in Chiapas 44.000 Hektar, mit dem Ziel, dort bis 2012 die 100.000-Hektar-Marke zu überschreiten. Langfristig sind 900.000 Hektar angepeilt. Die Europäische Union förderte die Errichtung dieser Plantagen im Rahmen des PRODESIS-Projekts (2004-2007). Die oben erwähnte erste »deutsche Unternehmerreise der Energiewirtschaft nach Mexiko« folgte diesem Trend und integrierte das Thema Agrotreibstoffe in ihr Programm.

In starkem Kontrast zu den Erklärungen der mexikanische Regierung, sich an der Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern (REDD) beteiligen zu wollen, steht die Verfolgung von Personen, die sich für den Umweltschutz und die Erhaltung der Wälder einsetzen. Einer der international bekanntesten Fälle ist jener der Umweltaktivisten Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera, die 1999 willkürlich festgenommen, gefoltert und fälschlich des illegalen Waffenbesitzes beschuldigt wurden. Nach zweijähriger Haft wurden sie nach nationalen und internationalen Protesten freigelassen im Jahr 2001 — freigesprochen wurden sie bis heute nicht. Folglich erhielten sie keine Entschädigung, und sowohl die Täter als auch die geistigen Urheber dieser Menschenrechtsverletzungen − unter ihnen Militärangehörige − wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Der mexikanische Staat weigert sich bis heute, den Aktivisten Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen und ihre Unschuld anzuerkennen. Das hat zur Folge, dass ihr Fall momentan vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wird.

Montiel und Cabrera waren Mitbegründer der Organisation OCESP (Organización de Campesinos Ecologistas de la Sierra de Petatlán y Coyuca de Catalán) und setzten sich für den Erhalt ihrer Wälder im Bundesstaat Guerrero ein. Allein zwischen 1992 und 2000 verloren dort die Sierra de Petatlán und die Coyuca de Catalán 86.000 Hektar Wald, etwa 40 Prozent der dortigen Waldfläche. Entsprechende Abkommen zur Baumrodung waren zwischen dem damaligen Gouverneur des Bundesstaates Guerrero, Rubén Figueroa, und der US-amerikanischen Firma »Boise Cascade« abgeschlossen worden. Montiel und Cabrera waren nicht die einzigen OCESP-Aktivisten, die Repressionen erleiden mussten. Auch Felipe Arreaga war monatelang willkürlich inhaftiert (2004/2005). Seine Frau, Celsa Valodvinos, wurde bedroht. Und zwei Kinder von Albertano Peñaloza Dominguez wurden im Jahr 2005 umgebracht. Die Mitglieder von OCESP hatten gegen die Abholzung der Wälder in ihren Heimatregionen protestiert, durch die ihre Flüsse austrockneten, was aufgrund des Wassermangels Missernten und Mindererträge nach sich zog. Als ihre Petitionen und Proteste nicht fruchteten, gingen sie zu Wegblockaden über und erreichten schließlich, dass »Boise Cascade« die Region verließ.

Doch Misserträge und Minderernten sind nicht auf die beschriebene Region im Bundesstaat Guerrero beschränkt. Prognosen besagen, dass Mexiko und Mittelamerika in besonderem Maße von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden. Rund ein Viertel der 100 Millionen Einwohner Mexikos haben bereits jetzt unter den Folgen extremer Wettererscheinungen zu leiden. Während der Südosten in letzter Zeit regelmäßig von Überschwemmungen infolge der häufiger auftretenden Hurrikane heimgesucht wird, gibt es in anderen Teilen dieses Landes, das ungefähr fünfmal so groß ist wie die Bundesrepublik, ausgedehnte Dürreperioden. Die Hälfte der Fläche Mexikos, fast 100 Millionen Hektar, weist Bodendegradation oder Erosion auf — Auswirkung von Klimaveränderung und veränderter Landnutzung. Eine im August veröffentlichte Studie der Princeton Universität (USA) schätzt, dass sich die Migration aus Mexiko aufgrund von klimabedingten Ernteausfällen in den nächsten Jahrzehnten kumulativ um sechs bis sieben Millionen Menschen erhöhen dürfte — zusätzlich zu der ohnehin seit Jahren stattfindenden Auswanderung aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Misere.

Nach Einschätzungen des Weltklimarates (IPCC) wird in Mexiko der Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche bis zum Jahr 2050 zwischen 13 und 27 Prozent betragen. Eine düstere Perspektive mit Blick auf das völkerrechtlich garantierte Recht auf Nahrung. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind vor allem jene 40 Millionen Mexikaner, die mit weniger als drei Dollar pro Tag auskommen müssen — eine Zahl, die die 7,5 Millionen mexikanischen Indigenas zu nahezu 100 Prozent einschließt.

 

Quelle: http://amerika21.de/analyse/17488/klimaverhandlungen-cancun


 

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