Subcomandante Marcos, »Über Kriege« (Januar/Februar 2011)

Kommunique vom 16.02.2011
übersetzt von: Dana

 

Subcomandante Insurgente Marcos

ÜBER KRIEGE

(Fragment des ersten Briefes von SupMarcos an Don Luis Villoro, erster Teil der Korrespondenz über Ethik und Politik. Januar-Februar 2011).

Teil 2 von 4 Teilen des ersten Briefes, der vollständig in der nächsten Ausgabe der Revista Rebeldía erscheinen wird.

(...)

Als mexikanische Ureinwohner und als EZLN können wir einiges über den Krieg sagen. Vor allem wenn er innerhalb unserer Geografie und in diesem Kalender geführt wird: Mexiko, Anfang des 21. Jahrhunderts ...

II. - DER KRIEG DES MEXIKOS VON OBEN

»Ich werde beinahe jeden Krieg willkommen heißen, denn ich denke, dieses Land braucht einen« Theodore Roosevelt


Und jetzt wird unsere nationale Realität vom Krieg überfallen. Ein Krieg, der nicht nur denen näher steht, die daran gewöhnt sind ihn in weit entfernten Geografien oder Kalendern zu sehen, sondern der auch anfängt die Entscheidungen und Unentschlossenheiten derer zu beherrschen, die glaubten, dass die Kriegskonflikte nur in den Nachrichten und Filmen über weit entfernte Orte stattfinden würden, wie . Irak, Afghanistan, . Chiapas.

Und in ganz Mexiko, müssen wir dank der Schirmherrschaft von Felipe Calderón Hinojosa, nicht mehr auf die Geografie des Mittleren Ostens zurückgreifen um kritisch über den Krieg nachzudenken. Es ist bereits nicht mehr notwendig den Kalender bis Vietnam, Playa Girón oder Palästina vorzurücken.

Und ich rede jetzt nicht von Chiapas und den Krieg gegen die indigenen zapatistischen Gemeinden, weil es schon bekannt ist, dass diese nicht mehr in Mode sind, (dafür hat die Regierung des Bundesstaates von Chiapas ziemlich viel Geld aufgewendet, um zu erreichen dass die Medien sich nicht mehr im Kriegshorizont stellen, sondern über die »Fortschritte« bei der Biokraftstoff-Produktion, der »guten Behandlung« von Migranten, und die landwirtschaftlichen »Erfolge« schreiben, und andere Lügenmärchen, die an Redaktionsvorstände verkauft werden, die armselig editierte und aufgebaute Regierungsbulletins unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen.

Der Ausbruch des Krieges im Alltagsleben des gegenwärtigen Mexikos rührt weder von einem Aufstand her, noch von den Unabhängigkeits- oder revolutionären Bewegungen, die sich um ihre Neuauflage im Kalender, 100 oder 200 Jahre später streiten. Er rührt wie alle Eroberungskriege von oben her, von der Macht.

Und dieser Krieg hat in Felipe Calderón Hinojosa seinen Initiator und institutionellen (und jetzt beschämten) Förderer gefunden.

Jener, der vom Titel des Bundespräsidenten de facto Besitz ergriffen hat, begnügte sich nicht mit der Unterstützung der Medien, sondern musste noch auf etwas anderes zurückgreifen, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken und den massiven Hinterfragungen seiner Legitimität auszuweichen: den Krieg.

Als Felipe Calderón Hinojosa sich den Ausspruch von Theodore Roosevelt zueigen machte (einige schreiben dieses Zitat auch Henry Cabot Lodge zu), dem nach »dieses Land einen Krieg braucht«, erntete er das bange Misstrauen der mexikanischen Unternehmer, die begeisterte Zustimmung der hohen militärischen Befehlshaber, und den reichhaltigen Applaus derer, die tatsächlich regieren: der ausländische Kapital.

Die Kritik an dieser nationalen Katastrophe, die als »Krieg gegen das organisierte Verbrechen« bezeichnet wird, müsste mit einer tiefgehenden Analyse seiner wirtschaftlichen Unterstützer abgerundet werden. Damit beziehe ich mich nicht nur auf das alte Axiom, dass in Kriegs- und Krisenzeiten der Konsum von Luxusgütern steigt. Auch nicht nur auf die Überbezahlung der Militärs (in Chiapas erhielten oder erhalten die hochrangigen Militärchefs ein zusätzliches Gehalt in Höhe von 130%, weil sie sich im »Kriegsgebiet« aufhalten). Man müsste sie auch unter den Patenten, Lieferanten und internationalen Krediten suchen, die in der so genannten »Merida Initiative« nicht erwähnt werden.

