ILO Konvention 169 und Europa - Materialsammlung

News vom 03.06.2001
Gesellschaft für Bedrohte Völker

 

Die Konvention ist ein wichtiger Standard zum Schutz indigener Völker

- Konvention hat auch für Europa Relevanz
- Die in der ILO-Konvention 160 festgelegten Grundrechte
- Die Unterzeichnerstaaten
- Auch Staaten ohne indigene Völker sollten beitreten

Dreihundert Millionen — oder vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung — gehören Völkern, Nationen, Stämmen oder Gemeinschaften an, die als Ureinwohner ihres Landes und oft in enger Beziehung zur Natur leben. Häufig werden diese Völker Opfer von Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung und Entzug ihrer Lebensgrundlagen durch die Staaten, auf deren Territorium sie wohnen. 75 Prozent aller nicht-erneuerbaren Ressourcen liegen auf dem Land indigener Völker, westliche Industriestaaten sind bei fast allen wirtschaftlichen Großprojekten auf Indigenen-Territorien beteiligt.

Die Konvention hat auch für Europa Relevanz

Die Konvention Nr. 169 der International Labour Organization (ILO), einer Unterorganisation der UNO mit Sitz in Genf, in der neben Regierungen auch Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sitzen, ist das bislang umfassendste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz indigener Völker in aller Welt. Die Konvention 169 ist seit ihrer Verabschiedung erst von 14 der 173 Mitgliedstaaten der ILO unterzeichnet worden. Westliche Industrienationen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland und Italien, haben erklärt, daß sie von dem Abkommen nicht berührt würden, da auf ihrem Territorium keine indigenen Völker leben. Durch ihre Wirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des Südens haben europäische Staaten jedoch einen enormen Einfluß auf das Schicksal indigener Völker. Dies gilt gerade in Zeiten der "Globalisierung". Würden sie die ILO-Konvention 169 ratifizieren, so müßten sie deren Normen in ihrer Außenpolitik berücksichtigen. Deshalb fordern Vertreter Indigener Völker erneut, daß auch die Bundesrepublik und andere europäische Länder sich dem Kreis der Unterzeichner anschließen.

ILO-Konvention 169 ist eine Überarbeitung der Konvention 107 von 1958, die sich ebenfalls den Schutz indigener Völker zum Ziel setzte und von 27 Staaten ratifiziert wurde. Grund für die Revision war die Kritik der Betroffenen. Das Ziel der ILO 107, die indigenen Völker in die Mehrheitsgesellschaften zu integrieren, sollte dem Konzept einer weitreichenden Selbstbestimmung weichen. An der Ausarbeitung von Konvention 169 wirkten Vertreter zahlreicher indigener Völker mit.

Die in ILO-Konvention 169 festgelegten Grundrechte

Die ILO 169 setzt Grundrechte für indigene Völker und "Stammesvölker" fest und legt den Unterzeichnerstaaten umfassende Verpflichtungen auf. In sieben Artikeln beschäftigt sie sich speziell mit Fragen des Landbesitzes und der Ausbeutung von Rohstoffen, mit Fragen also, die für viele indigene Völker von existentieller Bedeutung sind. Im einzelnen enthält das Abkommen:

volle Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Unterschiede (Art. 2, 3), Recht auf kulturelle Identität (Art. 4), Recht auf gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen (Art. 4), Recht auf Beteiligung bei der Findung von Entscheidungen, die diese Völker betreffen (Art. 6), Recht auf Gestaltung der eigenen Zukunft (Art. 6, 7), Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz, (Art. 2, 8, 9), Recht auf Land und Ressourcen (Art. 13-19), Recht auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20), Recht auf Ausbildung und den Zugang zu den Kommunikationsmitteln (Art. 21).

