Bericht Delegationsreise Mexiko - Europagrüne

News vom 26.10.2012

 

Ska Keller (Deutschland) und Satu Hassi (Finnland), zwei grüne Europaparlamentarierinnen, die sich schon seit einiger Zeit wegen der im August 2010 in Oaxaca ermordeten AktivistInnnen Bety Cariño und Jyri Jaakkola engagieren haben zusammen mit anderen Peresonen kürzlich erneut Mexiko besucht.
Anbei ihr Bericht.


Delegationsreise der Grünen Europafraktion nach Mexiko, 29.09.-06.10.2012 [1]

Ska Keller, MdEP
franziska PUNKT keller (AT) europarl PUNKT europa PUNKT eu  
0032/22845379

Satu Hassi, MdEP
satu PUNKT hassi (AT) europarl PUNKT europa PUNKT eu  
0032/22845437

Die Grünen Europaabgeordneten Ska Keller und Satu Hassi verfolgen schon seit einiger Zeit einen Menschenrechtsfall in Mexiko. Als im Jahr 2010 die beiden MenschenrechtsverteidigerInnen Bety Cariño und Jyri Jaakkola getötet wurden, ging der Fall um die Welt. Eine humanitäre Karawane hatte damals versucht, die indigene Gemeinde San Juan Copala im Bundesstaat Oaxaca vor paramilitärischen Übergriffen zu schützen und wurde selbst angegriffen. Betty und Jyri starben. Bis heute gibt es keinen Prozess geschweige denn eine Verurteilung der Schuldigen. Der Fall ist symptomatisch für die Situation in Mexiko. Eine immer weiter ansteigende Gewaltrate, vor allen Dingen gegen Frauen, JournalistInnen und politische AktivistInnen geht einher mit einer erschreckend hohen Straflosigkeit. Mehrmals waren die beiden Europaabgeordneten Ska Keller und Satu Hassi seit 2010 in Mexiko, um Druck auf die Regierung und die Staatsanwaltschaft auszuüben, den Fall aufzuklären und sich über weitere Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu informieren − zuletzt im Rahmen einer sechsköpfigen Delegationsreise der Grünen Europafraktion vom 29.09. bis zum 6.10.2012.

Der Fall Bety Cariño und Jyri Jaakkola

Der Anwalt David Peña, der sich mit dem Fall beschäftigt, brachte gute Nachrichten: Wenige Tage, bevor wir in Mexiko ankamen, hatte die Staatsanwaltschaft von Oaxaca Haftbefehl gegen zwölf mutmaßlich an dem Angriff beteiligte Mitglieder der paramilitärisch organisierten Gruppe UBISORT erlassen. Angesichts der Tatsache, dass gewöhnlich fast nie gegen die Verantwortlichen von Angriffen auf oppositionelle AktivistInnen ermittelt wird, ist das ein großer Fortschritt, der jedoch nicht unwesentlich darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Delegation anreiste und Satu Hassi sowie Ska Keller seit Langem sehr deutlich vermitteln, dass sie die Aufarbeitung des Falls weiter verfolgen werden. Auch die finnische Öffentlichkeit hat den Mord im Blick, die Ausstellung der Haftbefehle sorgte dort für Schlagzeilen. Kurz zur Erinnerung: Die Mexikanerin Betty Cariño und der Finne Jyri Jaakkola waren mit einer Friedenskarawane auf dem Weg nach San Juan Copala, um dort "Triqui"- Indigene zu unterstützen, die ihre Gemeinde für autonom erklärt hatten und von UBISORT terrorisiert wurden. Die paramilitärische Gruppe, die vom damaligen Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz der ehemaligen Staatspartei PRI mutmaßlich unterstützt wurde, griff die Karawane am 27. April 2010 an, Bety und Jyri starben im Kugelhagel. Die PRI-Regierung von Oaxaca hat nichts unternommen, um die Täter dingfest zu machen. Mehrere Monate nach dem Angriff siegte ein oppositionelles Bündnis bei den Wahlen und übernahm die Regierung des Bundesstaats. Der jetzige Gouverneur Gabino Cue unternimmt mehr Anstrengungen, den Fall anzugehen. Bei Treffen mit Cue, weiteren VertreterInnen seiner Regierung sowie RepräsentantInnen des "Übergangsteams" des künftigen mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto wurde jedoch deutlich, dass vom Haftbefehl bis zur Verurteilung noch ein weiter Weg bevorsteht. Da das Gebiet von der UBISORT kontrolliert wird, können Sicherheitskräfte nicht einfach dort hinfahren und die Verdächtigen verhaften. Sie müssen mit bewaffnetem Widerstand rechnen, ein militärischer Großeinsatz könnte Ihnen den Vorwurf der "Militarisierung" und der "Verletzung von Menschenrechten" einbringen, erklärte uns die Menschenrechtskoordinatorin der Regierung von Oaxaca Eréndira Cruzvillegas. Zudem geht der Wandel in den Strukturen der Behörden von Oaxaca langsamer voran, als vielen Beteiligten recht ist. Schließlich regierte die PRI 80 Jahre lang den Bundesstaat, zahlreiche Institutionen sind noch heute von PRI-nahen Beamten dominiert, die wenig Interesse an der Aufklärung solcher Verbrechen haben.