Wenn der Krieg von Felipe Calderón Hinojosa (auch wenn er sich vergeblich darum bemüht hat, ihn von allen Mexikanern befürworten zu lassen) ein Geschäft ist (das er ist), fehlt nur die Antwort auf die Fragen, für wen dieses Geschäft ist, und welche monetäre Ziffer es erreicht.

Einige wirtschaftliche Schätzungen.

Es ist nicht eben wenig, was auf dem Spiel ist:

(Anmerkung: die hier ausgeführten Zahlen sind nicht genau, da in den offiziellen Regierungsangaben keine Klarheit herrscht. Aus diesem Grund wurde in einigen Fällen auf die Veröffentlichungen im Offiziellen Regierungsanzeiger zurückgegriffen, die dann mit Angaben der Ämter und Informationen aus den Medien vervollständigt wurden).

In den ersten vier Jahren des »Krieges gegen das organisierte Verbrechen« (2007-2010), erhielten die wichtigsten verantwortlichen Regierungsinstanzen (das Verteidigungsministerium − also Armee und Luftwaffe; das Marineministerium, die Generalstaatsanwaltschaft, und das Ministerium für Innere Sicherheit), aus dem Ausgabenetat mehr als 366 Milliarden Pesos (ca. 30 Milliarden Dollar zum gegenwärtigen Wechselkurs). Diese vier Bundesinstanzen erhielten in 2007 mehr als 71 Milliarden Pesos, in 2008 mehr als 80 Milliarden Pesos, in 2009 mehr als 113 Milliarden Pesos, und in 2010 waren es mehr als 102 Milliarden Pesos. Zu dem kommen die mehr als 121 Milliarden Pesos (ca. 10 Milliarden Dollar) hinzu, die sie bisher in 2011 bezogen haben.

Das Verteidigungsministerium alleine ging von einem Budget von 13 Milliarden Pesos in 2007 zu mehr als 35 Milliarden Pesos in 2011 über (vielleicht weil ihre Filmproduktionen mehr kosten).

Laut dem Dritten Regierungsbericht von September 2009, belief sich im Juni dieses Jahres die Anzahl der Bundesstreitkräfte 254.705 Elemente (202.355 von Armee und Luftwaffe und 52.350 von der Marine).

In 2009 belief sich das Budget für Landesverteidigung auf 43.623.321.860 Pesos, zum dem 8.762.315.960 Pesos hinzukommen (zusätzliche 25.14%), insgesamt: mehr als 52 Milliarden Pesos für Armee und Luftwaffe. Das Marineministerium erhielt mehr als 16 Milliarden Pesos. Die Öffentliche Sicherheit mehr als 33 Milliarden Pesos, und die Generalstaatsanwaltschaft mehr als 12 Milliarden Pesos.

Das Gesamtbudget für den »Krieg gegen das organisierte Verbrechen« in 2009 betrug mehr als 113 Milliarden Pesos.

In 2010 verdiente ein einfacher Bundessoldat ca. 46.380 Pesos im Jahr; ein Divisionsgeneral erhielt 1 603.080 Pesos im Jahr, und der Verteidigungsminister erhielt ein Jahresgehalt von 1.859.712 Pesos.

Wenn meine Mathematik mich nicht im Stich lässt, hätten mit dem gesamten Kriegsetat von 2009 (113 Milliarden Pesos für die vier Regierungsinstanzen), die Jahresgehälter von 2.500.000 Soldaten bezahlt werden können, oder von 70.500 Divisionsgenerälen, oder von 60.700 Verteidigungsministern.

Aber natürlich wird nicht das gesamte Budget auf Gehältern und Leistungen aufgewendet. Es werden Waffen gebraucht, Ausrüstungen, Munition . . . da, die alten nicht mehr funktionieren oder bereits veraltet sind.

