CHIAPAS: Die 13. Stele - Teil vier

Ein Plan

News vom 26.07.2003
Subcomandante Insurgente Marcos
übersetzt von: Dana

 

Die Zapatistischen Indigenen Gemeinden haben sich seit mehreren Jahren einem Prozess zum Aufbau der Autonomie gewidmet. Für uns ist Autonomie keine Fragmentierung des Landes oder Separatismus, sondern die Ausübung des Rechtes zu regieren und uns selbst zu regieren, wie in Artikel 39 der politischen Verfassung der Vereinigten Mexikanischen Staaten verankert.

Vom Anbeginn unseres Aufstandes, und schon lange davor, haben wir zapatistischen Indigenas darauf bestanden, dass wir Mexikaner sind, aber auch Indigenas. Das heißt, wir fordern einen Platz innerhalb des mexikanischen Volkes, aber ohne aufzuhören zu sein wer wir sind.

Das angebliche zapatistische Projekt für eine "Maya Nation" existiert lediglich in den Papieren einiger der dämlichsten Militärpersonen in der mexikanischen Bundesarmee, die wissen, dass der Krieg den sie gegen uns führen illegitim ist, und armselige Argumente verwenden, um ihre Truppen davon zu überzeugen, dass sie Mexiko verteidigen indem sie uns angreifen. Die hohen Militärchefs und ihre Nachrichtendienste wissen jedoch, dass das Ziel der EZLN nicht die Abspaltung von Mexiko ist, sondern wie die Initialen es schon sagen, die "Nationale Befreiung".

Das separatistische Projekt für den mexikanischen Südosten existiert andererseits tatsächlich, und zwar in der Implementierung der neoliberalen Doktrin auf unserem Gebiet, und es wird von der Bundesregierung geleitet. Der nun zum Untergang verurteilte "Puebla-Panama Plan" war nichts anderes als ein Plan zur Fragmentierung des Landes, in welchem dem mexikanischen Südosten die Funktion eines "Reservats" für das Weltkapital zugedacht wurde.

In diesem Fragmentierungsprojekt, der von der Regierung geleitet wird (das ist die wahre Agenda der politischen Parteien und der drei Bundesgewalten, nicht jene, die in der Presse erscheint), wird Mexiko in drei Teile gespalten: Der Norden mit seinen Staaten, wird in dem wirtschaftlichen und kommerziellen Rahmen der Amerikanischen Union einbegriffen; das Zentrum, als Anbieter von Konsumenten mit mittlerer und hoher Kaufkraft, und der Süd-Südosten, als ein Territorium, das für die Aneignung der natürlichen Ressourcen erobert werden muss, die in der globalisierten Zerstörung immer wichtiger werden: Wasser, Luft und Land (Holz, Erdöl, Uran... und Menschen).

Einfach und lakonisch wie wir sind, würden wir sagen, dass es bei dem Plan darum geht, den Norden in eine große Maquila zu verwandeln, das Zentrum in ein gigantisches Einkaufszentrum und den Süd-Südosten in eine große Finca.

Aber Pläne auf dem Papier sind eine Sache, und die Realität ist etwas anderes. Die Gefräßigkeit des großen Kapitals, die Korruption der politischen Klasse, die Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung, und der wachsende Widerstand von Gruppen, Kollektive und Gemeinden, haben die volle Implementierung des Planes verhindert. Und da wo er in Angriff genommen werden konnte, demonstrierte er das Stehvermögen einer zittrigen Pappkulisse.

Da "Selbstmorde" für die Macht in der letzten Zeit so angesagt zu sein scheinen, gibt es kein besseres Konzept um diesen Plan zu definieren, den Politiker und Geschäftsleute für unser Land haben: es ist ein Selbstmord.

Die Globalisierung des Kapitals setzt die Zerstörung des Nationalstaates voraus. Seit einiger Zeit ist der Nationalstaat (unter anderem) der Schützengraben gewesen, in dem sich das lokale Kapital geflüchtet hat um zu überleben und zu wachsen. Aber von diesem Schützengraben ist nur noch ein wenig Geröll übrig.

