Die Fox-Regierung hat die Indigenas verraten, sagt López Bárcenas

La Jornada vom 22.08.2001
Andrea Becerril
übersetzt von: Dana

 

Zum besseren Verständnis des folgenden Artikels, hier erst einmal eine Zusammenfassung der Hintergründe. Ursprünglich wie die CNDH von der Regierung als Vorzeigeinstitution gegründet, hatte das Nationale Indigene Institut (INI) seit der diesjährigen Ernennung von Marcos Matías Alonso zum ersten indigenen Generaldirektor des Institutes, durch ein vergleichsweise entschlossenes Auftreten angenehm überrascht. Das INI stellte sich offen gegen das modifizierte indigene Gesetz des Kongresses, hoffte auf einer energischen Antwort der EZLN, und unterstützte die Forderung nach der Einhaltung der ILO Konvention 169. Ebenso unerwartet war das doch einigermassen ehrliche Engagement der Vorzeigeindigena der Regierung, Xóchitl Gálvez, die zum Missfallen der neuen Administration, statt sich darauf zu beschränken, die erfolgreiche indigene Geschäftsfrau zu mimen, offene — wenn auch inkonsequente — Anstalten machte, die indigene Gegenreform sanft zu kritisieren. Seit Juli sind Matías Alonso und Gálvez denn auch äusserst aggressiven Angriffen seitens der PAN ausgesetzt gewesen, bis hin zu deren öffentlichen Beschimpfung als "EZLN-Militanten und Maoisten" (!), und der Aufforderung nach der sofortigen Auflösung des INI und dem Rücktritt von Xóchitl Gálvez. (Gipfel der Heuchelei und des Rassismus: als die verletzte Gálvez sich anbot dieser Aufforderung Folge zu leisten beeilte sich die PAN zu entgegnen, sie werde sich an die "parlamentarische Sprache und das dort angemessene Verhalten" eben noch gewöhnen müssen). Durch Luis Pazos ("Kein Indigena wünscht sich Autonomie") verlangte die PAN eine Beschneidung des INI Budgets, und forderte Matías Alonso und Gálvez auf "als Beweis ihrer Liebe zu den Indigenas" das INI aufzulösen.

Was dann im Hintergrund erfolgte ist nicht ganz klar. Am 4. August wurde die anstehende Ausrufung des indigenen Gesetzes verkündet. Am 6.August prangerte Matías Alonso, in einem ein-Mann Rundumschlag gegen die gesamte PAN, den Rassismus, die Aggression und die Diskriminierung der Regierung gegen ihn und Gálvez — die einzigen zwei Indigenas im gesamten Kabinet. Am 7. August sprach sich das INI noch zugunsten eines nationalen Seminars über den Inhalt der ILO Konvention 169 aus. Am 9. August, ein Tag vor der offiziellen Einreichung eines Gesuches an die ILO zur Untersuchung des indigenen Gesetzes, erklärte Matías Alonso, in einem "abrupten Positionswechsel" (O-Ton Reforma) das indigene Gesetz des Kongresses stelle einen Fortschritt dar. Am 14. August wurde das indigene Gesetz offiziel verkündet. Am 21. August trat López Bárcenas, nach einem internen Treffen, aus den unten von ihm dargelegten Gründen aus der INI zurück. Zwei Tage später, am 23. August 2001, gab Marcos Matías Alonso eine Erklärung ab, derzufolge die EZLN es versäumt habe zu dem indigenen Gesetz Stellung zu nehmen, nur 5% der 11 Millionen Indigenas Mexikos dem indigenen Gesetz ablehnend gegenüberstehen, dieses aber nach und nach akzeptieren würden, und dass die Gegenreform des Kongresses die ILO Konvention 169 niemals, in irgendeiner Weise verletzt habe. Seitdem hat man von dem INI kein Wort mehr gehört.

Dana




Der Freiraum der Fox-Regierung für die Indigenas wurde nach und nach geschlossen, und die Versprechen des Präsidenten an die indigenen Völker und der EZLN sind nichts anderes geblieben als Worte, stellte Francisco López Bárcenas fest.

Vor zwei Tagen noch, war er der Leiter der Rechtsabteilung des Nationalen Indigenen Institutes (INI). Heute erläutert López Bárcenas seine Entscheidung: die Bundesexekutive hat weder den COCOPA-Gesetzesvorschlag verteidigt, noch die Armee aus Chiapas zurückgezogen — sondern sie lediglich umpositioniert — ohne die Landgebiete in Guadalupe Tepeyac, La Realidad und Amador Hernández gesetzlich zurückzuerstatten. Das bedeutet, dass die Militärbasen in diesen Gemeinden jederzeit wieder eingerichtet werden könnten.