»Falls die mexikanische Armee mit ihren wenig mehr als 150.000 Feuerwaffen und ihren 331.300.000 Patronen gegen irgendeinen internen oder externen Feind in den Krieg ziehen müsste, würde ihre Feuerkraft im Durchschnitt für 12 Tage im ununterbrochenen Gefecht ausreichen, laut den Schätzungen, die vom Generalstab für Landesverteidigung (Emaden) für jede einzelne Waffe der Armee und Luftwaffe ausgearbeitet wurden. Dieser Voraussicht zufolge würde die Feuerkraft der 105 mm Geschützen nur für 5,5 Gefechtstage ununterbrochenen Beschusses bei jeweils 15 Granaten pro Waffen ausreichen. Die Panzereinheiten besitzen laut Analyse 2.662.000 75mm Granaten.

Beim Eintritt in einem Gefecht würden die Panzereinheiten ihre gesamten Patronen innerhalb von neun Tagen verbrauchen. Was die Luftwaffe angeht, besitzen sie laut angaben wenig mehr als 1.7 Millionen Patronen Kalibers 7,62 mm, die für die Geschütze von Kampfflugzeuge Typs PC-7 und PC-9 sowie von Hubschraubern Typs Bell 212 und MD-530 benötigt werden. In einem Feuergefecht würden diese 1.7 Millionen Patronen innerhalb von fünf Gefechtstagen aufgebraucht sein, laut den Berechnungen der SEDENA. Das Verteidigungsministerium warnt, dass die 594 Nachtsichtsgeräte und die 305.000 GPS, die von den Sonderstreitkräften bei der Bekämpfung des Drogenkartelle eingesetzt werden, »bereits ausgedient haben«.

Die Mängel und die Ausfälle in den Reihen der Armee und Luftwaffe sind eindeutig und erreichen unvorstellbare Ausmaße in praktisch allen Einsatzbereichen der Institution. Die Analyse des Verteidigungsministeriums zeigt, dass die Nachtsichtgeräte und die GPS in der Regel 5 bis 13 Jahre alt sind und bereits »ausgedient haben«. Das gleiche gilt für die »150.392 Schutzhelme« der Soldaten. 70% davon haben ihr Verfallsdatum bereits 2008 erreicht, und die 41.160 kugelsichere Westen werden ihn in 2009 erreichen ( . . .).

In diesem Panorama ist die Luftwaffe der Bereich, der am meisten unter Rückständigkeit und technologischer Abhängigkeit vom Ausland zu leiden hat, inbesondere von den Vereinigten Staaten und Israel. Laut SEDENA beherbergen die Waffendepots der Luftwaffe 753 Bomben zu je 250 tausend Pfund. Die Kampfflugzeuge Typs F-5 und PC-7 Pilatus verwenden diese Waffen. Die 753 vorhandenen Bomben reichen für genau einen Tag Luft-Boden Gefecht aus. Die 87.740 Granaten Kalibers 20mm für die F-5 Kampfjets reichen aus um externe oder interne Feinde sechs Tage lang zu bekämpfen. Zu guter Letzt enthüllte das SEDENA, dass sich die Anzahl der Luft-Luft Raketen für F-5 Kampfflugzeuge auf lediglich 45 Stück belaufen, was für genau einen Tag Feuergefecht ausreicht« Jorge Alejandro Medellin, Tageszeitung »El Universal«, Mexiko, 2. Januar 2009.

Dies wurde in 2009 bekannt, 2 Jahre nach Beginn des so genannten »Krieges« der Bundesregierung. Lassen wir die eindeutige Frage beiseite, wie es möglich war, dass der oberste Leiter der Streitkräfte, Felipe Calderón Hinojosa, einen Krieg vom Zaun brechen konnte (einen »langwierigen«, wie er sagt), ohne auch nur die materiellen Mindestvoraussetzungen zu haben, um ihn aufrechtzuerhalten, geschweige denn ihn zu »gewinnen«. Dann bleibt nur noch die Frage: Welche Kriegsindustrien werden von den Käufen von Waffen, Ausrüstungen und Munitionen profitieren?

Wenn der Hauptförderer dieses Krieges das Imperium der Streifen und trüben Sternen ist (wenn man genauer darüber nachdenkt, stammen die einzigen Glückwünsche, die Felipe Calderón Hinojosa erhalten hat, eigentlich von der nordamerikanischen Regierung), darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass man nördlich des Rio Bravo keine Hilfsleistungen erteilt, sondern Investitionen macht, das heißt, Geschäfte.

