WTO in Cancun: Interview mit Brisa Solis

Poonal vom 12.09.2003
Von Andreas Behn, Poonal 590 vom 16.09.2003

 

(Cancun, 12. September 2003, npl).- Brisa Solis ist Mitarbeiterin des Organisationskomitees, das die Protesttage und das Sozialforum in Cancun anlässlich der WTO-Ministerkonferenz vorbereitete.

npl: Waren die vergangenen fünf Protesttage aus Sicht der Organisatoren ein Erfolg?

Brisa Solis: Wir wussten im Voraus nicht, wie intensiv die soziale Mobilisierung wirklich werden würde. Zum Beispiel haben wir die Zahl der Leute, die hierher gekommen sind, überschätzt. Zufrieden sind wir in erster Linie darüber, dass die soziale Bewegung überhaupt existiert, und dass viele Mexikaner bis nach Cancun gekommen sind. Das ist ein neuer Prozess, und wenn etwas neu ist, werden auch viele Fehler gemacht.

Außerdem ist es natürlich unmöglich, eine soziale Bewegung zu institutionalisieren, das heißt, es kann ein Dialog und Infrastruktur vorbereitet werden, aber es ist die Bewegung selbst, die in jedem Moment definiert was passiert.

npl: Was würdet ihr bei einem nächsten Mal anders machen?

Brisa Solis: Es gibt schon einige neue Ideen, aber zuerst müssen die beteiligten Gruppen reflektieren, was hier alles passiert ist, in welche Richtung sich die Bewegung weiter entwickeln will. Aus meiner Sicht waren die inhaltlichen Foren eine gute Gelegenheit für Dialoge und Proteste. Aber ein Großteil der Bewegung hat daran offenbar kein Interesse. Unter uns existiert einerseits sehr viel Kreativität, Magie und neue Widerstandsformen. Dann gibt es eine andere Fraktion, die sehr wütend ist, die es satt hat, an Institutionen zu glauben.

npl: Gab es viel Streit zwischen einzelnen Gruppen?

Brisa Solis: Streit gab es auf drei Ebenen. Zuerst einmal auf lokaler Ebene, da es eine Gruppe gab, die vor Ort die Proteste ermöglichen wollte und dazu ihre eigenen politischen Kontakte ins Spiel brachten. Mit ihnen waren die wenigen anderen sozialen Kräfte hier in Cancun nicht einverstanden, so dass es zu Streitigkeiten kam.

Auf nationaler Ebene gab es einen sehr schweren Bruch. Da ist zum einen der internationale Bauernverband Via Campesina, der bei den globalen Mobilisierungen eine extrem wichtige Rolle spielt und in gewisser Weise darauf beharrte, dass das Thema Landwirtschaft das wichtigste sei. Auf der anderen Seite gab es ganz viele Gruppen, die für unterschiedliche Themen standen, Jugendliche, Frauen, für die Rechte von Kindern oder Indígenas, also eine pluralere Vision. Der Bruch war so stark, dass es nicht möglich war, zwei gemeinsame Demonstrationen zustande zu bringen. Sogar der Dialog wurde abgebrochen.

Auf internationaler Ebene war beispielsweise die Rolle vom OWINFS (Our World Is Not For Sale) sehr wichtig, auch ohne die Realität in Mexiko zu kennen gelang es ihnen, viele Organisationen unter einen Hut zu bringen. Die Gruppe versuchte auch im internen Streit zu vermitteln, was aber nicht ganz gelang. Auch wollte OWINFS nicht einsehen, dass es noch andere Kräfte gab, die hier vermitteln konnten.

Mein Eindruck war, dass die Gruppen untereinander unheimlich viel diskutiert haben, manchmal geradezu ohne Sinn und Verstand, und dabei übersahen sie andere Akteure, die soziale Bewegung als solche, die Musik machen wollte, die nicht an Foren teilnehmen wollte, die nur Schreien wollte und wütend war, während die Organisatoren vor allem die Infrastruktur für einen Dialog schaffen wollten.

npl: Wie kamen die Foren an?

Brisa Solis: Es gab sehr wenig Interesse an den Foren. Die Leute wollten lieber auf der Straße sein, während die Organisatoren reden oder Vorschläge entwickeln wollen. Das ist eine Herausforderung für die Zukunft: Wie können diese beiden Seiten, die sich gegenseitig brauchen, besser zusammen spielen?

npl: Wart ihr gut vorbereitet?

Brisa Solis: Ich finde nicht. Für Mexiko ist der Protest gegen die Globalisierung ein recht neues Thema. Es fehlt vor allem die Bereitschaft, die anderen anzuerkennen — die Gewerkschaften, die Frauen, die Jugendlichen — um gemeinsam eine Bewegung zu artikulieren. Das war auch die Ursache für viele Streitigkeiten. Zum Beispiel darüber, welche Gruppe wichtiger ist und wer ganz vorne laufen darf, eine unsinnige Diskussion, die viel Kraft gekostet hat. Schlimm waren auch die vielen Diskussionsrunden, auf denen rein gar nichts gelöst oder beschlossen wurde. Da fehlte auch eine Gruppe, die eher pragmatisch und weniger politisch agiert.


Quelle: poonal
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