Für Anwalt Peña heißt es jetzt erst einmal, Beweise zu sammeln und Zeugen zu finden, die die Vorwürfe gegen die mutmaßlichen Täter erhärten. Wenn die Behörden den ersten Verdächtigen festnehmen, haben sie ein halbes Jahr Zeit, um ihre Ermittlungen abzuschließen. Danach muss der Prozess beginnen. Verteidiger Peña denkt indes bereits über weitergehende Schritte nach. Da in Mexiko nicht die juristische Möglichkeit besteht, gegen die geistigen Täter von Verbrechen vorzugehen, überlegt der Anwalt in Finnland Anzeige gegen Ulises Ruiz zu stellen. Auch Satu Hassi ist der Meinung, dass die Rolle des ehemaligen Gouverneurs von Oaxaca beim Mord an Jyri Jaakkola untersucht werden sollte, da offensichtlich ist, dass es in seiner Regierungszeit eine enge Verbindung zwischen UBISORT und der PRI gab. Sie legt aber großen Wert darauf, klarzustellen, dass es im Kampf um die Aufklärung des Mordes an einem finnischen Bürger nicht darum gehe, europäisches Leben wichtiger zu nehmen als mexikanisches, sondern darum, mit einem Erfolg in diesem Fall Zeichen gegen die Straflosigkeit zu setzen und den Fall zu nutzen, in Europa Aufmerksamkeit für San Juan Copala und die allgemeine Menschenrechtlage in Mexiko zu erzeugen.

Bei einem Treffen mit indigenen vertriebenen Frauen sprachen wir über die Situation der etwa 300 Menschen, die aufgrund des Konfliktes aus San Juan Copala fliehen mussten. Sie kritisierten, dass bis heute keine zufriedenstellenden Maßnahmen unternommen worden seien, um ihre Rückkehr zu ermöglichen.

Menschenrechtskoordinatorin Eréndira Cruzvillegas widersprach dieser Darstellung und berichtete von einem Friedensabkommen, bei dem alle beteiligten Gruppen einbezogen worden seien.

Guerrero: Ein Bundesstaat mit unzähligen Menschenrechtsproblemen

Organisiert von der Menschenrechtsorganisation Tlachinollan trafen wir uns in Chilpancingo, der Landeshauptstadt des Bundesstaates Guerrero, mit zahlreichen Frauen und Männern, die oder deren Angehörige auf verschiedene Art und Weise Opfer von Übergriffen durch Sicherheitskräfte wurden. So sprachen wir mit Tita Radilla, deren Vater vor über 30 Jahren von Soldaten verschleppt wurde und der seitdem verschwunden ist. Valentina Rosendo wurde im Jahr 2001 von Armeeangehörigen vergewaltigt.

