Über die sieben Berge: Die EZLN in Cancún

Direkte Solidarität Chiapas vom 07.11.2003
Direkte Solidarität

 

Seit die EZLN ihre Teilnahme an den Protesten gegen die 5. WTO Ministerkonferenz im mexikanischen Cancún vom 10. bis 15. September 2003 angekündigt hatte, wurde lang über die mögliche Form ihres Auftritts spekuliert. Tatsächlich reisten lediglich einige hundert Personen der zapatistischen Unterstützungsbasis aus der chiapanekischen Selva an die grosse Bäuerinnendemonstration ins südmexikanische Touristenmekka. Die ideelle Präsenz der Zapatistas war in den gesamten Mobilisierungen hingegen umso stärker.

"WTO: Raus aus der Landwirtschaft !"

Pünktlich zum Auftakt der 5. WTO Ministerkonferenz, an der am 10.September 2003 erneut über eine weltweite Liberalisierung der Agrarmärkte diskutiert wurde, rief die internationale KleinbäuerInnen-Allianz "Via Campesina" zu einer Grossdemonstration auf. Ziel: die Barrikaden durchbrechen, die das protestierende Fussvolk von den LiberalisiererInnen aus Nord und Süd fernhalten sollten, und vor das Tagungszentrum der WTO-MinisterInnen gelangen. Rund 10’000 Personen, davon etwa dreiviertel Bauern und Bäuerinnen, formierten sich nach Regionen und Gruppen vor dem Indígena- und Campesino-Camp, das zirka zwei Kilometer von der 150 Meter hohen Absperrung zur roten Zone in der Innenstadt Cancúns lag. Der Zug setzte sich langsam in der brütenden Mittagssonne in Bewegung. Immer wieder ertönte lautstark die Forderung: "WTO: Raus aus der Landwirtschaft!" und fast ebenso oft war aus allen Reihen ein solidarisches "E-Z-L-N !" zu hören.

Die Globalisierung von unten

Die Stimmen der EZLN, der Comandantes Esther, David und des Subcomandante Marcos drangen dann nach der kraftvollen Demonstration in den übervollen Saal des BäuerInnen und Indigenenforums. Dies nur wenige Stunden nachdem sich der koreanische Bauernführer Lee Kyung Hae aus Protest gegen die WTO mit einem Messer erstochen hatte. "Die ganze Welt ist in einem Konflikt von zwei Projekten der Globalisierung", sagte die Tonbandstimme des Subcomandante Marcos zu den Versammelten. "Einer Globalisierung von Konformität, Zynismus, Dummheit, Krieg, Zerstörung, Tod und Vergessen von oben; und einer Globalisierung von unten, welche Rebellion, Kreativität, Intelligenz, Fantasie, Leben und Erinnerung globalisiert." Lee Kyung Haes Selbstmord hatte ja am selben Tag auf tragische Weise gezeigt, was Globalisierung von oben bedeutet: den Tod der Bauern und Bäuerinnen im Süden.

Machismo in den eigenen Reihen

In einer weiteren Rede, die auf Bitten der EZLN hin auch von einer Frau verlesen wurde, richtete sich Comandanta Esther an die Frauen: "Schwestern, indigene Frauen, Bäuerinnen und Städterinnen...". Sie rief dazu auf, Sexismus und Missbrauch überall dort zu bekämpfen, wo sie auftauchen, auch bei männlichen Mitstreitern im Widerstand. "Wenn wir als Frauen Respekt einfordern, dann nicht nur von den Neoliberalen, sondern auch von denen, die mit uns gegen die neoliberale Politik kämpfen. Von denen, die sagen sie seien Revolutionäre, sich aber zu Hause wie Bush aufführen." Die Globalisierung von unten muss demnach auch in den eigenen Reihen erst einmal das männliche Oben und das weibliche Unten beseitigen.

Solidarität ohne Grenzen

Beim Verlesen der zapatistischen Botschaften in Cancún waren die VertreterInnen sowohl des nationalen indigenen Kongress (CNI) als auch von Via Campesina sichtlich gerührt. Es wurde klar, dass Indigene und Kleinbauern bezüglich ihres Kampfes in Zukunft gemeinsame Sache machen werden. Die Solidarität vieler mexikanischer Bauernorganisationen mit der zapatistischen Bewegung soll kein blosses Lippenbekenntnis bleiben. In der letzten EZLN Grussbotschaft nach Cancún betonte auch Comandante David die Gemeinsamkeit trotz vieler Unterschiede: "Wir, die indigenen Völker aus Mexiko, aus Lateinamerika und der ganzen Welt, haben schon immer Ungerechtigkeit erfahren (...) in unserem eigenen Land werden wir wie Sklaven ausgenutzt." Die Forderungen der EZLN nach indigener Autonomie und Landrechten decken sich also nicht nur mit den Forderungen der meisten Kleinbäuerinnen in Mexiko, sondern auch mit vielen in der ganzen Welt.

Die Absperrung zerlegt, die WTO entgleist

Doch nicht nur die Worte der EZLN markierten einen Neubeginn, sondern auch die breite Allianz in den Strassen Cancúns: Die Zapatistas, die sich erstmals direkt an einer Anti-WTO Aktion zu Wort meldete und dahin mobilisierte, arbeiteten zusammen mit den Bauernorganisationen, den städtischen Anti-Globalisierungsgruppen und gar mit der Phantomguerilla namens Schwarzer Block. Dass Konsens in einer Koalition solch heterogener Kräfte möglich ist, zeigte sich an der grossen Schluss- Demonstration zum Gipfel des Gipfeltreffens am 13. September. Das Unerwartete geschah: 6000 DemonstrantInnen zogen während zirka einer Stunde zu den Absperrungen. Eine grosse Gruppe Frauen ging ans Werk und demontierte mit Hilfe der Bauern die gesamte Abschrankung. Der Konsens diesseits des Zauns hielt: Es gibt keine Angriffe auf die Polizei und die Masse setzt sich auf die Strasse. Jenseits des Zauns, an der WTO-Konferenz, kam währenddessen in allen wichtigen Streitfragen keine Einigung zustande. WTO-Sprecher Kenneth Rockwell liess an einer Pressekonferenz verlauten: "...der einzige Konsens der 146 WTO-Mitgliedstaaten besteht darin, dass niemand die präsentierte Abschlusserklärung akzeptieren kann." Die Globalisierung von unten zeigte sich in Cancún in seiner Einigkeit und Vielfalt, die Globalisierung von oben in ihrem einfältigen Egoismus. Die WTO ist entgleist und laut dem Philippinischen Soziologen Wladen Bello "ist das Scheitern ein Sieg für die Völker der ganzen Welt und nicht etwa eine verlorene Chance für eine globale Übereinkunft zwischen Nord und Süd."

Ein Artikel für den "Correos de las Américas".


Quelle:
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