Die Unterzeichnerstaaten

Ratifiziert (d.h. unterzeichnet und vom jew. Parlament durch Bestätigung in Kraft gesetzt) wurde die ILO Konvention bislang von folgenden 14 Staaten:

Stand: 22.08.2000 — laut ILO Website

Norwegen 19.06.1990
Mexiko 05.09.1990
Kolumbien 07.08.1991
Bolivien 11.12.1991
Costa Rica 02.04.1993
Paraguay 02.02.1994
Peru 02.02.1994
Honduras 28.03.1995
Dänemark 22.02.1996
Guatemala 05.06.1996
Niederlande 02.02.1998
Fiji 03.03.1998
Ecuador 15.05.1998
Argentinien 03.07.2000

In den Unterzeichnerstaaten sind einige positive Entwicklungen festzustellen: Bolivien z.B. hat in einer Verfassungsänderung der multi-ethnischen und multi-kulturellen Natur des Staates Rechnung getragen und das Recht indigener Völker an einer Beteiligung bei sie betreffenden Entscheidungen anerkannt. Mexiko hat eine Regelung erlassen, daß die Bräuche indigener Völker in Strafprozessen in Betracht zu ziehen sind. Andererseits hat die ILO in Mexiko auch einen schweren Mißbrauch indigener Arbeiter festgestellt und auf Verbesserung gedrängt. Durchweg gute Ergebnisse sind in Norwegen festzustellen: Dort ist ein Parlament für das indigene Volk der Saami eingerichtet worden. Dieses Parlament wird bei allen Entscheidungen, die die Saami betreffen, beteiligt. Auch der Bericht, den Norwegen über die Umsetzung des Abkommens abgeben muß, wird zur Beurteilung an das Saami-Parlament geleitet.

Die Niederlande haben die Konvention 1998 ratifiziert. Sie haben bereits angekündigt, in Zukunft bei Tiefflügen über Labrador und Kanada sowie beim Handel mit Tropenhölzern an dem Abkommen orientierte Entscheidungskriterien anzusetzen. In Österreich dagegen scheiterten Versuche eines positiven Beschlusses stets am Nationalrat. Obwohl erst sehr wenige Staaten die ILO 169 ratifiziert haben, geht ihr Einfluß über diesen Kreis hinaus. So ist die ILO von der russischen Staats-Duma gebeten worden, sie bei der Einführung neuer Gesetze für die indigenen Völker in Rußland zu beraten.

Von indigener Seite wird das Abkommen überwiegend begrüßt. Zwar werden zum Teil auch noch der ILO 169 Assimilierungstendenzen vorgeworfen, jedoch werden die deutlichen Fortschritte im Vergleich zur Vorgängerversion anerkannt und positiv bewertet. Das Abkommen macht deutlich, daß eine besondere Behandlung indigener Völker in bestimmten Bereichen keinesfalls zu einer Form von Apartheid führen darf. Die Angehörigen indigener Völker haben einerseits das Recht auf Ausübung der eigenen Kultur. Andererseits dürfen sie nicht zu einem traditionellen Leben im Stammesverband gezwungen werden. Mit Artikel 8 III erhalten sie die Möglichkeit, ihre Existenzweise zu wählen.

In vieler Hinsicht ist die Konvention 169 zu weit gefaßt und läßt dadurch viel Interpretationsspielraum offen. Dies ist auch eine Folge der Tatsache, daß das Abkommem für alle indigenen Völker gelten soll, die tatsächlichen Gegebenheiten sich aber von Land zu Land und Volk zu Volk oft sehr unterscheiden. So können Staaten, die es mit der Umsetzung des Abkommens weniger ernst nehmen, es in vielen Bereichen umgehen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, daß indigene Völker nach dem Abkommen zwar bei sie betreffenden Entscheidungen konsultiert werden müssen, eine aktive Mitentscheidungskompetenz oder ein Vetorecht ihnen jedoch nicht zugebilligt wird. Nicht-indigene Staatsorgane behalten noch immer das letzte Wort, d.h. die Indigenen sind weiter auf das Wohlwollen der jeweiligen Regierung angewiesen. Auch wenn das Abkommen betont, daß "einvernehmliche" Entscheidungen erreicht werden sollen, wird hier eine vergleichsweise schwache Rechtsposition eingeräumt.

