Fatale Situation auf dem Land

Poonal vom 27.05.2003
Von Birgit Marzinka, Poonal 574 vom 27.05.2003

 

(Berlin, 24. Mai 2003, poonal).- Im Dezember 2002 zogen mexikanische Bauernorganisationen vor das Kongressgebäude in Mexiko-Stadt. Sie forderten die Neuverhandlung der Paragraphen über Landwirtschaft und Fischerei des NAFTA-Abkommens, dem Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada, das am 1. Januar 1994 in Kraft trat. Weiter forderten sie eine änderung des Artikels 27 der mexikanischen Verfassung. Dieser Artikel regelt den landwirtschaftlichen Grundbesitz. Er wurde trotz starker Proteste der Bauernorganisationen vor dem Eintritt in die NAFTA verändert. Durch die Veränderung des Artikels kam die Landumverteilung zum Erliegen und die Privatisierung wurde erleichtert.

Der NAFTA-Vertrag sieht eine schrittweise Veränderung und Anpassung des Agrar- und Fischereisektors vor. Seit 1. Januar diesen Jahres gibt es für fast alle Agrarprodukte keine Zölle und Handelseinschränkungen mehr. Nur Mais, Bohnen und Milchpulver sind bis zum Jahr 2008 davon ausgeschlossen.

Es wurden Straßenblockaden, Demonstrationen und Hungerstreiks organisiert, bis die Regierung bereit war zu verhandeln. Die Verhandlungen waren auf Anfang Februar angesetzt, begannen letztendlich aber erst Mitte März. Während dieser Zeit kam es immer wieder zu Konfrontationen zwischen der Polizei und den campesinas und campesinos, wobei bei es auch zu Festnahmen kam.

In Mexiko gibt es eine Vielzahl von Bauernorganisationen, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Während die einen radikale Veränderungen forderten, waren andere mit der Regierung konform, die nicht an Reformen im Agrarsektor interessiert ist. Der Landwirtschaftsunternehmer und aktuelle Präsident Vicente Fox Quesada ist eiserner Verfechter einer neoliberalen Politik. Eine Gesetzesänderung ist deshalb relativ unwahrscheinlich.

Die Gespräche zwischen den Organisationen und der Regierung wurden Ende April in einem nationalen Landwirtschaftsabkommen besiegelt. Dieses Abkommen besagt, dass die Bereiche des NAFTA-Vertrags, die den Agrar- und Fischereisektor betreffen neuverhandelt werden müssen. Weiter beinhaltet es Veränderungen im Agrarsektor und Subventionen in der Produktion. Linke Bauernorganisationen fordern zusätzlich die Reform des Artikels 27 der mexikanischen Verfassung. Mitte Mai erklärte der Agrarreformminister Florencio Salazar Adame jedoch, dass es zu keiner Revision kommen werde.

Die Proteste und das nationale Landwirtschaftsabkommen lösten Reaktionen in den Reihen der US-Regierung aus. So erklärte am 20. Mai der Landwirtschaftsbeauftragte Allen Johnson, dass die US-Regierung notwendige Schritte einleiten würde, falls sich Mexiko nicht an die internationalen Landwirtschaftsvorschriften halte. Der US-Botschafter in Mexiko sagte, es würden Handelskontroversen zwischen den beiden Staaten existieren. Der Präsident des Finanzansausschusses im Senat Charles Grassley meinte, dass die Aktionen der mexikanischen Regierung gegen die US-Landwirtschaftsprodukte inakzeptabel seien.