Die beiden Frauen kämpfen darum, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Bis zum Interamerikanischen Gerichtshof sind sie gegangen, und obwohl ihnen die RichterInnen Recht gaben, wurden die Fälle in Mexiko bis heute nicht vor Gericht verhandelt. Dass sich der Bundesinnenminister Alexandro Poiré im Namen der Regierung bei der indigenen Valentina Rosendo im Frühjahr 2012 entschuldigt hat, kann das Fehlen der juristischen Aufarbeitung nicht ersetzen. Diese Straflosigkeit zieht sich durch praktisch alle Fälle, mit denen sich Tlachinollan beschäftigt, informierte uns der Leiter der Organisation Abel Barrera. Guerrero ist einer der ärmsten Bundesstaaten Mexikos, zugleich ist die Region sehr stark vom sogenannten Drogenkrieg betroffen. In erster Linie leidet die indigene Bevölkerung unter diesen Verhältnissen. Beeindruckend ist, dass sich trotz dieser schwierigen Bedingungen viele Menschen gegen die Straflosigkeit und für ihre Rechte zur Wehr setzen. Neben Valentina Rosendo und Tita Radilla kämpfen zum Beispiel Victoria Bautista und Coral Rojas, die Töchter von Marcial Bautista und Eva Alarcon dafür, dass das Verschwinden ihrer Eltern aufgeklärt wird. Bautista und Alarcon haben sich gegen die Abholzung des Waldes in ihrer Heimat, der Sierra de Petatlán, eingesetzt. Seit dem 7. Dezember 2011 sind sie verschwunden. In der Region ist schon lange die Mafia aktiv, häufig agieren die Kriminellen gemeinsam mit örtlichen Großgrundbesitzern. Zugleich hat die Zentralregierung zahlreiche Soldaten in die Region geschickt. Drogenkartelle, Militär und paramilitärisch organisierte Gruppen haben ein unerträgliches Klima der Gewalt geschaffen. "Die Mehrheit der Leute verlässt Petatlán", erklärten uns Victoria Bautista und Coral Rojas.Zu den bedeutenden Bewegungen im Bundesstaat Guerrero zählen nicht zuletzt die Studierenden der Universität Ayozinapa, die für den Erhalt ihrer pädagogische Hochschule kämpfen. Nach Worten einiger Vertreter, mit denen wir uns unterhalten haben, versucht die Regierung, systematisch diese öffentlichen Ausbildungsstätten zu schließen und durch private Universitäten zu ersetzen. Auch deshalb blockierten im Dezember vergangenen Jahres Studierende die Autobahn, die durch Chilpancingo führt. Polizisten gingen gewaltsam gegen die Blockade vor, zwei Demonstrierende wurden durch Polizeikugeln getötet. Am Rande sei erwähnt, dass Beamte des Bundesstaats Guerrero aller Wahrscheinlichkeit nach widerrechtlich Waffen des deutschen Rüstungsunternehmens Heckler&Koch getragen haben. Der Konflikt um die staatlichen pädagogischen Hochschulen bleibt weiterhin aktuell. Wenige Tage, nachdem wir Mexiko verlassen hatten, kam es im Bundesstaat Michoacán zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Studierenden.

Morde an Frauen: Feminicidios

Die Gespräche mit AktivistInnen, die sich mit den unzähligen Frauenmorden in Mexiko beschäftigen, bestätigten, dass diese "Feminizide" anhalten. Seit über einem Jahrzehnt steht die Regierung international unter Kritik, weil sie nicht ernsthaft gegen die Täter ermittelt und die Gewalt nicht aufhalten kann. Praktisch kein Mord wird aufgeklärt, obwohl selbst der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof in einem Urteil von 2009 Mexikos Regierung dazu verpflichtet hat, endlich ernsthaft zu ermitteln und Maßnahmen zu ergreifen, um die Feminizide zu stoppen. Doch offensichtlich ist das Gegenteil passiert: Durch den von Präsident Felipe Calderón 2006 erklärten "Drogenkrieg" ist die Gewalt extrem eskaliert, und in der Folge haben auch die Angriffe auf Frauen eklatant zugenommen Alleine in der Stadt Acapulco wurden im Mai dieses Jahres 20 Frauen ermordet. In Staaten wie Baja California und Durango ist die Zahl der Aggressionen während der Regierungszeit Calderóns um 300 Prozent gestiegen. Dass der neue Präsident Peña Nieto an dieser Situation etwas ändern wird, ist kaum zu erwarten: Auch im Bundesstaat Mexiko, in dem er Gouverneur war, haben die Feminzide stark zugenommen.