Auch Staaten ohne indigene Völker sollten beitreten

Auch Deutschland hat 1993 eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169 abgelehnt. Als Grund nannte die Bundesregierung zunächst, daß das deutsche Staatsgebiet keine indigenen Völker beherbergt. Deutschland sei daher vom Gegenstand des Abkommens nicht betroffen (Bundestagsdrucksache 12/2150). In Anworten auf spätere Anfragen wurde diese brüske Ablehnung ein wenig abgemildert: Ein Beitritt sei zwar unter völkerrechtlichen Aspekten nicht völlig auszuschließen, erscheine derzeit aber nicht sinnvoll (Bundestagsdrucksache 13/5367). Dennoch wäre es wichtig, daß hinreichend viele und vor allem auch wirtschaftlich mächtige Staaten sich zu den Standards der ILO-Konvention 169 bekennen.

Dies wird deutlich, wenn man sich die doppelte Intention des Abkommens vergegenwärtigt: Zum einen soll es bestimmte Rechte und Pflichten zwischen Staaten und indigenen Völkern regeln, andererseits soll es jedoch auch dazu beitragen, daß ein universell geltender Normenkatalog geschaffen wird. Ein weiteres Argument zugunsten eines Beitritts auch durch Staaten ohne indigene Völker ist die Möglichkeit einer gegenseitigen Kontrolle der Unterzeichnerstaaten. Gemäß Artikel 22 des ILO-Statuts können Unterzeichnerstaaten von ILO-Konventionen eine Staatenklage bei der ILO einreichen. Eine solche Sanktionsmöglichkeit ist zwar ungebräuchlich, dennoch bietet die Konvention einen Anknüpfungspunkt für eine Beschwerde oder politischen Druck. Zudem bekämen NGOs die Möglichkeit einer regelmäßigen Berichterstattung über die Umsetzung der Konvention.

Unter dem Strich ist festzuhalten: Da die Verabschiedung der UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker in die Ferne gerückt ist (vgl. pogrom 192, 1996/7), ist die ILO-Konvention 169 noch immer das weitreichendste und umfassendste internationale Abkommen zur Sicherung indigener Rechte. So ist sie weiterhin eine große Chance für das Überleben der indigenen Völker auf dieser Erde. Es bleibt zu hoffen, daß u.a. weitere europäische Länder dem Beispiel Norwegens und Dänemarks folgen und sie unterzeichnen werden.

Quelle: Artikel von Ines von Gerlach, aktualisiert von GfbV-Südtirol. Der Artikel ist pogrom 195/196, Herbst 1997 (Titelscherpunkt Südsudan, 80 S.) entnommen. Der Wortlaut der Konvention und die Liste der Staaten, die sie ratifiziert haben, kann über die ILO Website eingesehen werden. Das pogrom-Heft kann gegen DM 15.00 bestellt werden bei: info-at-gfbv.de

Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht


UN-Dekade der indigenen Völker der Welt

Indigene Völker und das Land; Normen des internationales rechts; ILO Konvention -169; UN-Dekade der indigenen Völker der Welt; Indigene Völker sind souveräne Nationen; Was haben wir damit zu tun?

Die Vereinten Nationen haben die frühere Bezeichnung Ureinwohner mittlerweile durch den Begriff "indigene Völker" ersetzt. Diese Definition gilt für Nachfahren der jeweils ersten Besiedler einer Region, die später von anderen Völkern unterworfen, kolonisiert, teilweise von ihren ursprünglichen Siedlungsräumen vertrieben und insgesamt an den Rand der nationalen Gesellschaft verdrängt wurden. Ihr Sozialgefüge, ihre Kultur und ihre traditionelle Wirtschaftsweise unterscheidet sie bis heute von der nationalen Gesellschaft. Die ungefähr 300 Millionen Angehörigen indigener Völker verteilen sich auf 5000 unterschiedliche Völker. Den größten Anteil stellen die Adivasi Indiens mit ca. 70 Millionen, gefolgt von den Ureinwohnern Amerikas mit mehr als 40 Millionen. Die Tuareg in den Sahara-Staaten gehören ebenso dazu, wie Pygmäen im zentralafrikanischen Regenwald, Penan in Malaysia, Bergvölker in Bangladesh und Burma, Ainu in Japan, sibirische Völker in Rußland, Maori in Neuseeland, Aborigines in Australien, die Bewohner der pazifischen Inseln, Inuit in Alaska, Kanada, Grönland und der GUS oder Saami in Nordeuropa.