Auf dem Land haben kleine und mittlere Produzenten vor der großen Agro-Industrie kapituliert. Ihnen werden bald die großen nationalen Produzenten folgen. In den Städten vernichten die Einkaufszentren nicht nur kleine und mittlere Geschäfte, sondern verschlucken auch die großen nationalen Unternehmen. Gar nicht zu erwähnen, die nationale Industrie, die sich bereits in den letzten Todeszuckungen befindet.

Als Antwort darauf ist die Strategie des Nationalkapitals naiv gewesen, wenn nicht gar idiotisch. Es warf auf allen Seiten des politischen Spektrums mit Geld um sich, um so zu gewährleisten (oder zumindest im Glauben es zu tun), dass es keine Rolle spielt welche Partei regiert, da sie der Farbe des Geldes stets zu Diensten sein würden. Und so finanzieren große mexikanische Geschäftsleute die PRI, die PAN, und die PRD gleichermaßen, genau wie jede andere politische Partei, die in das Intrigenspiel der Regierung und des Parlaments irgendeine Aussicht hat.

Auf ihre Treffen (wie in den Zeiten der Mafia in Nordamerika, sind Hochzeiten grundsätzlich ein Vorwand für die großen Herren, um Abkommen zu unterzeichnen und Konflikte beizulegen) gratulieren sich die mexikanischen Señores gegenseitig. Sie haben die gesamte nationale politische Klasse auf der Gehaltliste.

Aber ich bedaure ihnen ein paar schlechte Nachrichten übermitteln zu müssen: Wie der nun verstummte Skandal um die "Amigos de Fox" demonstriert hat, stammt der Großteil des Geldes von einer anderen Seite. Wenn derjenige der zahlt auch regiert, dann regiert der, der mehr zahlt auch mehr. Und so werden diese Politiker Gesetze erlassen, die mit den Schecks übereinstimmen, die sie erhalten. Früher oder später wird das große ausländische Kapital sich alles aneignen, angefangen mit dem Bankrott und dem Schlucken all derer, die das meiste besitzen. Und all dies unter dem Schutz der "Ad Hoc" Gesetze. Politiker sind jetzt und seit längerer Zeit, gehorsame Angestellte ... dessen der am meisten zahlt. Nationale Geschäftsleute liegen völlig falsch wenn sie denken, dass sich das ausländische Kapital mit der Strom- und Erdölindustrie zufrieden geben wird. Die neue Weltmacht will alles. Und so wird von dem nationalen Kapital nichts anderes übrigbleiben als Nostalgie, und wenn sie Glück haben, ein paar niedrige Positionen im Direktorenvorstand.

Das sterbende nationale Kapital in seiner historischen Blindheit, sieht jede Form der sozialen Organisation mit Schrecken. Die Häuser der reichen Mexikaner werden von komplizierte Sicherheitssysteme geschützt. Sie fürchten, dass die Hand, die ihnen alles wegnehmen wird von unten kommt. Durch die Ausübung ihres Rechtes auf Schizophrenie, enthüllen reiche Mexikaner nicht nur die Quelle ihres Reichtums, sondern auch ihre eigene Kurzsichtigkeit. Sie werden beraubt, ja, aber nicht durch die unwahrscheinliche Wut der Massen, sondern durch eine Gier, die noch größer ist als ihre: durch jene, die dort reich sind, wo der Reichtum ist. Ihr Unglück wird nicht über sie hereinbrechen, indem es die großen Paläste in der Dämmerung überfällt, sondern es wird durch die Vordertür während der Öffnungszeiten hereinspazieren. Der Dieb wird nicht das Antlitz des Mittellosen tragen, sondern das des reichen Bankiers.

Diejenigen, die Slim, den Zambranos, Los Romo, den Salinas Pliegos, den Azcárragas, den Salinas de Gortaris, und den anderen Familiennamen aus dem limitierten Universum der reichen Mexikaner, alles wegnehmen werden, sprechen kein Tzeltal, Tzotzil, Chol oder Tojolabal, und sie haben keine dunkle Hautfarbe. Sie sprechen Englisch, ihre Hautfarbe ist das Grün des Geldes, sie haben an ausländische Universitäten studiert, und sie sind Diebe mit kultivierten Manieren.

Deshalb werden ihnen Armeen und Polizeikräfte nichts nützen. Sie bereiten sich vor und verbarrikadieren sich, um gegen Rebellenstreitkräfte zu kämpfen, aber ihr größter Feind, der Feind, der sie vollkommen vernichten wird, praktiziert die gleiche Ideologie wie sie: den ungezügelten Kapitalismus.

