Vor der WTO-Konferenz in Cancun

Poonal vom 07.09.2003
Von Andreas Behn, Poonal 589 vom 09.09.2003

 

(Mexiko-Stadt, 7. September 2003, npl).- Kurz vor Beginn der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO im mexikanischen Cancún vom 10. bis 14. September ist die Stimmung auf offizieller Seite vorwiegend schlecht, unten den Protestlern eher optimistisch, aber angespannt. Erstere führen hektisch letzte Vorverhandlungen, während immer mehr Aktivisten der globalisierungskritischen Bewegung in der karibischen

Touristenstadt eintreffen.

Entgegen den Verlautbarungen der Regierung Mexikos haben Behörden und Polizei bereits begonnen, die Protestbewegung zu kriminalisieren. 38 bekannte Globalisierungsgegnern vor allem aus Asien und Lateinamerika wurde das Einreisevisum verweigert, unter ihnen der populäre Oppositionsführer Evo Morales aus Bolivien.

Ein gigantisches Aufgebot von Polizei und Militär soll den reibungslosen Ablauf der Konferenz sicherstellen. Ab Montag dürfen zudem keine Flugzeuge die Stadt überfliegen, in den Grundschulen von Cancún wird die ganze Woche hindurch der Unterricht ausfallen — aus Sicherheitsgründen, so der Polizeisprecher. Menschenrechtler äußerten mehrfach die Befürchtung, dass die Polizei entgegen der offizieller Lesart nicht auf Deeskalation setzen werde. Die Vorbereitung der Beamten auf die Protesttage — soweit bekannt -lasse eher vermuten, dass sie wie in der Vergangenheit mit Härte gegen alle nicht angemeldeten Protestaktionen vorgehen werde.

Unklar ist auch, inwiefern die Aktivisten die Hotelzone von Cancún betreten dürfen, in der nicht nur die Ministerkonferenz selbst, sondern auch unzählige Veranstaltungen, Seminare und Workshops der über 1.000 offiziell akkreditierten NGOs, Stiftungen und Lobbygruppen stattfinden. Sollte die Polizei das angekündigte Sicherheitskonzept konsequent durchsetzen, dürften die erwarteten 20.000 Aktivisten nur an den Aktivitäten in Cancún-Stadt teilnehmen, darunter diverse thematische Foren und zwei große Demonstrationen am 10. und am 13. September. Nicht nur unter solchen Umständen wäre eine Eskalation programmiert, denn viele Aktionsgruppen kündigten bereits an, mit Blockaden und Präsenz auf den Straßen die WTO-Konferenz "zum Entgleisen zu bringen".

Inhaltlich sieht sich die Protestbewegung in der Offensive: "Es existiert eine Kraft, die in der Lage ist, das globale Wirtschaftssystem in Frage zu stellen," so ein Dokument, das mehrere bekannte Glogalisierungsgegner, darunter Lori Wallach von Global Trade Watch, Walden Bello von Focus on Global South und die alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva letzte Woche veröffentlichten. Um die Ausrichtung an Gewinnmaximierung, zunehmende Verarmung im Süden und die Zerstörung der Umwelt aufzuhalten, müssten Institutionen wie die WTO oder die Weltbank abgeschafft werden und durch andere Organismen unter dem Dach der Vereinten Nationen ersetzt werden, so die Autoren.

Auf Seiten der Regierungen und Lobbyisten, die den Welthandel mittels des WTO-Regimes weiter liberalisieren wollen, herrscht angesichts der Uneinigkeit unter den 146 WTO-Staaten und der lauter werdenden Kritik Nervosität. Sogar die Weltbank und der Weltwährungsfonds IWF riefen kürzlich die reichen Länder auf, insbesondere im Agrarbereich ihre Abschottungspolitik aufzugeben und den ärmeren Ländern mehr Chancen auf dem Weltmarkt einzuräumen. Zuvor hatte EU-Agrarkommisar Franz Fischler erneut einen Vorschlag von 20 Schwellen- und Entwicklungsländern zum Abbau von Subventionen als völlig unrealistisch abgelehnt.

Die Agrarfrage gilt als größter Streitpunkt, an dem die WTO-Konferenz sogar komplett scheitern könnte, zumal die Weigerung der EU und der USA, ihre astronomischen Agrarsubventionen abzubauen, weltweit auf immer weniger Verständnis stößt. Allerdings birgt die Fixierung auf die Subventionen die Gefahr, andere Auswirkungen eines WTO-Agrarabkommen zu vernachlässigen. Denn auch ohne Subventionen im Norden würden kleine Produzenten, die Umwelt und eine nachhaltige Landwirtschaft gegenüber den großen Exportkonsortien keine Chance haben.

Ebenso festgefahren sind die Verhandlungen über die so genannten Singapur-Themen. Insbesondere die EU will diese Themen, die vor allem auf einen — juristisch einklagbaren — Schutz von Investoren vor staatlichen Normen hinaus laufen, in die laufende Verhandlungsrunde aufnehmen. Fast alle Entwicklungsländer haben sich mehrfach strikt dagegen ausgesprochen — dennoch tauchte das Anliegen erneut in der Vorlage für die Cancún-Abschlusserklärung auf. Weniger geschlossen treten die Entwicklungsländer in der Frage der Privatisierung von Dienstleistungen wie Bildung, Wasser- oder Energieversorgung auf. Obwohl soche Privatisierungen, wie sie das GATS-Abkommen vorsieht, schon mehrfach zu heftigen Protestbewegungen geführt haben, scheint unter vielen Regierungen Konsens darüber zu bestehen, dass profitorientierte Unternehmen solche Dienstleistungen besser verwalten können als die öffentliche Hand.

Nur einen nennenswerten Erfolg brachten die WTO-Vorgespräche in den vergangenen Wochen: Im Bereich des TRIPS-Abkommen, das die Frage geistigen Eigentums regelt, wurde sich darauf geeinigt, dass Entwicklungsländer so genannte Generika, also billige Nachahmungen von patentgeschützten Medikamenten, nicht nur produzieren, sondern auch importieren dürfen — und zwar entgegen der bisherigen US-Position nicht nur bei Krankheiten wie Aids und Malaria. Allerdings wurde dieses von den Entwicklungsländern erstrittene Recht an derart komplizierte Auflagen gebunden, dass Fachleute und mit dem Thema befasste NGOs die Einigung als "für die Praxis irrelevant" kritisierten

Sollte die WTO-Konferenz in Cancún — wie bereits 1999 in Seattle — an internem Streit oder an der Kritik von außen scheitern, droht der globalisierungskritischen Bewegung möglicherweise ein böses Erwachen. Denn die WTO ist nur eine der Institutionen, die die Weltwirtschaft im Interesse der Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf die Lebensgrundlage der Menschen zurichten will. Bilaterale Abkommen und Freihandelszonen wie der NAFTA gehen oft über die erhandelten WTO-Regeln hinaus, da die Länder des Südens bei solchen zumeist geheimen Verhandlungen noch weniger Chancen auf Lobbyarbeit und Durchsetzung ihrer Interessen haben.

Offenbar scheinen die USA die mühsamen WTO-Verhandlungen schon jetzt satt zu haben. Unverhohlen drohte der US-Handelsbeauftrage Robert Zöllick, dass die USA auf eine eigene Agenda mit bilateralen Abkommen setzen werde, sollten die WTO-Verhandlungen scheitern. "Wir lassen uns nicht aufhalten. Wir werden mit den Ländern weitermachen, die dazu bereit sind," so Zöllick vergangene Woche vor der Presse.


Quelle: poonal
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