Alle indigenen Völker haben ein besonderes Verhältnis zum Land

Alle indigenen Völker kämpfen um die Anerkennung ihrer Landrechte und den Respekt vor ihrer kulturellen Identität. Aus ihrer Geschichte haben sie eigene Institutionen bewahrt, mit denen sie eine selbstbestimmte Zukunft gestalten wollen: eigene Rechtssysteme, Sprachen, soziale und politische Einrichtungen zur Selbstverwaltung. Zentral für alle indigene Völker ist ihr besonderes Verhältnis zum Territorium: "Die Verfügung über unser Land ist unsere einzige Hoffnung auf Identität, erklärte ein Papua, weil es uns ein Gefühl der Würde gibt. Unser Land ist keine Ware, die wir (...) leichten Herzens verkaufen oder freiwillig hergeben, nur um reich zu werden. Nein! Wenn wir unser Land verlieren, büßen wir unsere Identität, unseren Stolz und unsere Geschichte ein."

Überall auf der Welt werden im Namen von Entwicklung und Fortschritt oder zur Verteidigung des Nationalstaates die Territorien indigener Völker geraubt, reduziert, militarisiert, zerstört, verseucht. Wer sich wehrt, wird diskriminiert, verfolgt, gefoltert, ermordet. Die Mißachtung ihrer Land- und anderer politischer und ziviler Rechte, die Zerstörung ihres Lebensraumes (Ökozid), die Auslöschung ihrer Lebensweise (Ethnozid) und Völkermord (Genozid) bedrohen in vielen Teilen der Welt das Überleben indigener Völker: Abholzung und Kupferbergbau in Papua-Neuguinea, Besiedlung und militärische Besetzung der Chittagong Hill Tracts in Bangladesh, gigantische Staudämme in Brasilien, Indien oder Kanada, Atombombentests im Pazifik oder in Nevada/USA, Morde an indigenen Führern in Kolumbien, Guatemala, Peru oder Indien.

Welche Normen schützen indigene Völker?

Die Rechte indigener Völker sind national wie international völlig unzureichend geschützt. Es existieren zwar einige Abkommen — die Konvention gegen Völkermord, die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die internationale Übereinkunft zur Beseitigung der Rassendiskriminierung oder die Konvention über bürgerliche und politische Rechte — die dem einzelnen Mitglied eines indigenen Volkes Rechte einräumen. Die Repräsentanten der Ureinwohner fordern jedoch nationale und internationale Standards, die ihnen kollektive Rechte auf Selbstbestimmung, auf Sprache und Kultur einräumen, und nicht zuletzt Schutz gegen Ethnozid bieten. Hingegen gibt es noch kein Rechtsinstrument für Ureinwohner.

Die ILO-Konvention 169

Das bislang einzige verbindliche Instrument zur Wahrung der Rechte indigener Völker stellt die Konvention 169 von 1989 der International Labour Organization (ILO) dar. Die Konvention verpflichtet die unterzeichnenden Nationalstaaten, die Landrechte, die politischen und sozialen Organisationsformen sowie die kulturellen Institutionen der indigenen Völker anzuerkennen und zu fördern. In der Diskussion befindet sich eine Deklaration der Vereinten Nationen zu den Rechten indigener Völker, die jedoch noch von den UN-Ausschüssen debattiert wird. Umstritten ist vor allem die Reichweite der Selbstbestimmung. Die indigenen Voelker beharren auf ihrem Standpunkt, daß Selbstbestimmung sich aus ihrer Geschichte als eigenständiges Volk ableitet und kein Gnadenakt der nationalen Regierung sein kann.

UN-Dekade für die indigenen Völker der Welt

Die Auseinandersetzungen um den besonderen Schutz der Menschenrechte für indigene Vöelker werden im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen seit mehr als zehn Jahren geführt. Die bedrohlichen Überlebensprobleme der Ureinwohner haben sich bis heute eher verschärft. Um die Öffentlichkeit verstärkt auf sich aufmerksam zu machen, setzten sie bei den Vereinten Nationen für 1993 ein "Internationales Jahr der Indigenen Völker" durch.

