Atenco-Briefe

Initiative Mexiko vom 03.05.2011

 

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Markus Löning, MdB
Beauftragter der Bundesregierung für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Dok. 1105/45

Hamburg, d. 3. Mai 2011

Sehr geehrter Herr Löning,

vor 5 Jahren, am 3. und 4. Mai 2006, wurde in Texcoco und San Salvador Atenco nahe der Hauptstadt Mexikos eine Protestbewegung mit exzessivem Einsatz von Staats-, Landes- und Stadtpolizei blutig niedergeschlagen. Die gewalttätigen Übergriffe machten nicht einmal vor den Wohnungen Unbeteiligter Halt. 2 junge Menschen verloren ihr Leben. Die »Nachbehandlung« war nicht weniger brutal: bei dem absichtlich auf Stunden ausgedehnten Abtransport wurden die über 200 Festgenommenen, darunter 47 Frauen, mit Schlägen malträtiert, Frauen wurden sexuell gequält und gedemütigt.

26 Frauen haben Anklage wegen sexueller Folter nach dem Istanbul Protokoll erhoben. Zwar wurde gegen 21 Polizisten Anklage erhoben, aber nur ein einziger Polizist erhielt eine Gefängnisstrafe, die er mit einer Geldzahlung abwenden konnte; generell wurde die Anklage auf Verbrechen der Vergewaltigung und sexuellen Folter herunter gestuft auf das Vergehen des Missbrauchs staatlicher Autorität. Selbstredend wurde diese Anklage nicht auf die für Planung und Anordnung der maßlosen Operation politisch Verantwortlichen ausgedehnt.

Auf der anderen Seite wurden 12 an der Demonstration Beteiligte von Richtern des Bundesstaates Mexiko zu exorbitanten Strafen zwischen 31 und 112 Jahren Gefängnis verurteilt. Am 30. Juni 2010 hat das Oberste Gericht der Nation (SCJN) jedoch ihre sofortige Freilassung verfügt, weil illegale und unzureichende Beweismittel verwandt worden waren.

11 Frauen von Atenco haben die Anklage wegen sexueller Folter aufrecht erhalten und 2008 mit Unterstützung der Menschenrechtszentrum Miguel Agustín Pro Juárez vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission gebracht. Dort verzögert die mexikanische Regierung durch wiederholte Nichteinhaltung der Fristen das Verfahren. Als Reaktion auf die Exzesse der Staats-Gewalt hat sich damals unsere Menschenrechtsorganisation »Initiative Mexiko«, ein mexikanisch-europäisches Netzwerk, gebildet, das sich in dieser Angelegenheit an deutsche und europäische Abgeordnete gewandt hat und seitdem auch in vielen anderen Fällen von Menschenrechtsverletzungen aktiv geworden ist.

Das Oberste Gericht Mexikos hat damit einen Anfang gemacht, die Kriminalisierung sozialer Bewegungen zu unterbinden. Wir unterstützen die weiter gehende nationale und internationalen Kampagne »Libertad y Justicia para Atenco« und bitten Sie, den mexikanischen Instanzen bemerkbar zu machen, dass solche krassen Missachtungen der Gerechtigkeit im Verhältnis von staatlichen Tätern und zivilen Opfern nicht in Vergessenheit geraten und dass es Staaten nicht erlaubt sein kann, gegen die eigene Bevölkerung unkontrollierte Gewalt zu üben. Bitte unterstützen auch Sie die Forderungen der misshandelten Frauen, dass die mexikanische Regierung

Die damalige extreme Repression wurde vom Gouverneur des Bundesstaates, Enrique Peña Nieto, zumindest gebilligt, und er hat später öffentlich erklärt, dass er zur Herstellung der Ordnung wieder ähnlich durchgreifen würde. Eine solche Haltung ist besonders bedenklich, weil dieser Gouverneur für die nächste Präsidentschaft kandidiert, und sie sollte international nicht hingenommen werden.

Mit großer Hochachtung für Ihre Menschenrechtsarbeit
im Namen der Initiative Mexiko

Prof. Harald Ihmig


Anlage
Als Beispiel für die ungeheuerliche sexuelle Misshandlung von Frauen legen wir Ihnen aus einer umfangreichen Dokumentation die Zeugenaussage einer Betroffenen bei, die kürzlich den Protest der 11 Frauen in Deutschland persönlich vertreten hat.