Siege und Niederlagen

Haben die Vereinigten Staaten etwas in diesem »lokalen« Krieg zu gewinnen? Die Antwort lautet: ja. Mal abgesehen von den wirtschaftlichen Gewinnen und finanziellen Investitionen in Waffen, Munition und Ausrüstung (vergessen wir nicht, dass die USA hierfür Hauptlieferant beider Kampfparteien ist: Behörden und »Verbrechen« − Der »Krieg gegen das organisierte Verbrechen« ist ein glänzendes Geschäft für die nordamerikanische Militärindustrie). Dieser Krieg hat auch eine Zerstörung / Entvölkerung und Wiederaufbau / geopolitische Neuordnung zu Folge, von der sie profitieren.

Dieser Krieg (der für die Regierung bereits verloren war seitdem es konzipiert wurde, nicht als Lösung für ein Problem der Sicherheit, sondern für ein Problem der fragwürdigen Rechtmäßigkeit) zerstört die letzte Grundfeste, die einem Land verbleibt: das soziale Gefüge.

Was für einen besseren Krieg könnte es für die Vereinigten Staaten geben, als einen, die ihnen Gewinne, Territorium politische Kontrolle einbringt, ohne die unbequemen »body bags« und Kriegsverwundeten, die ihnen früher in Vietnam und jetzt aus Irak und Afghanistan zuteil werden?

Die Wikileaks Enthüllungen über die Meinungen im nordamerikanischen Oberkommando bezüglich der »Mängel« des mexikanischen repressiven Apparats (seine Ineffizienz und seine Verstrickung mit der Kriminalität) sind nicht neu. Nicht nur in der allgemeinen Bevölkerung, sondern auch in den hohen Sphären der Regierung und Macht in Mexiko ist dies eine Gewissheit. Der Scherz, dass dies ein ungleicher Krieg wäre, weil das organisierte Verbrechen ja organisiert sei und die mexikanische Regierung nicht, ist eine finstere Wahrheit.

Der 11. Dezember 2006 stellt den offiziellen Beginn dieses Krieges dar, mit der damals so genannten »Gemeinsame Operation Michoacan«. 7000 Elemente der Armee, Marine und Bundespolizei lancierten eine Offensive (im Volksmund als »El Michoacanazo« bezeichnet), die sich, sobald die Euphorie der Medien der ersten Tage verfolgen war, als ein Desaster herausstellte. Der militärische Befehlshaber war General Manuel Garcia Ruiz, und Einsatzleiter war Gerardo Garay Cadena vom Ministerium für Innere Sicherheit. Heute, und seit Dezember 2008, ist Gerardo Garay Cadena ein Gefangener im Hochsicherheitsgefängnis von Tepic, Nayarit, und wird der Verschwörung mit »El Chapo« Guzman Loera beschuldigt

Und mit jedem weiteren Schritt in diesem Krieg, fällt es der Bundesregierung schwerer zu erklären, wo sich der Feind befindet, den es zu besiegen gilt.

Jorge Alejandro Medellín ist ein Journalist, der mit zahlreichen Massenmedien zusammenarbeitet − unter anderen das Magazin »Contralínea«, die Wochenzeitschrift »Acentoveintiuno«, und das Nachrichtenportal »Eje Central« − und hat sich auf die Themen Militarismus, Streitkräfte, nationale Sicherheit und Drogenhandel spezialisiert. In Oktober 2010 erhielt er Todesdrohungen wegen eines Artikels in dem er auf mögliche Verwicklungen des Drogenhandels mit General Felipe de Jesús Espitia hinwies, dem Exkommandanten der 5. Militärzone und ehemaliger Befehlshaber vor Sektion Siebten für Einsätze gegen den Drogenhandel unter der Vicente Fox Regierung, sowie Leiter des Rauschgiftsmuseums in den Räumlichkeiten der S-7. General Espitia wurde als Kommandant der 5. Militärzone abgesetzt, angesichts des schreienden Misserfolgs der Einsätze, die er in Ciudad Juárez angeordnet hatte, und für seine mangelhafte Reaktion auf die Massaker, die in dieser Grenzstadt verübt werden.

Aber das Scheitern des Bundeskrieges gegen das »organisierte Verbrechen«, das Juwel in der Krone der Regierung von Felipe Calderón Hinojosa, ist für die Mach in den USA kein Grund zur Trauer: es ist vielmehr das zu verfolgende Ziel.