Der Grund für seinen Rücktritt, erklärte er, ist Vicente Fox’ Versäumnis seine Versprechen auszuführen. Die Politik gegenüber den ethnischen Gruppen ist unverändert geblieben, und die Leitung des INI wurde unter Druck gesetzt, um ihre Forderungen nach Veränderungen der indigenen Verfassungsreform einzustellen.

"Es gibt keinen Übergang, es gibt keine Veränderung in der neuen Regierung, die Indigenas werden bei dem Entwurf der politischen Richtlinien, die ihre Beziehung mit dem Staat definieren, nicht berücksichtigt. Ich bin daher nicht daran interessiert unter solchen Bedingungen eine Position in das INI zu besetzen. Wenn wir nicht für Autonomie kämpfen, für freie Selbstbestimmung, für die Verteidigung der indigenen Länder, damit sie ihre eigenen Rechtssysteme anwenden, hat das alles kein Sinn." fügte er in einem Jornada Interview hinzu.

Der mixtekische Anwalt, Spezialist für indigene Rechte und Autor von 12 Bücher zu diesem Thema, erklärte er werde weiterhin für die Verteidigung der indigenen Völker kämpfen, und von jetzt an als Berater für die Bezirke und Gemeinden arbeiten, die Verfassungsbeschwerden und andere Massnahmen gegen die ausgerufene Reform einreichen wollen, und für die Bewilligung der COCOPA-Initiative.


Die Gründe für den Rücktritt

López Bárcenas bemerkte, es sei für ihn am Anfang der Administration schwierig gewesen, das Angebot an der Leitung des INI teilzunehmen, zu akzeptieren. "Ich wollte es nicht, es sah für mich nicht so aus, als ob diese Plattform, und die Versprechen die Fox als Kandidat bezüglich den ethnischen Gruppen gemacht hatte, sehr tief gehen würden. Ich muss aber sagen, dass die Redeb und die Massnahmen des Präsidenten in den ersten Tagen seiner Regierung, einen tiefen Eindruck auf mich gemacht haben".

Während seiner Inauguration verkündete Fox, er würde den COCOPA-Vorschlag dem Kongress vorlegen, die Armee aus Chiapas zurückziehen, die zapatistischen Gefangene freilassen, und auch die indigene Beteiligung berücksichtigen. "Ich habe das mit vielen Compañeros besprochen, mit denen wir in der indigenen Bewegung arbeiten, und ich beschloss dem INI beizutreten".

Es mag sehr idealistisch gewesen sein, fügte er hinzu, in diesem Augenblick gefühlt zu haben, es sei wichtig an der Leitung des Institutes mitzuwirken, denn es gab Anzeichen einer Veränderung in der Art der Beziehung, die in den letzten 52 Jahren zwischen dem mexikanischen Staat und den Indigenas geherrscht hatte, und die Möglichkeit des Beginnes eines neuen Abschnittes.

Neun Monate später entdeckte er eine völlig andere Realität, weil "die Freiräume verschlossen werden. Die Regierung reichte den COCOPA-Vorschlag ein, verteidigte ihn aber nicht. Wir von dem INI haben ihn verteidigt, aber sie liessen uns alleine, und der Druck fing in den letzten paar Wochen an".

Zusätzlich sind die Indigenas in dem Nationalen Entwicklungsprogramm der Regierung "vollkommen abgeschnitten. Ausserdem wird Fox’ Versprechen die Konfliktzone zu entmilitarisieren nicht ausgeführt, da die Armee nur umpositioniert wurde".

Wenn man das Ganze aufmerksam betrachtet, erklärte er weiter, stellt man fest, dass die Armee in Chiapas lediglich umpositioniert worden ist. Ernst daran ist, dass die Massnahme noch nicht einmal von der gesetzlichen Rückgabe der Ejido-Länder begleitet worden ist, auf der die Militärbasen errichtet und die Truppen stationiert worden waren.

"Wir haben damals über die delikate Lage gewarnt, weil dies bedeutet, dass die Armee jederzeit nach Guadalupe Tepeyac, La Realidad und Amador Hernández zurückkehren könnte, da die Ejido-Länder auf denen sich die Barracken befanden, von der Regierung Ernesto Zedillos enteignet worden sind, und diese Erlasse niemals aufgehoben wurden".