Zwar gab es in den letzten Jahren einige Gesetzesreformen, aber bedauerlicherweise sind wenige Fortschritte bei deren Implementierung zu verzeichnen. Feminizide sind zwar als Straftatbestand anerkannt, aber es ist unglaublich schwer zu erreichen, dass ein Fall als ein solcher kategorisiert wird. Die Argumentation von staatlicher Seite lautet zum Beispiel, dass die Frauen in Drogengeschäfte involviert waren, und folglich geht der Fall nicht in die Feminicidio-Statistik ein. Auch wenn eine Frau tot in ihrem Haus aufgefunden wird und nicht in einem Straßengraben, zählt das in manchen Bundesstaaten nicht als Feminizid. Frauenmorde werden "unsichtbar" gemacht, die Zahlen der offiziellen Statistiken sinken und wenn Täter vor Gericht gebracht werden, bewirkt eine Nicht-Anerkennung als Feminizid ein geringeres Strafmaß.

Die hohe Straflosigkeit und ein unglaublich ineffizientes rechtliches System sind schwerwiegende Probleme. In nur 3-4% der Morde an Frauen werden Ermittlungen überhaupt aufgenommen. Die Täter sind häufig den Frauen nahe stehende Personen, aber die mangelhafte Datenlage macht allgemeine Schlussfolgerungen schwer. Die NGOs haben viele Indizien dafür, dass die Mörder häufig mit Behörden zusammen arbeiten.

Problematisch ist außerdem, dass Vergewaltigung als Tatbestand kaum anerkannt wird. Im krassen Gegensatz dazu steht, dass Abtreibungen in vielen Staaten illegal sind und dieses Verbot auch durchgesetzt wird. Die Haftstrafen für Abtreibungen sind in den Bundesstaten unterschiedlich, in manchen Staaten betragen sie bis zu 30 Jahre Gefängnis. In einer Art Reaktion auf die von der linken Regierung von Mexiko- Stadt verfügte Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs haben zahlreiche konservativ regierte Bundesstaaten ihre Gesetzgebung in den letzten Jahren noch verschärft.

Oaxaca: Fragwürdiger Bergbau...

Seit sich im Jahr 2006 die kanadische Bergbaufirma Fortuna Silver Mines in San José de Progreso niedergelassen hat, kommt das Dorf im Bundesstaat Oaxaca nicht mehr zur Ruhe. Vier Menschen sind bereits gestorben. Der Hintergrund: Die Gemeinde hat sich entlang der Frage, ob Gold und Silber abgebaut werden soll, komplett gespalten. Ja, sagen jene, die von der Firma Bestechungsgelder bekommen haben oder sich Arbeitsplätze erhoffen, nein sagt die Mehrheit, weil sie befürchtet, dass das gesamte Wasser durch das Auswaschen kontaminiert wird und längerfristig komplett zur Neige geht. Rund 600.000 Liter Wasser braucht das Unternehmen täglich, und dass, wie Fortuna Silver Mines behauptet, diese Menge immer wieder komplett dem Kreislauf zugeführt wird, bezweifeln viele. Zudem kritisieren sie den ihrer Meinung nach widerrechtlichen Verkauf des Gemeindelandes. Einige DorfbewohnerInnen berichteten uns davon, wie der Bürgermeister und ihm nahe stehenden Personen von Fortuna Silver Mines im Wahlkampf unterstützt wurden. Wie so oft auf dem mexikanischen Land spielt sich auch hier der Konflikt zwischen Mitgliedern der ehemaligen Staatspartei PRI und deren Umfeld auf der einen Seite und linken Oppositionellen auf der anderen Seite ab. Im Jahr 2009 blockierten die MinengegnerInnen das Baugelände, es kam zu einem Polizeieinsatz, bei dem die Beamten gewaltsam vorgingen. Später besetzten sie das Rathaus, und bis heute kann der Bürgermeister nicht von dort aus regieren.

Allein in diesem Jahr wurden zwei Menschen wegen der Mine umgebracht: Bei den Angriffen richteten sich die Schüsse gegen GegnerInnen des Gold- und Silberabbaus. Die Mörder kündigten ihre Tat sogar vorab mit einem auf eine Mauer an der nahegelegenen Landstraße gesprühten Graffito an. Für die Eskalation machen die AktivistInnen nicht nur das Minenunternehmen, sondern auch die Zentralregierung verantwortlich, die die Konzessionen vergibt. Nach der Untersuchungsphase lassen sich die föderalen PolitikerInnen nicht mehr blicken, doch genau dann entstehen die Konflikte, erklärte uns Rosario Marroquín von der Menschenrechtsorganisation ProDH. Für den konkreten Abbau braucht das Unternehmen nämlich dann die Zustimmung der örtlichen Bevölkerung, und hier beginnt die gefährliche Einmischung der Bergbaufirmen, in der Schmiergeld und fragwürdige Versprechungen z.B. auf Arbeitsplätze zu Spaltung und Gewalt in den Gemeinden führt. Diese Dynamik spielt sich in zahlreichen Regionen Mexikos ab, und es ist zu befürchten, dass sich die Konflikte noch verschärfen. Die mexikanische Regierung hatte bereits bis 2011 Schürfrechte für 55 Millionen Hektar vergeben. Das ist etwa ein Viertel der Fläche des Landes.

