ExBürgermeister von Mexiko-Stadt von Nicaragua an Heimatland ausgeliefert

Arbeitete Oscar Espinosa für die Bevölkerung oder in die eigene Tasche?

Poonal vom 12.08.2001
Von Gerold Schmidt

 

(Mexiko-Stadt, 12. August 2001, Poonal). — Soviel Aufmerksamkeit zog er selbst in seiner Zeit als Bürgermeister der größten Stadt der Welt und als Tourismusminister selten auf sich. Begleitet von Interpol-Agenten und einem ansehnlichen Polizeiaufgebot sowie der Präsenz einer wahren Heerschar von Journalisten entstieg Oscar Espinosa Villareal am vergangenen Freitag einem Flugzeug der mexikanischen Bundesstaatsanwaltschaft und betrat den Boden von Mexiko-Stadt. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr war er aus der Metropole verschwunden, nachdem ein Haftbefehl wegen der mutmaßlichen Unterschlagung von 420 Millionen Peso (gut 100 Millionen DM) gegen ihn vorlag.

Nach monatelanger Haft und Hausarrest im mittelamerikanischen Nicaragua zog es Espinosa vor, sich den Gerichten seines Heimatlandes zu stellen und verzichtete auf weitere Rechtsmittel gegen seine Auslieferung. Allerdings erst nach einen wichtigen juristischen Erfolg: Gegen die Zahlung einer Kaution von 4,2 Millionen Pesos (gut 1 Million DM), die er sofort nach der Ankunft hinterlegte, bleibt er zunächst auf freiemFuß.

Der Politiker ist durchaus eine schillernde Figur, die es stets in die Nähe von Geld und Macht zog. Seine Karriere begann er bei der staatlichen Finanzinstitution Nafin, in der er es bis zum Direktor brachte. Als es ihn mit kaum 40 in die hohe Politik zog, war zwar aus Nafin nicht gerade ein Prunkstück geworden, doch Espinosa offiziell bereits Rentner mit lebenslangen recht fürstlichen Bezügen. Jahre später wurde das bekannt und zu einem kleinem Skandal.

Im Amt des Finanzsekretärs der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) war Espinosa rechte Hand des 1994 zum Präsidenten Mexikos gewählten Ernesto Zedillo. Letzterer zeigte sich dankbar und ernannte seinen Spezi im selben Jahr zum letzten nicht gewählten Bürgermeister von Mexiko-Stadt. Sparen gehörte nicht zu Espinosas Stärken, die Stadt verschuldete sich unter seiner Regentschaft stark. Ein Hang zur Selbstdarstellung war und ist ihm nicht fremd.

Der deutsche Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf berichtete vor Jahren gegenüber npl amüsiert über eine Begegnung mit dem Bürgermeister im Rahmen einer Delegationsreise nach Mexiko. Auf die ehrfürchtige Frage eines Parlamentskollegen, wie er es denn schaffe, die größte Stadt der Welt zu verwalten, habe Espinosa einen tiefen Zug an seiner dicken Zigarre getan, sich in Pose geworfen und geantwortet: "Arbeiten, arbeiten, arbeiten."

Die 1997 gewählte oppositionelle Stadtregierung schaute sich die Arbeit ihres Vorgängers etwas gründlicher an und brachte eine Menge merkwürdige Dinge ans Licht: Undurchsichtige Auftragsvergabe ohne Ausschreibungen, verdächtig hohe Kalkulationen bei vielen Projekten, Lohnzahlungen an Personen, die an ihrem angeblichen Arbeitsplatz nie gesehen wurden und weiteres mehr. Auch dabei die nicht nachgewiesene Verwendung der 420 Millionen Pesos, die den Verdacht der Unterschlagung zumindest nahe legten.

Espinosa focht das wenig an. Er sah sich zwar diffamiert und verfolgt und sprach von einer Lynchjustiz durch die Opposition in der Haupststadt. Da ihn Präsident Zedillo jedoch zum Tourismusminister machte, genoss er mit seinem Kabinettsrang Immunität. Brenzlig wurde es erst im vergangenen Jahr. Zum einen kam im Parlament ein Verfahren zur Aufhebung der Immunität in Gang gekommen, zum anderen verlor die PRI im Juli 2000 nach 71-jähriger ununterbrochener Herrschaft die Präsidentschaftswahlen.

Der Druck auf den Minister nahm zu, seine Gelassenheit wirkte immer gespielter. Zudem gab es erste Gerüchte über den lockeren Geldumgang auch bei seiner neuen Aufgabe. Anfang August verkündete Espinosa Villareal seinen Rücktritt. Der Haftbefehl kam zu spät, da war er schon verschwunden. Monatelang hieß es "Desperatly seeking Oscar", dann tauchte der Flüchtige im letzten November plötzlich in Nicaragua auf. Ein Antrag auf politisches Asyl lehnte die dortige Regierung ab und die am 1. Dezember 2000 ins Amt gekommene neue mexikanische Regierung unter Präsident Vicente Fox stellte den Auslieferungsantrag.

In Haft genommen soll Espinosa in tiefe Depression verfallen sein, die auch der Hausarrest nicht besserte. Ob wahr oder nicht, am Ende beschleunigte er selbst seine Auslieferung. Jetzt hat er auf einmal "Vertrauen in die Justiz" und hofft auf einen Freispruch. Auszuschließen ist das nicht, denn der Nachweis der Unterschlagung wird nicht leicht werden. Im Urteil der Bevölkerung ist die Sache allerdings entschieden. Stellvertretend sei der Elektriker Hector Monroy genannt: "Der war drei Jahre Bürgermeister und soll sich nicht bedient haben? Das gibt’s doch gar nicht!"


Quelle: poonal
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