Wie sehr Massenmedien sich auch bemühen mögen, die Scharmützel, die im Landesgebiet täglichen stattfinden, als glänzende Siege der Legalität vorzustellen, sie können keinen davon überzeugen.

Und das nicht nur weil die Massenmedien in den Arten des Informationsaustausches vom Großteil der Bevölkerung überholt worden sind (nicht nur das, sondern auch die sozialen Netze und das Mobiltelefon), sondern auch und vor allem, weil der Ton der Regierungspropaganda von Betrugsabsicht zu Spott hinübergewechselt ist (seit dem »auch wenn es nicht so scheint, werden wir gewinnen«, bis zu der »lächerlichen Minderheit«, durch die Angebereien der jeweiligen Staatsbeamten hindurch).

Auf diese anderen Niederlage der Presse, ob gedruckt, im Funk oder Fernsehen, werde ich in einen anderen Brief zu sprechen kommen. Zum jetzigen Zeitpunkt und im Hinblick auf das Thema, das uns derzeit beschäftigt, reicht er sich zu erinnern, dass das »in Tamaulipas ist gar nichts los«, das in den Nachrichten ausposaunt wurde (vor allem in Funk und Fernsehen), durch Videos zu Fall gebracht wurde, die von Bürgern mit Mobiltelefonen und Digitalkameras aufgenommen und ins Internet verbreitet wurden.

Aber kehren wir zum Krieg zurück, von dem Felipe Calderón Hinojosa sagt, dass er nie gesagt hätte, dass es sich um einen Krieg handeln würde. Hat er das nicht, ist es das nicht?

»Sehen wir doch mal ob es ein Krieg ist oder nicht: am 5. Dezember 2006 sagte Felipe Calderón: Lasst uns daran arbeiten, den Krieg gegen das Verbrechen zu gewinnen . . «. Am 20. Dezember 2007 verwendete Señor Calderon bei einem Frühstück mit Angehörigen der Marine, den Ausdruck »Krieg« mindestens vier mal in einer einzigen Ansprache: »Die Gesellschaft erkennt insbesondere die wichtige Aufgabe unserer Marine in dem Krieg an, den meine Regierung gegen das Verbrechen führt . . «, »Die Loyalität und Effizienz der bewaffneten Streitkräfte sind eine der mächtigsten Waffen in dem Krieg, den wir gegen sie führen . . «, »Beim Beginn dieses Frontalkrieges gegen das Verbrechen habe ich gesagt, dass es sich um einen langwierigen Kampf handeln würde«, . . «genau so sind die Kriege ..«

Aber es geht noch weiter: am 12. September 2008, während der Abschluss- und Eröffnungszeremonie der Kurse der militärischen Akademie, verwendete der selbsternannte Präsident den Begriff »Krieg gegen das Verbrechen«, bis zu 12 Mal:

»Heute führt unser Land einen Krieg, der sich sehr von dem unterscheidet, den die Aufständischen in 1810 geführt haben, einen Krieg, der sich von dem unterscheidet, dem sich die Kadetten der Militärakademie vor 161 Jahren entgegengestellt sahen . . . ", ". . .alle Mexikaner unserer Generation müssen den Feinden Mexikos den Krieg erklären . . . Deshalb, ist in diesem Krieg gegen das Verbrechen . . «, »Es ist unumgänglich, dass wir uns alle dieser gemeinsames Front anschließen, von Worten zu Taten schreiten, und den Feinden Mexiko wahrhaft den Krieg erklären . . «, »Ich bin überzeugt, dass wir diesen Krieg gewinnen werden . . « (Alberto Vieyra Gómez. Mexikanische Nachrichtenagentur, 27. Januar 2011).

Ganz im Gegenteil, nach Hinzuziehung des Kalenders klingt Felipe Calderón Hinojosa weder besser noch bessert er sich konzeptuell. Nein, was dabei herauskommt ist, dass Kriege gewonnen oder verloren werden (in diesem Fall, verloren) und die Bundesregierung nicht zugeben möchte, dass der Hauptpunkt seiner Amtsführung militärisch und politisch gescheitert ist.