Die traditionelle politische Klasse ihrerseits, ist bereits dabei ersetzt zu werden. Wenn der Staat als ein Unternehmen betrachtet wird, wird es besser von Manager als von Politiker regiert. Und in dem "Nationalstaat.com" Neo-Business, hat die Kunst der Politik keinen Nutzen.

Die Politiker von gestern haben nun begriffen, dass sie sich in ihren jeweiligen regionalen oder lokalen Schützengräben, selber in ein Hinterhalt postieren. Aber der neoliberale Hurrikan wird sie auch dort finden.

Inzwischen wird das nationale Kapital weiterhin seine prächtigen Feste feiern. Und vielleicht werden sie nie begreifen, dass eins ihrer Gäste auch ihr Totengräber sein wird.

Deshalb warten jene von uns, die sich die Verteidigung des Nationalstaates durch die nationalen Geschäftsleute, Politiker oder den "Institutionen der Republik" erhoffen vergeblich. Sie alle haben sich am Hologramm der Nationalmacht berauscht, und sie begreifen nicht, dass sie bald aus ihrem Palast hinausgeworfen werden.

Wir, die Zapatisten, haben gelegentlich von dem sogenannten "Plan Puebla-Panama" gesprochen, als ob es bereits gescheitert sei. Dies geschah aus mehreren Gründen.

Eins ist, dass der Plan bereits unterminiert worden ist, und auch die Versuche ihn zu implementieren werden nichts erreichen, außer die sozialen Aufstände zu verschlimmern.

Der andere ist, dass der Plan von uns erwartet zu akzeptieren, dass alles bereits im Norden und im Zentrum des Landes beschlossen worden ist, und dass es keinen Widerstand dagegen gibt. Das ist falsch. Die Routen des Widerstandes und Rebellion durchziehen das gesamte nationale Territorium, und tauchen auch dort auf, wo die Modernität scheinbar vollkommen triumphiert hat.

Ein weiterer Grund ist, dass zumindest in den Bergen des mexikanischen Südostens, die Implementierung unter keine Umstände zugelassen werden wird.

Wir haben nichts dagegen, wenn Derbez und Taylor weiterhin Unternehmer mit dem Plan ködern, oder ein paar Beamte sich ihr Gehalt mit der Arbeit für eine Leiche verdienen. Wir haben unsere Pflicht erfüllt indem wir sie darüber in Kenntnis gesetzt haben, und jeder kann glauben was er will.

Der Hauptplan der Regierung ist nicht der "Puebla-Panama Plan". Der dient nur dazu einen Teil der Staatbürokratie zu unterhalten, und damit nationale Unternehmer auf die Idee hereinfallen, dass die Regierung etwas tun wird, oder tut, um die Wirtschaftslage zu verbessern.

Der Hauptplan des Präsidentenpaars andererseits, beinhaltet etwas völlig anderes als den "PPP": die Auflösung aller bereits geschwächten Schutzmittel der nationalen Wirtschaft, die damit vollkommen dem globalisierten Chaos ausgeliefert wird, während die brutale Auswirkung eines Weltkrieges, der bereits mehrere Nationen verwüstet hat, ein bisschen mittels Predigten und Almosen gemindert wird.

Wenn Carlos Salinas de Gortaris Regierungsplan das "PRONASOL" gewesen ist (man erinnere sich, dass die "Solidaritätspartei" damals bereits dabei war sich zu formieren), dann ist es für Fox die "Vamos Mexico Stiftung" ("Auf geht’s Mexiko"), die von Martha Sahagún de Fox geleitet wird. "PRONASOL" war nichts anderes als institutionalisierte Almosen. "Vamos Mexico" haftet hinzu noch ein strenger Gestank nach ranzigem Klatsch an.

Regierungspläne sind gemeinhin kompliziert und grandios, aber das einzige, was die vielen Worte verbergen, sind die hohen Gehälter ihrer Funktionäre. Diese Pläne dienen nur dazu Büros einzurichten, Pressekommuniques zu veröffentlichen und den Eindruck zu erwecken, dass etwas für die Menschen getan wird.

