Wildwest in Michoacán

Poonal vom 22.04.2014
von Luis Hernández Navarro

 

(Mexico-Stadt, 18. Februar 2014, la jornada).- Im neuen Jahrhundert hat sich Die mexikanische Region Michoacán hat sich im 21. Jahrhundert in eine Neuauflage des alten US-amerikanischen Wilden Westens verwandelt. Mit nur einem kleinen Unterschied: Anstatt des Gesetzes der Revolver regiert nun das Gesetz der Maschinengewehre. Ebenso wie die Menschen des vergangenen Jahrhunderts wohnen auch wir heute der Besiedlung eines Gebietes bei, der Enteignung und der Plünderung von Gütern und Land, der Abwesenheit von Regierungseinrichtungen und — vor allem — der Neuausrichtung von Grenzen.

Heute wie damals: Bergbau, Eisenbahngesellschaften, Vagabunden und Sherrifs

Sicherlich sind viele DarstellerInnen der heutigen Zeit neu, andere aber sind dieselben wie damals: BergarbeiterInnen, ViehzüchterInnen, Eisenbahngesellschaften, Vagabunden und Sherrifs jeglicher Couleur.

Drogenanbau und —handel sind nur zwei weitere Teile im Wild-West-Puzzle von Michoacán. Das Land nimmt eine zentrale Lage in der neuen Weltkarte ein, auf der die Einflussgebiete zu sehen sind, um die sich China, Indien, die Vereinigten Staaten und Kanada streiten. Die Grenzen, die man in diesem Staat wieder neu zieht, sind im Streit um Rohstoffe und Handelsrouten festgelegt worden.

Der Hafen Lázaro Cárdenas

In Michoacán befindet sich der Hafen mit dem größten Tiefgang in Mexiko: Lázaro Cárdenas. Von dort ausgehend, verläuft in Richtung der Städte Matamoros und Nuevo Laredo im Bundesstaat Tamaulipas an der nördlichen Landesgrenze die wichtigste Handelsstrecke der mexikanischen Eisenbahn und die billigste Transportachse zwischen dem Pazifik und dem Osten der Vereinigten Staaten von Amerika: Die Strecke der mexikanischen Eisenbahngesellschaft Kansas City Southern de México (KCSM).

Auf einer Karte, die uns die den Verlauf der neuen Handelsströme zeigen soll, kann man eine Linie einzeichnen, die quer über den Pazifischen Ozean verläuft und Lázaro Cárdenas — den Hafen, der kurz davor ist, sich in das wichtigste Zentrum des Seeverkehrs von Lateinamerika zu verwandeln — mit dem chinesischen Hafen Shanghai verbindet, dem größten Hafen der Welt (Milenio, 10/2/4). Wurden im Jahr 2008 nur 1,5 Prozent der Eisenerz-Exporte von den mexikanischen Piers aus nach China verschickt, so waren es Mitte 2013 fast die Hälfte aller Verkäufe dieses Rohstoffs an den asiatischen Drachen.

Exklusivrechte für KCSM

Von Ost und nach West, von Küste und zu Küste und bis an die Grenze — alles ist durch die Eisenbahn miteinander verbunden. Neunundfünfzig Prozent der Container, die am Hafen Lázaro Cárdenas ankommen, werden mit dem Zug dorthin transportiert, sprich, auf einem der Züge der Kansas City Southern de México. Das Unternehmen, auch bekannt als ›die Eisenbahn des Freihandels‹ hat im Jahr 1995 eine über 50 Jahre laufende Konzession für das Streckennetz im Nordosten des Landes erhalten. Außerdem erhielt die KCSM Exklusivrechte für die Abwicklung des Frachtverkehrs während der ersten dreißig Jahre.

Der Hafen Lázaro Cárdenas ist mittels eines vielfältigen Verkehrsnetzes mit einer Reihe von Einrichtungen der diversen Bundesstaaten verbunden, die insgesamt 60 Prozent des nationalen Bruttoinlandsproduktes erzeugen — so die Erklärung des Netzwerkes der Jugendlichen (red de jóvenes ante la emergencia nacional) angesichts der nationalen Notlage.

An den Kais des Hafens werden Rohstoffe und chinesische Erzeugnisse entladen, die den mexikanischen Markt versorgen, aber auch Teile, die von den modernen Fabriken in der Industrieregion Bajío benötigt werden, wo die Automobil- und Luft- sowie die Raumfahrtindustrie dominieren. Von dort aus werden zahlreiche Erzeugnisse in die neuen Enklaven der Maquiladoras transportiert und von diesem Hafen aus wurden im Jahr 2013 mehr als 172.000 Autos exportiert und mehr als 146.000 Teile importiert. Am dort ansässigen Zoll kommen die chemischen Grundstoffe zur Herstellung von synthetischen Drogen an.