Endloser Krieg? Der Unterschied zwischen Wirklichkeit . . . und Videospiele

Wird Felipe Calderón Hinojosa angesichts des unleugbaren Scheiterns seiner Kriegspolitik die Strategie wechseln?

Die Antwort ist NEIN. Und das nicht nur weil der Krieg von oben ein Geschäft ist, und wie alle Geschäfte so lange weitergeht wie es Gewinne einbringt.

Felipe Calderón Hinojosa, oberster Kommandant der bewaffneten Streitkräfte; eifriger Verehrer von José María Aznar; selbsternannter »ungehorsame Sohn«; Freund von Antonio Solá; »Sieger« der Präsidentschaftswahlen durch einen halben Prozent der abgegebenen Stimmen, dank der Alchemie von Elba Esther Gordillo; der die Kinder, die im ABC Kindergarten in Hermosillo, Sonora ermordet wurden mit noch mehr Blut zudecken möchte; der seinen militärischen Krieg mit einem Krieg gegen die würdige Arbeit und gerechte Löhne begleitet; der angesichts der Morde an Marisela Escobedo und Susana Chávez Castillo in einem berechneten Autismus verfällt; der die Kinder, Männer und Frauen mit Leichenetiketten als »Angehörige des organisierten Verbrechens« versieht, die ermordet wurden und werden weil, ja, weil sie sich im falschen Kalender und in der falschen Geografie aufhalten, und die noch nicht einmal namentlich erwähnt werden, weil sie weder in der Presse noch von den sozialen Netzwerken zur Kenntnis genommen werden.

Er, Felipe Calderón Hinojosa, ist auch ein Fan der von Strategievideospielen.

Felipe Calderón Hinojosa ist der »Gamer«, der »innerhalb von vier Jahren ein ganzes Land in einer Realversion von »Age of Empire« verwandelt hat -sein bevorzugtes Videospiel, ( . . .) ein Kriegsliebhaber -- und fürchterlicher Stratege« (Diego Osorno in der Tageszeitung Milenio ", 3. Oktober 2010).

Er ist es, der uns dazu bringt zu fragen: wird Mexiko wie ein Videospiel regiert? (ich glaube, dass ich es mir erlauben kann diese Art kompromittierender Fragen zu stellen, ohne Gefahr zu laufen mangels eines »ethischen Kodex« gefeuert zu werden, der sich nach den Werbekosten richtet).

Felipe Calderón Hinojosa wird nicht haltmachen. Und das nicht nur weil die bewaffneten Streitkräfte das nicht zulassen werden (Geschäft ist Geschäft), sondern auch aufgrund der Halsstarrigkeit, die den »obersten Befehlshaber« der mexikanischen Streitkräfte durch seine ganze politischen Karriere hindurch bezeichnet hat

Machen wir eine kleine Gedächtnisübung: In März 2001 als Felipe Calderón Hinojosa parlamentarischer Koordinator der Bundesabgeordneten der Nationalen Aktionspartei war, fand dieses bedauerliche Spektakel der PAN statt, als man es einer gemeinsamen Delegation des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI) und der EZLN verweigerte die Tribüne des Bundeskongresses zu benutzen, anlässlich des so genannten »Marsches der Farbe der Erde«.

Obwohl sich die PAN dadurch als eine rassistische und intolerante politische Organisation zeigte (und zeigt), die den Indigenas das Recht verwehren wollte angehört zu werden, hielt Felipe Calderón Hinojosa an seiner Weigerung fest. Alle sagten ihm, dass es ein Fehler war diese Position beizubehalten, aber der damalige Koordinator der PAN-Abgeordneten gab nicht nach (und er endete mit Diego Fernández de Cevallos und anderen berühmten PAN-Angehörigen in einem der kamerafreien Säle, wo sie im Fernsehen mitverfolgten wie die Indigenas das Wort in einem Raum erhoben, der für die politische Klasse reserviert war).

»Ungeachtet der politischen Kosten«, soll Felipe Calderón Hinojosa damals gesagt haben.

Heute sagt er das gleiche,

obwohl es sich heute nicht mehr um die politischen Kosten handelt, die eine politische Partei zu tragen hat, sondern um die menschlichen Kosten, die das ganze Land wegen seines Starrsinns zahlen muss.