Besorgt über das, was er als eine Täuschung der Regierung betrachtet, erklärte López Bárcenas, wenn der der Truppenrückzug wirklich vertrauenswürdig verlaufen wäre, hätte er von der Rückgabe des Ejidogrundbesitzes begleitet werden müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen, da noch immer die selben Ziele verfolgt werden wie zu der Zeit, als diese für die Einrichtung von Militärlager enteignet worden sind

Im Fall von Amador Hernández, bemerkte er, reichte die Gemeinde eine Klage gegen die Bundesregierung ein, weil diese ihr Land besetzt hatte ohne irgendein vorheriges Verfahren, und später ein Teil ihres Ejidos enteignete, auf dem die Militärbasis errichtet wurde. Obwohl der Friedensbeauftragte, Luis H. Alvarez, die Ländereien nach Abzug der Truppen an den Gouverneuren von Chiapas übergeben hat "ist das was wir in dem INI beanstanden die Tatsache, dass diese gesetzlich gesehen, immer noch der Armee gehören."

Während er fortfuhr die Handlungsweise der gegenwärtigen Regierung in Chiapas zu erklären, wiederholte er seine Überzeugung, dass "Fox’ Worte über die zapatistische Bewegung nichts weiter gewesen sind als eben das: Worte."

Er erklärte, dass als der Senat die indigenen Reformssinitiative bewilligte und ersichtlich wurde, dass der COCOPA-Vorschlag vollkommen verändert worden war und die primären Rechte der Indigenas ausliess, der Leiter der INI, Marcos Matias, und die vier Direktoren beschlossen, in Verteidigung der ethnischen Gruppen eine kritische Position einzunehmen.

"So taten wir es, und das zu einem besonders schwierigen Zeitpunkt, da der Präsident der Republik selbst dem Bundessenat bereits seine Glückwünsche überreicht hatte. Wir blieben bei dieser Position. Das hatte einige Auswirkungen. Unsere Meinung wurde angehört, die Argumente über lateinamerikanische Verfassungen, wie die von Venezuela und Nicaragua, die indigene Autonomien beinhalten, ohne dass diese Länder eine Fragmentierung erlitten hätten. Aber die mexikanische Regierung nahm keine konkrete Haltung ein um die Situation zu verändern."

Der mixtekische Anwalt enthüllte, dass der Druck auf die INI-Leitung zu wachsen begann. Vor acht Tagen, nachdem Fox die dubiose Reform ausgerufen hatte, gab es in der INI keine Diskussionen mehr. "Während eines internen Treffens, sagte der Generaldirektor, dass die Position des Präsidenten der Republik die Position der INI sei, und ich verstand, dass es keine weiteren Diskussionen geben würde."

"Welche Abteilung hat Marcos Matías unter Druck gesetzt?"

"Das hat er mir nicht gesagt, aber ich glaube es war die Regierungsabteilung. Der INI-Direktor ist in einer schwierigen Lage, weil die PAN ebenfalls Druck auf ihn ausübte. Er hat das nicht mit mir diskutiert, aber ich stimme der Haltungsänderung des Institutes nicht zu.

"Der neue Pfad der ausserhalb des INI eingeschlagen werden muss," sagte er "ist es die Bezirke und Gemeinden zu beraten, damit gesetzliche Anfechtungen eingereicht werden können, die einen Neuanfang des legislativen Prozesses ermöglichen. Dieser ist noch nicht voll ausgeschöpft worden, weil der Höchste Gerichtshof noch Berufungen und zwei Kontroversen zu klären hat."

Seinem Urteil nach, können die indigenen Völker zusammen mit der Zivilgesellschaft, trotz der Haltung der Hardliner-Gruppen in der PAN und der PRI, von Bartlett Diaz und Fernandez de Cevallos, immer noch kämpfen und die Einrichtung der Rechte ethnischer Gruppen in der Verfassung erreichen.

Zusützlich dazu, wird die Fox-Regierung ihre Haltung ändern müssen, und die Versprechen ausführen, die sie gegenüber der EZLN und den Indigenas des Landes gemacht haben.

"Die mexikanische Regierung steht ebenfalls schlecht da, weil sie eine Verantwortung übernommen hat." Fox kann nicht einfach vergessen, dass es in Chiapas ein Konflikt gibt, und "auch wenn die EZLN dort umzingelt wird, und die indigene Bewegung eine sehr kleine Stimme haben mag, ist es ein Fehler die zapatistischen Forderungen nicht zu erfüllen, weil dies ein sehr ernstes Konflikt schaffen könnte."

 

Quelle: https://www.jornada.com.mx/


 

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