Angesichts der mageren Ergebnisse konnte die Generalversammlung der Vereinten Nationen überzeugt werden, mit der Entschliessung 48/163 vom 21. Dezember 1993 am internationalen Tag der Menschenrechte (10. Dezember) 1994 eine Dekade zugunsten der indigenen Völker auszurufen. Außerdem wurde der 9. August zum "Internationale Tag der Indigenen Völker" erklärt, denn am 9. August 1982 wurde erstmals die Arbeitsgruppensitzung indigener Völker bei den Vereinten Nationen in Genf einberufen. In der Sprachregelung der Vereinten Nationen soll in dieser Dekade "die internationale Kooperation gestärkt werden (..), um Lösungen für die Probleme indigener Völker in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt, Entwicklung, Ausbildung und Gesundheit zu finden". Die Repräsentanten der Ureinwohner haben nichts gegen mehr Kooperation, Konsultation und Partizipation einzuwenden. Ihr Hauptziel besteht jedoch in der Anerkennung und Durchsetzung ihrer Rechte. Ein zentraler Schritt in diese Richtung würde die Annahme der erwähnten UN-Erklärung bedeuten. Sie hoffen, daß die 50. Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1995 die Deklaration verabschiedet.

Indigene Völker wollen Anerkennung als souveräne Nationen

Die Dekade bietet darüber hinaus Möglichkeiten, legitimiert durch die Vereinten Nationen, über Menschenrechtsverletzungen, Lebensweisen und Erwartungen indigener Völker zu informieren, Mechanismen zur vollen Partizipation auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene zu schaffen, und insgesamt eine den indigenen Völkern gemäße Kennzeichnung und Rangfolge ihrer Probleme zu erstellen. Von überragender Bedeutung bleibt die Frage der Selbstbestimmung, die Anerkennung historischer Verträge, in denen sie den Status souveräner Nationen zuerkannt bekamen, sowie die Verfügung über ihre Territorien. Damit die Übereinkommen nicht nur papierne Symbole bleiben, fordern indigene Völker ausserdem ein permanentes Forum bei den Vereinten Nationen, das ihnen Kontrolle und Zugang zum Entscheidungsprozess der UN erlaubt sowie ein internationales Tribunal, das über die Einhaltung ihrer Rechte wacht. Selbstverstäendlich erwarten sie auch, daß sich in den Bereichen von — zweisprachiger — Ausbildung, Gesundheit, Ernährung und nicht zuletzt in der Respektierung ihrer geistigen und kulturellen Güter vieles zum Besseren bewegen läßt.

Was haben wir damit zu tun?

Deutschland greift mit seiner Außen-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Entwickungspolitik in vielerlei Form in die Lebensweise indigener Völker ein: Industrialisierung, Großprojekte, Bergbau, Modernisierung der Landwirtschaft, Staudämme, Straßenbau u.a. werden gefördert. Deshalb erwarten die Repräsentanten der Ureinwohner auch von Staaten wie Deutschland einen substantiellen Beitrag zu dieser Dekade. Die Bundesregierung soll sich für die UN-Deklaration einsetzen, die ILO-Konvention 169 ratifizieren, und auch das Übereinkommen der Rio-Konferenz 1992 zum Schutz der Umwelt und des Klimas (Kapitel 26 der Agenda 21) zur Leitlinie ihrer Politik machen. Dementsprechend sollten Entwicklungsprojekte — soweit sie indigene Völker betreffen — nur noch auf Anfrage und in Abstimmung mit ihnen durchgeführt werden, wie dies in den Beziehungen zu anderen Nationen selbstverständlich ist. Notfalls sollte sich die Bundesregierung auch einmal aus Projekten zurückziehen, die zur Zerstörung der indigenen Lebensgrundlagen beitragen. Programme zur Information und Förderung indigener Völker stehen ebenfalls im Forderungskatalog.

Text: Dr. Theodor Rathgeber, Abt. Indigene Völker Gesellschaft für bedrohte Völker. Für Nachfragen: indigene-at-gfbv.de

Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht


Offener Brief an die Delegierten der Jahrestagung des Südtiroler Klimabündnisses Klimabündnis — Mehr Einsatz für Indigene Völker!