Als ich schon nahe dran war diesen Brief abzuschließen, stieß ich auf die Aussagen der U.S.-Ministerin für innere Sicherheit, Janet Napolitano, die über möglichen Allianzen zwischen der Al Qaeda und den mexikanischen Drogenkartellen spekulierte. Ein Tag zuvor, hatte der Vizeminister der Armee der Vereinigten Staaten, Joseph Westphal, erklärt, dass in Mexiko eine Art von Aufstand unter Leitung der Drogenkartelle stattfände, die potentiell die Regierung übernehmen könnten, was eine militärische Antwort der Vereinigten Staaten erforderlich machen würde. Er sagte weiter, dass er nicht wünschte eine Situation zu sehen, in der U.S-Soldaten entsendet werden würden, um einen Aufstand »an unserer Grenze zu bekämpfen . . . oder um diese Grenze nach Mexiko zu überschreiten«.

Währenddessen nahm Felipe Calderón Hinojosa an einer Gefechtssimulation in einem Kulissendorf in Chihuahua teil, und stieg in einen F-5 Kampfflugzeug ein, wo er sich im Pilotencockpit setzte und scherzhaft so tat als würde er »Raketen abfeuern«.

Von Strategievideospielen zu »Luftkampfsimulationen« und »Ego-Shooter«? von »Age of Empire« zu HAWX?

HAWX ist ein Luftkampfvideospiel, in dem in einer nahen Zukunft private Militärfirmen (Private military company) die Regierungsarmeen einiger Länder ersetzt haben. Die erste Mission des Videospiels besteht darin, Ciudad Juárez, Chihuahua, Mexiko, zu bombardieren, weil die rebellischen Kräfte diesen Ort besetzt haben und damit drohen in das nordamerikanische Gebiet vorzurücken.

Nicht in einem Videospiel, sondern in Irak, handelte es sich bei einer der privaten Militärfirmen, die vom nordamerikanischen State Department und der CIA unter Vertrag genommen wurde, um »Blackwater USA«, die später ihren Namen zu »Blackwater Worldwide« änderten. Ihr Personal verübte schwere Missbräuche in Irak, einschließlich der Ermordung von Zivilisten. Neulich haben sie ihren Namen zu »Xe Services LL« umgeändert, und sind der größte Vertragspartner für private Sicherheit des nordamerikanischen State Departments. Mindestens 90% ihrer Einnahmen stammen aus Verträgen mit der Regierung der Vereinigten Staate,

Am gleichen Tag, als Felipe Calderón Hinojosa im Kampfflugzeug (10. Februar 2011), und im Bundesstaat Chihuahua herumspielte, starb ein 8-jähriges Mädchen, als sie von einer Kugel in einem Schussgefecht zwischen bewaffneten Personen und Angehörigen der Armee getroffen wurde.

Wann wird dieser Krieg enden?

Wann wird über das Bildschirm der Bundesregierung das »game over« am Spielende erscheinen, gefolgt von den Danksagungen an den Produzenten und Sponsoren des Krieges?

Wann wird Felipe Calderón sagen können »wir haben den Krieg gewonnen, wir haben den Feinden unseren Willen aufgezwungen, wir haben ihre materielle und moralische Kampffähigkeit zerstört, wir haben die Territorien (wieder)erobert, die sie an sich gerissen hatten«?

Seitdem er erdacht wurde hat dieser Krieg kein Ende und ist bereits verloren.

Es wird auf diesem Boden keinen mexikanischen Sieger geben (im Unterschied zur Regierung hat die ausländische Macht ja einen Plan zur Rekonstruktion − zur Neu-Ordnung des Gebietes), und der Besiegte wird die letzte Ecke des sterbenden Nationalenstaates in Mexiko sein: die sozialen Beziehungen, die eine gemeinsame Identität gebend, die Grundlage einer Nation sind.

Noch vor dem Abspann, wird das soziale Gefüge vollkommen zerstört sein.