Wir wenden uns auch an:
Tom Königs, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Michael Brandt, MdB, stellv. Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Annette Groth, MdB, Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Jürgen Klimke, Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe
Uwe Beckmeyer, stellv. Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe
Dr. Claudia, stellv. Vorsitzende der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe
Andrej Hunko, stellv. Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe
Cornelia Behm, stellv. Vorsitzende der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe
Heidi Hautala, MEP, chair of the Subcommittee on Human Rights
Ricardo Cortés Lastra, chair of the EU-Mexico Joint Parliamentary Committee (D-MX)
Santiago Fisas Ayxela, vice-chair of the EU-Mexico Joint Parliamentary Committee (D-MX)
Markus Ferber, vice-chair of the EU-Mexico Joint Parliamentary Committee (D-MX))

Initiative Mexiko ist ein mexikanisch-europäisches Netzwerk, das für Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie in Mexiko eintritt. www.ini-mex.org


Aussage von B. I. M. M., 27 Jahre, Studentin.
Ich wurde in einem Privathaus in San Salvador Atenco verhaftet, in das die Policía Federal Preventiva ( Föderale Schutzpolizei ) eingedrungen war. Sie raubten mir sämtliche persönliche Sachen und mein Geld; sie zwangen mich, mit im Nacken verschränkten Händen vor ihnen zu knien; sie schlugen mich mit dem Schlagstock auf den Kopf, brachten mich weg und fragten mich vor einer Kamera nach meiner politischen Zugehörigkeit, meiner Adresse, nach meinem Namen und den Namen meiner direkten Angehörigen. Danach wurde ich aus dem Haus gebracht und auf eine Bank gesetzt. Es waren noch viel mehr Leute um mich herum. Mein Kopf und mein Gesicht waren mit meinem Pullover bedeckt; sie schlugen mich wiederholte Male mit Schlagstöcken auf den Kopf und mit Schlägen auf das Gesäß und den Rücken; sie verursachten mir eine 6 cm grosse Kopfwunde. Einige Zeit später liessen sie mich durch zwei Reihen von Polizisten laufen, die den Bus eskortierten, indem sie uns transportieren würden; unter Schlägen brachten sie mich zu dem Bus, indem sich eine Menge Personen, gefesselt und mit bedeckten Köpfen, befanden, die einen auf die anderen gestapelt. Sie warfen mich auf den Menschenhaufen und danach zerrten sie mich nach hinten. Dort fuhr ein Polizist mit seiner Hand unter meine Bluse und zerriss meinen BH, und sofort darauf steckte er seine Hand in meine Hose und zerriss meine Unterwäsche. Ich lag auf dem Rücken, das Gesicht bedeckt und sie zogen mir die Hose bis zu den Knöcheln hinunter und schoben die Bluse hoch bis zum Kinn. Sie schlugen mich mit aller Kraft auf´s Gesäss, schrien, dass sie mich vergewaltigen und umbringen würden. Dann schrie ein Polizist mich an, ich solle ihn »Cowboy« nennen und schlug noch härter, aber nun mit dem Schlagstock, auf mein Gesäss; er hielt nur inne, um zu hören, was er befohlen hatte. Gleich darauf penetrierte er meine Vagina mit seinen Fingern, quetschte mit aller Kraft meine Brüste und zerrte gewaltsam an meinen Brustwarzen. Er lud einen anderen Polizisten ein, dasselbe zu tun, während sie mich weiterhin schlugen. Nachdem sie eine dritte Person, den sie Chef nannten, zum Mitmachen aufgefordert hatten, penetrierte dieser letztere mich, mit einem Gegenstand und drohte mir, mich zu vergewaltigen ( Koitus ); sie positionierten mich vor den Penis von Einem und er rieb sich an meinem Gesäß, während die anderen beiden Polizisten ihn dazu animierten, mich mit seinem Penis zu penetrieren, aber sie taten es nicht; sie schlugen mich wiederholte Male auf die Brüste und in den Magen, während sie meinen Mund küssten, denn weil ich mich wehrte, schlugen sie mich so heftig, dass ich schließlich den Mund öffnete und der Polizist konnte mit seiner Zunge hineinfahren. Ich war die gesamte Reise lang nackt, auf zwei weiteren Personen liegend und auf meinem Rücken und Kopf saß ein Polizist. Bevor wir in der Haftanstalt ankamen, erlaubten sie mir, mich anzuziehen, und ich wurde aus dem Fahrzeug gebracht.

 Anhang  
  deutscher Brief als PDF
spanischer Brief als PDF


 

Quelle: http://www.ini-mex.org


 

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