Jene, die regierend regieren, haben vergessen, dass die Stärke eines guten Planes darin liegt einfach zu sein.

Und so, als Antwort auf den "Plan Puebla-Panama" insbesondere, und auf alle globalen Pläne für die Fragmentierung Mexikos im allgemeinen, lanciert die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung hiermit den ... "Plan La Realidad-Tijuana" (oderr "RealiTi").

Der Plan beinhaltet die Vernetzung allen Widerstandes in unserem Land, und damit einhergehend, den Wiederaufbau Mexikos von unten. Es gibt Männer, Frauen, Kinder und alte Menschen in allen Bundesstaaten, die sich nicht ergeben, und die, obwohl sie ungenannt bleiben, für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Unser Plan sieht vor mit ihnen zu sprechen und ihnen zuzuhören.

Der "La Realidad-Tijuana" Plan hat absolut keine Budget, oder Beamte, oder Büros. Er hat nur diese Leute, die an ihrem Ort, in ihrer Zeit und auf ihre Art, der Enteignung Widerstand leisten, und die sich erinnern, dass die Patria kein Geschäft mit Filialen ist, sondern eine gemeinsame Geschichte. Und Geschichte ist nicht einfach nur Vergangenheit. Sie ist auch, und vor allem, die Zukunft.

Wie in dem Corrido vom Weißen Pferd, aber in Schatten-Licht und am Sonntag von La Realidad aufbrechend (und nicht aus Guadalajara), wird das zapatistische Wort und Ohr das gesamte nationale Gebiet durchkreuzen, von Cancun und Tapachula, nach Matamoros und La Paz, es wird in Tijuana bei Tageslicht ankommen, es wird durch Rosarito passieren, und es wird nicht ruhen, biss es Ensenada sieht.

Aber nicht nur dass. Da es unser bescheidenes Ziel ist auf irgendeine Weise zum Aufbau einer Welt in der viele Welten passen beizutragen, haben wir auch einen Plan für die fünf Kontinente.

Für den nordamerikanischen Kontinent haben wir den "Morelia-Nordpol Plan," der die Amerikanische Union und Kanada mit einschließt.

Für Mittelamerika, der Karibik und Südamerika haben wir den "La Garrucha-Tierra del Fuego Plan."

Für Europa und Afrika haben wir den "Oventik-Moskau Plan" (eine Reise in den Osten, die durch Cancun führt, in diesem September).

Für Asien und Ozeanien haben wir den "Roberto Barrios-Neu Delhi Plan" (eine Reise in den Westen).

Der Plan für die fünf Kontinente beinhaltet das gleiche: der Kampf gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit.

Und wir haben auch einen Plan für die Galaxien, aber wissen noch nicht wie wir ihn nennen sollen (der "Erde- Alpha Centauri Plan"?). Unser intergalaktische Plan ist genauso einfach wie die letzten, und beinhaltet, grob ausgedrückt, sich nicht dessen schämen zu müssen sich als "Menschliches Wesen" zu bezeichnen.

Es ist offensichtlich, dass unsere Pläne mehrere Vorteile haben: sie belasten nicht, sie haben keine Direktoren und können ausgeführt werden ohne Bändchen durchzuschneiden, ohne langweilige Zeremonien, ohne Statuen und ohne dass die Musikgruppe ihren Wunsch das Stück zu spielen unterdrücken müsste — nun zum Rhythmus der Cumbia, und während die Angesehenen das Tanzbein schwingen — das ungefähr so läuft: "Der Horizont ist nun zu sehen..."

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens.

Subcomandante Insurgente Marcos

Juli, 2003.

Chiapas, Mexiko, amerikanischer Kontinent, Planet Erde, Sonnensystem, Galaxie... Galaxie... wie heißt unsere Galaxie?

P.S. Da wir gerade von üblen Plänen reden, an diesem 25. Juli werden es neun Jahre her sein, seit dem Angriff auf die Karawane des damaligen Kandidaten für das Gouverneursamt von Chiapas, Amado Avendaño Figueroa, bei dem die Sozialaktivisten Agustín Rubio, Ernesto Fonseca und Rigoberto Mauricio, ihr Leben verloren. Für Gerechtigkeit wurde immer noch nicht gesorgt. Ich weiß nicht wie’s Ihnen geht, aber wir haben nicht vergessen.
 

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