Das Ergebnis: der Krieg von Oben und der Tod von unten

Schauen wir mal, was das Regierungsministerium über den »Nicht-Krieg« von Felipe Calderón Hinojosa zu berichten hat:

»2010 war das gewaltsamste Jahr der sechsjährigen Amtszeit, in dem sich 15.273 Morde im Verbindung mit dem organisierten Verbrechen akkumuliert haben, 58% mehr als die 9.614 Morde, die in 2009 registriert wurde, im Einvernehmen mit der an diesem Mittwoch von der die Bundesregierung veröffentlichten Statistik. Von Dezember 2006 bis Ende 2010 wurden 34.612 Verbrechen registriert, von denen 30.913 Fälle als »Exekutionen«, 3.153 als »Konfrontationen« und 544 als »gewaltsame Morde« verzeichnet sind«. Alejandro Poiré, technischer Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, stellte eine offizielle Datenbank vor, die von Experten ausgearbeitet wurde, und ab jetzt monatlich zusammengefasste Informationen auf Staats- und Bezirksebene« über die Gewalt im ganzen Land zeigen würde« (Tageszeitung Vanguardia«, Coahuila, Mexiko, 13. Januar 2011)

Fragen wir: wie viele von diesen 34.612 Mordopfern waren Verbrecher? Und die mehr als eintausend ermordeten Jungen und Mädchen, (die der Minister in seiner Aufzählung zu erwähnen versäumte), waren sie auch Killer des organisierten Verbrechens? Wenn die Bundesregierung verkündet »wir sind nahe dran zu gewinnen«, auf welchen Drogenkartell beziehen sie sich da? Wie viele Zehntausende mehr gehören dieser »lächerlichen Minderheit« an, die der Feind ist, den es zu besiegen gilt?

Während sie sich dort oben vergeblich bemühen in den Statistiken die Verbrechen zu ent-dramatisieren, die ihr Krieg provoziert hat, muss darauf hingewiesen werden, dass hier auch das soziale Gefüge in fast ganz Mexiko vernichtet wird.

Die kollektive Identität der Nation wird vernichtet und durch eine andere ersetzt.

Denn »eine kollektive Identität ist nichts weiteres als ein Bildnis, den eine Bevölkerung sich von sich selbst macht, um sich als Angehörige dieser Bevölkerung zu erkennen. Eine kollektive Identität sind jene Züge, durch die sich der Einzelne als einer Gemeinde zugehörig zu erkennen gibt. Und die Gemeinde akzeptiert diesen Einzelnen als Teil ihres Ganzen. Dieses Bildnis, den die Bevölkerung sich selbst entwirft, richtet sich nicht notwendigerweise nach einem traditionell vererbten Bildnis, sondern wird im allgemeinen vom Einzelnen aus allem entworfen, was zu einer Kultur gehört, um seine Vergangenheit und Gegenwart mit den Projekten dieser Gemeinde in Einklang zu bringen.

Somit ist die Identität nicht ein einfacher Nachlass, der geerbt wird, sondern ein Bildnis, das erbaut wird, den jede Bevölkerung für sich erschafft, und ist dadurch den historischen Voraussetzungen gemäß veränderlich und wechselnd«. (Luis Villoro, November 1999, Gespräch mit Bertold Bernreuter, Aachen, Deutschland).

In der kollektiven Identität eines Großteils des nationalen Gebietes herrscht nicht, wie man uns glaubhaft machen will, der Disput zwischen Nationalhymne und Narco-Corrido vor (wenn man nicht zur Regierung hält, hilft man dem Drogenhandel und umgekehrt).

Nein.

Was vorherrscht, ist eine Aufzwingung durch Waffengewalt, der Angst als Kollektivbild, der Unsicherheit und Verwundbarkeit als Spiegel, in denen diese Kollektive sich widerspiegeln.

Welche sozialen Beziehungen können sich halten oder sich entspinnen, wenn die Angst das dominierende Bild ist, mit dem sich eine soziale Gruppe identifizieren kann, wenn der Gemeinschaftssinn unter dem Aufschrei »Rette sich wer kann« auseinander bricht.

Das Ergebnis dieses Krieges werden nicht nur Tausende von Toten sein . . . und saftige wirtschaftliche Gewinne.

Sondern auch und vor allem, eine kaputte vernichtete Nation, entvölkert, unwiderruflich zerbrochen.

(...)

Vale, Don Luis. Gesundheit und auf das die kritische Reflexion neue Schritte ermutigt.

Aus den Bergen des Mexikanischen Südostens.

Subcomandante Insurgente Marcos

Mexiko, Januar-Februar 2011

 

Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2011/02/14/sobre-las-guerras-fragmento-de-la-carta-primera-del-sci-marcos-a-don-luis-villoro-inicio-del-intercambio-epistolar-sobre-etica-y-politica/


 

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