Bozen, 22.3.2001

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

Wir appellieren an Sie als Mitgliedsgemeinden des internationalen Klimabündnisses die Frankfurter Geschäftsstelle für eine couragiertere Politik zugunsten der indigenen Völker zu gewinnen. Als Menschenrechtsorganisation haben wir immer wieder den Eindruck, daß die Geschäftsstelle äußerst vorsichtig und diplomatisch operiert.

Wir bitte Sie zudem, die beiden Südtiroler Europaparlamentarier Michl Ebner und Reinhold Messner von einem Engagement für die indigenen Völker zu überzeugen. Die indigenen Anliegen sollte das Europaparlament gegenüber der EU-Kommission vehementer vertreten.

Die Südtiroler Gemeinden des Klimabündnisses sollten gemeinsam mit den übrigen italienischen Mitgliedern die Sache der indigenen Völker auch der italienischen Regierung nahebringen. Leider hat die italienische Regierung vor einigen Monaten klar gemacht, daß sie sich gegen jedes gesetzliche Regelwerk wendet, das indigene Rechte vorsieht. Italien begründet die Ablehnung der gemeinsamen EU-Erklärung zur Bio-Diversität beispielsweise damit, daß es in der EU keine indigene Völker gibt.

Die indigenen Völker sind großteils keine Almosenempfänger, sie verlangen die Anerkennung der Menschenrechte und hoffen darauf, daß die UN-Mitgliedsstaaten die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker ratifizieren. Die ILO-Konvention istdas einzige völkerrechtlich verbindliche Instrument, das die indigenenVölker (weltweit 300 Millionen) auf verschiedenen Ebenen vor nationaler und wirtschaftlicher Willkür schützt (siehe www.gfbv.it/3dossier/ilo169-dt.html und www.gfbv.it/3dossier/diritto/ilo169-conv-dt.html). Bisher haben 14 Staaten die ILO 169 unterzeichnet, darunter drei europäische Staaten (Dänemark, Norwegen und die Niederlande). Die Niederlande sind das erste europäische Land ohne indigenen Bevölkerungsanteil, das ratifiziert hat. Auch wenn in einem Staat keine indigenen Völker leben, so beeinflusst doch jedes Land aufgrund der Globalisierung und der internationalen Entwicklungszusammenarbeit das Schicksal indigener Völker.

Die EU-Staaten und die EU müssen deshalb endlich die ILO-Konvention 169 unterzeichnen und ratifizieren. Die EU-Staaten sollen auch dazu bewegt, dafür zu sorgen, daß die UNO die oft versprochene "Deklaration indigener Rechte" als Ergänzung der Allgemeinen Menschenrechte und als bindende Konvention verabschiedet. Das wäre eine Art Wiedergutmachung für zugefügtes Leid an den indigenen Völkern. Eine Wiedergutmachung, um die UN-Dekade indigene Völker (1994-2004) erfolgreich abzuschließen.

Die GfbV bedauert, daß die 10. Jahresversammlung des Klimabündnisses in der verabschiedeten "Bozner Erklärung" nur sehr zurückhaltend indigene Rechte einfordert. Wir bitten Sie deshalb, sich für folgende Forderungen zu engagieren:

Ratifizierung und Umsetzung der ILO-Konvention 169 durch die EU-Mitgliedsstaaten und die EU (wie vom Europaparlament 1994 empfohlen); Einbeziehung der Rechte indigener Völker in die EU-Vertragspolitik (wie in einem Arbeits-Papier der EU-Kommission aus dem Jahr 1997 vorgesehen), Schaffung einer Koordinierungsstelle zu indigenen Völker in der EU-Kommission (vom Europa-Parlament gefordert), Die EU-Staaten sollen die UNO drängen, die von der Working Group for Indigenous Peoples (Arbeitsgruppe für Indigene Völker) vorgelegte Erklärung über die Rechte indigener Völker als Deklaration und Konvention zu verabschieden.