Ein Viertel der mexikanischen Bevölkerung lebt auf dem Land, das heißt Mexiko hat schon lange eine hauptsächlich urbane Bevölkerung. Die Situation der mexikanischen campesinas und campesinos hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Acht von zehn Personen leben in Armut. Während 1992 noch ein Drittel der Landbevölkerung unter Hunger litt, sind es heute schon über die Hälfte. Das durchschnittliche Tageseinkommen von fast 10 Millionen campesinos und campesinas beläuft sich auf 80 Cent. Mexiko besitzt ungefähr nur ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche seines nördlichen Nachbarn den USA. Hinzu kommt, dass 70 Prozent der Ackerflächen im großen Ausmaß erodieren. Abgesehen davon ist der landwirtschaftliche Sektor wenig technisiert, das heißt es wird sehr viel von Hand gearbeitet. Die Hälfte der Landwirtschaftsproduktion kommt nicht in den Handel, sondern sind für den Eigenverzehr bestimmt. Zusätzlich gehen jedes Jahr Arbeitsplätze im Agrarsektor verloren. Es wird geschätzt, dass seit dem Eintritt in die NAFTA 1 Million und 780 Tausend Arbeitsplätze im Agrarsektor verloren gingen.

Viele der Landwirtschaftsprodukte können mit den niedrigen und hochsubventionierten Produktionskosten in den USA nicht konkurrieren. D.h. es ist billiger Produkte zu importieren, als selbst herzustellen. Im Jahr 1995 wurde ungefähr genauso viel importiert wie exportiert, während im Jahr 2001 die Importe eindeutig über den Exporten lagen. Fast der komplette Sojaverbrauch wird über den Import gedeckt, beim Reis ist es über die Hälfte, beim Weizen die Hälfte, beim Mais ein Viertel und beim Fleisch sind es 40 Prozent. Die Schweinezüchter geben an, dass mit dem Wegfall der Zölle 70 Prozent der 300 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich in Gefahr sind. Die Hähnchenproduzenten sprechen von einem jährlichen Verlust von 30 000 Arbeitsplätzen. Trotz des Preisverfalls sind die Lebensmittel in Mexiko teurer geworden. Die importierten Lebensmittel haben häufig eine schlechte Qualität. Das Fleisch wird oft über Monate tiefgefroren, bevor es auf den Verkaufstisch kommt.

Ein weiteres Problem ist der importierte Mais. Auf der einen Seite ist er qualitativ schlecht und auf der andere Seite wird Genmais beigemischt. Es wird geschätzt, dass ungefähr ein Drittel des importierten Maises genmanipuliert ist. Dieser Mais ist Krankheiten gegenüber resistenter und breitet sich relativ schnell aus, im Vergleich zu den anderen Maissorten. Mexiko ist das Land, das über die meisten einheimischen Maissorten verfügt, doch diese werden durch den Genmais verdrängt und sind vom Aussterben bedroht.

Doch es gibt nicht nur Verlierer im Agrarsektor. Gewinner sind Landwirtschafts- und Lebensmittelunternehmen, wie z.B. die Gruppe Bimbo, die Toastbrot herstellt, die Gruppe Gruma, die Mais verarbeitet, die Gruppe Bachoco. die Eier und Hähnchen produziert und die transnationalen Konzerne Chiquita und del Monte, die tropische Früchte exportieren.

Die schlechte Situation auf dem Land führt dazu, dass im Durchschnitt täglich 600 Menschen emigrieren. Zum einen wandern sie in die mexikanischen Städte, zum anderen an die US-Grenze oder illegal in die USA aus. Die finanzielle Unterstützung der in den USA lebenden Verwandten an die in Mexiko gebliebenen, beläuft sich jährlich auf 10 Milliarden US-Dollar, während die Regierung die Landwirtschaft mit nur 4 Milliarden US-Dollar unterstützt. Während bis in die 90er Jahre fast nur Männer emigrierten, sind es zunehmend Frauen die ihr Glück woanders suchen. Viele zieht es in die Städte an der US-Grenze, um dort in der Maquiladoraindustrie zu arbeiten. Bei der Maquiladoraindustrie handelt es sich um einen Produktions- bzw. Dienstleistungszweig, der nicht den nationalen Gesetzen und Steuern unterliegt. Im Fall von Mexiko sind die Produkte und Dienstleistungen für den US-Markt bestimmt. Diese Fertigungsindustrie boomte in den 90ern und fand großen Zulauf. Aktuell macht sich die schlechte US-Wirtschaftslage bemerkbar. In den letzten zweieinhalb Jahren schlossen allein in Ciudad Juárez 70 Unternehmen und es gingen 100 Tausend Arbeitsplätze verloren.


Quelle: poonal
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