Strategische Routen durch Mexiko

Die Achse Lázaro Cárdenas — KCSM ist lebenswichtig zur Entlastung des interozeanischen Gütertransports aus und in die Vereinigten Staaten. Dank dieser Achse kann Washington bei Engpässen am Panamakanal ausweichen und so die Transportkosten zwischen dem Pazifischen und dem Atlantischen Ozean senken.

Denn der Nachbar im Norden Mexikos — die Vereinigten Staaten - hat ein ernsthaftes orographisches Problem. Die raue Bergwelt macht den Warentransfer zwischen dem Osten und dem Westen der USA extrem schwierig und ist der Grund dafür, dass der Straßentransport eine mühsame und teure Angelegenheit ist. Wie der mexikanische Soziologe Andrés Barreda erklärte, sind ca. 80 Prozent der US-amerikanischen Wirtschaft im mittleren Osten ansässig. Dort drängen sich Wohlstand, die Mehrheit der Städte, strategisch wichtige Industrien und ein wesentlicher Teil der Bevölkerung.

Im Gegensatz dazu ist der Westen, mit Ausnahme des Küstenstreifens am Pazifischen Ozean - besonders das Tal von Kalifornien gilt als reich - ein nicht sehr großflächig industrialisiertes Gebiet, obwohl sich dort wichtige Bergbaugebiete befinden, ebenso sowie Wälder und die weltweit wichtigsten ballistischen Einrichtungen des Militärs.

All das macht die Verbindung vom mexikanischen Hafen Lázoro Cárdenas hin nach Nuevo Laredo im Bundesstaat Tamaulipas so außergewöhnlich wichtig. Der Container-Transport zwischen den beiden Ozeanen per Eisenbahn durch Mexiko kann schneller und billiger sein als die Überquerung des bergigen Gebietes der Vereinigten Staaten.

»Hier gibt es eine unverhältnismäßige Invasion von Chinesen«

Michoacán ist auch für China immer wichtiger geworden - und das nicht nur als Strand in Nordamerika. Von Michoacán aus wird tonnenweise Eisenerz verschifft, um den kontinuierlichen chinesischen Bedarf an Stahl zu befriedigen. Ein Großteil dieses Minerals wird von dem Unternehmen der kriminellen Vereinigung und des Drogenkartells ›Caballeros Templarios — die Tempelritter‹ abgebaut und vertrieben.

Wie die Zeitschrift ›Expansión‹ berichtete, sind verschiedene asiatische Konzerne in diesem Gebiet mit schwindelerregendem Tempo gewachsen. Zum Beispiel die chinesische Firma › Desarrollo Minero Unificado de México‹ in Lázaro Cárdenas, die mehr als dreißig Konzessionen besitzt. Die Anzahl der Belegschaft ist dort von drei auf 600 MitarbeiterInnen gestiegen.

Im August 2013 läutete Servando Gómez Martínez, genannt ›La Tuta — der Lehrer‹ und Anführer des Kartells ›Caballeros Templarios‹, die Alarmglocken. In einem Video warnte er: »Hier gibt es eine unverhältnismäßige Invasion von Chinesen. Vielleicht ist dies im Interesse einiger Unternehmen, ich weiß es nicht. Aber sie sind jetzt schon bei uns. Und sie bringen auch ihre Mafiastrukturen mit«.

Verborgener Rohstoffkrieg zwischen China und den USA

Monate später erklärte er dem Sender Channel 4: »Die Chinesen müssen verhandeln oder ihre Märkte vergrößern oder mehr Arbeitsplätze oder Industrien in anderen Gebieten schaffen. Chinesen agieren sehr transnational und in großem Stil. Sie sind ziemliche Mistkerle«. Und er wurde noch bestimmter: »Kein chinesischer Unternehmer wurde bisher entführt«.

Der US-amerikanische Außenminister John Kerry gab zu, dass seine Regierung über die Vorkommnisse beunruhigt sei und sagte, man sei »bereit, sich gegebenenfalls nützlich zu machen«.

Es gibt sehr viele offensichtliche Anzeichen dafür, dass das Feuer im Wilden Westen von Michoacán nicht nur durch den unstillbaren Appetit einer kriminellen Vereinigung entfacht wurde, sondern durch einen im Verborgenen geführten Krieg zwischen China und den Vereinigten Staaten um die Kontrolle des pazifischen Beckens und den Zugang zum Eisenerz. Wie sagt das Sprichwort: Paranoid sein heißt nicht, dass man nicht verfolgt wird.


Quelle: poonal
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