517 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 15. 3. 2001

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 113/A(E) der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen betreffend Ratifikation des internationalen Übereinkommens ILO Nr. 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker

Die Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 14. März 2000 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

"Die ILO-Konvention 169 ist das erste internationale Abkommen, das grundlegende Rechte für indigene und in Stämmen lebende Völker auf ein selbstbestimmtes Leben garantieren soll. Weltweit gehören 300 Millionen Menschen in über 70 Ländern indigenen Völkern, Nationen und Gemeinschaften an. Indigene sind oft Opfer von Diskriminierung, Ausbeutung, Unterdrückung, Folter, staatlichem Mord, bis hin zum Ethno- und Genozid.

Die ILO-Konvention ist ein Instrument, das die Identität eingeborener Völker und deren Rechte auf Weiterentwicklung eigener Institutionen im Rahmen der eigenen Kultur verankert. Die Artikel der Konvention betreffen ua. den Schutz vor Entzug bzw. Zerstörung des traditionellen Lebensraumes, die Beschäftigungsbedingungen und Berufsbildung von Angehörigen dieser Völker, das Bildungswesen (Verwendung der Eingeborenensprache, Heranziehung eigener kultureller Bestrebungen) und das Gesundheitswesen. Ein wichtiger Grundsatz, der die gesamte Konvention durchzieht, liegt darin, die Einbindung indigener Völker in Entscheidungen, die sie oder ihren Lebensraum betreffen, vorzuschreiben.

Diese Konvention stellt einen wichtigen Fortschritt im Ringen um die Rechte eingeborener Völker dar und kann als neuer ,Mindeststandard’ im Umgang mit ihnen betrachtet werden. Die Organisationen eingeborener Völker fordern die Ratifikation der Konvention durch möglichst viele Staaten, da sie einen wesentlichen solidarischen Beitrag im Ringen um die Rechte eingeborener Völker bedeutet. Die sich aus der Ratifikation ergebende Hauptverpflichtung für unser Land würde darin liegen, regelmäßig Berichte über die Verwirklichung der Konvention durch Österreich in Genf vorzulegen.

Auch wurde mit der Resolution Nr. 48/163 der UN-Generalversammlung im Dezember 1994 die Internationale Dekade eingeborener Bevölkerungen proklamiert. Österreich sollte daher gerade jetzt — in der UN-Dekade zu den Indigenen Völkern der Welt (1994 bis 2004) — unterzeichnen.

Bereits am 17. Juni 1993 wurde im österreichischen Parlament der Entschließungsantrag 356/A(E) betreffend die Ratifikation des internationalen Übereinkommens ILO Nr. 169 einstimmig beschlossen. Einen weiteren einstimmigen Beschluss des Nationalrates zur Ratifizierung der ILO-Konvention 169 gab es am 11. Juli 1997. Trotz zweimaligem Beschluss des Nationalrates wurde die Ratifizierung bisher nicht eingeleitet."

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag erstmals in seiner Sitzung am 11. April 2000 in Verhandlung genommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger sowie die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner.

In der Folge wurde der gegenständliche Entschließungsantrag einstimmig vertagt.

Der Außenpolitische Ausschuss hat in seiner Sitzung vom 6. März 2001 die Verhandlungen im Gegenstand wieder aufgenommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek, Inge Jäger, Mag. Terezija Stoisits, Dr. Michael Spindelegger sowie die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner.

Die Abgeorneten Dr. Michael Spindelegger, Mag. Karl Schweitzer brachten einen Entschließungsantrag ein, dem folgende Begründung beigegeben war:

"Am 27. Juni 1989 wurde im Rahmen der International Labour Organization (ILO) die Konvention Nr. 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern angenommen. Ziel dieser Konvention ist es, die Rechte der eingeborenen Völker zu sichern und sie an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unter Bedachtnahme ihrer Identität teilhaben zu lassen. Das gegenständliche Abkommen umfasst zahlreiche Bestimmungen zu den Lebensräumen der betreffenden Völker, dem Bildungswesen, dem Gesundheitswesen, Beschäftigungsfragen, der Kultur und der Teilnahme an Entscheidungsprozessen.