... und umstrittene Windräder

Nach einem ähnlichen Konzept gehen Unternehmen und Regierung leider auch bei eigentlich sinnvollen Projekten zur Energiegewinnung vor. Bei der Planung und dem Bau der zahlreichen Windräder, die bereits jetzt im Isthmus von Tehuantepec stehen, wurde die lokale Bevölkerung nicht einbezogen, was einen Bruch mit der mexikanischen Verfassung darstellt. Viele fühlten sich übergangen, und so herrscht heute in Teilen der ländlichen und indigenen Bevölkerung große Skepsis gegenüber den Mühlen. In erster Linie ist es die Ignoranz, die zu Unmut führt. Mexikanische und internationale Unternehmen vereinbaren ihre Verträge häufig mit einzelnen lokalen Politikern, die dann wiederum mit Bauern Pachtverträge vereinbaren, in denen die Preise weit unter dem Marktwert liegen. Wieder kommen Bestechungsgelder und fragwürdige Versprechungen ins Spiel, und wieder entstehen gewaltsame Konflikte. Wir sprachen darüber mit einem Vertreter aus San Dionisio del Mar, einer Gemeinde an der Pazifikküste von Oaxaca. Ein Energiepark mit 132 Windrädern soll dort entstehen, betreiben will die Generatoren Mareña Renovables, die Tochterfirma eines spanischen Unternehmens. Während ein großer Teil der indigenen Bevölkerung der Gemeinde das Projekt ablehnt, hat der PRI-Bürgermeister Miguel López Castellanos der Anlage zugestimmt, ohne die EinwohnerInnen zu konsultieren. Auch über das Geld, das die Gemeindeverwaltung als Pacht bekommt, wurden viele nicht zufriedenstellend informiert. Auf einer Versammlung beschlossen die DorfbewohnerInnen daraufhin im Februar 2012, den Bürgermeister nicht anzuerkennen. Seither ist die Gemeinde gespalten. Gegen 40 EinwohnerInnen laufen Anzeigen, weil sie sich an einer Blockade beteiligt haben, die GegnerInnen des Projektes werden vom Bürgermeister und ihm nahe stehenden Personen bedroht. Dennoch fordern sie weiterhin den Stopp des Baus.

Ihre Kritik richtet sich auch dagegen, dass der produzierte Strom nicht den Menschen in der Region zu Gute kommt. Alternative Projekte verhindert das mexikanische Energiesystem, da eine eigenständige lokale Einspeisung nicht möglich ist. Daran scheiterte ein Windmühlenprojekt in der unweit von San Dionisio del Mar gelegenen Kleinstadt Ixtepec.

MigrantInnen leben gefährlich

Viele Menschen aus Zentralamerika migrieren aufgrund der katastrophalen Situation in ihren Heimatländern in die USA. Eine der Möglichkeiten ist es, auf Güterzüge aufzuspringen und so Mexiko zu durchqueren. Im Norden Mexico Citys treffen in der Kolonie "La Lechería" in Tultitlán im Bundesstaat Mexiko mehrere Zugstrecken aufeinander und die MigrantInnen nutzen die Möglichkeit, "umzusteigen" und sich dort ein paar Tage auszuruhen. Beim Sprung auf oder von den Zügen verletzten sich viele. Schlafen können sie auf den Zügen nicht, weil die Gefahr des Runterfallens zu groß ist. Dazu kommt die Gefahr, von Polizei und Mafiagruppen abgefangen und ausgeraubt zu werden. Oft werden MigrantInnen von Banden der organisierten Kriminalität auch entführt und müssen dann von ihren Angehörigen Lösegeld erbitten. Häufig werden sie auch ermordet. Uns wurde auch berichtet, dass MigrantInnen als ArbeitssklavInnen für die Mafia-Gruppen herhalten müssen. Einige zivilgesellschaftliche Organisationen haben vor drei Monaten in der Nähe der Gleiskreuzung eine Art Herberge aufgebaut, nachdem die kirchliche Einrichtung Casa del Migrante San Juan Diego wegen Protesten von AnwohnerInnen Anfang August 2012 geschlossen werden musste. Es war dort zu Angriffen auf die MigrantInnen und später zu Auseinandersetzungen zwischen den Reisenden und den BewohnerInnen des Viertels gekommen, in dem sich die Unterkunft befand. Zwischen 200 und 400 Menschen konnten bis dato dort einen Zwischenstopp machen und sich stärken. In der neu eröffneten Herberge in Huehuetoca, die eigentlich nur aus Planen und Notunterkünften besteht, können sich die MigrantInnen wenigstens ein bisschen ausruhen. Das mexikanische Gesetz verbietet es, dass die Behörden in die Herbergen eindringen und die "Illegalen" abschieben. Noch aber sind die Bedingungen dort sehr prekär.