Die ILO-Konvention Nr. 169 wurde bisher von 14 Staaten ratifiziert, darunter drei europäische Staaten (Dänemark, Niederlande und Norwegen). Sowohl in der XVIII. GP wie auch in der XX. GP hat der Nationalrat Entschließungen zur Unterstützung der Ratifikation der ILO 169 beschlossen. Der Außenpolitische Ausschuss des Nationalrates hat sich nun in seiner Sitzung am 11. April 2000 erneut mit der Frage der Ratifizierung der ILO 169 befasst. In der Folge wurde ein Entwurf eines Vortrages an den Ministerrat betreffend die Ratifikation der ILO 169 an alle Bundesministerien, das Bundeskanzleramt sowie die Verbindungsstelle der Bundesländer übermittelt.

Diese neuerliche eingehende Prüfung zeigte, dass ILO Nr. 169 keine ausreichend konkreten Bestimmungen über den eigenen Wirkungsbereich enthält. Mangels hinreichend bestimmter Definition der unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallenden eingeborenen und in Völkern lebenden Stämmen impliziert ihr Wortlaut Rechtsunsicherheit. Die ILO stellt dazu selbst fest: ,It is sometimes very difficult to draw a distinction between indigenous and tribal peoples and other minorities, and this is something that has to be assessed on a case-by-case basis.’ (ILO: A Guide to ILO Convention No. 169, S 2)

Eine Ratifikation durch Österreich könnte daher eine Gefahr für die Kohärenz und die Ausgewogenheit des geltenden österreichischen Volksgruppenrechts darstellen, sollten auf Grund der entsprechenden Interpretation in Österreich lebende Volksgruppen unter den Geltungsbereich des Übereinkommens subsumiert werden.

Das österreichische System des Minderheitenschutzes und der Förderung von Volksgruppen ist historisch gewachsen und entspricht den Erfordernissen unseres Landes. Erst vergangenes Jahr hat der Nationalrat eine Staatszielbestimmung im Verfassungsrang beschlossen, die ein Bekenntnis der Republik Österreich zu ihrer historisch gewachsenen kulturellen, sprachlichen und ethnischen Vielfalt enthält. Diese Verfassungsänderung trat am 1. August 2000 in Kraft. Der neue Artikel 8 Abs. 2 der österreichischen Bundesverfassung hat folgenden Wortlaut: ,Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Spache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.’

Der umfassende Schutz der Minderheitenrechte in Österreich wurde auch im Bericht von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja, der auf Ersuchen der 14 anderen EU-Regierungen erstellt wurde, gewürdigt. In den Schlussfolgerungen im Bezug auf die Minderheitenrechte heißt es: ,Das österreichische Rechtssystem hat einen besonderen Schutz für die in Österreich lebenden Minderheiten geschaffen. Dieser Schutz besteht auf Verfassungsebene. Der den in Österreich lebenden Minderheiten durch das österreichische Rechtssystem gewährte Minderheitenschutz reicht weiter als der, der in vielen anderen europäischen Staaten gewährt wird.’

Während Österreich mit der Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 seine klare Unterstützung der politischen Ziele dieser Konvention dokumentierte, würde eine Ratifikation der Konvention keine Verbesserung im Bereich des österreichischen Minderheiten- und Volksgruppenrechtes bringen, sondern könnte vielmehr eine Gefahr für die Kohärenz dieses Rechtsbereiches in Österreich bergen."

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Der Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger und Mag. Karl Schweitzer wurde mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle,

1. diesen Bericht zur Kenntnis nehmen;

2. die beigedruckte Entschließung annehmen.

Wien, 2001 03 06

Dr. Michael Spindelegger Peter Schieder

Berichterstatter Obmann

Anlage

Entschließung

Die Bundesregierung wird ersucht,

- weiterhin ihre Politik des Volksgruppen- und Minderheitenschutzes im In- und Ausland fortzusetzen,

- weiterhin auf internationaler Ebene für die Rechte und den Schutz der indigenen und in Stämmen lebenden Völker einzutreten,

- in diesem Zusammenhang die Ziele der ILO-Konvention 169 mit allen geeigneten Mitteln zu unterstützen.
 

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