Wir redeten mit einigen der meist noch sehr jungen Leute. Frauen gibt es kaum (ca. 10 Prozent) — für sie ist die Reise besonders gefährlich. Ein Mann erzählte uns, dass er vor 15 Tagen aus Honduras abgereist war. Für ihn ist es bereits der dritte Versuch, in die USA zu gelangen. Wir trafen zwei schwangere Frauen. Eine wird ihr Baby in der Herberge bekommen, da nun die Weiterfahrt zu gefährlich ist. Ein anderer junger Mann berichtete von seinem fünfmonatigen Horrortrip, auf dem er von der mexikanischen Polizei (!) aufgegriffen, ausgeraubt, verprügelt und misshandelt worden war. Die Arbeit in der Herberge hängt von Freiwilligen ab und die Organisationen sind auf Spenden angewiesen, um Essen und Medizin zu kaufen. In ganz Mexiko gibt es über 50 solcher Herbergen, die vom katholischen Netzwerk "Dimensión Pastoral de la Movilidad Humana" koordiniert werden.

Im Gespräch mit der Regierung in Mexiko City war von riesigen Verbesserungen die Rede, was die Migrationspolitik angeht. 2011 wurde ein neues Migrationsgesetz verabschiedet, nun sei "illegale" Migration kein Delikt mehr. Eine eigene Einheit wurde innerhalb der Migrationsbehörde INM zum Schutz der MigrantInnen gegründet. In Ausnahmefällen können humanitäre Visa ausgestellt werden, wenn Angehörige verschwundener MigrantInnen diese in Mexiko suchen. Auf unsere Frage nach einem Transit-Visum erhalten wir klar und deutlich die Antwort, dass dies eine utopische Forderung sei, die vor allen Dingen am Willen der US-Regierung scheitere.

Fazit: Was hat unsere Reise gebracht?

Der Fall Jyri/Bety ist nur einer von unzähligen ungesühnten Morden an MenschenrechtsaktivistInnen in Mexiko. Es hat etwas von dem berühmten Tropfen auf dem heißen Stein, sich so intensiv mit diesem einen Fall zu beschäftigen. Allerdings lohnt es sich schon: Nur wenn die Grüne Delegation oder andere Mitglieder des Europaparlaments nach Mexiko reisen, gibt es Fortschritte bei den Ermittlungen. Wahrscheinlich würde gar nichts passieren, wenn wir nicht kräftig Öffentlichkeit erzeugen und den Verantwortlichen auf den Zahn fühlen würden. Hilfreich ist der Fakt, dass Jyri europäischer Staatsbürger war, denn so hat die Beschäftigung mit dem Fall weniger eine Konnotation einer "Einmischung von außen", was ggf. Abwehrreflexe auslösen würde. Die mexikanische Regierung ist überaus besorgt um ihr "Menschenrechtsimage", was natürlich sehr gut als Hebel genutzt werden kann. Und nicht zuletzt strahlen vielleicht die kleinen Fortschritte im Fall Jyri auch auf weitere Fälle von Straflosigkeit und Menschenrechtsverletzungen aus.

In den Gesprächen mit Justiz und Regierung haben wir immer auch alle anderen an uns herangetragenen Fälle und Probleme erläutert. Man kann nicht


[1] Bericht von Anna Cavazzini und Wolf-Dieter Vogel
 

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